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Bohr- und Gewindewerkzeug Emuge Taptor bei Voith Turbo im Praxistest

Spiralbohrer und Gewindebohrer in einem
Emuge Taptor bei Voith Turbo im Praxistest

Die Innengewinde von Getriebegehäusen stellt Voith Turbo seit kurzem in einem Schritt mit dem Bohr- und Gewindewerkzeug Taptor her. Noch befindet sich das von Emuge zusammen mit Audi entwickelte Verfahren bei Voith in der Testphase. Das vorläufige Ziel, die Reduzierung von Werkzeugen und Taktzeiten, wurde bereits erreicht.

Viele von uns haben direkt oder indirekt mit Produkten von Voith zu tun, wir wissen es nur nicht. Vielleicht beim Anschalten des Lichts, denn rund ein Viertel aller Wasserkraftwerke weltweit sind mit Technik von Voith Hydro ausgerüstet. Oder beim Buch, bei der Bedienungsanleitung, der Verpackung, beim Toilettenpapier – Voith Paper zählt international zu den größten Systemlieferanten für die Papierindustrie. Mit seinem breiten Portfolio aus Anlagen, Produkten, Serviceleistungen und digitalen Anwendungen ist Voith in den Märkten Energie, Papier, Rohstoffe sowie Transport und Automotive vertreten.

Gegründet 1867, ist Voith heute mit rund 21 000 Mitarbeitern, 4,9 Milliarden Euro Umsatz und Standorten in über 60 Ländern der Welt eines der großen Familienunternehmen Europas. Ergänzt werden die beiden Sparten Hydro und Paper durch den dritten Konzernbereich Turbo. Dieser bietet Antriebstechnik, Systeme sowie maßgeschneiderte Serviceleistungen. Kunden aus zahlreichen Branchen wie Öl und Gas, Energie, Bergbau und Maschinenbau, Schiffstechnik, Schienen- und Nutzfahrzeuge setzen auf Technologien und digitale Lösungen von Voith Turbo. Ein wichtiger Fertigungsstandort des Konzernbereichs befindet sich in Garching, nördlich von München.

Automatische Gehäusebearbeitung im 24/7-Betrieb

In der spanenden Fertigung werden in Garching neben diversen anderen Bauteilen unter anderem die Gehäuse für die Bus-Automatikgetriebe der DIWA-Reihe bearbeitet. Die Gehäuse bestehen aus der Aluminium-Gusslegierung GD-ALS110. Auf einem Kontrollmonitor im XXL-Format, der oberhalb des Zellenrechners der automatischen, etwa 15 m langen Fertigungslinie installiert ist, werden in Echtzeit die aktuell laufenden Prozesse bei der Komplettbearbeitung der Gehäusevarianten visualisiert.

„Komplett heißt bei uns Fräsen, also vom Schruppen bis Fertigschlichten auf Endmaß, Bohren, Anfasen sowie die Gewindeherstellung – alles in drei Aufspannungen“, beschreibt Steffen Seifert, NC-Programmierer bei Voith. Diese Aufgabe übernehmen die drei Horizontal-Bearbeitungszentren Heller MC 20, die in der Fertigungslinie nebeneinander angeordnet sind und durch eine Teilewaschanlage ergänzt werden. Ein Gelenkarmroboter surrt auf Schienen hin und her und bedient, vom Zellenrechner beauftragt und kontrolliert, die drei Maschinen, die Waschanlage sowie die Lagerplätze. „Natürlich sind hier kurze Taktzeiten und eine gleichbleibend hohe Bearbeitungsqualität wichtig. Ebenso aber auch die absolute Prozesssicherheit“, fasst Seifert die wichtigsten Eckpunkte bei der Gehäusebearbeitung zusammen.

Und da sich die Fertigungstechnologien ja ständig weiterentwickeln, durchsuche man den Markt ständig nach neuen Lösungen, um so die Prozesse weiter optimieren zu können. „Eine der wichtigsten Stellgrößen sind dabei die Werkzeuge“, betont der NC-Spezialist, der zusammen mit seinen Kollegen aus der CAM-Abteilung in Garching auch das Toolmanagement verantwortet. Jüngstes Beispiel, wo eine Werkzeugneuentwicklung für einen nicht unerheblichen Produktivitätsgewinn sorgte, sei die Gewindeherstellung.

Werkzeughersteller Emuge-Franken: Fit für die Zukunft

Doppeltes Interesse am neuen Gewindeprozess

Voith bezieht seine Werkzeuge von verschiedenen Lieferanten, zu denen schon seit sehr vielen Jahren der fränkische Unternehmensverbund Emuge-Franken zählt. So auch bei den Getriebegehäusen die Werkzeuge zum Gewindeschneiden. „Ich hatte mit großem Interesse gelesen, dass Emuge zusammen mit Audi unter dem Namen Taptor ein neues Verfahren entwickelt hat, bei dem in Aluminiumguss die Kernlochbohrung und das Gewinde M6 simultan mit einem einzigen Werkzeug erzeugt werden“, erinnert sich Seifert. „Im Vergleich zum klassischen Vorbohren und anschließendem Gewindeschneiden beziehungsweise -formen waren mit dem Taptor durch den entfallenen Werkzeugwechsel beachtliche Zeitvorteile erzielt worden.“ Und dies bei vergleichbar guter Gewindequalität.

Zudem handelte es sich bei den in dem Artikel beschriebenen Versuchen, die bei Audi gefahren wurden, um ganz ähnliche Gewindeausführungen wie bei den Getriebegehäusen in Garching. „Deshalb war ich natürlich sofort interessiert, auszuprobieren, ob der Taptor sich auch auf unserer Fertigungslinie unter Serienbedingungen einsetzen lässt.“ Primär auch deshalb, weil man mit dem Taptor einen dringend benötigten Platz im ausgebuchten Werkzeugmagazin der Heller MC 20 gewinnen würde. Doch davon später. Seifert sprach Armin Kusch darauf an, der als Außendienstmitarbeiter von Emuge-Franken Voith in Garching vor Ort betreut. Und Kusch versprach, den Taptor in den inzwischen verfügbaren Größen M6 und M8 anfertigen zu lassen und für Versuchszwecke mitzubringen.

Spiralbohrer und Gewindebohrer in einem

Was verbirgt sich hinter dem von Audi patentrechtlich geschützten Verfahren genau, das zusammen mit Emuge entwickelt wurde und von den Ingolstädtern „Gewinde 3.0 mit Taptor-Technologie“ genannt wird? Auf den Punkt gebracht, ist der Taptor ein 2-schneidiger Spiralbohrer und Gewindebohrer in einem. Das erkennt man daran, dass sich in geringem Abstand von der Bohrerspitze Gewindezähne befinden. „Das Werkzeug bewegt sich mit dem Vorschub wie beim synchronen Gewindebohren in das Werkstück, der Bohrvorschub pro Umdrehung entspricht also der Gewindesteigung“, erläutert Thomas Funk vom Technischen Büro bei Emuge das Funktionsprinzip. „Ist die gewünschte Bohrtiefe erreicht, schneidet sich das Werkzeug frei. Im Bohrungsgrund wird das unvollständige Gewinde im Bereich des Gewindeauslaufs verfahrensbedingt entfernt. Es entsteht ein Freiraum mit dem Gewindeaußendurchmesser und einer Breite von circa einmal der Gewindesteigung. In diesen Freiraum kann die Schraube eingeschraubt werden. In umgekehrter Drehrichtung fährt das Werkzeug durch das erzeugte Gewinde anschließend wieder heraus.“ Ausgelegt ist der Taptor ebenso für die Sackloch- wie für die Durchgangslochbearbeitung.

Absolut wichtig sei für einen sicheren Prozess, dass die Späne die Bohrung sicher verlassen können, betont Funk. An der Sirnseite sorgt beim Taptor deshalb ein speziell entwickelter Spanteiler dafür, dass die abgetragenen Späne besonders kurz sind und stets die gleiche Form haben. Dieser hilft zusammen mit den großen Freiwinkeln an der Bohrerspitze auch dabei, dass die auftretenden Axialkräfte klein bleiben. Darum seien im Vergleich zu konventionellen Spiralbohrern aus Vollhartmetall bei vergleichbarem Vorschub die auftretenden Kräfte hier deutlich geringer, hebt Funk hervor.

Er war bei der Entwicklung des Taptors von Anfang an dabei, weshalb er sich an das Anforderungsprofil, das Audi an das neue Werkzeug stellte, noch gut erinnert. Zum Beispiel die Festigkeit des Gewindes. Denn bei Motorteilen aus Gussaluminium wurden die Gewinde vorher geformt. Dadurch verdichtet sich die Oberfläche, was gerade bei Aluminium von Vorteil sein kann, da hier die Festigkeit ein Problem darstellt. „Deshalb mussten wir mit dem Taptor die gleiche Festigkeitsklasse wie beim Formen erreichen und nachweisen, dass es keine Probleme gibt“, so Funk. „Wir haben die Geometrie darum so ausgelegt, dass ein Teil geschnitten – hierbei entstehen Späne – und ein Teil geformt wird und sich das Gewinde so verfestigt.“

Die Ergebnisse der Ausreißversuche hätten überzeugt, weshalb der Taptor dann abgenommen wurde. Die mit dem Taptor hergestellten Gewindegeometrien könnten übrigens ganz klassisch mit den üblichen Gewindegrenzlehrdornen nach DIN ISO 1502 überprüft werden, ergänzt Funk.

NC-Programm für den Gewindezyklus wird mitgeliefert

Doch zurück nach Garching und zum Test des neuen Werkzeugs. Vor Beginn der Versuche mussten dort natürlich noch die Gewindezyklen für die Gehäusebearbeitung programmiert werden. „Wir arbeiten beim Taptor mit dem G331-Zyklus. Das ist in den Sinumerik-Steuerungen von Siemens der Zyklus zum Gewindebohren ohne Ausgleichsfutter“, erklärt Entwickler Funk. Bei Fanuc sei dieser Zyklus mittlerweile ebenfalls verfügbar, mit anderen Steuerungsherstellern sei man im Gespräch. Wichtig sei dabei, dass die Maschine hochdynamisch ausgelegt ist und die Spindel über einen Pulsgeber verfügt, damit die Synchronität beim Gewinden gewährleistet ist. „Den G-Code für den Taptor-Zyklus liefern wir dem Kunden als Anwendungsbeispiel mit“, so Funk.

Dies war in diesem Fall aber nicht notwendig, da auf Basis der Informationen von Emuge Seifert als NC-Profi die Zyklen in kurzer Zeit selbst geschrieben hatte. Auch deshalb, weil bei Voith die Heller MC 20 ebenfalls mit Sinumerik-840D-CNCs ausgerüstet sind. Dabei wird mit dem Taptor der Gewindezyklus so lange gefahren, bis die erforderliche Gewindetiefe erreicht ist. „An diesem Punkt nehme ich die Steigung heraus und lasse den Taptor auf der Stelle drehen, damit ein Freistich und gleichzeitig die Fase erzeugt wird“, beschreibt er die Vorgehensweise. Anschließend wird die Drehrichtung der Spindel umgekehrt und mit dem gleichen Zyklus aus der Bohrung herausgefahren. „Wichtig ist, dass die Position des Werkzeugs eins zu eins übereinstimmt mit der Einfahrposition, da sonst das Gewinde verschneiden würde.“

Jetzt konnte mit den Versuchen begonnen werden. Als Drehzahl wählte man 3000 min-1. Diese Drehzahl wird von der Heller MC 20 im Gewindezyklus problemlos synchronisiert. „Da wir in der jetzigen Phase beim Einsatz des Taptors noch auf den Speedsynchro verzichten, haben wir ihn direkt ins Schrumpffutter gespannt.“ Was Seifert meint, ist der Emuge-Speedsynchro, eine Spannzangenaufnahme mit Längenausgleich und integriertem Übersetzungsgetriebe „ins Schnelle“. Damit wird im CNC-Gewindezyklus die synchronisierbare Drehzahl der Motorspindel, die beim Speedsynchro eingangsseitig maximal 2000 min-1 betragen darf, um etwa den Faktor 4 erhöht. Das Übersetzungsgetriebe hatte Voith bei den Gehäusen für Gewinde M8 bisher im Einsatz. Bei den M6 -Gewinden hingegen nicht.

Zu den ganz wichtigen Prozessparametern zähle auch das Thema Schmierung und Kühlung, meint Seifert. „Wir verwenden bei unseren Bearbeitungszentren grundsätzlich hochgefilterten Kühlschmierstoff.“ Darum sind in Garching bei den drei Heller MC 20 spezielle Filteranlagen des Herstellers IDV Engineering installiert. Ein Bypass-Patronenfilter filtert bei diesem System alle Späne und andere Partikel, die größer als 10 µm sind, aus dem Kühlschmierstoff heraus. Diese Filterung im µm-Bereich sei für den innenkühlbaren Taptor extrem wichtig. Denn auch kleinere Partikel würden den Durchfluss in den beiden innenliegenden, wendelförmigen Kühlkanälen stören. Probleme bei der Späneabfuhr einhergehend mit Hitze- und Verbrennungsschäden am Gewinde wären die Folge. „Das ist beim Taptor ein sensibles Thema, da wir hier einen Umdrehungsvorschub gleich Gewindesteigung haben.“

Die Tests mit dem Taptor hätten dann auf Anhieb geklappt – auch dank der aktiven Unterstützung seitens Emuge und insbesondere von Armin Kusch, hebt Seifert hervor. „Wir haben die zunächst angestrebte Standmenge gleich im zweiten Versuch erreicht und diese dann sukzessive erhöht.“ Mittlerweile werden bei den Getriebegehäusen mit dem Taptor alle Gewinde – ausschließlich Sacklochgewinde – unter Serienbedingungen hergestellt.

Zwei Werkzeugplätze eingespart

Und wie lautet das vorläufige Resümee? Die durchschnittliche Zeiteinsparung, die mit dem Taptor gegenüber dem vorher getrennten Bohren und Gewindeschneiden erzielt worden sei, liege im zweistelligen Prozentbereich, sagt Seifert. „Trotzdem haben wir die 50 Prozent noch nicht ganz erreicht, was allerdings auch nicht unser primäres Ziel war.“ Denn der Plan sei gewesen, mit dem Taptor nicht nur die Bearbeitungszeit reduzieren zu können, sondern auch die Anzahl der Werkzeuge. Und zwar vor dem Hintergrund, dass die Werkzeugmagazine der MC 20 von Heller für Garching speziell an die automatische Fertigungslinie angepasst wurden. Aus diesem Grund lassen sich die 88 Werkzeugplätze auch nicht erweitern. „Deshalb war es wichtig, dass wir Werkzeuge aus der Kette heraus bekommen, um andere dringend benötigte einsetzen zu können.“

Mit dem eingesparten Bohrer war nun schon ein Platz frei geworden. „Und da wir aufgrund der mit dem Taptor eingesparten Wechsel- und Hauptzeiten im Moment auf den Speedsynchro ganz verzichten, haben wir jetzt insgesamt zwei freie Werkzeugplätze gewonnen.“ Denn die Heller-Maschine hatte aufgrund der Größe der Werkzeugaufnahme bisher den Werkzeugplatz neben dem Speedsynchro gesperrt.

„Bezogen auf alle Gehäusetypen hat sich die Gesamttaktzeit um etwa fünf Prozent verkürzt“, lautet Seiferts vorläufige Bilanz. „Aber das wird mit Sicherheit mehr. Denn wir sind ja noch am Ausloten.“ Und da so gleichzeitig das Ziel erreicht worden sei, zwei dringend benötigte Werkzeugplätze einzusparen, „hat der Taptor voll und ganz meine Erwartungen erfüllt.“

Voith GmbH & Co. KGaA
www.voith.com

Emuge-Werk Richard Glimpel
GmbH & Co. KG
www.emuge-franken.com
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