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Künstliche Intelligenz elektrisiert Industrieproduktion

Nortec 2024: Neuronale Netze machen Automation und Digitalisierung noch effizienter
Künstliche Intelligenz elektrisiert Industrieproduktion

Automation und Digitalisierung haben in der modernen Fabrik einen festen Platz. Mit Künstlicher Intelligenz (KI) zündet die produzierende Industrie jetzt die nächste Stufe. Doch wie sieht die Fertigung der Zukunft aus? Welche Effizienzgewinne sind möglich? Und was bedeutet der Einzug von KI in die Produktionsstätten für die Fachkräfte? Die Nortec in Hamburg lieferte vom 23. bis 26. Januar 2024 Antworten auf diese Fragen. Autor: Daniel Schauber, Fachjournalist

Künstliche Intelligenz ist bei der Überwachung und Steuerung von Maschinen nicht mehr wegzudenken. Der Einsatz von neuronalen Netzen ist inzwischen auch in hochspezialisierten Werkzeugmaschinen selbstverständlich.

„Künstliche Intelligenz wird zur Überwachung von Maschinen häufig in Form neuronaler Netze eingesetzt. Diese werden mit großen Datenmengen aus verschiedenen Sensoren trainiert, um Signalverläufe zu prognostizieren“, erklärt Prof. Berend Denkena, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover, das Funktionsprinzip. Wenn es zu einer Abweichung zwischen dem prognostizierten und tatsächlich gemessenen Signalverlauf komme, werde das Fachpersonal informiert und die Maschine angehalten.

Maschinenbedienung wird einfacher

KI entwickelt sich rapide. Deshalb sind Fachleute in der Industrie mit zahlreichen neuen Trends konfrontiert. Zu den Innovationen, die besonderes Augenmerk verdienen, gehört laut Denkena die Entwicklung von KI-Assistenzsystemen, die auf großen Sprachmodellen basieren. Letztere modellieren die Abfolge von Elementen in einer Sequenz. Beispielsweise im Bereich der Software-Entwicklung setzten sich KI-Assistenten wie etwa der Github-Copilot bereits durch.

Das Cloud-basierte Tool, das von der Microsoft-Tochter Github und dem KI-Spezialisten OpenAI entwickelt wurde, unterstützt Fachkräfte beim Programmieren durch automatische Vervollständigung von Codes. „Auch für die Produktion bieten KI-Assistenten großes Potenzial, zum Beispiel um die aktuell sehr komplexe Maschinenbedienung zu vereinfachen“, sagt der Wissenschaftler.

 Sensorik hilft bei vorausschauender Wartung

Bei vorausschauender Wartung hat sich KI in der Industrie bereits etabliert. Mithilfe von Sensoren und neuronalen Netzen lässt sich erkennen, ob sich bei einer Maschine ein Defekt andeutet und eine Wartung geboten ist. Um dieses forschungsintensive Feld abzudecken, arbeiten Produktionstechnikhersteller häufig mit Forschenden und Start-ups zusammen, die in der akademischen Forschung wurzeln.

 Das Hamburger Start-up ai-omatic solutions GmbH beispielsweise hat sich auf vorausschauende Wartung spezialisiert. Lena Weirauch, CEO und Mitgründerin von ai-omatic, erklärt: „KI ermöglicht es, Informationen zu verstehen, Muster zu erkennen, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Eine sehr große Rolle spielen also die Daten, die verwendet werden, damit eine KI trainiert werden kann.“

 In der Produktionstechnik funktioniere das besonders gut, da es eine umfangreiche Datengrundlage gebe. Vorausschauende Wartung sei auch deshalb ein beliebtes Thema, „weil eben viele Maschinen bereits mit einer Vielzahl an Sensoren ausgestattet sind, die Daten generieren und dann ausgewertet werden können“, so Weirauch.

 Zu den Verfahren mit KI, die es bereits von der Forschung in die industrielle Praxis geschafft haben, zählt Weirauch auch Bilderkennungstechnologien, die zur Qualitätsprüfung in der Fertigung oder für die autonome Navigation von Robotern und Drohnen eingesetzt werden. Auch Industrieroboter und Cobots (kollaborative Roboter) würden mit fortgeschrittenen KI-Algorithmen ausgestattet, um Aufgaben in der Fertigung, Logistik und in der Lagerverwaltung auszuführen.

 Clever packen und sortieren

Solche Cobots bietet etwa der Roboterhersteller Yaskawa in Kitakyushu in Japan. Die intelligenten Maschinen können Paletten vollständig automatisiert packen. Durch den Einsatz von KI brauchen sie keine Schutzzäune mehr und sind in der Lage, mit verschiedenen Palettenarten zu arbeiten und unterschiedliche Palettenhöhen zu bestücken.

 Der Robotik-Spezialist Schunk mit Sitz im hessischen Heuchelheim rüstet Roboter zudem so aus, dass sie dank KI Objekte erkennen und sie dann entsprechend sortieren. So können zum Beispiel kleine und mittelständische Unternehmen Sortieraufgaben automatisieren und ihre Maschinen auch die Nacht durcharbeiten lassen.

 Auch der Laserspezialist und Nortec-Aussteller Trumpf aus dem schwäbischen Ditzingen treibt den Einsatz von KI in der Produktion kräftig voran. Trumpf hat bereits 2020 eine KI-basierte Technologie auf den Markt gebracht, die Beschäftigte beim Sortieren von Bauteilen unterstützt. Dieser „Sorting Guide“ zeigt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf einem Bildschirm in ihrem Arbeitsumfeld grafisch an, welches Bauteil zu welchem Auftrag gehört. Darüber hinaus erhalten die Fachkräfte über den Bildschirm alle relevanten Informationen zu den Folgeprozessen. Vor allem bei Blechtafeln mit vielen unterschiedlichen Aufträgen soll dadurch die Effizienz der Fertigung maßgeblich steigen, verspricht Alexander Kunz, Leiter Smart Factory bei Trumpf.

Effizienter als der Mensch

„Wir füttern die KI so lange mit Daten, bis sie neue Situationen schneller erkennt und bessere Entscheidungen trifft als ein Mensch oder ein konservativer Algorithmus“, erklärt Kunz. „Erst dann sprechen wir bei Trumpf von KI.“ Zwei wesentliche Anwendungsfälle seien dabei Prozessoptimierung durch Diagnose und präventive Vorhersage.

Bei der Trumpf-Technologie „Active Speed Control“ fürs Laserschneiden mache beispielsweise eine Kamera 40 Bilder pro Sekunde. „Die KI trainieren wir so, dass sie gute von schlechten Schnittbildern unterscheidet und entsprechende Maßnahmen ableitet. So können wir die Schneidqualität kontinuierlich verbessern“, sagt Kunz. Bei der präventiven Vorhersage erkenne die KI zum Beispiel selbstständig, wenn sich eine Kontur schwierig fertigen lasse oder wenn ein Teil zu klemmen drohe. „Auch hier können wir sie so trainieren, dass sie selbstständig die richtigen Maßnahmen ergreift. So verhindert sie Fehler, bevor sie entstehen.“

Damit sich Künstliche Intelligenz überhaupt entwickeln kann, muss sie auf natürliche Intelligenz und das Erfahrungswissen des Menschen zurückgreifen. Konkret heißt das: Fachkräfte müssen die KI vor ihrem Einsatz trainieren. Danach kann aus der intelligenten sogar eine selbst lernende Maschine werden.

Konservierung von Wissen hilft bei Fachkräftemangel

Das macht KI in Zeiten von Fachkräftemangel besonders interessant. „Im Hinblick auf den demografischen Wandel ist aus meiner Sicht das Erlernen von Domänenwissen durch eine Künstliche Intelligenz eines der spannendsten Forschungsthemen in der Produktionstechnik“, erklärt Prof. Christian Brecher, der den Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen leitet. Die „Konservierung von Expertenwissen“, wie Brecher den Wissenstransfer von Mensch zu Maschine nennt, würde dem gravierenden Fachkräftemangel in Zukunft entgegenwirken.

Kleine und mittelständische Unternehmen verfügen oft nicht über die notwendigen finanziellen und personellen Kapazitäten, um KI in ihre Produktion zu integrieren. „Eine Lösung wäre die Kollaboration und das Schließen von Partnerschaften“, sagt Brecher, der auch Vorstandsmitglied der WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) ist, ein Zusammenschluss führender Professorinnen und Professoren der Produktionswissenschaften. „Wir verfolgen diese Strategie in Aachen in unseren zahlreichen Centern und Arbeitskreisen zu verschiedenen Themenfeldern.“

Weiterhin böten Transferprojekte die Möglichkeit, das Wissen aus der Forschung in die Industrie zu übertragen. Ein Beispiel hierfür ist das Demonstrations- und Transfernetzwerk KI in der Produktion (ProKI), das weitgehend von der WGP getragen wird. Insgesamt acht Zentren verteilt in ganz Deutschland bieten Qualifizierungs- und Transfermaßnahmen für produzierende Unternehmen an.

Auf die Daten kommt es an

Der Einsatz von KI in der industriellen Produktion bietet viele Vorteile, ist aber auch mit Herausforderungen verbunden. Zunächst einmal benötigen KI-Modelle hochwertige und ausreichende Daten. Deshalb empfiehlt Lena Weirauch von ai-omatic ganz pragmatisch, Unternehmen sollten „erst einmal Use cases angehen, für die eventuell schon einiges an Daten vorliegt“. Auch die Integration von KI in bestehende Produktionsprozesse und Maschinen könne komplex sein und erfordere oft Anpassungen und Investitionen. Deshalb lohne es sich, zunächst auf Standardtools oder bereits bestehende KI-Anwendungen zurückzugreifen, anstatt alles selbst zu entwickeln.

Mitarbeitende müssen geschult werden

Auch der Mensch ist nicht immer leicht vom KI-Einsatz zu überzeugen, wie die Start-up-Gründerin bemerkt hat. „Häufig erlebe ich erstmal eine Art Anti-Einstellung gegenüber KI aufgrund von Unwissenheit und fehlendem Know-how“, so Weirauch. Mitarbeitende müssten auf KI-Systeme vorbereitet und geschult werden, um sicherzustellen, dass sie die Technologie effektiv nutzen. Gleichwohl räumt die Start-up-Gründerin ein, dass KI in der Produktion ethische Fragen aufwerfe, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von autonomen Robotern und die Auswirkungen auf Arbeitsplätze.

Wird die Fachkraft in der Fabrik tatsächlich nicht mehr gebraucht, nachdem das Wissen an die KI übertragen wurde? Denkena gibt eine differenzierte Antwort: „Vor jeder technisch bedeutsamen Revolution wurde die Frage gestellt, ob die Technik den Menschen überflüssig machen wird“, sagt er. „Vor der Einführung computergesteuerter Maschinen war die neue Rolle des Menschen in Fabriken ebenfalls schwer vorstellbar. Heute verstehen wir Computer selbstverständlich als Werkzeug und nicht als Konkurrenz. Ich denke, genauso werden wir zukünftig auch Künstliche Intelligenz als Werkzeug verstehen.“

Aufgaben für Fachkräfte werden komplexer

Um in der Smart Factory zu arbeiten, seien neue Fähigkeiten gefragt. „Die Mitarbeitenden müssen vielseitig sein und brauchen Kompetenzen im Umgang mit Software“, erklärt der Wissenschaftler aus Hannover. Die Anzahl an Maschinen und deren Automatisierungsgrad werde mit Künstlicher Intelligenz weiter steigen. Während die Programmierung der einzelnen Maschinen deutlich einfacher werde, müssten die Mitarbeitenden dennoch mit einer Vielzahl verschiedener Maschinen umgehen können.

Auch im Management produzierender Unternehmen sind für den Durchbruch von KI noch einige Widerstände zu überwinden. „Die mangelnde Bereitschaft zum Teilen von Daten ist bei Unternehmen aktuell noch eine große Hürde“, sagt Denkena. Industrielle Produktionsdatensätze seien auf großen KI-Plattformen wie Hugging Face kaum verfügbar. In vielen anderen Bereichen habe Open-Source dagegen maßgeblich zum Erfolg von KI-Modellen beigetragen. „Außerdem ist die Kommunikation im Internet der Dinge noch zu wenig standardisiert“, moniert der Wissenschaftler. Allein die Datenakquise erfordere daher individuelle Lösungen. „Die damit verbundenen notwendigen finanziellen Investitionen erschweren insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen den Einstieg in KI-Technologien.“

Klar ist unterdessen, dass kein Weg an KI vorbeiführt, wenn die industrielle Produktion international wettbewerbsfähig bleiben soll. „In Anbetracht der Herausforderungen, die auf die deutsche und europäische Industrie zukommen, wird KI eine wichtige Rolle für die Effizienzsteigerung unserer Produktion und Geschäftsprozesse und somit auch für die Wettbewerbsfähigkeit spielen“, sagt Brecher. Zudem werde KI ein entscheidender Faktor für die Innovationsfähigkeit der Unternehmen im Hinblick auf Produkte und Produktionsprozesse sein. 

USA proaktiver als Deutschland

Hat Deutschland im internationalen Vergleich, insbesondere mit Blick auf China, Japan und die USA einen Entwicklungsvorsprung in der digital vernetzten Fertigung? Trumpf-Manager Kunz hat eine vielschichtige Antwort auf diese zentrale Frage. „Die deutschen Blechfertiger sind bei den Themen Digitalisierung und Automatisierung schon sehr gut aufgestellt, insbesondere im Vergleich zu Asien“, sagt er. Die nächste Entwicklungsstufe sieht Kunz im Bereich der digitalen Services. „Beispielsweise haben wir derzeit rund 5000 Maschinen im Feld, die an das IT-System von Trumpf angebunden sind. Kommt es zu Auffälligkeiten in den Maschinendaten, bemerken wir das sofort und kontaktieren den Kunden.“ Zudem biete Trumpf den Kunden an, ihre Maschinen aus der Ferne zu programmieren oder in der Nachtschicht zu entstören.

Auf der Nortec war Trumpf mit Maschinen vor Ort, die sich für den Einstieg in die Trumpf-Welt eignen. Das sind Maschinen für Laserschneiden und -schweißen. Thematisch stand bei den ausgestellten Maschinen die digital vernetzte Fertigung im Vordergrund. „Solche Modelle sind technisch schon sehr weit, aber die deutsche Industrie ist eher vorsichtig, sie anzuwenden. Andere Länder wie die USA sind hier proaktiver“, resümiert Kunz.

Nortec
www.messe-stuttgart.de/nortec

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