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Prozesssicher in die Tiefe

Weiterentwicklung eines magnetorheologischen Schwingungsdämpfers für das Tiefbohren
Prozesssicher in die Tiefe

Aufgrund der geringen Steifigkeit der Werkzeuge kann es beim Tiefbohren zu selbsterregten Torsionsschwingungen kommen. Diese sind die Ursache für eine unzureichende Prozesssicherheit, verkürzte Werkzeugstandzeiten sowie eine geringere Form- und Oberflächenqualität. Ein Lösungskonzept, das schon in früheren Arbeiten am Institut für Spanende Fertigung (ISF) der TU Dortmund verfolgt wurde, basiert auf dem magnetorheologischen Effekt.

Die Forscher um Prof. Dr.-Ing. Dirk Biermann vom ISF der Technischen Universität Dortmund haben nun einen prototypischen Torsionsschwingungsdämpfer hergestellt und erprobt. Hierbei ist das Werkzeug torsionselastisch eingespannt. Dies wird durch die Entkopplung der Antriebsseite (Maschine) und Abtriebsseite (Werkzeug) mit Hilfe von Wälzlagern realisiert, und somit wird eine rotatorische Relativbewegung zugelassen. In einem Ringspalt befindet sich die magnetorheologische Flüssigkeit, die über zwei Magnetfeldspulen angesteuert wird und sowohl das benötigte Drehmoment für den Bohrprozess überträgt als auch die eigentliche Dämpfungsfunktion durch Dissipation erfüllt.

Die Torsionsschwingungen werden von zwei Beschleunigungsaufnehmern an der Einspannstelle des Werkzeugs erfasst, über eine Sensortelemetrie drahtlos an einen Echtzeit-Controller übermittelt und dort verarbeitet. In Abhängigkeit von dem ermittelten Prozesszustand wird im System die Ansteuerung der Magnetfeldspulen vorgenommen. Durch die Kombination der zwei Funktionen – Dämpfung und Drehmomentübertragung – sind dem bestehenden System Grenzen gesetzt, die im Rahmen dieser Arbeiten durch separate Ausführung der Bohrmomentübertragung und der Dämpfungseinheit aufgehoben werden sollen. In interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen dem ISF und zwei Industriepartnern (Mapal Dr. Kress KG und Daimler AG), konnte ein neues weiterentwickeltes System eines magnetorheologischen Schwingungsdämpfers entwickelt werden.
Simulationsgestütze Optimierung des Magnetflusses
Bei der Entwicklung der Dämpfungseinheit kam die Finite-Elemente-Methode (FEM) zum Einsatz, um die magnetische Flussdichte vorherbestimmen zu können. Eine Idee, die verfolgt wurde, war die Verwendung von Permanentmagneten zusätzlich zur Magnetfeldspule, um den Energiebedarf und damit auch die Wärmeentwicklung der Spule gering zu halten. In der FEM-Simulation, die mit der Software Ansys durchgeführt wurde, ist eine starke lokale Erhöhung der magnetischen Flussdichte im Bereich der Permanentmagnete zu sehen (Abbildung 3).
In der Praxis ergibt sich daraus die Herausforderung des Befüllens der Einheit mit MRF, da die Flüssigkeit sich aufgrund des nicht abschaltbaren Magnetfeldes sofort verfestigt, was die Einfüllöffnung verstopfen kann. Für die Dämpfungsfunktion ist vor allem der Bereich zwischen Mitnehmerscheibe und Außengehäuse relevant, da Torsionsschwingungen eine Relativbewegung zwischen diesen beiden Bauteilen herbeiführen. Hier ist bei eingeschaltetem Spulenstrom jedoch kein Einfluss der Permanentmagneten feststellbar. Über einen weiten Bereich ist die magnetische Flussdichte konstant bei B = 0,33 T, sowohl mit als auch ohne Permanentmagneten. Aus diesem Grund wurde bei der weiteren Entwicklung auf die Verwendung von Permanentmagneten verzichtet, indem die Magnete durch Erhitzen über ihre Curie-Temperatur entmagnetisiert und dann in der Einheit verbaut wurden.
Versuchsstand
Im Rahmen dieser Untersuchung wurde das Verhalten der Dämpfungseinheit an einem Versuchsstand untersucht. In dem MRF bilden die darin befindlichen Eisenpartikel bei anliegendem Magnetfeld Ketten entlang der Feldlinien aus. Sind die Ketten zwischen der Mitnehmerscheibe und dem Dämpfergehäuse geschlossen, so verhält sich das MRF wie ein Festkörper und lässt bei geringen Kräften nur elastische Verformung zu. Erst wenn ein bestimmtes Schleppmoment M überschritten wird, reißen die Ketten und es kommt zu einer Relativbewegung und damit zu viskoser Reibung. Ein exaktes Wissen über den Zusammenhang zwischen Schleppmoment in Abhängigkeit von angelegter Spulenstromstärke ist daher essenziell zur Festlegung einer optimalen Steuerungsstrategie. Die Ergebnisse des Versuchs sind in Abbildung 4 dargestellt.
Es fällt auf, dass es trotz der Verwendung einer weichmagnetischen Eisen-Nickel-Legierung für die Mitnehmerscheibe sowie für das Dämpfergehäuse zu einer Hysterese kommt. Beim maximalen Strom von I = 2 A lassen sich Momente bis zu M = 4,4 Nm übertragen. Da die Momentübertragung wie anfangs erwähnt nicht die primäre Aufgabe der Dämpfungseinheit ist und auch ein sicherer Betrieb bei kleinen Strömen möglich sein soll, sind zusätzliche Komponenten nötig.
Aufbau des weiterentwickelten Schwingungsdämpfers
Die Drehmomentübertragung wird über ein Federpaket realisiert (Abbildung 5). Dieses besteht aus zwei sternförmigen Aluminiummitnehmern, von denen einer am Außengehäuse befestigt ist (Antriebsseite) und einer an der inneren Abtriebswelle. Dazwischen befinden sich insgesamt sechs Druckfedern, die so ausgelegt sind, dass eine Momentübertragung bis zu M = 5 Nm möglich ist. Bei Bedarf lassen sich die Federn tauschen, wodurch der Einsatzbereich des Dämpfers erweitert werden kann.
Der komplette Aufbau des Torsionsschwingungsdämpfers ist in Abbildung 6 zu sehen. Neben den bereits vorgestellten Dämpfungs- und Federmodulen verfügt er im vorderen Bereich über einen Drehmomentsensor. Dieser Quarz-Momentmessring der Firma Kistler ist an der Abtriebswelle mit einer genau definierten Kraft vorgespannt und dient der Messung des Bohrmoments und zur Detektion von Schwingungen.
Im Steuerungsmodul befindet sich unter anderem der Ladungsverstärker zur Aufbereitung der Messdaten des Drehmomentsensors, aber auch die Elektronik zur Steuerung und Energieversorgung der Magnetfeldspule. Die Energieversorgung des Systems wird ähnlich dem bekannten Mapal-System für aussteuerbare Werkzeuge „Tooltronic“ mittels eines am Spindelkasten zu befestigenden Stators realisiert. Maschinenseitig verfügt der Schwingungsdämpfer über eine HSK63-Aufnahme, werkzeugseitig über eine HSK32-Aufnahme.
Zusammenfassung und Ausblick
Durch die Weiterentwicklung des magnetorheologischen Schwingungsdämpfers für das Tiefbohren konnten zahlreiche Verbesserungen gegenüber dem bisherigen System erzielt werden, insbesondere die Entkopplung der Dämpfungs- von der Drehmomentübertragungsfunktion. In naher Zukunft wird das Einsatzverhalten in realen Tiefbohrprozessen untersucht.
Danksagung
Die vorgestellten Ergebnisse entstanden im Vorhaben BI 498/46-1, welches von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Herrn Essig und der Firma Mapal danken wir für die Fertigung der Einzelkomponenten und der Entwicklung der Steuerungseinheit. Herrn Dr. Zimmermann und der Firma Daimler danken wir für die beratenden Tätigkeiten.
Institut für Spanende Fertigung (ISF) der Technischen Universität Dortmund www.isf.de

Die Autoren
Prof. Dr.-Ing. Dirk Biermann, Dipl.-Phys. Sebastian Holz und Dipl.-Ing. Ivan Iovkov, Institut für Spanende Fertigung, Technische Universität Dortmund
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