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Digitale Transformation muss Teil der Betriebs-DNA sein

Präzisionsteilehersteller digitalisiert seine Prozessstrukturen
Digitale Transformation muss Teil der Betriebs-DNA sein

Für den Dreh- und Frästeilehersteller August Weckermann gab es zur Digitalisierung und Automatisierung der Fertigungsprozesse keine Alternative mehr. Das Ergebnis nach ca. drei Jahren: moderne Ablaufstrukturen mit mindestens einem reinen Industrie 4.0-Prozess, Umlaufbestände halbiert und die Produktivität um mindestens 10 Prozent erhöht. Autor: Eduard Rüsing, freier Fachjournalist in Karlsruhe

Wie kann ein Drehteilehersteller Industrie 4.0 umsetzen? In jedem Fall nur Schritt für Schritt. So wie jedes gut geführte Unternehmen seine technologische Basis und sein Know-how ständig weiterentwickeln und verbessern wird, so muss auch eine kontinuierliche digitale Transformation sozusagen Teil der betrieblichen Erfolgs-DNA werden

Ein Unternehmen, das diese Zeichen der Zeit verstanden und seine gesamten Fertigungsabläufe auf einen neuen digitalisierten Stand gebracht hat, ist der Präzisionsdreh- und Frästeilehersteller August Weckermann aus Eisenbach im Hochschwarzwald. Das Unternehmen ist heute mit seinen über 170 Mitarbeitern einer der führenden Spezialisten für diamantierte Glanzoberflächen und beliefert mit diamantierten Teilen alle Großen der Sanitärbranche. Mittlerweile erzielt das Unternehmen 70 % des Umsatzes durch Premiumprodukte für die Sanitärbranche. Der damit verbundene Aufschwung führte 2006 zum Bau eines neuen Logistikzentrums und zusätzlicher Produktionsfläche von 2500 m2.

Was bei dem Wachstum weitgehend außen vor blieb, war eine parallele Modernisierung der Organisationsabläufe. Es gab vereinzelte IT-Insellösungen, wie ein rudimentäres Waren-Wirtschaftssystem auf MS-DOS-Basis oder die CAQ-Lösung GRIPS von Gewatec als Einzelmodul. „Aber wachsende Kundenanforderungen, wie z.B. eine Chargenrückverfolgung, eine Dokumentation der Qualität der Produkte oder eine sinnvolle Steuerung und Erfassung der Wartung und Instandhaltung des Maschinenparks und der Werkzeuge konnten vermehrt nur mit großem personellem Aufwand erfüllt werden“, erläutert Juniorchef David Duttlinger.

Für die Digitalisierung freigestellt

Mit der grundlegenden Modernisierung der Ablaufstrukturen wurde begonnen, sobald der Juniorchef ins Familienunternehmen eingestiegen war: „Die finanziellen Mittel standen dann entsprechend bereit und ich wurde weitgehend vom Alltagsgeschäft freigestellt, was sich im Nachhinein als absolut notwendige Voraussetzung erwies.“

Der erste größere Schritt in eine neue Welt der digitalisierten Fabrik war die Einführung der ERP/MES-Lösung von Gewatec, die gekennzeichnet ist durch eine weitest gehende Integration aller IT-Module von der Datenerfassung in Echtzeit der Prozess- und Qualitätsdaten an der Maschine bis zur Online-Anbindung über z. B. Smartphone oder Tablet. Die Digitalisierung der bestehenden Prozesse mit einer hochintegrierten und modernen ERP-Lösung ist eine gute Basis. Sie enthält im Normalfall bereits eine Reihe von I4.0-Ansätzen. Wichtig sei, so David Duttlinger, dass sämtliche Prozessstrukturen im digitalen System abgebildet werden.

Ein Schwerpunkt bei der Einführung war neben der Abbildung der Prozesse im System, dass alle Daten, wie Stammdaten, Arbeitspläne oder Fertigungsaufträge, neu eingegeben bzw. angelegt wurden. Nur die 4000 Prüfmittel aus der alten CAQ-Prüfmittelverwaltung von GRIPS wurden übernommen. „Wir haben die Umstellung genutzt, um unsere Datenbasis in Qualität und Umfang auf den neuesten Stand zu bringen, eine unerlässliche Voraussetzung auch für künftige Digitalisierungsprojekte“, so David Duttlinger. Installiert wurde nahezu die gesamte Gewatec-Lösung mit den Modulen GPPS (PPS), Kap-Plan (Kapazitätsplanung/Leitstandsystem), GRIPS (CAQ), Dokumentenverwaltung, Produktionsmittel-Management (PMS), die CNC-Programmübertragung (DNC) und das BDE/MDE-Modul Pro-Vis, inklusive der von Gewatec hergestellten MDE-BDE-Funkterminals.

Die 130 Datenerfassungsterminals sind mit der so genannten Prozessampel ausgestattet. Sie zeigt dem Werker an der Maschine mittels vier Leuchten in den Ampelfarben zum einen die Leistungsfähigkeit seiner Anlage über den OEE (Gesamtanlagen-Effektivität), dann die Qualität der Produkte über den cpk-Wert sowie die Aufforderungen zur SPC-Messung und zum Werkzeugwechsel.

Mit diesen Informationen in Echtzeit schließt der Werker den Regelkreis zwischen Planungs- und Ausführungsebene und kann frühzeitig Maßnahmen ergreifen, noch bevor die ersten Ausschussteile produziert werden. Über das mit der Maschine verbundene MDE/BDE-Terminal werden automatisch die Stückzahlen erfasst, kann der Werker Aufträge an-/abmelden, die Gründe eingeben, wenn eine Maschine steht oder wird das zu der Charge gültige CNC-Programm per Knopfdruck geladen bzw. wieder in der Gewatec-Datenbank im Arbeitsplan abgespeichert. In jedem Audit werde z. B. die sichere Abspeicherung des zu jeder Charge gehörende CNC-Programms als ein Nachweis, wie gefertigt wurde, besonders honoriert.

Mit einer Auswertung der Stillstandzeiten und Störgründe lässt sich heute die Leistungsfähigkeit speziell auch der konventionellen, kurvengesteuerten Maschinen genau beurteilen, was vorher eher ‚nach Gefühl‘ geschah. Im Einsatz sind 80 Drehmaschinen, davon die Hälfte CNC, 80 Spezialmaschinen zum Diamantieren und 11 Bearbeitungszentren.

Umlaufbestände halbiert

Mit der Online-Erfassung von MDE/BDE- und CAQ-Daten wurde eine hohe Transparenz und Feinheit in der Fertigungssteuerung erreicht. „Durch die genauere Planung und Steuerung der Fertigung haben wir es im ersten Jahr geschafft, in den bearbeitenden Abteilungen nach der Dreherei die Umlaufbestände und damit den Platz und das gebundene Kapital zu halbieren“, so der Juniorchef. „Wir können heute am Kap-Plan-Leitstand die Aufträge entsprechend dem Liefertermin genau einlasten, eine Pull-Fertigung. Früher wurden die Aufträge eher in die Fertigung gepusht.“

Man könne heute bei Umorganisationen eines Kunden direkt am Telefon verbindliche Termine zusagen, so Duttlinger. Viele weitere kleine Automatisierungs-Vorteile, die man mittlerweile als selbstverständlich ansehe: z. B. auf Knopfdruck bei der Auftragsfreigabe alle Unterlagen eines Auftrags bereit zu haben, inklusive der Zeichnung, die vorher aufwändig per Hand herausgesucht, kopiert und eingeheftet wurde, Ordnerablagen oder Karteischränke haben sich weitgehend ‚aufgelöst‘ oder auch, dass vereinzelt Aufträge dann, wenn man sie brauchte, einfach verschwunden waren, etc.

Eine spezielle Anforderung war die Entwicklung der Schnittstelle zum neuen Hochregallager mit 40 000 Lagerplätzen. Bestellt wird jetzt an einem Tag bis 11:00 Uhr, und die Teile sind am nächsten bis 12:00 Uhr beim Kunden. Die Entnahme (bzw. die Einlagerung) wird in Gewatec ausgelöst, und das Lagersystem generiert automatisch den Kommissionierauftrag. Durch die Verbindung des Gewatec-ERP zur Lagersteuerung von Kardex habe sich die Entnahmezeit halbiert und das Fehlerniveau im Logistikbereich um 95 % reduziert.

Materialumbuchung mit Tablet und QR-Code

Eine andere besondere Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen von August Weckermann und Gewatec ergab den automatisierten Buchungsvorgang einer kompletten Palette per Foto mit dem Tablet. Die Grundidee war, eine Palette mit mehreren Auftragskörben an einem Arbeitsplatz komplett an- bzw. abzubuchen und nicht alle einzelnen Aufträge umständlich per Hand ummelden zu müssen

An jedem Auftragskorb ist eine Laufkarte angebracht mit einem QR-Code, der Charge und Anzahl der Teile beinhaltet. Mit einem Android-Tablet, auf dem eine von Gewatec entwickelte App läuft, wird ein Foto der Palette erstellt, und die ausgewählte Umbuchung von z. B. Abteilung A auf Abteilung B aller Laufkarten erfolgt dann automatisch. Das Besondere an der App ist, dass sie beliebig viele QR-Codes auf einem Foto identifizieren kann. „Die auf den gängigen Plattformen, wie Playstore, angebotenen Apps können nur einen einzigen QR-Code aus einem Foto herausziehen“, erklärt der Juniorchef. „Aber das Entscheidende: Mit dieser Tablet-Lösung, die für mich eine echte I4.0-Anwendung darstellt, sparen wir bei den Materialumbuchungen im Jahr ca. 800 Stunden Arbeitszeit.“ Der Ansatz des Fotos mit dem Tablet wird auch in anderen Bereichen eingesetzt werden

„Die Prozesse, die wir aufgestellt haben, finden auch bei unseren Kunden Anerkennung, sodass zum Beispiel einer der größten eine Einordnung als C-Lieferant hochgestuft hat auf A-Lieferant“, freut sich David Duttlinger, und er ist sich sicher: „Die Einführung des Gewatec-ERP und die damit verbundene Digitalisierung hat uns Stand heute mindestens eine Steigerung der Produktivität von 10 Prozent eingebracht.“

Gewatec GmbH & Co. KG
www.gewatec.com

August Weckermann KG
www.weckermann.de


Geschichte des Diamantierens

Die Anforderungen des Kunden Hansgrohe brachten den Seniorchef Karl Duttlinger Anfang der 90er Jahre auf die Technologie des Diamantierens. Hansgrohe gab in der Nähe von Eisenbach eine eigene Fertigung auf, und August Weckermann übernahm kurzerhand das gesamte Teilespektrum. Das waren konventionell polierte Teile, bei denen Hansgrohe einen Ausschuss von 30 % gehabt hatte – und der fiel mit dem gleichen Fertigungsprozess auch bei August Weckermann an. Dann erinnerte sich Duttlinger zusammen mit einem alten Meister an diamantierte Teile für die Uhrenindustrie in den 50er Jahren. Nach einem dreiviertel Jahr des Experimentierens wurde der Diamantierprozess für das erste Teil wieder beherrscht. Dabei war der Ausschuss wesentlich geringer, und die Oberflächengüte (Ra-Wert von 0,01) war der herkömmlich polierten Oberflächen überlegen. So wurde Stück für Stück der hochglanzpolierten Teile umgestellt und das Know-how ausgebaut. Heute werden hochanspruchsvolle Teile bis zu einer Größe von 120 auf 80 cm diamantiert.

Diamantierte Teile haben sofort nach der Dreh-/Fräsbearbeitung eine hervorragende, hochglanzpolierte Oberfläche und können ohne weiteres Polieren galvanisiert werden. Bei August Weckermann werden Teile bis zu einer Größe von 120 auf 80 cm diamantiert. Bild: August Weckermann
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