Die Digitalisierung verändert die Fertigungswelt – wie sehr, das wurde auf der Weltleitmesse der Metallbearbeitung greifbar. Bereits die Eröffnung der EMO 2017 in Hannover geriet zur Digital-Show, und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam bei seinem Grußwort schnell zum Punkt: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Chancen der Digitalisierung nicht anderswo, sondern auch hier genutzt werden“, schrieb er den Industrievertretern ins Stammbuch. Es komme auf Veränderungsbereitschaft an wie noch nie, mahnte Steinmeier – und nannte die Zerspanungsindustrie als positives Beispiel: „Die Werkzeugmaschinenbranche ist ein Sinnbild für stetige Veränderung.“
Dass die deutschen Mittelständler innovativ und wandlungsfähig sind, haben sie immer wieder gezeigt. Dass sie auch fähig sind zu branchenweiter und auch branchenübergreifender Kooperation, müssen sie jetzt beweisen. „Industrie 4.0 erfordert Zusammenarbeit, Integration und ein gewisses Maß an Offenheit“, bemerkte SAP-SE-Vorstand Bernd Leukert, der als Vertreter des einzigen deutschen IT-Giganten auf der Messeeröffnung sprach. Er rät den Maschinenbauern zur Kooperation mit Technologiepartnern, die viele Jahre Integrationserfahrung aufwiesen.
Doch so einfach, wie sich etwa ein USB-Gerät an den PC anstöpseln und über ein Standardprotokoll einbinden lässt, funktioniert es bei Maschinen und Anlagen noch nicht. Der VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) hat deshalb auf der EMO eine Brancheninitiative der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie für die vernetzte Produktion gestartet. „Ziel ist es, einen Standard für die Anbindung unterschiedlichster Maschinensteuerungen an eine gemeinsame Schnittstelle – einen Connector – zu entwickeln und softwaretechnisch zu implementieren“, erläuterte Dr. Heinz-Jürgen Prokop, Vorsitzender des VDW.
Mit dem „Industrie-4.0-Stecker“auf Basis von OPC UA (OPC Unified Architecture) sollen Daten aus unterschiedlichen Maschinen mit unterschiedlichen Steuerungen vieler Generationen ausgelesen und in einem standardisierten Datenformat in die Fertigungsleitsysteme oder in die Cloud befördert werden können, um sie auszuwerten und für Optimierungsaufgaben zu nutzen.
Der geplante Standard soll zum einen der jüngsten Entwicklung proprietärerer Ökosysteme gerade im Steuerungsbereich entgegenwirken. Zum anderen soll er die Mitgliederfirmen von der zeitraubenden und teuren Beschäftigung mit Infrastrukturthemen entlasten, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören. „Nach unserer Überzeugung ist es gut und richtig, etwaige Bedenken gegen Kooperationen über Bord zu werfen, das Prinzip des Teilens von Wissen zu übernehmen, davon zu profitieren und an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten“, resümiert Prokop. Mit den Ergebnissen würden auch die Mittelständler sehr schnell handlungsfähig.
Digitalisierung braucht starke Partner
Auch branchenübergreifend nehmen Kooperationsprojekte Gestalt an. Mit dem Joint Venture Adamos wollen der Werkzeugmaschinen-Riese DMG Mori, der Maschinenbauer Dürr und der Messtechnikhersteller Zeiss zusammen mit dem Darmstädter IT-Spezialisten Software AG eine IIoT-Plattform etablieren, die speziell auf die Bedürfnisse des Maschinen- und Anlagenbaus und seiner Kunden zugeschnitten ist. „Bei der Digitalisierung muss der Maschinen- und Anlagenbau selbst Standards setzen und die Entwicklung vorantreiben“, erklärt Christian Thönes, Vorstandsvorsitzender der DMG Mori AG. „Das geht nur mit starken Partnern.“
Ein weiteres „Ökosystem“ aus verschiedenen Herstellern war auf der industrie 4.0 area (siehe unten) zu sehen: Auf Basis der Industrie 4.0 Plug & Play-Technologie des italienischen Herstellers Alleantia waren IoT-Gateways von Advantech, Software von Leonardo und Multicenter-Bearbeitungszentren von Porta Solutions integriert.
Proprietäre Cloud-Plattformen, die aber auch offene Schnittstellen unterstützen, zeigten die Steuerungs-Riesen Fanuc mit Field und Siemens mit Mindsphere in Aktion. Dabei waren jeweils Maschinen in dreistelliger Zahl vernetzt, die über das ganze Messegelände verteilt waren.
Anwendungsseitig standen die Visualisierung des Maschinenstatus, die Erfassung von Produktivitätskennzahlen oder die vorausschauende Wartung im Blickpunkt. Neue Transparenz und Kontrollmöglichkeiten könnten auch Betreibermodellen einen neuen Schub verleihen. Zum Beispiel bietet Heller für mehrere Standardmaschinen ein Pay-per-use-Modell an, bei dem rein nach Nutzung abgerechnet wird.
Bei den Werkzeugherstellern lag der Fokus auf Werkzeugverwaltung, -logistik und Einkauf sowie Prozessoptimierung. So stellte die Sandvik-Tochter TDM Systems mit TDM Cloud Line eine Cloud-basierte Werkzeugverwaltung vor, die Zugriff auf die Werkzeugdaten vieler Hersteller bietet. Mapal-Ableger c-Com schickte seine Plattform zur EMO live. Als System für die Verwaltung und den Einkauf von C-Teilen gestartet, entwickelt sie sich bereits zum kollaborativen Datenmanagement-Tool für Werkzeuge über den gesamten Lebenszyklus.
Dass die digitalen Geschäftsideen nicht zwingend aus der Investitionsgüterbranche heraus geboren werden, zeigte das Start-up Orderfox. Dessen kostenloser Dienst bringt CNC-Fertiger und Einkäufer nach Art einer Online-Kontaktbörse zusammen. Zur Goldgrube soll letztlich die Vermarktung der gewonnen Daten werden – wie das geht, hat Google Analytics vorgemacht. Das Interesse war jedenfalls groß: Fast 1500 Firmen informierten sich laut Orderfox am Stand, und über 1000 hätten sich dort direkt für die Plattform registriert.
Themenpark zeigt Industrie 4.0 in der Praxis
Zum Anziehungspunkt für die EMO-Besucher wurde der Themenpark „industrie 4.0 area“, der von mav in Kooperation mit dem Messeveranstalter VDW organisiert wurde. Auf rund 800 Quadratmetern Fläche stellten zahlreiche Hersteller Praxislösungen zur Digitalisierung und Vernetzung der Fertigung vor, die von der Werkzeugmaschine über Automatisierungs- und Steuerungstechnik bis hin zu Software, Security und Cloud-Plattformen reichten. Dabei wurde deutlich, dass Industrie 4.0 längst nicht mehr nur ein deutsches Vorzeigeprojekt darstellt, sondern international angekommen ist. Das beweist die starke Beteiligung ausländischer Hersteller, die aus der Schweiz, Italien, Spanien, Finnland und Japan kamen. Auch neun renommierte deutsche Forschungsinstitute waren mit Demonstratoren ihrer Verbundprojekte am Start, die sich vornehmlich mit intelligenten Fertigungskomponenten beschäftigen.
Der Stand war an allen sechs Messetagen gut frequentiert. Zahlreiche internationale Besuchergruppen informierten sich über die neuesten Digitalisierungslösungen, darunter eine japanische Unternehmerdelegation. Auch das Forum erhielt großen Zulauf: An vier Messetagen bot es den Besuchern ein umfangreiches Vortragsprogramm, das über konkrete Lösungen zur Digitalisierung der Produktion informierte. Gemeinschaftsstand und Forum wurden ausgiebig zum Austausch und Networking mit den Experten genutzt.
Doch nach der Messe ist vor der Messe, und so läuft bereits die Planung für die Neuauflage der Veranstaltung im Februar 2018 auf der Metav in Düsseldorf – mit mindestens ebenso vielen Teilnehmern und einem nicht minder spannenden Programm.
Den Tagungsband mit Informationen zu allen Forumsvorträgen finden Sie unter www.mav-online.de/industrie-4–0-area-2017
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