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Joachim Zoll, Head of Machine Tool Systems, Siemens AG

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Joachim Zoll, Head of Machine Tool Systems, Siemens AG

Mit der Kollisionsvermeidung erweitert Siemens sein Highend-CNC-System um eine wesentliche Funktion. Wohin die Entwicklung geht und welche Impulse das Hype-Thema Industrie 4.0 der Zerspanungsbranche verleiht, erläutert der Leiter des Werkzeugmaschinenbereichs, Joachim Zoll.

Das Interview führte Dr. Frank-Michael Kieß

mav: Eines Ihrer Highlights für die EMO dürfte die Kollisionsvermeidung für die CNC-Steuerung Sinumerik 840D sl sein. Kam der Anstoß für die Entwicklung von Kundenseite, oder haben Sie selbst festgestellt, dass Sie gegenüber dem Wettbewerb nachziehen mussten?
Zoll: Der Anstoß kam von beiden Seiten. Zum einen haben uns Kunden angesprochen, die gerade bei den komplexen Maschinen eine Notwendigkeit sahen, dass sich die Maschinen nicht selbst schädigt. Zum anderen haben auch unsere Anwendungstechniker im Haus darauf gedrängt, einen solchen Schutz auf der Sinumerik anzubieten.
mav: Wann ist die Entscheidung gefallen, Kollisionsvermeidung einzubauen?
Zoll: Wir haben schon lange über Collision Avoidance nachgedacht, aber uns dabei auch Gedanken gemacht, wie wir die Architektur zukunftsfähig machen. So ist die Ausprägung, die Sie heute sehen, nur der Startpunkt für eine sukzessive Weiterentwicklung.
mav: In welche Richtung könnte die gehen?
Zoll: Wir konzentrieren uns auf die Hauptanwendungsfälle. Wo besteht der größte Bedarf? Als Nächstes werden wir die Spannmittel miteinbeziehen. Die Herausforderung dabei besteht darin, es einfach zu halten. Wenn ich erst drei, vier Stunden Engineering treiben muss, um ein neues Spannmittel eingeben zu können, macht das wenig Sinn. Das System muss handhabbar sein. Sonst schalten die Bediener es ab, und dann brauche ich auch keine Collision Avoidance.
mav: Der nächste Schritt beträfe dann das Werkstück selber…
Zoll: Genau. Wobei es sich bei der Bearbeitung des Werkstücks ja um eine gewollte Kollision handelt. Da muss man überlegen, macht man noch ein Parallelsystem auf, oder gibt es andere einfache Methoden, die auch schon ausreichend sicher wären.
mav: Wer kann die Collision Avoidance nutzen? Gibt es ein Upgrade für ältere Steuerungen?
Zoll: Ein Upgrade gibt es nicht. Wie erwähnt wurden auch einige Architekturänderungen vorgenommen. Die Voraussetzung für den Einsatz ist deshalb die Sinumerik 840D sl im heutigen Ausgabestand, mit Softwareversion 4.5 SP2.
mav: Die Ansprüche an die Rechenperformance der CNC sind ja nicht eben gering. Kann man es sich leisten, Dinge wie Kollisionsvermeidung noch nebenher zu rechnen?
Zoll: Wir gehen davon aus, dass die meisten die Funktion im Einrichtbetrieb verwenden, denn das ist der kritischste Punkt.
mav: Die Kollisionsvermeidung rechnet also nicht permanent mit?
Zoll: Sie könnte es durchaus. Aber letzendlich wird sie meist im Einrichtbetrieb eingesetzt werden, oder wenn man manuell noch einmal eingreift und Veränderungen vornimmt. Während der Bearbeitung wird das System typischerweise ausgeschaltet, damit die volle Performance für die Bearbeitung zur Verfügung steht.
mav: Sonst könnte der Vorschub reduziert werden, wenn die Steuerung zu viel rechnen muss?
Zoll: Genau so ist es.
mav: Alles spricht über Industrie 4.0, auch auf der EMO. Wenn alles so eintritt, wie im Moment diskutiert – was bedeutet das denn für Werkzeugmaschine und CNC?
Zoll: Ein wesentlicher Aspekt für uns ist, die Intelligenz der Steuerung so zur Verfügung zu stellen, dass die Daten sinnvoll genutzt werden können – um die Produktivität zu steigern und die komplette Fertigung zu optimieren. Das ist es ja, was Industrie 4.0 im Kern ausmacht: Die Produktivität zu erhöhen durch Informatisierung von Komponenten. Und zu diesen gehört natürlich auch die CNC.
mav: Haben Sie schon Beispiele für diese Informatisierung?
Zoll: Schauen Sie sich unsere Lösung Sinumerik Integrate for Production an. Dort haben wir den Client schon an Bord, und ich kann über Standardmechanismen an den Server andocken. So kann ich alle typischen Managementfunktionen in der Fertigung wie Werkzeugverwaltung, Programmverwaltung et cetera mit einer gewissen Datenkonsistenz betreiben.
mav: Das heißt, ich kann alles, was auf der Fertigungsebene geschieht, nach einem einheitlichen Datenmodell weitergeben? Was ist der Vorteil?
Zoll: Nehmen Sie etwa den Fall, dass ein Programm vom Bediener geändert wurde. Er hat vielleicht ein Werkzeug durch ein anderes ausgetauscht und den Prozess verbessert. Wenn das nicht zentral dokumentiert wird oder zurückfließt in die Engineering-Abteilung, wo die CAD-Programme liegen, dann ist die Verbesserung beim nächsten Lauf wieder verloren.
mav: Im Zuge von Industrie 4.0 wird auch über Programmierbarkeit diskutiert. Selbst auf der unteren Steuerungsebene soll mit Hochsprachen objektorientiert programmiert werden. Bräuchte es nicht einen komplett offenen CNC-Kernel, um das Ganze so richtig in Schwung zu bringen?
Zoll: Die Programmierarten, die wir heute bieten, werden gern genutzt, und darüber hinaus gibt es aus unserer Sicht keine Anforderungen.
mav: Marktbegleiter werben mit der Offenheit ihres CNC-Kerns…
Zoll: Ich kann mir ja heute schon auf der Sinumerik meine eigenen Zyklen schreiben und mich über die offene Architektur in den virtuellen NC-Kern (VNCK) einhängen. Das gibt es schon seit 1998, und Anwender, die fit sind, nutzen das auch. Allerdings ist der Werkzeugmaschinenbereich etwas anders gestrickt als der Sektor der Produktionsmaschinen generell. Für Verpackungs-, Textil- oder Druckmaschinen etwa bieten wir ein Pendant zur Sinumerik an, die Simotion. Und dort haben wir genau die Offenheit, die Sie ansprechen. Dort kann ich meine Programme in Hochsprachen schreiben oder auch grafisch. Das ist offenbar der Wunsch der Anwender in diesem Marktsegment. Was wir bei der Werkzeugmaschine heute bieten, scheint dagegen völlig ausreichend. Im Gegenteil: Immer wieder hören wir von Kunden, diese Offenheit fänden sie nirgendwo anders.
mav: Das heißt, wenn der Markt mehr Offenheit verlangen würde, wäre das auch kein Problem für Sie?
Zoll: Nein, die Schnittstelle existiert ja.
mav: Welche Sicherheitsprobleme stehen uns mit Industrie 4.0 bevor? Wenn ein Virus wie Stuxnet sofort bis auf die Steuerung durchgreift, kann er ja direkt abfragen, was für ein Teil gerade gefertigt wird. Wird das nicht eine große Herausforderung?
Zoll: Natürlich muss es entsprechende Mechanismen zur Absicherung geben. Das wird eine Riesenherausforderung.
mav: Welche Ansätze zum Schutz gibt es?
Zoll: Wir bieten die Sinumerik 840 in zwei Varianten an: PC-basiert, aber auch als Embedded-System auf Linux-Basis. Das ist schon der erste Schritt. Ein Embedded-System ist immer einfacher, sicher zu betreiben als ein offenes System unter Windows. Und wir merken auch, dass immer mehr Anwender Interesse haben, auf die Embedded-Plattform zu gehen.
mav: Wollen Sie sich von den PC-basierten Systemen verabschieden?
Zoll: Wir werden auch weiterhin das PC-basierte System vertreiben, weil es wegen der Offenheit von einigen Kunden einfach gefordert wird. Aber dann müssen auch alle sicherheitsrelevanten Mechanismen implementiert sein und greifen.
mav: Die Integration von Werkzeugmaschine und Automatisierung ist ein großes Thema. Wie positioniert sich Siemens gegenüber Wettbewerbern, die alles aus einer Hand anbieten?
Zoll: Zunächst differenzieren wir uns von ihnen dadurch, dass wir kein Maschinenbauer sind. Wir sind ein Technologiekonzern auf Elektrik- und Elektronikbasis. Wir wollen keine Werkzeugmaschinen bauen und auch keine Roboter, und wir treten nicht mit unseren Kunden in Wettbewerb. Worum wir uns verstärkt kümmern werden, ist die Anbindung eines Roboters an eine Werkzeugmaschine. Dort brauchen wir offene Schnittstellen. Ein Roboter muss leicht an eine Werkzeugmaschine andocken können.
mav: Wie setzen Sie das um?
Zoll: Analog zu Sinumerik Integrate for Production bieten wir auch ein Sinumerik Integrate for Engineering an. Dort gibt es ein Modul Run MyRobot – eine Schnittstelle zur Anbindung eines Roboters. Wir arbeiten in diesem Bereich eng mit Kuka zusammen, und wir haben auf verschiedenen Messen gezeigt, wie einfach sich ein Kuka-Roboter an die Sinumerik andocken lässt. Kukas MX Automation fungiert quasi als Stecker, Run MyRobot als Buchse, und die zwei können sehr gut miteinander kommunizieren.
mav: Roboter können nicht nur Handling-Jobs übernehmen, sondern auch Bearbeitungsaufgaben…
Zoll: Daran arbeiten wir sehr intensiv. Dafür ist ein CNC-Kern viel besser geeignet als eine Robotersteuerung. Die Robotersteuerung hat ihre Vorzüge, wenn es um das Teachen oder Ähnliches geht. Aber wenn Bearbeitungen wie Bohren, Schleifen oder Tape Layering gefragt sind, liegt der Vorteil auf Seiten der CNC. Dafür ist unsere Sinumerik sehr gut geeignet.
mav: Multitasking wird auch auf der diesjährigen EMO ein wichtiges Thema sein. Sehen Sie jenseits der Integration von Fräsen und Drehen weitere Technologien, die hinzukommen könnten?
Zoll: Es gibt bereits Kunden, die Drehen, Fräsen und Schleifen integriert haben. Es gibt welche, die auch das Laser-Auftragsschweißen integriert haben. Letztendlich besteht die Herausforderung darin, das alles in der Maschine unterzubringen. Wenn Sie beispielsweise Schleifen integrieren, dann müssen Sie ja auch die Schleifscheiben reinschwenken können. Der mechanische Aufwand steigt also. Aber wir können sämtliche Bearbeitungstechnologien in einer Maschine unterstützen.
mav: Mit der Technologieintegration werden auch die Programme immer komplexer. Lässt sich das überhaupt noch beherrschen?
Zoll: Die Maschinen werden in der Tat sehr komplex. Umso wichtiger ist eine einfache und intuitive Bedienung. Mit Sinumerik Operate können Sie in einer Maschine Drehwerkzeuge genauso auswählen wie Fräswerkzeuge oder Multi-Tools. Sie können von einer Technologie zu einer anderen springen – immer im gleichen Look and Feel. Und wenn eine neue Technologie integriert werden soll, nehmen wir die mit hinzu. Das ist einfach für uns, weil unser NC-Kern alle Technologien beherrscht und Zugriff auf alle Kinematiken hat. Es gibt Wettbewerber, die einen separaten NC-Kern fürs Fräsen, Drehen et cetera anbieten. Das tun wir nicht. Wir haben alles integriert.
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