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„Die Digitalisierung kennt keine dritten Plätze“

Dr. Jochen Kress, Mitglied der Geschäftsleitung, Mapal Dr. Kress KG
„Die Digitalisierung kennt keine dritten Plätze“

„Die Digitalisierung kennt keine dritten Plätze“
Dr. Jochen Kress, Mitglied der Geschäftsleitung, Mapal Dr. Kress KG
mav: Sie sprechen viel lieber von der Digitalisierung der Produktion als von Industrie 4.0. Was steckt für Sie hinter dem von Ihnen gewählten Begriff?

Kress: Die Digitalisierung ist für mich ein umfassender Prozess, der die Vernetzung unterschiedlichster Akteure umfasst. Momentan wird dieses Mammutprojekt von vielen kleinen, zum Teil unscheinbaren Schritten vorangetragen. So haben wir uns in einem ersten Schritt das Ziel gesetzt, unsere Daten unternehmensintern durchgehend zu digitalisieren.
mav: Aber gehen die 4.0-Ideen nicht davon aus, dass die Daten vorhanden sind und nur noch gewinnbringend sinnvoll verknüpft werden müssen, so dass schließlich sich selbststeuernde Prozesse entstehen?
Kress: Diese Annahme ist richtig. Allerdings wird dabei der Aufwand zur Verknüpfung unterschätzt. Es gibt zwar in den meisten Unternehmen gewisse Dateninseln, diese sind allerdings häufig noch nicht abteilungs- oder systemübergreifend verknüpft. Deshalb sind wir bei Mapal momentan noch dabei, unsere Daten erst einmal zu ordnen, was je nach Bereich unterschiedlich schwierig ist. Während es in der Werkzeugproduktion einen ganz eindeutigen Prozessanfang und ein Prozessende gibt, sieht das in der Angebotserstellung und im direkten Kundenkontakt ganz anders aus. Und dies besonders, da 95 Prozent unserer Produktion auf Sonderwerkzeuge entfällt. Zudem müssen die Daten so aufbereitet werden, dass an einer bestimmten Stelle im System auf die richtigen Daten zugegriffen werden kann. Denn natürlich unterscheiden sich die Anforderungen von Abteilung zu Abteilung und es kann nicht das Ziel sein, einfach alle Daten an jeden im Unternehmen zu schicken.
mav: Können Sie dies an einem konkreten Beispiel, bei dem solche Systembrüche aufgetreten sind, verdeutlichen?
Kress: Da wir versuchen, dieses Thema umfassend anzugehen, gibt es allein in der Produktion unzählige Beispiele. Das Grundproblem sind die vielen unterschiedlichen Systeme. So sind etwa, auf einer ganz einfachen Ebene, natürlich alle Informationen, die sich in einer E-Mail oder in einem Word-Dokument befinden, für das ERP-System verloren. Diese sind weder unternehmensintern geschweige denn für den Kunden verfügbar. Ein Beispiel: Der Kunde beauftragt uns, ein Werkzeug zu produzieren. Im Auftrag hat er zusätzlich vermerkt, dass ein bestimmtes Merkmal vermessen und die Werte protokolliert werden sollen. Bisher wird dieses Messprotokoll von der Qualitätssicherung am Ende der Produktionskette angefertigt. Ganz bestimmt wurde dieses Merkmal im Produktionsprozess schon einmal vermessen und vielleicht auch auf der Zeichnung handschriftlich vermerkt. Nur ist diese Information digital nicht verfügbar.
mav: Warum sind solche Umstellungen so aufwändig?
Kress: Das hängt mit der industriellen Systemlandschaft zusammen. Schauen wir uns einmal den typischen Werkzeugmaschinenpark an. Dort findet sich eine Vielzahl an Steuerungen von verschiedensten Herstellern in unterschiedlichen Versionen. Allein diese miteinander kommunizieren zu lassen, bedeutet bereits einen riesigen Aufwand. Zusätzlich müssen sie aber noch das ERP-System, die CAD-/CAM-Software und zahlreiche andere Systeme miteinbinden.
mav: Was wäre für Sie eine Musterlösung?
Kress: Jedes relevante Element im Produktionsprozess müsste einen digitalen Zwilling auf einer von allen Beteiligten unterstützten Plattform bekommen. Das wäre für mich eine konsequente Umsetzung des Industrie 4.0 Gedankens. Mit dem digitalen Zwilling können Prozesse simuliert werden. Hierfür müssen die Daten des Zwillings allerdings stets aktuell gehalten werden. Und diesen Zwilling braucht man, wenn man seine Fertigung digitalisieren möchte auch von der Werkzeugmaschine, von den Vorrichtungen, von allen Werkzeugen und zusätzlich auch noch vom Werkstück. Dabei ist es immens wichtig, dass die Daten korrekt sind. Denn falsche Daten könnten zu einem folgenreichen Maschinencrash führen.
mav: Gibt es denn schon konkrete Bemühungen, die Schnittstellen-Problematik in den Griff zu bekommen?
Kress: Dass man sagen könnte, man erarbeitet ein allgemein gültiges Datenformat und ein verbindliches Übertragungsprotokoll, davon sind wir meiner Meinung nach noch Jahre entfernt. Ich gehe davon aus, dass in einem ersten Schritt zunächst proprietäre Systeme entstehen werden. Und dann wird sich zeigen, welche Lösung am meisten Potenzial bietet und diese wird sich dann als Standard durchsetzen.
mav: Jetzt sind wir von Ihrer zunächst angestrebten Digitalisierung der Daten im eigenen Unternehmen gedanklich schon viel weiter gegangen. Welche Fernziele strebt Mapal im Bereich der Digitalisierung an?
Kress: Unser Ziel ist, den direkten Zugang zum Kunden auch unter den Vorzeichen der Digitalisierung zu behalten. Dies wird nicht einfach sein, denn als Ergebnis der Digitalisierung wird es Online-Beschaffungsplattformen geben, auf der die Angebots- und Nachfrageseite zusammengeführt werden. Auf diesen Plattformen offeriert der Anbieter oder besser der Hersteller nicht nur sein Produkt, sondern, und ich denke das wird selbstverständlich werden, auch dessen digitalen Zwilling. Auf der Nachfrageseite werden die Kunden ohne große Kosten einen Anbieter beziehungsweise Produzenten kontaktieren und so auf eine Vielzahl von Angeboten zurückgreifen können. Diese Informationsaustauschbörse muss dafür die Informationen automatisiert verarbeiten können. Zwischen den Herstellern und den Kunden wird sich zudem eine Reihe von Dienstleistern positionieren.
mav: Wie können Sie sich so sicher sein, dass es auf eine solche Plattform hinauslaufen wird?
Kress: Im Consumer-Bereich hat sich diese Entwicklung im schon lange abgezeichnet, und dieses Prinzip der Plattform, das dort in vielen Bereichen schon umgesetzt wurde – denken Sie an Ebay, LinkedIn, Facebook, Amazon – hat so viele Vorteile, dass es auch in dem viel schwierigeren Industriebereich darauf hinauslaufen wird. Weiterhin bin ich mir sicher, dass es in unserer Branche nur eine Plattform geben wird, da der Nutzen eines Netzwerkes mit dem Quadrat seiner Teilnehmer wächst. Der Netzwerkgedanke begünstigt von daher ein Monopol. Für mich ist das keine Vision mehr, sondern eine Prognose. Man kann sich die Entwicklung analog zu der Entwicklung im Musikgeschäft vorstellen. Bevor es zum Beispiel I-Tunes gab, konnte sich auch niemand vorstellen, dass man keine CDs mehr besitzen wird.
mav: Welche Vorarbeiten müssten hierfür noch geleistet werden?
Kress: Angenommen alle Daten wären bereits digitalisiert, müsste man zunächst Kommunikationsstandards definieren und die Akteure herausarbeiten. Zudem müssten den Akteuren eindeutige Rollen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen zugeordnet werden. Weiterhin muss natürlich zwingend geklärt werden, wer welche Arbeit leistet und wer was wofür bezahlt. Hierfür müsste in einem vorgelagerten Schritt geklärt werden, wem welche Daten gehören und wer dafür haftet, wenn die Daten fehlerhaft sein sollten.
mav: Welchen konkreten Nutzen hätte ein Präzisionswerkzeughersteller wie Mapal von einer solchen Plattform?
Kress: Ich denke, dass die Kundenbedürfnisse sich nicht großartig ändern werden. Schlussendlich wird immer noch zerspant werden. Was sich ändern wird, ist der Prozess rund um die eigentliche Zerspanung. Vieles wird aufgrund der durch die Digitalisierung minimierten Grenzkosten plötzlich wirtschaftlich werden, was vorher undenkbar schien.
mav: Welche Rolle wird Mapal dabei einnehmen? Können Sie sich vorstellen, dass Mapal der Anbieter einer solchen Plattform sein könnte?
Kress: Wir sind bei diesem Thema sehr demütig. Denn wir können unsere Fähigkeiten ganz gut einschätzen und die Aufgaben sind wie beschrieben ziemlich komplex. Aber wir wollen dafür sorgen, dass wir uns in einem solchen System gut platzieren können. Und wir wollen die Dinge einfach machen. Wenn alles gut läuft, werden wir hierzu bereits auf der diesjährigen AMB erste Ergebnisse präsentieren können.
Mapal Dr. Kress KGwww.mapal.com
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