mav: Was ist das Besondere an der Medizintechnik im Vergleich zu anderen Branchen?
Horn: Die Vielzahl an anspruchsvollen und schwer zu zerspanenden Materialien ist sicherlich das herausragendste Unterscheidungsmerkmal im Vergleich zu anderen Branchen. In der Medizintechnik werden zwar auch einfach zu bearbeitende Bauteile aus Aluminium oder Edelstahl eingesetzt, aber genauso wird man mit Bauteilen aus den schwerzerspanbaren Materialien Titan und Kobalt-Basis-Legierungen konfrontiert. Auch Kunststoffe spielen in der Medizintechnik eine wichtige Rolle.
Zudem haben wir in der Medizintechnik unglaubliche Fortschritte erlebt. So war es vor 10 bis 15 Jahren noch nahezu unmöglich, einem Patienten mehrmals hintereinander mit einem künstlichen Hüftgelenk zu helfen. Heute ist das schon zwei- bis dreimal möglich. Das liegt zum einen an der verbesserten medizinischen Versorgung und zum anderen an den leistungsfähigeren Materialien.
mav: Welche Materialien kamen zuletzt in der Medizintechnik hinzu?
Horn: Als eine der letzten Entwicklungen werden nun vermehrt Kobalt-Chrom-Legierungen eingesetzt. Diese bieten neben einer hohen Härte und Zähigkeit auch eine hohe Biokompatibilität. Kobalt-Chrom gehört zu den leistungsfähigsten Werkstoffen für die Endoprothetik. Der Werkstoff eignet sich besonders für künstliche Kniegelenke und Hüftprothesen, wo Metall auf Metall Gleitpaarungen zum Einsatz kommen. Darüber hinaus ist Kobalt-Chrom auch in der Zahnprothetik weit verbreitet.
mav: Was ist bei den Werkzeugen zur Bearbeitung von Kobalt-Chrom-Legierungen zu beachten?
Horn: In der Medizintechnik hat die Oberflächenstruktur der Bauteile eine besondere Bedeutung. Damit es bei der Zerspanung nicht zu Strukturumbildungen kommt, muss der Wärmeeintrag in das Bauteil, trotz der großen Härte und Zähigkeit der Materialien, so gering wie möglich gehalten werden. Neben der richtigen Kühlstrategie müssen daher die Schnittkräfte bei der Zerspanung der Bauteile möglichst gering gehalten werden.
Hiefür gilt es ganz klassisch, ein optimales Zusammenspiel aus Hartmetallsubstrat, Geometrie, Beschichtung und Schneidkantenverrundung für die Werkzeuge zu finden – negative Spanwinkel stabilisieren die Werkzeuge zusätzlich. Die Schneide spielt dabei eine ganz besondere Rolle. Denn nur mit einer perfekt geschliffenen Schneide kann ich auch eine perfekte Oberfläche erzeugen. Hier punkten wir durch unser jahrzehntelanges Knowhow beim Werkzeugschleifen im besonderen Maße. Damit diese harten Materialien auch möglichst wirtschaftlich bearbeitet werden können, müssen die
Werkzeuge zudem eine möglichst hohe Standzeit aufweisen.
mav: Welches Beschichtungsverfahren ist Ihrer Meinung nach dafür am besten geeignet?
Horn: Um möglichst geringe Schnittkräfte zu ermöglichen, sind die Werkzeuge extra scharfkantig und müssen dies auch bleiben. Die Beschichtung muss von daher besonders widerstandsfähig und vor allem dünn sein. Wir setzen hierfür eine IG-Beschichtung ein – eine dünne Beschichtung mit den entsprechenden Oberflächeneigenschaften. Die Beschichtung haben wir speziell für unsere Medizintechnikwerkzeuge entwickelt. Aufgrund ihrer hervorragenden Eigenschaften kommt die Schicht jetzt aber bei vielen unserer Werkzeuge zum Einsatz.
Die Voraussetzung für eine derart leistungsfähige Schicht ist eine sehr hohe Homogenität innerhalb der Schicht, gepaart mit einer sehr hohen Verdichtung. Das ist nur mit dem HiPMS-Verfahren möglich.
mav: Mit welchen Leistungssteigerungen kann man bei HiPMS-Beschichtungen rechnen?
Horn: Das hängt natürlich ganz klar vom Einsatzfall ab. Wir hatten eine Anwendung, bei der die HiPMS-Beschichtung eine Standzeiterhöhung von 700 Prozent gebracht hat, das ist aber sicherlich eine klare Ausnahme. Aber man kann auf jeden Fall sagen, dass bei unseren Praxistests die HiPMS-Schicht immer leistungsfähiger war als die konventionell aufgebrachte.
mav: Mit der Firma Horn-Hartstoffe haben sie beim Substrat die wesentlichen Kompetenzen direkt im Unternehmen. Welche Vorteile können Sie daraus erzielen?
Horn: Bei den Substraten haben wir in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt und das betrifft alle Horn-Werkzeuge unabhängig von ihrem Einsatzgebiet. So haben die heutigen Substrate ganz andere Eigenschaften, als die vor fünf Jahren. Die Weiterentwicklungen kann man dabei vor allem bei den Ultra-Feinstkorn- und den Feinstkornsorten sehen.
mav: Um welche konkreten Anwendungen geht es in der Medizintechnik hauptsächlich?
Horn: Die Anwendungsgebiete sind ziemlich zahlreich und werden auch von Jahr zu Jahr mehr. Ein großer Bereich stellt auf jeden Fall die Dentaltechnik dar. Hier müssen zum Beispiel Außen- und Innengewinde bei Zahnimplantaten bearbeitet werden.
Die Bearbeitung von Hüftgelenken ist auch ein ganz besonderes Thema. Da die Gesamtstückzahlen hier in den letzten Jahren beinahe explodiert sind, werden die Hüftgelenke in den letzten Jahren zunehmend unter serienproduktionsnahen Bedingungen gefertigt. Ebenso werden unsere Werkzeuge für Schulter- und Knie-implantate eingesetzt.
Den volumenmäßig stärksten Bereich stellen allerdings immer noch die Knochenschrauben dar. Die Schrauben werden in allen Größen zum Beispiel für Kiefer- oder andere Knochenimplantate in großen Serien produziert. Ebenso gibt es in der Medizintechnik auch Anwendungen in ganz geringen Stückzahlen wie etwa Wirbelsäulen- oder Schädelimplantate. Zur Medizintechnik gehört zudem auch die Herstellung von medizinischen Instrumenten und Geräten.
mav: Werden in der Medizintechnik auch Sonderwerkzeuge eingesetzt?
Horn: Wir haben es in dieser Branche häufig mit Werkzeugen zu tun, die bei uns als Standardwerkzeuge geführt werden. 20 bis 30 Prozent sind aber auch echte Sonderwerkzeuge, die etwa in der Serienproduktion von Knochenschrauben eingesetzt werden. Ebenso gibt es aber viele Mischformen. So sind die Schneidplatten oftmals aus dem Standardkatalog und die Aufnahmen sind kundenindividuelle Sonderlösungen. Schlussendlich geht es aber darum, für den Kunden und seine Anforderungen das optimale Werkzeug anzubieten, egal ob als Standard- oder Sonderlösung.
Paul Horn GmbH
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