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KI und Machine Learning optimieren die Produktion

Die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle ist für viele Mittelständler noch eine harte Nuss
KI und Machine Learning optimieren die Produktion

Mehr und mehr Unternehmen nutzen detaillierte Prozessdaten aus der digitalisierten Produktion oder auch Künstliche Intelligenz (KI), um ihre Fertigung zu verbessern. Die gesammelten Informationen können auch die Basis für neue, datenbasierte Geschäftsmodelle bieten. Doch viele mittelständische Hersteller tun sich schwer, die Komplexität solcher Ansätze zu beherrschen, den Mehrwert für den Kunden zu definieren und geeignete Preismodelle zu finden. 

Autor: Dr. Frank-Michael Kieß

Inhaltsverzeichnis
1. „Pay-per-Stress“ – innovatives Bezahlmodell im Maschinenbau
2. Digitaler Zwilling optimiert Zerspanprozesse
3. Maschinen programmieren schneller als der Mensch
4. Vorausschauende Wartung für Drehmaschinen
5. Schlauer Sortier-Assistent

Es ist nun schon wieder zwölf Jahre her, als ein neues Buzzword um die Welt ging: Industrie 4.0 hieß es. Und – eher unüblich für die Digitalwirtschaft: Es wurde in Deutschland geboren. Seitdem hat sich viel getan, auch in der Werkzeugmaschinenindustrie. „Wir haben heute eine Fülle von Sensoren im Feld und gut vernetzte cyberphysische Systeme, die uns leicht beschaffbare Daten liefern“, sagte Prof. Dr.-Ing. Joachim Metternich, Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt, in der Mai-Ausgabe des monatlichen Live-Webinars „Let’s Talk Science“ zur EMO Hannover.

Doch was ist aus der ökonomischen Verheißung geworden: Big Data als Basis ganz neuer Geschäftsmodelle in der Fertigung, wie es andere Wirtschaftsbereiche vorgemacht haben? Tatsächlich sind datengetriebene Geschäftsmodelle in der Industrie bislang noch eher die Ausnahme. Es sind meist große Konzerne, die sich an die neuen Geschäftsformen heranwagen – etwa über nutzungsbasierte Preismodelle (Pay per Use). Rolls Royce verkauft beispielsweise nicht mehr nur Turbinen, sondern vermietet sie auch. Der Kunde zahlt lediglich die Laufzeit.

Viele kleine und mittelständische Hersteller tun sich mit solchen Modellen aber nach wie vor schwer – und das nicht ohne Grund. „Hände weg von datenbasierten Geschäftsmodellen“, warnt Metternich, „sie machen keinen Sinn.“ Seine natürlich provokant gemeinte These gründet auf Forschungsergebnissen wie etwa von Cap Gemini. Danach waren nur 27 % der betrachteten Projekte wirklich erfolgreich. Aber warum ist das so? „Meist ist es einfach schwierig, den Mehrwert für den Kunden zu definieren“, so Metternich. Entsprechend schwer sei es, ein Preismodell zu finden, das der Kunde auch mitgeht. Außerdem seien datenbasierte Geschäftsmodelle oft zu kompliziert. „Man muss mit Anbietern von Plattform-Services, von KI-Tools etc. zusammenarbeiten. Und auch eigene Kompetenzen aufbauen. Das ist sehr teuer – für mittelständische Unternehmen manchmal zu teuer.“

„Pay-per-Stress“ – innovatives Bezahlmodell im Maschinenbau

Dabei ist der Bedarf nach neuen Bezahlmodellen durchaus vorhanden. Die Akquisition komplexer Werkzeugmaschinen stellt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor große Herausforderungen. Bisherige Leasingmodelle leiden oft unter der fehlenden Transparenz und der damit einhergehenden Informationsasymmetrie zwischen den beteiligten Parteien sowie den entgegengesetzten Interessen. Bei klassischen Leasingmodellen weiß der Leasinggeber nichts über den tatsächlichen Gebrauch der Werkzeugmaschine, weshalb ein Risikozuschlag kalkuliert wird. In modernen Pay-per-Use-Ansätzen wird diese Problematik noch weiter verstärkt, da Leasingnehmer motiviert werden, die Leistung der Werkzeugmaschine zu maximieren.

Das PTW-Forschungsprojekt „Pay-per-Stress“ setzt genau an dieser Stelle an und versucht, die Interessen der beteiligten Parteien anzugleichen. Die Idee des Modells ist, dass sich die Höhe der Leasingrate zum Teil an den auftretenden Belastungen während der Fertigungsprozesse bemisst. Dadurch entstehen Anreize für den Leasingnehmer, die Belastungen der Werkzeugmaschine in einem angemessenen Rahmen zu halten und Überlastsituationen zu vermeiden. Wird die Maschine schonend genutzt, so macht sich dies durch eine reduzierte Leasingrate bemerkbar. Umgekehrt werden höhere Belastungen der Maschine durch eine höhere Leasingrate kompensiert. Durch die Kopplung auftretender Belastungen mit den berechneten Leasingraten kommt es zu einem Angleich der Interessen zwischen Leasinggeber und -nehmer.

Um den Zusammenhang zwischen Belastungen der Werkzeugmaschine und auftretendem Verschleiß zu erkennen, können in der Maschinensteuerung vorhandene Informationen genutzt und ggf. externe Sensoren nachgerüstet werden. Sie geben Aufschluss über entstehende Kräfte und Momente an den relevanten Komponenten der Werkzeugmaschine. Über Lebensdauerversuche kann ein Zusammenhang zwischen Belastungen der Komponenten und dem Verschleiß bzw. Abnutzungsvorrat gebildet werden.

Zusammenfassend könnte ein Modell à la Pay-per-Stress das Potenzial eröffnen, die Beschaffung kostenintensiver Werkzeugmaschinen insbesondere für KMU einfacher und fairer zu gestalten. Zudem ließe sich das Grundkonzept auch auf andere Branchen erweitern. „Das Ganze steht und fällt mit dem Datenaustausch zwischen Hersteller und Anwender der Maschine über ihre Lebenszeit“, stellt Metternich klar. Aber durch den Datenaustausch ergäben sich zusätzliche Möglichkeiten wie Maintenance Services, die sich wiederum vom Hersteller monetarisieren ließen.

Echtzeitdaten, kombiniert mit Technologie-Know-how und fortschrittlicher Analytik, bilden auch die Grundlage für einen weiteren Hoffnungsträger: den Digitalen Zwilling – das Eins-zu-Eins-Abbild von Maschinen, Komponenten, Prozessen, etc. Spätestens seit der Präsentation der neuen Steuerungsgeneration von Siemens vor vier Jahren ist er in aller Munde. Diverse Neuvorstellungen, die für die EMO 2023 angekündigt sind, zeigen, dass die Sinumerik One jetzt in den Werkzeugmaschinen ankommt. Der Digital Twin ermöglicht es Herstellern, wertvolle Einblicke in die Bearbeitungsvorgänge zu gewinnen, ihre Effizienz zu optimieren, Ausschuss zu reduzieren und die Gesamtproduktivität zu steigern.

Digitaler Zwilling optimiert Zerspanprozesse

Mit seiner Digital Twin Platform ist das deutsche Start-up Gemineers angetreten, die Art und Weise, wie Zerspanungsprozesse optimiert und verwaltet werden, zu revolutionieren. Die Plattform habe sich bereits bei internationalen Zerspanungsunternehmen durchgesetzt, die erhebliche Verbesserungen bei der Prozesseffizienz und Kosteneinsparungen verzeichnet hätten, so die Entwickler. Heute werde sie von einer Reihe innovativer Kunden in Branchen wie dem Werkzeug- und Formenbau, der Luft- und Raumfahrt und der Halbleiterfertigung eingesetzt. Immerhin haben die Aachener jüngst eine Seed-Finanzierung in Millionenhöhe eingeworben. Die Mittel wollen sie unter anderem nutzen, um Top-Talente in den Bereichen Data Science und Fertigungstechnik zu rekrutieren. Einmal mehr wird hier deutlich, dass eine enge Verzahnung beider Disziplinen unabdingbar ist, will man die Versprechen der digitalisierten Produktionswirtschaft einlösen.

Maschinen programmieren schneller als der Mensch

Derweil steht auch schon der nächste Hype vor der Tür: Künstliche Intelligenz (KI) soll bald auch die Fertigung auf ein neues Level heben. Können sich Produktionsmaschinen aus eigener Kraft optimieren? Können sie aus ihren Fehlern lernen? Und können sie sich sogar Know-how von anderen Maschinen aneignen? Mit KI ist all das möglich. Wenn lernende Produktionsmaschinen clever arbeiten, dann führt das zu höherer Produktivität, geringeren Kosten, verbesserter Qualität und geringeren Ausfallzeiten. Und maschinelle Algorithmen könnten auch fehlendes Prozesswissen ersetzten – in Zeiten des Fachkräftemangels eine Hoffnung vieler. So nutzt etwa das britische Unternehmen CloudNC KI-Technologie, um in Sekundenschnelle professionelle Bearbeitungsstrategien für 3-Achs-Teile zu erzeugen, für deren manuelle Erstellung CNC-Maschinenprogrammierer Stunden oder sogar Tage benötigen würden.

Damit stellt sich aber zugleich auch die Gretchenfrage: Wie schnell werden maschinelle Algorithmen dazulernen? Und werden sie den Wert erworbenen Prozesswissens – Schlüssel für den Erfolg vieler Industrieunternehmen, gerade in Deutschland – marginalisieren? Ganz klar ist das eine Herausforderung für die Branche. „Wir haben lange an der Optimierung unserer Prozesse in der Produktionstechnik gearbeitet und hier einen Wettbewerbsvorteil erzielt, den wir nun auch in der digitalen Transformation der industriellen Produktion erreichen sollten“, bringt es Markus Spiekermann, Abteilungsleiter Datenwirtschaft beim Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, auf den Punkt. Um den neuen Anforderungen zu begegnen, spiele KI aber eine maßgebliche Rolle, denn: „Nur durch die Nutzung von KI-Methoden kann ein hoher Grad an Automatisierung erreicht werden.“

Vorausschauende Wartung für Drehmaschinen

In der Industrie ist der Trend zur KI angekommen. Der Werkzeugmaschinenbauer J.G. Weisser Söhne GmbH & Co. KG beispielsweise setzt auf KI-Modelle, die vorausschauende Wartung von Drehmaschinen ermöglichen. „Bei der vorausschauenden Wartung wird mithilfe von KI prognostiziert, wann ein Wartungsbedarf an einer Maschine entstehen wird, bevor es zu einem Ausfall kommt“, erklärt Dr.-Ing. Robin Hirt, Geschäftsführer und Gründer des Karlsruher Start-ups Prenode GmbH. Das Softwareunternehmen unterstützt Maschinenbauer dabei, Anlagen mit kundenspezifischen KI-basierten Features auszustatten.

Moderne Produktionsmaschinen können sich mithilfe Künstlicher Intelligenz selbst optimieren, sagt Hirt. „Sie nutzen dazu in der Regel so genannte Machine-Learning-Methoden, die es ihnen ermöglichen, Muster und Zusammenhänge in den Produktionsdaten zu erkennen und daraus automatisch Verbesserungen abzuleiten.“ Auch das Lernen aus Fehlern und die Übernahme des Know-hows von anderen Maschinen sei so in vielen Fällen möglich.

Da die Daten einer einzelnen Drehmaschine häufig nicht ausreichen, um ein präzises KI-Modell zu trainieren, kommt die Technik des Federated Learning zum Einsatz. Federated Learning ermöglicht es, mit dezentral gespeicherten Daten ein gemeinsames KI-Modell zu trainieren, ohne die Daten direkt auszutauschen. Die KI-Modelle schätzen aufgrund aktueller Drehmaschinendaten den gegenwärtigen Zustand der Anlage ab und geben diesen an das Bedienpersonal weiter. Eingesetzt werden dabei neuronale Netze aus dem Bereich des Deep Learning.

Schlauer Sortier-Assistent

Mit Künstlicher Intelligenz funktioniert auch der Sorting Guide, ein System des Laserspezialisten Trumpf aus dem baden-württembergischen Ditzingen, das beim Sortieren produzierter Teile hilft und so die Maschinenauslastung steigern kann. Der Sorting Guide ist ein kamerabasiertes Assistenzsystem und setzt auf Dezentrales Machine Learning. Hauptbestandteile des KI-Systems sind eine hochauflösende Kamera, ein großer Bildschirm, ein Industrie-PC und eine intelligente Software zur Bildverarbeitung.

„Beim Dezentralen Machine Learning werden mehrere Maschinen miteinander vernetzt und bilden gemeinsam ein KI-System“, erklärt Prenode-Geschäftsführer Hirt das Prinzip. Dabei sammeln die Maschinen kontinuierlich lokal Daten über ihre Arbeitsvorgänge. Dann wird für jede Maschine ein KI-Modell entwickelt, das anschließend zentralisiert wird. „In einer zentralen Cloud werden diese Modelle dann fusioniert und wieder in die einzelnen Anlagen zurück übertragen“, so Hirt weiter. Das KI-System könne dann lokal auf alle Erfahrungen der anderen Maschinen zurückgreifen, ohne dass jemals sensible Rohdaten ausgetauscht werden müssten. „Auf diese Weise können die Maschinen ihre Arbeitsvorgänge effizienter gestalten und eine höhere Produktivität erreichen.“


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