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Kommt die hydraulikfreie Werkzeugmaschine?

Energie sparen, Umwelt schonen
Kommt die hydraulikfreie Werkzeugmaschine?

Höhere Kosten und abnehmende Ressourcen zwingen Hersteller und Betreiber von Werkzeugmaschinen zum Energiesparen. Die Konzepte dafür fallen unterschiedlich aus.

Autor: Konrad Mücke

Die Diskussion über energiesparende Technologien in der Produktion ist in aller Munde. Exemplarische Studien zeigen, dass die Kosten für Energie und Medien bis zu 40 Prozent der Betriebsausgaben für Werkzeugmaschinen betragen. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt EWOTeK soll der Energieverbrauch von Werkzeugmaschinen durch eine intelligente Lastermittlung und geeignete Standby-Strategien gesenkt werden. Kaum ein Hersteller von Werkzeugmaschinen kann sich den Forderungen nach Minimierung des Energieverbrauchs entziehen. Vor allem Serienfertiger, allen voran die Fahrzeughersteller, orientieren sich bei Investitionen zunehmend an der Energieeffizienz. Einhergehend haben führende Maschinenhersteller bereits entsprechende Konzepte entwickelt. Dabei zeigt sich, dass ein sehr breites Spektrum an Maßnahmen und Konstruktionen sinnvoll genutzt werden kann. Selbstverständlich konstruieren sämtliche Hersteller heute ihre Werkzeugmaschinen mit weitgehend auf minimale Reibungsverluste optimierten Maschinenelementen. Zudem werden die bewegten Massen minimiert, die Volumenströme von beispielsweise Absaugungen auf das erforderliche Maß ausgelegt, Kühlanlagen exakt auf die Bedarfe der betrieblichen Praxis abgestimmt. Wie unter anderem Dr. Heiner Lang, CTO MAG, berichtet, sind heute alle modernen Werkzeugmaschinen in ihrer Hardware auf minimalen Energieverbrauch hin optimiert.
Wenn es um Potenziale zum Energiesparen geht, wird als häufigstes Stichwort derzeit die voll-elektrische Maschine genannt. Nahezu sämtliche hiesigen Maschinenhersteller haben bereits eine Vielzahl an Antrieben in ihren Maschinen elektrisch ausgeführt.
Antriebe sinnvoll optimieren
Wie mehrere Konstruktionsleiter, unter anderem von Heller, Emag, MAG, Grob und Schwäbische Werkzeugmaschinen, bestätigen, werden untergeordnete Bewegungen inzwischen geradezu selbstverständlich mit elektrischen Einzelantrieben versehen. Dazu gehören Türantriebe, Werkzeugwechsler, Palettenwechsler und dergleichen. Die Vorteile sind hier besonders deutlich. Der elektrische Antrieb arbeitet nur dann, wenn er für die Funktion gebraucht wird. Sein Energiebedarf ist gegenüber Pneumatik oder Hydraulik wesentlich niedriger. Bei diesen Antriebsmedien muss das Aggregat – Kompressor, Pumpe – fortlaufend Energie bereitstellen, um bei Abruf die benötigten Kräfte beziehungsweise die zu leistende Arbeit unverzüglich zu liefern.
Allerdings räumen einige Maschinenhersteller ein, dass der Wunsch nach Energie-Einsparung nicht zwangsläufig zur voll-elektrischen Maschine führt. Denn nach wie vor bietet vor allem die Hydraulik eine mit anderen Energieformen kaum oder nicht zu verwirklichende Energiedichte. Insbesondere zum Spannen größerer Werkstücke auf den Arbeitstischen von Bearbeitungszentren ist diese Eigenschaft bisher unverzichtbar. Dies betrifft vor allem größere Bearbeitungszentren, die beispielsweise die Automobilindustrie und deren Zulieferer zum Fertigen von Gussteilen einsetzen. Hier kommt es auf große Spannkräfte an. Diese sind bei minimalem Einbauraum nach bisherigem Stand der Technik allein mit Hydraulikspannern zu realisieren. Als vorteilhaft erweist sich die Hydraulik auch, wenn eine Vielzahl an Spannstellen und Klemmungen auf einer Maschine mit Energie versorgt werden müssen. Kompakter als mit Hydraulik gelingt das mit keinem anderen Energiemedium. Auch beim Lösen des Werkzeugs in großen Hauptspindeln ist die Hydraulik nach wie vor erste Wahl.
Produktivität minimiert Energieverbrauch pro Werkstück
Vor allem beim Bearbeiten in Serien kommt einem besonderen Aspekt größere Bedeutung zu. Je höher die Produktivität einer Maschine, gemessen in fertig bearbeiteten Werkstücken pro Zeiteinheit, umso niedriger ist der Energieaufwand pro Werkstück. Deshalb sind per se unter anderem Mehrspindler gegenüber einspindligen Maschinen vorteilhaft. Aber auch Maschinen, die auf ihrem Arbeitstisch möglichst viele Bauteile aufnehmen, die dann in einer raschen Arbeitsfolge fertig bearbeitet werden, sparen Energie. Ähnlich verhält es sich bei Maschinen zur Komplettbearbeitung. Verglichen mit mehrfachem Umrüsten oder bei Mehrfachaufspannungen auf unterschiedlichen Maschinen wird der Energieverbrauch pro Werkstück minimiert.
In die gleiche Richtung zielen auch Produktivitätssteigerungen mit hochdynamischen Vorschubantrieben. Der Linearmotor sollte hier geradezu Wunder wirken. Bei differenzierter Betrachtung und Abwägen der Vor- und Nachteile erweist er sich allerdings nur als bedingt geeignet. Denn ein Linearmotor benötigt sehr viel Basisenergie allein zum Kühlen seiner Wicklungen. Wie die Werkzeugmaschinenhersteller betonen, muss man bei der Wahl einer Maschine mit Linearmotor sehr genau das zu fertigende Werkstückspektrum analysieren. Geht es um große, in Serien zu fertigende Bauteile aus Leichtmetall, dann kann der Linearmotor trotz zunächst höheren Energiebedarfs durchaus seinen Vorteil höherer Produktivität ausspielen. Dabei steht als Maßstab die pro Werkstück, nicht die absolut pro Maschine aufgewendete Energie. Ergeben sich bei dieser Betrachtung keine wirklich signifikanten Vorteile zugunsten des Linearmotors, sind Anwender meist mit konventionellen Vorschubantrieben über Kugelgewindetriebe besser gestellt. Denn aktuelle Bauformen dieser Linearantriebe erreichen beinahe 80 Prozent der mit Linearmotoren realisierbaren Beschleunigungen und Geschwindigkeiten. Darüber hinaus entscheidet häufig auch das Zusammenspiel von Steifigkeit und Struktur der gesamten Werkzeugmaschine, ob die hohe Dynamik der Antriebe tatsächlich nutzbar ist. Gibt es hier Einschränkungen, erweisen sich Linearmotoren mitunter als Energiefresser, da ihre wesentlichen Vorteile in der Praxis nicht genutzt werden.
Stand-by-Schaltungen in der Praxis noch kritisch
Wie mehrere Untersuchungen gezeigt haben, verbraucht eine Werkzeugmaschine etwa 80 Prozent der zugeführten Energie bereits, ohne die ihr zugedachte Aufgabe zu erfüllen, einen Span von einem Werkstück abzunehmen. Immer wieder wird also diskutiert, gerade diesen Anteil an Energieverbrauch zu vermindern, zum Beispiel durch Abschalten einzelner Antriebe in unproduktiven Zeiten, zum Beispiel in Arbeits- und Rüstpausen. Dies ist allerdings in der Praxis eher problematisch. Das erläutert unter anderem Peter Wagner, Konstruktionsleiter bei Heller in Nürtingen: „Das Umschalten der Hilfsfunktionen einer Werkzeugmaschine in einen ‚Schlafmodus‘ oder ‚Energiesparmodus‘ steht meist in Widerspruch zu den geforderten Qualitätsmerkmalen, vor allem der Genauigkeit.“ Denn Kühlaggregate und Umwälzpumpen für Kühlmittel und Öl halten die Werkzeugmaschine thermisch auf einem konstanten Niveau. Schaltet man sie vorübergehend aus, sind wiederholt unproduktive Anfahrzyklen erforderlich, um anschließend in der Fertigung zuverlässig vorgegebene Genauigkeiten einzuhalten. Damit ist allerdings der angestrebte Effekt, Energie zu sparen, wieder zunichte gemacht. Darüber hinaus erweisen sich vorgegebene Zyklen und Zeiten zum Umschalten von Antrieben in einen Energiesparmodus oft als unpraktikabel. Denn immer wieder ergeben sich betrieblich unproduktive Pausen, die nicht geplant und nicht planbar sind. Die Zyklen zum Umschalten sind also kaum programmierbar. Wagner beschreibt eine weitere Problematik. Selbst wenn sich das Umschalten vorübergehend nicht benötigter Hilfsantriebe als wirksam erweist, muss das Personal in den Werkstätten auf die dann erforderlichen Anfahrzyklen vorbereitet sein und praxisgerecht damit umgehen. Dem steht allerdings das bisher allein auf höchste Produktivität ausgerichtete Arbeitsprinzip entgegen. Eine moderne Fertigung und die dortigen Mitarbeiter werden nach der Zahl der gefertigten Werkstücke pro Arbeitsschicht bewertet.
Um einen praxistauglichen Kompromiss zu finden, nutzen nahezu alle Werkzeugmaschinenhersteller hierzulande für Hydraulikaggregate, Lüfter und Pumpen bei Neukonstruktionen die Vorteile moderner elektrischer Antriebe. Programmierbare Frequenzumrichter ermöglichen, sehr genau und schnell den Antrieb an die jeweils benötigte Leistung anzupassen. Geeignete Strategien zum bedarfsgerechten Ansteuern und Abschalten von Maschinenkomponenten sollen unter anderem im Projekt NCplus aufgezeigt werden (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung). Wie Dr. Lang von MAG berichtet, bieten zeitgemäße CNC-Steuerungen bereits heute entsprechende Software, um Einzelantriebe von Werkzeugmaschinen vorzusteuern. Beispielsweise Bosch Rexroth erfasst und zeigt mit dem Steuerungsmodul Indramotion MTX ega (Energy Analyzer) den Energieverbrauch von Maschinenkomponenten, Werkzeugen und Prozessabschnitten. Anhand der Daten können die Komponenten und Prozesse hinsichtlich des Energieverbrauchs optimiert gesteuert werden. So arbeitet zum Beispiel eine Hydraulikpumpe nur kurzzeitig beim Klemmen oder Lösen von Drehtischen und Spannvorrichtungen bei höchster Drehzahl. Werden weder hoher Druck noch große Volumenströme benötigt, reduziert die Steuerung über den Frequenzumrichter selbsttätig die Drehzahl auf einen „Stand-by“-Modus. Dieser ist auf einen minimalen Ölkreislauf ausgerichtet, um das Hydrauliksystem funktionstüchtig und thermisch stabil zu erhalten. Innerhalb weniger zehntel Sekunden kann dann die Pumpe wieder die Drehzahlen und die Leistung einem hohen Bedarf anpassen. Auch Druckübersetzer (Booster) können Energie sparen. Selbst wenn das Lösen einer Werkzeugklemmung kurzzeitig 200 bar Druck benötigt, reicht eine energiesparende Pumpe bis 60 bar aus. Ähnlich können heute Kühlaggreagte und Lüfter in ihrer Leistung an die aktuellen Bedarfe angepasst werden. Das reduziert selbstverständlich den Energieverbrauch einer Werkzeugmaschine.
Voll-elektrisch bereits Realität
Eine beachtenswerte Innovation hat jüngst der Hersteller hochproduktiver Bearbeitungszentren Grob Werke in Mindelheim vorgestellt. Die dortigen Spezialisten haben auch die Spannelemente für Werkstücke auf ihren fünfachsigen Bearbeitungszentren sowie die Löseeinheit für Werkzeuge in der Hauptspindel mit elektrischen Direktantrieben ausgeführt. Damit ist eine voll-elektrische Werkzeugmaschine zum Bearbeiten von unter anderem Zylinderköpfen verwirklicht. Den Vorteilen – keine Leckagen, keine Wartung und Instandhaltung von Leitungen, Schläuchen, Behältern und Hydraulikölen, keine unnötig Energie verbrauchenden Pumpen und Lüfter, keine zusätzlichen Wärmequellen – steht allerdings zunächst ein besonderer konstruktiver Aufwand für die Zuführung der elektrischen Leitungen gegenüber. Zudem ist der Platzbedarf auf den Spanntischen für die elektrischen Schwenkspanner nicht zu vernachlässigen. Ob sich diese Maschinen in der Praxis bewähren und messbare Vorteile haben, müssen künftige Anwendungen zeigen. Wegen der Vielzahl an Einflussfaktoren sind die Maßnahmen und die Konzepte zum Senken des Energieverbrauchs bis hin zur voll-elektrischen Ausführung bei universell einsetzbaren Bearbeitungszentren nur schwierig abzuschätzen. Demgegenüber zeigen Hersteller, dass bei eher spezialisierten, vordefinierten Anwendungen vollelektrische Maschinen durchaus praxisgerecht realisierbar sind. So hat Weisser in St. Georgen jüngst eine vollelektrische Unrund-Drehmaschine vorgestellt. Wie der Hersteller berichtet, kann man bei diesen Maschinen die Vorteile der elektrischen Antriebstechnik umfassend ausschöpfen. So arbeiten die Maschinen wesentlich leiser als ehemals mit Hydraulik angetriebene Varianten. Die Wege und Beschleunigungen der Zustell- und Vorschubantriebe sind frei programmierbar. Zudem können die Beschleunigungen und der Ruck eingestellt werden. Das erhöht zum einen die Dynamik, kürzt die Neben- und Bearbeitungszeiten. Zum anderen schont es die Struktur der Drehmaschinen. Darüber hinaus entfallen wirtschaftliche Schäden sowie Gefahren für Personen und Sachen durch beispielsweise Leckagen oder unsachgemäßen Umgang mit Hydraulik oder Pneumatik. Um den Energieverbrauch der Unrund-Drehmaschine zu überwachen und zu dokumentieren, verfügt die CNC-Steuerung (Bosch-Rexroth Indramotion) über ein ausgeklügeltes Energiemonitoring.

Nachhaltige Strategien realisieren

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Wie Dr. Heiner Lang berichtet, fordern große OEM-Partner der Werkzeugmaschinenbranche, zum Beispiel die Automobil- und die Luftfahrtindustrie, intelligente Lösungen für eine energieeffiziente Produktion. „80 Prozent der aufgenommenen Energie verbraucht eine Werkzeugmaschine bereits ohne Zerspanung. Mit gezieltem Vorsteuern der Maschinenantriebe auf den aktuell geforderten Betriebszustand kann man diesen Anteil an Energieverbrauch um bis zu 80 Prozent reduzieren.“
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