mav: Im Kontext Digitalisierung taucht der Begriff Plattform in allen möglichen Bereichen auf. Wodurch definiert sich aus Ihrer Sicht eine Online-Fertigungsplattform?
Westermeier: Wir verstehen unter einer Online-Fertigungsplattform eine digitale Plattform, auf der Lieferanten mit freien Fertigungskapazitäten und Kunden mit Bedarf an Fertigungsteilen miteinander vernetzt werden.
Was unterscheidet nun Plattformen wie Spanflug von schon länger bekannten B2B-Einkaufsplattformen?
Westermeier: Der entscheidende Unterschied zu traditionellen Vermittlerplattformen ist, dass bei Spanflug die Transaktion, also der gesamte Bestellvorgang für Fertigungsteile, direkt auf der Plattform abgewickelt wird. Grundlage hierfür ist unser Algorithmus, der Sofortpreise ermitteln kann, sowie ein digitaler Bestell- und Vergabeprozess.
Wo wurde die Technologie zu Spanflug entwickelt und welche Idee steckte hinter der Ausgründung?
Westermeier: Während meiner Tätigkeit im Vertrieb eines Fertigungsdienstleisters für Dreh- und Frästeile habe ich den für Lieferanten sehr ineffizienten Angebotsprozess erlebt. Auch das Problem der Kunden, angesichts immer kürzer werdender Produktzyklen Fertigungsaufträge schnell und effizient vergeben zu wollen, ist mir in vielen Gesprächen sehr deutlich geworden. Mit dem Hintergrundwissen aus der Promotion am Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der TU München entstand nach kurzer Zeit die Idee, den Angebots- und Bestellprozess vollständig zu automatisieren. Zusammen mit meinen Mitgründern Dr. Johannes Schmalz und Dr. Adrian Lewis konnten wir bereits ein Jahr später den Prototypen eines Algorithmus zur Angebotspreisberechnung für Dreh- und Frästeile umsetzen.
In der Spanflug-Software scheint viel CNC-Fertigungs-Knowhow zu stecken. Wo kommt das her?
Westermeier: Ich habe 2016 am Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der TU München promoviert und leitete dort die Abteilung Spanende Werkzeugmaschinen. Darüber hinaus konnte ich als Geschäftsführer eines Lohnfertigungsunternehmens für spanende Fertigung umfassendes Produktions-Know-how sowie ein breites Netzwerk in der Produktionstechnik aufbauen. Auch einige weitere Teammitglieder bei Spanflug wie z. B. unser Vertriebsleiter Conrad Fischbach und Produktmanager Lucas Giering bringen umfassendes Wissen im Bereich der Zerspanung mit und haben maßgeblich an der Gestaltung des Produktes mitgewirkt. Auch der Austausch mit Kunden und Fertigungspartnern hat einen ganz entscheidenden Beitrag zur Entwicklung unserer Technologie geleistet.
Wie hat sich das Unternehmen seitdem entwickelt??
Westermeier: Spanflug hat aktuell zwölf Mitarbeiter. In den nächsten Monaten werden wir unser Team weiter verstärken. Aktuell haben wir ca. 70 Fertigungspartner im Netzwerk. Etwa 1000 Kunden nutzen unsere Plattform zur Beschaffung von Dreh- und Frästeilen. Auf der Plattform wurden inzwischen Preise für über 100 000 Bauteile berechnet.
Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus?
Westermeier: Bei der Beschaffung von Teilen über den Spanflug-Online-Shop sind wir Vertragspartner für den Kunden im Falle einer Bestellung. Wir vergeben die Aufträge an unser Fertigungsnetzwerk und finanzieren uns durch eine Marge als Teil des Verkaufspreises. Weder für Kunden noch für Lieferanten fallen zusätzliche Gebühren für die Nutzung der Plattform an. Darüber hinaus bieten wir die Kalkulationssoftware Spanflug für Fertiger als Software-as-a-Service-Lösung im monatlichen oder jährlichen Abonnement an.
Worin liegen die entscheidenden Vorteile Ihrer Online-Preiskalkulation für den Kunden?
Westermeier: Mit Spanflug können unsere Kunden den gesamten Bestellprozess von mehreren Tagen auf wenige Minuten verkürzen. Sie haben den Vorgang sofort vom Tisch und senken ihre Beschaffungsnebenkosten um bis zu 90 %.
Unsere Kunden erhalten schnell und unkompliziert Zugang zu passenden Fertigungskapazitäten und pflegen nur einen zentralen Lieferanten für so gut wie jede Anforderung im Bereich Drehen und Fräsen. Damit können wir sie im Bereich des Lieferantenmanagements entscheidend entlasten.
Durch die Sofortpreis-Funktion und die daraus resultierende Kostentransparenz ermöglichen wir eine agilere Zusammenarbeit zwischen Einkauf, Konstruktion und Zulieferer. Konstrukteure können beispielsweise schon während der Konstruktionsphase die Bauteile hinsichtlich der Kosten optimieren. Prototypen-Teile werden schneller geliefert und Kapazitäten für die Serienfertigung können kurzfristig bereitgestellt werden.
Und wo liegen die Vorteile für den Fertigungsdienstleister, der die Kalkulationslösung Spanflug für Fertiger nutzt?
Westermeier: Fertigungsdienstleister können den Aufwand für die Kalkulation um bis zu 90 % reduzieren, ihre Mitarbeiter von administrativen Aufgaben entlasten und sich voll auf die Fertigung konzentrieren. Sie können Kundenanfragen schneller beantworten und mehr profitable Aufträge gewinnen. Die Preisberechnung ist transparent und reproduzierbar. Darüber hinaus können Anwender unserer Software ihre Kostenstruktur analysieren, optimieren und so langfristig wettbewerbsfähiger werden.
Je komplexer und spezifischer die Teile, desto mehr spielen Prozess-Knowhow und individuelle Maschinen-/Werkzeugauslegung eine Rolle. Wie weit wird man das durch Software abdecken können, bzw. wo sehen Sie die Grenzen?
Westermeier: Je komplexer die Fertigungsaufgabe, desto schwieriger ist die automatisierte Preisberechnung. Aktuell können wir mit unserem Algorithmus ca. 90 % der Bauteile, welche wir im Markt sehen, abdecken.
Was könnten KI/Machine Learning in dem Zusammenhang leisten?
Westermeier: Lösungsansätze aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz helfen uns, in bestimmten Fällen die Komplexität in den Griff zu bekommen. Diese Ansätze werden in Zukunft sicherlich weiter an Bedeutung gewinnen.
Wird es für Fertigungsdienstleister ein notwendiger Schritt sein, an Online-Plattformen anzudocken, damit sie nicht Gefahr laufen, irgendwann für die Kunden nicht mehr sichtbar zu sein?
Westermeier: Ich denke, dass Online-Plattformen in der Fertigung erst am Anfang eines enormen Wachstums stehen. In fünf bis zehn Jahren wird es für uns normal sein, CNC-Teile online zu kaufen. Mindestens 80 % des Marktes werden dann online abgewickelt. Ich glaube nicht, dass sich mittelfristig im B2B-Bereich, insbesondere im Bereich der CNC-Fertigung, das „The winner takes it all“-Prinzip durchsetzen wird, wie man es aus dem B2C-Bereich kennt. Im Bereich der Serienfertigung werden auch weiterhin direkte Kunden-Lieferanten-Beziehungen eine große Rolle spielen, da hier neben Qualität, Preis und Lieferzeit auch die direkte Kommunikation wesentliches Kriterium für die Auswahl eines Lieferanten sind.
Wie ist die Software programmiert? Lässt sie sich einfach anpassen, oder braucht man dazu einen Informatiker?
Westermeier: Spanflug für Fertiger bietet vielfältige Möglichkeiten, die Kalkulation auf den individuellen Betrieb anzupassen. Sie können beispielsweise Materialpreise, Maschinenpark, Rüstkosten oder Halbzeugabmessungen anpassen. Hierfür sind keine Programmierkenntnisse notwendig, jedoch .ist entsprechendes Wissen über den eigenen Fertigungsprozess erforderlich. Bei Bedarf bieten wir hierzu Schulungen und Konfigurationsunterstützung durch unsere Experten an, entweder remote oder beim Kunden vor Ort.
Spanflug läuft rein cloudbasiert. Warum gibt es keine On-Premise-Option?
Westermeier: Spanflug für Fertiger gibt es ausschließlich als Cloudversion. Wir haben uns bewusst gegen eine On-Premise-Lösung entschieden. Wir möchten unseren Kunden einen leichten Einstieg in die digitale Kalkulation bieten, der sich auch ohne große IT-Abteilung und ohne hohe Anfangsinvestition in teure Hardware oder Softwarelizenzen umsetzen lässt. Wir erweitern unsere Software kontinuierlich z. B. um neue Werkstoffe, Fertigungsverfahren und Konfigurationsmöglichkeiten. Die Cloudlösung ermöglicht es uns, diese neuen Features unseren Kunden unmittelbar zur Verfügung zu stellen.
Wie sieht Ihr Sicherheitskonzept aus. Kunden laden für Anfragen ja auch sensible Daten hoch?
Westermeier: Wir unterscheiden zwischen personenbezogenen Daten und den technischen Bauteildaten. Im Bereich der personenbezogenen Daten greift ja die DSGVO, deren Einhaltung wir natürlich sicherstellen. Im Bereich der technischen Daten legen wir einen sehr hohen Standard an. Die Daten werden ausschließlich auf von uns verwalteten, nach ISO 27001 zertifizierten Servern in Deutschland gespeichert und verarbeitet. Die Verbindung mit unseren Servern ist per TLS verschlüsselt. Wir setzen auf Industry-Standard-Best-Practices in der Software-Entwicklung und -Operation zum Vermeiden von bekannten Schwachstellen, z. B. CSRF, XSS, Injection Attacks usw. Zugriff auf die Server und Datenbank erhalten nur qualifizierte Mitarbeiter. Bei Spanflug für Fertiger sehen wir Daten erst nach einer Kundenfreigabe ein, z. B. für Supportanfragen.
Gemeinsam mit unseren Hostingpartnern können wir einen sehr hohen Datenschutz-Standard gewährleisten, der deutlich über dem liegt, was viele Fertigungsbetriebe mit eigenen Servern leisten können. Deshalb sind wir überzeugt, dass sich auch im Bereich der technischen Daten mittelfristig cloudbasierte Lösungen durchsetzen werden.
Der Werkzeugmaschinen-Branchenverband VDW ist kürzlich mit einer Minderheitsbeteiligung bei Ihnen eingestiegen. Was hat aus Ihrer Sicht den Ausschlag für die Entscheidung gegeben und was erhoffen Sie sich davon?
Westermeier: Schon in den ersten Gesprächen mit dem VDW hat sich gezeigt, dass beide Partner großes Potenzial in einer langfristigen, strategischen Zusammenarbeit sehen. Es wurde schnell klar, dass wir diese in Form einer Beteiligung umsetzen möchten. Anders als der typische Venture Capital Fond verfolgt der VDW nicht nur kurzfristige Renditeziele, sondern hat genau wie wir ein langfristiges, strategisches Interesse, die Digitalisierung der Fertigungsindustrie voranzutreiben. Schon seit Beginn der Gespräche profitieren wir vom Netzwerk des VDW. Ab sofort möchten wir die Entwicklung unserer Technologie im engen Austausch mit der Werkzeugmaschinenindustrie noch schneller voranbringen.
Wie sehen Sie sich gegenüber internationalen Playern à la Xometry oder 3D Hubs/Protolabs positioniert? Im B2C-E-Commerce haben sich ja die US-Firmen voll durchgesetzt. Kann das im Industriebereich auch so kommen?
Westermeier: Ich bin mir sicher, dass es gerade im Bereich der Fertigung keinen Grund zur Sorge vor Wettbewerbern aus dem Ausland gibt. In den letzten Jahren hat sich in Deutschland im industriellen Bereich eine sehr dynamische Start-up-Szene entwickelt. Gelingt es uns, die traditionelle Industriekompetenz mit innovativen Lösungen und Spitzentechnologie zu vernetzen, gibt es großes Potenzial für deutsche Unternehmen. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unserem Partner VDW führende Lösungen entwickeln können und so langfristig den Zugang zu Schlüsseltechnologien und eine Spitzenposition im internationalen Wettbewerb sichern können.
Durch unsere klare Fokussierung auf die CNC-Bearbeitung konnten wir in diesem Bereich eine Lösung entwickeln, deren technische Möglichkeiten deutlich über das Angebot von Xometry und 3DHubs/Protolabs hinausgeht, z. B. hinsichtlich der verfügbaren Toleranzklassen, Nachbehandlungen und der Preisgenauigkeit. Das Angebot vieler breit aufgestellter Plattformen orientiert sich eher an Prototypen. Wir möchten mit unserer Plattform die ganze Tiefe des Marktes für Drehen und Fräsen abdecken, also auch Bauteile für anspruchsvolle industrielle Anwendungen und die Serienfertigung.
Durch unsere beiden komplementären Produkte, Beschaffungsplattform und Software-as-a-Service-Lösung, die beide auf der gleichen Technologie aufsetzen, sind wir im internationalen Wettbewerb einzigartig aufgestellt.
Ihr Marktbegleiter Laserhub hat kürzlich vor einem ruinösen Preiskampf gewarnt, wenn in der Fertigungsbranche zu sehr nur noch auf den Einkaufspreis geschaut würde. Sehen Sie diese Gefahr durch Online-Plattformen auch?
Westermeier: In der Fertigungsbranche gibt es schon länger einen intensiven Wettbewerb. Nach langjähriger Tätigkeit im Bereich der CNC-Fertigung sehe ich hier keine Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit, welche besonders auffällig wären.
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