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Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell für den Maschinenbau

net Zero – Product Carbon Footprint – Greenhouse Gas Protocol
Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell für den Maschinenbau

Dass die Zeit beim Thema Nachhaltigkeit drängt, machen die kurzen Fristen für die Umsetzung des Green Deal der EU mehr als deutlich: Europa soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein. In einem ersten Schritt sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 sinken. Klimabewusstes Produzieren bietet neben den enormen Herausforderungen aber auch Chancen.
Autor: Frederick Rindle


Inhaltsverzeichnis
Ausgeglichener Product Carbon Footprint als Grundlage der Nachhaltigkeit
Prof. Achim Kampker: Nachhaltige Modellstadt Avantis
Kreislaufwirtschaft im Fokus der Nachhaltigkeit
CO2 zu reduzieren reicht für die Nachhaltigkeit nicht aus
Green Deal definiert die Spielregeln
Scope 1, 2 und 3-Emissionen
Best Practice für die Nachhaltigkeit als Orientierungshilfe
Scope 3-Ziele mit externer Unterstützung
Geschäftsmodell Klimaneutralität
Das Greenhouse Gas Protokoll

Viele Maschinenbauunternehmen haben sich in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz bereits klar positioniert und wollen in den nächsten Jahren klimaneutral werden oder produzieren sogar schon heute klimaneutral. Der Werkzeughersteller Ceratizit will allerdings noch einen Schritt weiter gehen: Bis 2025 will Ceratizit die Nachhaltigkeitsführerschaft in der Hartmetall- und Zerspanungsindustrie übernehmen. Auf der AMB 2022 verkündete Vorstandsmitglied Thierry Wolter die ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele von Ceratizit, die die gesamte Lieferkette betreffen und verändern sollen. „Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit und erfordert auch von der Industrie ein Umdenken in vielen Bereichen“, so Wolter.

Der erste Meilenstein in der Umsetzung der neuen Strategie bei Ceratizit ist das Jahr 2025. Bis dahin will der Werkzeughersteller nicht nur CO2-neutral sein. Sondern auch die tatsächlichen Emissionen bis dahin um 35 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2020 reduzieren. Im zweiten Schritt bis 2030 sollen die Emissionen durch weitere Maßnahmen um 60 Prozent gegenüber 2020 gesenkt werden. Bis 2040 soll dann „net zero“ erreicht werden – ein Ziel, das das Pariser Klimaabkommen erst für 2050 vorsieht.

Ausgeglichener Product Carbon Footprint als Grundlage der Nachhaltigkeit

Der Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori hat laut eigner Aussage 2021 einen ausgeglichenen Product Carbon Footprint erreicht. „Klimaschutz geht uns alle an. Technologieführerschaft und Umweltschutz stehen miteinander im Einklang. DMG Mori übernimmt deshalb ganzheitlich Verantwortung“, sagte Christian Thönes, Vorstandsvorsitzender der DMG Mori AG, im Oktober 2020. Seit 2021 ist die gesamte Wertschöpfungskette der DMG Mori Fertigungslösungen – vom Rohstoff bis zur Auslieferung der Maschinen an den Kunden – CO2-neutral, so der Hersteller.

Auch beim Werkzeugmaschinenhersteller Chiron setzt man auf Nachhaltigkeit. „Unser Ziel ist es, klimabewusst und – je eher, desto besser – klimaneutral zu produzieren“, so CEO Carsten Liske. Dazu wurde in den vergangenen Monaten an einem globalen Nachhaltigkeitsprogramm für die Chiron-Gruppe gearbeitet. Mit Investitionen in Wärmerückgewinnungs- und Photovoltaikanlagen sowie dem Bezug von zusätzlich benötigtem Strom aus regenerativen Quellen wurde der erste Meilenstein erreicht: In Deutschland produziert die Chiron Group laut eigener Aussage nun klimaneutral.

Prof. Achim Kampker: Nachhaltige Modellstadt Avantis

Die Liste an Beispielen bei den Herstellern ließe sich beliebig fortsetzen. Einen Schritt weiter beim Thema Nachhaltigkeit möchte Prof. Achim Kampker gehen, der Miterfinder des vollelektrischen Kleintransporters Streetscooter, will mit seinem Verein „Ingenieure retten die Erde“ den scheinbaren Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie in seiner Modellstadt Avantis auflösen. Am Sitz des von ihm gegründeten Lehrstuhls „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) an der deutsch-niederländischen Grenze plant der RWTH-Forscher laut „Welt“ ein autarkes Humanotop.

Eine Stadt, die alle benötigten Ressourcen selbst produziert. So sollen Energie, Wasser, Lebensmittel und die Ressourcen für Mobilität, Infrastruktur und Gebäude aus eigenen Quellen gewonnen werden. Ein Ziel des Projektes ist es auch, eine Aufbruchstimmung in Deutschland zu ermöglichen, damit die notwendigen Projekte zum Umwelt- und Klimaschutz auch angestoßen und umgesetzt werden.

Erste Erfolge sind bereits sichtbar: So gibt es auf Avantis bereits ein Testzentrum für Antriebsbatterien für Elektrofahrzeuge, einen Stromspeicher aus Altbatterien und ein Unternehmen, das sich mit den Möglichkeiten der Nutzung von Fliegenlarven zur Schmierstoffgewinnung beschäftigt.

Kreislaufwirtschaft im Fokus der Nachhaltigkeit

Mit seinen Bemühungen beim Thema Nachhaltigkeit und für eine grüne Produktion ist Prof. Kampker an der RWTH Aachen nicht alleine. So hat sich etwa auch die Aachener Konferenz für Produktionstechnik (AWK) „Empower Green Produktion“ zum Leitthema für 2023 gesetzt. Dabei steht vor allem das Thema Kreislaufwirtschaft im Vordergrund.

Denn laut den Forschern des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT ist die produzierende Industrie heute immer noch in hohem Maße abhängig von weltumspannenden Logistikketten, fossiler Energie und seltenen Rohstoffen. Globale Krisen wie der Klimawandel, die Coronapandemie und die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine zeigen, dass die Zukunft Unternehmen weit stärker fordern kann, als nur politisch festgelegte Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen oder Lieferengpässe einzelner Branchen zu bewältigen. Die Kreislaufwirtschaft bietet für Unternehmen auch die Chance unabhängiger von fossilen Energieträgern zu werden.

CO2 zu reduzieren reicht für die Nachhaltigkeit nicht aus

Das Ziel des AWK’23 soll es sein Unternehmen zu mehr Resilienz und Sicherheit zu verhelfen und gleichzeitig einen Beitrag dazu zu leisten, die weltweiten Emissions- und Klimaziele zu erfüllen. Empower Green Production – steht dabei für die Bestrebungen der Aachener Forscher um das Professorenteam Robert Schmitt, Thomas Bergs, Christan Brecher und Günther Schuh, die Industrie bei der dringend notwendigen Transformation hin zu einer grünen Produktion zu unterstützen.

“Wir haben nicht so schrecklich viel Zeit, uns zu unterhalten, was man machen könnte, denn es fallen eben sehr viele Dinge zusammen“, erklärt Professor Robert Schmitt, Lehrstuhlinhaber am WZL und Bereichsleiter am Fraunhofer IPT, der in diesem Jahr das Organisationskommittee des AWK leitet. Es gehe nicht nur um rein wirtschaftliche Fragen, sondern tatsächlich auch um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Es sei nicht allein damit getan, CO2 zu reduzieren, Schmitt sieht Forschung und Industrie auch in der Verantwortung für eine stabile Gesellschaft und ist überzeugt, dass gerade die industrielle Produktion durchaus als stabilisierender Faktor wirken könne.

Die Veranstalter von WZL und Fraunhofer IPT haben es sich deshalb zum Ziel gesetzt, den Blick in diesem Jahr noch genauer auf die Möglichkeiten zu fokussieren, wie Unternehmen mithilfe von Produktionsdaten entlang der gesamten Wertschöpfungskette nachhaltiger und gleichzeitig resilienter wirtschaften können.

Green Deal definiert die Spielregeln

Auch wenn es gegenwärtig noch keine Regulierung gibt, die Unternehmen die Klimaneutralität vorschreibt, hat die EU mit dem Green Deal die Spielregeln für die Industrie schon definiert. Damit wird es zwingend, ressourcenschonend zu produzieren und zusätzlich muss der Ausstoß des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid drastisch reduziert werden.

Dazu plant die EU, Importe aus Drittstaaten mit einer CO2-Grenzsteuer zu belegen. CO2-Kosten, die durch die Verknappung von Emissionsrechten steigen, sollen die Nachfrage nach klimafreundlichen Technologien fördern. Jedes Unternehmen wird seinen CO2-Fußabdruck bilanzieren müssen, jedes Produkt bekommt einen Digitalen Produktpass (DPP). Stehen zunächst noch vor allem Konsumgüter im Fokus, dürfte es mittel- und langfristig nicht mehr nur um Jeans und Batterien, sondern auch um Werkzeugmaschinen gehen.

Mit der Frage, wie Unternehmen den zügigen Einstieg in die CO2-Bilanzierung finden und wie sie dabei unterstützt werden können, beschäftigt sich auch der VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken), Veranstalter der EMO Hannover 2023.

Scope 1, 2 und 3-Emissionen

Für die CO2-Bilanzierung orientieren sich viele Unternehmen am Greenhouse Gas Protocol (GHGP), einem international anerkannten Standard, der Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen in drei so genannte Scopes (Bereiche) unterteilt:

  • Scope 1-Emissionen beziehen sich auf direkte Emissionen eines Unternehmens aus der Verbrennung fossiler Energieträger, also etwa durch beheizte Hallen oder den eigenen Fuhrpark.
  • Scope 2-Emissionen umfassen indirekte Emissionen aus zugekauften Strom-, Wärme- oder Kältemengen.
  • Scope 3 schließt alle indirekten Emissionen aus der vor- und nachgelagerten Wertschöpfung sowie dem Lebenszyklus der gefertigten Produkte ein, beispielsweise Werkzeugmaschinen. In diesen Bereich fallen also auch Materialien und Komponenten von Zulieferern oder Emissionen, die durch die Nutzung einer Werkzeugmaschine beim Anwender entstehen. Zudem wird die Lebensdauer eines Produkts bewertet und was mit ihm am Ende seines Lebens passiert.

Best Practice für die Nachhaltigkeit als Orientierungshilfe

Wie eine CO2-Bilanz aufgestellt und daraus eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt wird, zeigt zum Beispiel der Pumpenhersteller Wilo SE mit Sitz in Dortmund. In weltweit über 70 Produktions- und Vertriebsgesellschaften beschäftigt das Unternehmen rund 8200 Mitarbeiter. Kern der Nachhaltigkeitsstrategie: „Wir wollen dazu beitragen, möglichst viele Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen“, sagt Claudia Brasse, Group Director Sustainability & HSE (Health, Safety, Environment) bei der Wilo SE, „und dies bei gleichzeitig reduziertem ökologischen Fußabdruck“.

Bei der Klimabilanzierung begannen die Dortmunder zunächst damit, die Energieverbräuche an den elf großen Produktionsstandorten des Unternehmens zu erfassen (Scope 1) und dann die Basis-Emissionen zu kalkulieren (Scope 1 und 2). Bei der Datenerhebung und Berechnung von Treibhausgasemissionen in der Lieferkette hilft ein Scope 3-Evaluator, eine Software zur Datensammlung und -bewertung. Die Ergebnisse wurden in die Nachhaltigkeitsstrategie integriert, die in die vier Handlungsfelder Wasser, Energie und Emissionen, Material und Abfall sowie Mitarbeiter und Gesellschaft aufgeteilt sind.

Den Handlungsfeldern werden bei Wilo Maßnahmen wie etwa die Erweiterung des Portfolios an Smart Water Systems, Energieeinsparungen durch Hocheffizienzpumpen, die Erhöhung der Anzahl wiederverwendbarer Teile oder die Reduzierung des Materialverbrauchs mit berechneten Zielgrößen zugeordnet. So werden insgesamt bis 2025 eine Reduktion der CO2-Emissionen um 50 Mio. Tonnen, eine klimaneutrale Produktion an allen Wilo-Standorten, eine Reduktion des Verbrauchs an Rohstoffen um 250 Tonnen sowie eine Recyclingquote von 90 Prozent als Ziele gelistet. Der Anteil von Grünstrom, also Strom aus erneuerbaren Energien, soll bei Wilo bis 2025 auf 100 Prozent steigen, wobei ein Anteil von 20 Prozent aus Eigenstromerzeugung angestrebt wird.

Um den verbleibenden Anteil CO2-Emissionen zu kompensieren, der sich trotz größter Anstrengungen nicht vermeiden lässt, unterstützt Wilo entsprechend seiner Nachhaltigkeitsstrategie ein nach dem anerkannten Goldstandard zertifiziertes Projekt im südostafrikanischen Malawi.

Während Scope 1 und 2 mit überschaubarem Aufwand zu bilanzieren sind – „Fangen Sie einfach an!“, – sei es eine Herausforderung, die Emissionen aus Scope 3 zu ermitteln und handhabbare Ziele zu formulieren, sagt Claudia Brasse. Das gelte vor allem für den Product Carbon Footprint und die dafür notwendige Integration von Lebenszyklusanalysen (LCA) in die Produktent-wicklung. Im Gegensatz zu früher, wo es mehr um Einzelprojekte und spezifische, meist wissenschaftlich motivierte Fragestellungen ging, ist LCA künftig ein regulärer Prozess zur Erhebung und Dokumentation aller relevanten Umweltauswirkungen von Produkten. Wilo implementierte dafür die Software Eco-Design Studio.

Scope 3-Ziele mit externer Unterstützung

Um die anspruchsvollen Scope 3-Ziele anzugehen, nehmen viele Unternehmen externe Hilfe in Anspruch. Experten, die im Bereich Energie- und Ressourceneffizienz analysieren, Schwachstellen identifizieren und wirksame Maßnahmen vorschlagen, finden sich im Umfeld wissenschaftlicher Einrichtungen.

Im Rahmen des Projekts „KliMaWirtschaft“, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, ist etwa das Berliner Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in die Planung, Organisation und konzeptionelle Umsetzung einer Workshop-Reihe für Unternehmen eingebunden. Das IPK übernimmt zudem die fachliche Begleitung speziell auch produzierender Unternehmen, auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Klimamanagement.

Geschäftsmodell Klimaneutralität

Mit der Planung und Umsetzung energieeffizienter Systeme beschäftigt sich auch Martin Beck, Geschäftsführer der ETA-Solutions GmbH, Dienstleister für Energiesystemplanung mit Sitz im hessischen Bensheim. Das Unternehmen ist eine Ausgründung des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt. Beck merkt kritisch an, dass in vielen Diskussionen oft Klimaschutz mit Regulatorik gleichgesetzt werde und die Kundenerwartungen noch nicht ausreichend in den Fokus der Anstrengung genommen werden. „Es muss viel mehr über Wettbewerbsvorteile und neue Geschäftsmodelle gesprochen werden“, fordert er.

Martin Beck betont, dass das gesamte System – nicht nur die einzelne Maschine – über den effizienten Einsatz der Technik entscheide. Rund 90 Prozent der Energieeinsparpotenziale liegen auf der Seite des Kunden. Beck nennt Beispiele wie etwa die Abwärmerückgewinnung, eine dezentrale Kühlung mit effizienten Kälteaggregaten oder die thermische Vernetzung, wodurch sich in den Fabriken der Energiebedarf für die Kälte- und Wärmebereitstellung und damit die Kosten nachweislich um bis zu 82 Prozent, die CO2-Emissionen um bis zu 72 Prozent reduzieren ließen. Das Wissen um Einflussmöglichkeiten auf Energieverbrauch und CO2-Emissionen müsse systematisch angewandt werden, so der Experte.

Das Geschäftsmodell Klimaneutralität ziele darauf, schlüsselfertige Komplettsysteme anzubieten, in denen der Turn-Key-Prozess um eine bedarfsgerechte Auslegung der Infrastruktur einschließlich Strom, Kälte, Wärme oder Prozessluft erweitert und Energiesystemplanung als Dienstleistung angeboten wird. Beck ist überzeugt: „Wer auf diesem Gebiet Kompetenz entwickelt und dies aktiv in seine Vertriebsstrategie einbindet, hat mehr Chancen im Markt, nicht nur im Neugeschäft, sondern auch im Bestand.“


Greenhouse Gas Protokoll

Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) wurde 1998 auf Initiative des World Resources Institute und des World Business Council for Sustainable Development ins Leben gerufen und mehrfach reformiert. Ziel war es, einen einheitlichen Rahmen für die Berechnung von Treibhausgasemissionen zu schaffen. Zu diesem Zweck hat das GHG-Protokoll einen umfassenden, weltweit einheitlichen Rahmen für die Messung und das Management von Treibhausgasemissionen aus dem privaten und öffentlichen Sektor sowie aus Wertschöpfungsketten geschaffen. Darüber hinaus enthält es Richtlinien und Vorgaben, die es Unternehmen ermöglichen, ihre Emissionen zu bilanzieren und den sogenannten „Corporate Carbon Footprint“ zu berechnen.


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