mav: Wie kann der Product Carbon Footprint (PCF) Standard für Hartmetallprodukte genutzt werden, um den PCF-Wert der eigenen Produkte zu berechnen?
Kordwig: Der Standard ist letzten Endes eine Anleitung, um vom eigenen Corporate Carbon Footprint (CCF) zu einem spezifischen CO2-Fußabdruck für Produkte zu kommen. Welche Daten muss ich erheben, welche Emissionen beziehe ich ein, wie gewichte ich die Daten und wie berechne ich daraus am Ende den PCF? Für all dies kann ich mich am Standard orientieren. Es bedeutet nach wie vor Arbeit, der Standard gibt aber eine Struktur vor, an der man sich orientieren kann.
mav: Sind die bisherigen PCF-Werte ohne einen allgemeingültigen Standard überhaupt vergleichbar und damit aussagekräftig?
Kordwig: Leider nicht. Um vergleichbare Werte zu bekommen, müssen die Herangehensweise, das Rechenmodell und die Systemgrenzen, die bei der Berechnung des PCF berücksichtigt werden, vergleichbar sein. Und das kann nur ein gemeinsamer Standard garantieren.
Die chemische Industrie ist mit der Initiative „Together for Sustainability“ ein gutes Beispiel, wie sich durch gemeinsame Standards das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben lässt. Wenn auch wir beim Thema PCF an einem Strang ziehen, können wir die Hartmetallindustrie gemeinsam in eine nachhaltigere Zukunft führen.
mav: Wie funktioniert das Scoring- und Klassifizierungssystem?
Kordwig: Es ist bewusst einfach gehalten, um die Informationen mit einem Blick erfassen und bewerten zu können. Angelehnt an die Energie-Labels, die sich auf Elektrogeräten finden, haben wir eine alphabetische Klassifizierung mit aktuell sechs Klassen von A bis F entwickelt. Die Klassen geben eine grobe Einordnung, wie viel Kilogramm CO2-Äquivalente (CO2e) pro Kilogramm Produkt bei der Herstellung angefallen sind. A steht dabei für Produkte mit einem sehr niedrigen PCF von 0 bis 5 kg CO2e pro kg Produkt. Am anderen Ende der Skala findet sich die Klasse F, in der Produkte mit einem PCF von mehr als 50 kg CO2e pro kg Produkt klassifiziert werden. Das Ganze funktioniert aber nur, solange zur Berechnung des PCF derselbe Standard verwendet wird.
Es ist auch wichtig zu betonen, dass die aktuellen Klassen eine Momentaufnahme und nicht in alle Ewigkeit festgeschrieben sind. Wir haben bei unseren eigenen Produkten bereits gesehen, wie der PCF über das gesamte Produktportfolio hinweg in den letzten zwei Jahren spürbar gesunken ist. Und mit Blick auf unsere CCF-Reduktionsziele werden die PCF-Werte auch in den kommenden Jahren weiter sinken.
mav: Wann werden voraussichtlich alle industriellen Hersteller einen PCF-Wert für ihre Produkte ausweisen müssen?
Kordwig: Aktuell sind uns keine konkreten Pläne bekannt. Die Themen Klimaneutralität und Ressourceneffizienz spielen in der Branche aber auch so eine immer größere Rolle. Die Corporate Sustainability Reporting Directive der EU verpflichtet in den nächsten Jahren bereits Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und kapitalmarktorientierte KMU ab 10 Mitarbeitenden dazu, Angaben zu Nachhaltigkeitsrisiken und -leistungen vorzunehmen. Und wer nicht selbst berichtspflichtig ist, wird es oftmals tun müssen, um seinen Kunden die entsprechenden Informationen liefern zu können.
Direkt oder indirekt wird die Bereitstellung von Informationen zum CCF so in Zukunft für viele Unternehmen verpflichtend. Ob die Emissionen hoch oder niedrig sind, ist dabei erst einmal nebensächlich. Da ist es enorm hilfreich, wenn ich vom Hersteller Daten zum PCF bekomme, um die eigenen Scope-3-Emissionen berechnen zu können. Andererseits ist mit einer soliden CCF-Berechnung der Weg zur Berechnung des PCF der eigenen Produkte auch nicht mehr weit.
Umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass wir uns in der Branche auf einen einheitlichen Standard einigen. Nur so können wir sicherstellen, dass die Angaben zum PCF untereinander vergleichbar sind und dass wir uns nicht in einem Strudel unterschiedlicher Standards verlieren. Damit ist am Ende keinem geholfen – weder den Kunden noch den Herstellern.
mav: Was sind die Haupttreiber für einen hohen PCF-Wert bei Hartmetallprodukten?
Kordwig: Ganz klar die Art der eingesetzten Rohstoffe, die Nutzung von Erdgas und der elektrische Strom. Man muss aber auch die Fertigungstiefe in Betracht ziehen. Ein Werkzeug mit vielen Bearbeitungsschritten, hohem Schleifaufwand und einer Beschichtung hat zwangsweise einen höheren PCF-Wert als ein Produkt das direkt gepresst und nach dem Sintern nicht weiterbearbeitet wird.
mav: Hat Ceratizit im Rahmen der Entwicklungen rund um den PCF-Standard Stellschrauben entdeckt, mit denen der PCF-Wert schnell gesenkt werden kann?
Kordwig: Für die meisten Firmen am einfachsten umsetzbar ist sicherlich der Wechsel zu grünem Strom aus nachhaltigen Quellen. Gerade im produzierenden Gewerbe lassen sich so sowohl Corporate Carbon Footprint als auch Product Carbon Footprint deutlich senken. Darüber hinaus gibt es nicht das eine Patentrezept. Letztlich kommt es ganz einfach darauf an, was ich in meine Produkte hineinstecke, denn das bekomme ich am Ende auch wieder heraus. Der Einsatz sekundärer Rohstoffe, wo dies möglich ist, Effizienzsteigerungen entlang der gesamten Produktionskette, Einsparungen beim Einsatz fossiler Brennstoffe und auch der Wechsel zu grünem Wasserstoff können weitere Ansatzpunkte sein.
Thierry Wolter: „Ceratizit möchte Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein“
mav: Lässt sich der Standard auch auf andere Produktklassen übertragen? Zum Beispiel HSS-Werkzeuge?
Kordwig: Im Prinzip ja, ich muss nur meine Prozesse kennen und die richtigen Daten erheben – zur Berechnung des Corporate Carbon Footprint benötige ich diese aber ohnehin. Vereinfacht gesagt gibt der Standard vor, wie sich aus dem CCF der auf die Produktion eines Produkts entfallende Teil der Emissionen berechnen lässt. Solange die gleichen Methoden für Datenerhebung und Berechnung genutzt werden und die Systemgrenzen übereinstimmen, kann ich den PCF so für alle möglichen Produktklassen berechnen.
Wir müssen für unser eigenes Produktportfolio bereits eine sehr große Spanne an Produkten abdecken. Das fängt beim Hartmetall-Pulver an, dessen CO2-Fußabdruck sich auf alle folgenden Produkte auswirkt. Auf der nächsten Wertschöpfungsebene haben wir dann die gesinterten Hartmetallprodukte. Zum Beispiel Sägezähne, die ohne größere Finalisierung zum Kunden gehen. Noch eine Stufe weiter sind dann unsere Zerspanungswerkzeuge, für die das Hartmetall geschliffen und beschichtet wird. Im Falle der Wendeschneidplatten-Werkzeuge fließt dann auch noch der Stahlträger in die Rechnung mit ein. Und da sind natürlich auch noch Produkte wie unsere Aussteuerwerkzeuge.
Die Berechnung des PCF erfolgt bei all diesen unterschiedlichen Produkten auf Basis desselben Standards und erlaubt es uns, den Kunden auf Wunsch die größtmögliche Transparenz bezüglich des CO2-Fußabdrucks zu bieten.
mav: Was unternimmt Ceratizit, um nachhaltiger zu werden?
Kordwig: Wir sind nach wie vor in der ersten Phase unserer Nachhaltigkeitsstrategie, in der wir uns auf die Themen Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft konzentrieren. Die erste wichtige Maßnahme in diesem Zusammenhang war die Umstellung unserer Produktion auf grünen Strom aus nachhaltigen Quellen, wodurch wir unseren Corporate Carbon Footprint mit einem Schlag um über 20 % senken konnten. Zusätzlich arbeiten wir an der Steigerung der Energieeffizienz und an der Umstellung auf grünen Wasserstoff; das erfordert jedoch etwas mehr Atem als die Umstellung der Stromversorgung.
Zusätzlich arbeiten wir kontinuierlich daran, den Einsatz neuer Rohstoffe aus Erz weiter zu reduzieren. Wir kommen in unserer Rohstoffversorgung mittlerweile auf eine Recyclingrate von 85 bis 90 %. Zudem arbeiten wir weiter am Thema Kreislaufwirtschaft, um bis 2030 den Anteil der in der Hartmetallproduktionskette verbleibenden Rohstoffe auf über 95 % zu steigern.
Hinzu kommen Photovoltaik-Projekte an verschiedenen Standorten und Projekte zur Förderung nachhaltigerer Mobilität. Das reicht von Jobrad-Angeboten über Buszubringer für unsere Mitarbeitenden bis hin zur Mobilitätsapp, die die Nutzung von Fahrgemeinschaften, Massentransportmitteln und Radfahren belohnt.
In den nächsten Monaten werden wir uns aber auch stärker Themen wie der Förderung von Talenten in der Firma widmen, die ebenfalls Teil unserer Strategie sind.
mav: Wie unterstützt Ceratizit seine Kunden auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit?
Kordwig: Ich sehe da mehrere Dimensionen. Das Thema Prozessoptimierung zur Steigerung der Nachhaltigkeit in der Zerspanung steht bei uns schon seit einiger Zeit im Fokus. Das geht mit der Entwicklung neuer Produkte einher, die effizienter und nachhaltiger sind.
Auch unser Nachschleifservice hilft unseren Kunden dabei, ihren CO2-Fußabdruck zu senken und dabei auch noch Geld zu sparen. Denn das Nachschleifen eines Werkzeugs verursacht bei ebenbürtiger Leistungsfähigkeit nicht nur sehr viel weniger Emissionen als die Produktion eines neuen Werkzeugs. Es ist auch sehr viel günstiger. Ist ein Werkzeug dann irgendwann endgültig am Ende seines Lebenszyklus angekommen, bieten wir unseren Kunden mit unserem Recyclingservice die Möglichkeit, zur Kreislaufwirtschaft innerhalb der Branche beizutragen.
Mit dem PCF bieten wir unseren Kunden nun im nächsten Schritt die notwendige Transparenz, um fundierte Entscheidungen zur Senkung des eigenen Fußabdrucks treffen zu können. Und denjenigen, die den PCF in ihrer eigenen Produktpalette aktiv reduzieren wollen, bieten wir mit den Hartmetallsorten der upGRADE-Reihe bereits heute passende Lösungen mit besonders niedrigem PCF.
Nachhaltigkeit ist aber immer auch ein Prozess und man lernt ständig dazu. Dieses Wissen wollen wir, wo es sich anbietet, auch mit unseren Kunden und der Branche teilen. Nur gemeinsam kann es uns gelingen, das Thema Nachhaltigkeit in der Zerspanungs- und Hartmetallbranche weiter voranzubringen.
Ceratizit Deutschland GmbH
www.cuttingtools.ceratizit.com
EMO Halle 5 Stand C69
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