Digitale B2B-Plattformen gewinnen in Deutschland stetig an Akzeptanz. Laut BDI haben in den letzten Jahren deutsche Unternehmen zunehmend in den Aufbau eigener Plattformen investiert und nehmen diese nunmehr in ihr Produkt- und Leistungsportfolio auf. So enstehe aktuell ein florierendes Plattformökosystem. Nach Zahlen des deutschen Industrieverbands nutzten Ende 2018 bereits 67 % der Unternehmen der Industrie und der industrienahen Dienstleistungen in Deutschland Plattformen. Knapp 7 % der Wertschöpfung hing substanziell von der Nutzung von Plattformen ab. Das entspricht immerhin 112 Milliarden Euro.
In einer Studie des Digitalverbands Bitkom von 2020 gaben fast sieben von zehn Unternehmen an, dass eine der zentralen Chancen des Betreibens, respektive der Nutzung digitaler Plattformen in der Wahrung der Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens liegt. Obgleich die Firmen digitale B2B-Plattformen sowohl als Chance als auch als Risiko sehen, überwiegen für mehr als 60 % bei der Nutzung die Vorteile.
Digitale B2B-Plattformen fungieren als Vermittler, die mithilfe von digitaler Technologie Marktteilnehmer über die Plattform verbinden und deren Interaktion vereinfachen oder sogar erst ermöglichen. Dabei kann es sich um datenzentrierte oder transaktionszentrierte Typen handeln.
Online-Fertiger auf dem Vormarsch
In den letzteren Bereich fallen Online-Fertigungsplattformen für CNC-Dreh- und Frästeile, für 3D-Druck- oder Blechteile. Hier hat sich in Deutschland eine bunte Start-up-Szene entwickelt. Plattformen wie Facturee, Spanflug, Mipart, Laserhub, Instawerk oder Kreatize – die Liste ließe sich fortführen – sind angetreten, den Markt für Fertigungsdienstleistungen umzukrempeln. Natürlich „fertigen“ sie nicht online. Ausgerüstet mit cleverer Kalkulationssoftware und einem Netz von Fertigungspartnern wollen die Betreiber vielmehr Preisermittlung und Bestellprozesse erheblich beschleunigen und vereinfachen.
„Wir verstehen unter einer Online-Fertigungsplattform eine digitale Plattform, auf der Lieferanten mit freien Fertigungskapazitäten und Kunden mit Bedarf an Fertigungsteilen miteinander vernetzt werden“, definiert Dr. Markus Westermeier, Mitgründer und Geschäftsführer, Spanflug Technologies GmbH. Der entscheidende Unterschied zu traditionellen Vermittlerplattformen sei dabei, dass die Transaktion, also der gesamte Bestellvorgang für Fertigungsteile, direkt auf der Plattform abgewickelt wird. „Grundlage hierfür ist unser Algorithmus, der Sofortpreise ermitteln kann, sowie ein digitaler Bestell- und Vergabeprozess.“
Auf diese Weise, so Westermeier, könnten Kunden den gesamten Bestellprozess von mehreren Tagen auf wenige Minuten verkürzen. Fertigungsdienstleister wiederum könnten den Aufwand für die Kalkulation um bis zu 90 % reduzieren, ihre Mitarbeiter von administrativen Aufgaben entlasten und sich auf die Fertigung konzentrieren.
Coronakrise als Katalysator
Ein weiterer Aspekt, der den Online-Fertigern einen zusätzlichen Schub verleihen dürfte, ist die Unsicherheit der Lieferketten während der Coronapandemie. „Corona war praktisch ein Katalysator für die Digitalisierung und damit auch für die Online-Fertigung“, erklärt Benjamin Schwab, Leitung Marketing & Sales der Berliner cwmk GmbH, Betreiber der Plattform Facturee. „Besonders in der Coronakrise werden bei den traditionellen Beschaffungsprozessen große Nachteile wie Lieferantenabhängigkeiten, abgeschnittene Nachschubwege und Lieferengpässe deutlich“, so Schwab weiter. Die Online-Fertigung ermögliche stabile Beschaffungsprozesse durch eine schnelle Anpassung an aktuelle Gegebenheiten wie etwa die Umverteilung von Fertigungskapazitäten, weg von zum Beispiel vom Lockdown betroffenen Betrieben und Regionen.
Faktoren, die jüngst den Branchenverband VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) dazu bewogen haben, sich im Bereich Online-Fertigung zu engagieren. Dazu hat er eine Minderheitsbeteiligung an Spanflug erworben. „Wir sehen hier ein schlüssiges Gesamtkonzept“, begründet VDW-Geschäftsführer Dr. Wilfried Schäfer den Schritt. „Einkaufsplattformen für Standardbauteile werden in Zukunft einen Teil der Nachfrage abdecken. Wir konnten diese Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren schon im Druckbereich beobachten. Mit der Kalkulationssoftware erhalten Zulieferer zudem eine Möglichkeit für weitere Optimierungen und damit zur Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.“
Und warum gerade Spanflug? „Wir haben die Funktionalitäten des Ansatzes getestet und sind überzeugt, dass Spanflug im Bereich Drehen und Fräsen mit dieser Lösung eine Alleinstellung hat“, so Schäfer. „Zudem baut Spanflug auf ein qualifiziertes Zuliefernetzwerk. Dass dies auch von den Kunden so eingeschätzt wird, zeigt das schnelle Wachstum der Plattform.“ Auch das zweite Standbein, Software-as-a-Service für die automatische Angebotskalkulation, sei interessant, automatisiere es doch die Angebotserstellung auf wenige Mausklicks.
Vorteile sieht Schäfer sowohl für Maschinenhersteller als auch für Fertigungsdienstleister. „Maschinenhersteller, die ihre Komponenten und Ersatzteile über die Plattform beschaffen, ersparen sich eine langwierige Lieferantensuche und Preisverhandlungen. Job-Shops bekommen einen weiteren Akquisekanal, über den sie Fertigungsaufträge generieren und damit ihre Kapazitäten besser auslasten können. Sie haben keine weiteren Kosten für den Vertrieb und die Angebotserstellung, die bis zu 20 % des Aufwands für die Fertigung eines Bauteils ausmachen kann. Das dürfte sich im Endpreis gegenüber Wettbewerbern schon bemerkbar machen, verringert aber auch den internen Aufwand für die Kalkulation.“
Preisberechnung – schnell und transparent
Die Kalkulationssoftware ermögliche außerdem die schnelle Beantwortung von Kundenanfragen. Die Preisberechnung sei transparent und reproduzierbar, was bei der händischen Erarbeitung von Angeboten nur selten gelinge.
Und noch einen weiteren Punkt führt Schäfer an: „Die Spanflug-Plattform vernetzt aktuell ausschließlich Anbieter aus dem deutschsprachigen Raum. Damit entfallen die Risiken durch internationale Unwägbarkeiten wie beispielsweise Handelsbeschränkungen, Zölle etc. Sowohl Anbieter als auch Kunden sind flexibler, insbesondere in turbulenten Märkten, weil sie unabhängiger von Rahmenbedingungen sind, die sie ohnehin kaum beeinflussen können.“
Bei allen Chancen birgt die neue Fertigungswelt auch Risiken. Eines davon sei Preis-Dumping, warnt Christoph Rößner, Geschäftsführer und Co-Gründer des Stuttgarter Start-ups Laserhub. „Die Entwicklung des industriellen Zuliefermarkts, auf dem unzählige kleine und große Unternehmen Metallteile für andere Firmen herstellen, hat einen gefährlichen Abwärtskurs eingeschlagen”, warnt er. Beispielsweise sei der Markt für Drehteile aus dem Ruder gelaufen. „Zu viele Hersteller sind derzeit mit verzweifelten Kampfpreisen auf dem Markt, da ihnen in der Krise viel Geschäft weggebrochen ist.”
Die Gefahr, dass Online-Plattformen mit ihren transparenten Angeboten auf einen Klick zu einem Preis-Dumping im Fertigungsbereich führen könnten, sieht VDW-Geschäftsführer Schäfer eher nicht. „Jeder Anbieter muss mit seinem Gesamtangebot überzeugen. Da ist der Preis nur eine Komponente von mehreren wie Qualität, Zuverlässigkeit, Liefertreue, Service, Ansprechbarkeit etc.“
Ins selbe Horn stößt Westermeier: „In der Fertigungsbranche gibt es schon länger einen intensiven Wettbewerb. Nach langjähriger Tätigkeit im Bereich der CNC-Fertigung sehe ich hier keine Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit, welche besonders auffällig wären.“
Doch noch eine andere Sorge treibt viele um: Droht eine Monopolisierung des Marktes? Unwillkürlich denkt man da an die Entwicklung des E-Commerce im Consumerbereich. Immerhin sind auch internationale Player wie das US-Unternehmen Xometry aktiv, um mit reichlich Venture Capital im Rücken auch den europäischen Markt zu erobern. Mit der Übernahme des Münchner Start-ups Shift Ende 2019 hat sich Xometry ein Standbein in Deutschland geschaffen. Laut Xometry Europe sind bereits über 2000 kleine, mittlere und große Fertigungssbetriebe in mehreren Ländern an die digitale Produktionsplattform angeschlossen und die monatliche Kundenzahl hat sich binnen eines Jahres verzehnfacht.
„Amazonisierung“ nicht in Sicht
Die Befürchtung, dass es im Bereich der Online-Fertigungsplattformen zu einer „Amazonisierung“ kommen könnte, teilt VDW-Mann Schäfer nicht. „Im B2B-Bereich zählt nicht nur die IT-Kompetenz, sondern auch die Fachkompetenz – in diesem Fall die Fertigungskompetenz in der Zerspanung.“ Auch in Deutschland sei ausreichend Kompetenz im E-Commerce vorhanden, wie nicht nur im Konsumerbereich zu beobachten sei.
„Ich sehe aber durchaus Vorteile im Bereich des fertigungstechnischen Know-hows“, so Schäfer. „Spanflug ist hierfür ein Beispiel und hat beide Facetten optimal verknüpft.“ Generell sei wichtig, dass für solche Ansätze Kapital verfügbar ist. Aber dieses sei auch in Deutschland vorhanden.
Auch Westermeier zeigt sich entspannt: „Ich glaube nicht, dass sich mittelfristig im B2B-Bereich, insbesondere im Bereich der CNC-Fertigung, das ‚The winner takes it all‘-Prinzip durchsetzen wird, wie man es aus dem B2C-Bereich kennt. Ich bin mir sicher, dass es gerade im Bereich der Fertigung keinen Grund zur Sorge vor Wettbewerbern aus dem Ausland gibt. In den letzten Jahren hat sich in Deutschland im industriellen Bereich eine sehr dynamische Start-up-Szene entwickelt. Gelingt es uns, die traditionelle Industriekompetenz mit innovativen Lösungen und Spitzentechnologie zu vernetzen, gibt es großes Potenzial für deutsche Unternehmen.“
Für Westermeier stehen Online-Plattformen in der Fertigung jedenfalls erst am Anfang eines enormen Wachstums „In fünf bis zehn Jahren wird es für uns normal sein, CNC-Teile online zu kaufen. Mindestens
80 % des Marktes werden dann online abgewickelt.“