Inhaltsverzeichnis
1. CAD-Software als Schlüssel für die Online-Fertigung
2. Pluspunkte: Preistransparenz und Lieferantenunabhängigkeit
3. Marktkonsolidierung der Plattformen ist schon im Gang
4. US-Unternehmen will in Europa mitmischen
„Aufgrund der aktuellen Krise steht die Existenz zahlreicher CNC-Betriebe auf dem Spiel.“ Einer von vielen derartigen Weckrufen, die uns aktuell erreichen – in diesem Fall kommt er von den Betreibern der Online-Fertigungsplattform Orderfox. Der Ausbruch von Covid-19 habe deutlich gemacht, wie verwundbar die komplexen, globalen Fertigungs-Lieferketten sind, so die Liechtensteiner. Unterstützung bekommen sie aus der Wissenschaft. „Corona hat uns gezeigt, dass unsere Lieferketten instabil sind und dass die Wege, die wir in der Vergangenheit beschritten haben, gefährlich sind“, bestätigt Wilfried Sihn, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen und Systemplanung am Institut für Managementwissenschaften der Technischen Universität Wien. „Im Zuge der Globalisierung haben sich viele Unternehmen vor allem auf niedrige Preise konzentriert und häufig auf eine Single-Sourcing-Strategie gesetzt.“
Dass auch dieses Problem durchaus virulenten Charakter haben könnte, untermauern Zahlen des deutschen Maschinenbauerverbands VDMA: Laut Umfrage im April erwarteten drei Viertel aller Unternehmen für die nächsten drei Monate keine Entspannung der aktuell gestörten Lieferketten, 28 % rechneten sogar mit einer weiteren Verschlechterung.
Sind das alles nur die Auswirkungen eines nie dagewesenen globalen Schocks? Oder manifestieren sich hier tiefere strukturelle Probleme? Letzteres versuchen zumindest die Betreiber von Online-Fertigungsplattformen zu vermitteln, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Hinter Namen wie Orderfox, Facturee, Kreatize, Up2parts etc. stehen kreative Start-ups, aber auch Player wie das US-Unternehmen Xometry, das mit starker Unterstützung der Kapitalmärkte agiert, wollen in Europa mitmischen.
CAD-Software als Schlüssel für die Online-Fertigung
Den etwas seltsam anmutenden Begriff „Online-Fertigung“ könnte man vielleicht besser mit „Einkauf 4.0“ beschreiben – also die Beschaffung von CNC-Fräs- und Drehteilen oder 3D-Druckteilen über digitale E-Commerce-Plattformen. Der Schlüssel ist die Software, die eingehende CAD-Daten analysiert, die passende Fertigungsstrategie findet und in Echtzeit Angebote ausspuckt – mit Preis, Lieferzeit, Qualitätskriterien etc.
Ein hoher Anspruch – doch die Online-Fertiger sind überzeugt, das einlösen zu können. Digitalisierte Prozesse wie das automatisierte Auslesen und Klassifizieren der CAD-Daten sowie der Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen zur Preiskalkulation und Auswahl des bestmöglichen Zulieferers ermöglichten Effizienz und Schnelligkeit, verspricht etwa Facturee. Der Online-Fertiger operiert als Marke der Berliner cwmk GmbH und verfügt über ein umfangreiches Produktionsnetzwerk von über 250 Fertigungspartnern aus den Bereichen CNC-Bearbeitung und Oberflächentechnik. Mehr als 1500 CNC-Maschinen stehen konstant für Projekte bereit.
„Durch diese zeitgemäße Art, Fertigungsteile zu beschaffen, verändert sich das Aufgabenfeld des Einkäufers“, erklärt Benjamin Schwab, Leitung Marketing & Sales der cwmk GmbH. „Projekte müssen nicht mehr nach Fertigungstechniken aufgesplittet und an verschiedene Fertiger vergeben werden. Somit sind Verträge mit unterschiedlichen Partnern, über die mehrteilige Fertigungsabläufe wie CNC-Bearbeitung mit anschließender Oberflächenbehandlung sonst aufwendig abgewickelt werden müssten, nicht mehr notwendig.“ Der Einkäufer werde in einem Großteil seiner bisherigen Aufgaben wie Zulieferersuche und -qualifizierung entlastet und von logistischem Aufwand befreit.
„Die oftmals mühsame Suche nach immer wieder neuen Fertigern, wechselnde Ansprechpartner bei Vertragsabschlüssen, nicht eingehaltene Lieferfristen usw. wollten wir klar vermeiden“, bestätigt Daniel Scharnowski, Prüfstandstechniker bei Parker Hannifin. Ende vergangenen Jahres hatte sich der Maschinenbauer entschieden, die Produktion spezieller Dreh- und Frästeile an Facturee outzusourcen – und zieht ein positives Resümee: „Trotz der komplexen Herstellung bei hoher Stückzahl und eng gesetzter Lieferfrist konnte Facturee bereits vor dem vereinbarten Liefertermin die Bauteile ausliefern“ so Scharnowski. „Weitere Vorteile ergaben sich in der zügigen Auftragsbearbeitung und der persönlichen Kundenbetreuung.“
Pluspunkte: Preistransparenz und Lieferantenunabhängigkeit
Liefertermintreue, Preistransparenz und Lieferantenunabhängigkeit – auf diese Pluspunkte setzt auch der Online-Fertiger Spanflug. Die Münchner wollen den schnellsten Weg bieten, Dreh- und Frästeile zu bestellen, und setzen dafür einen auf diese Fertigungsverfahren spezialisierten Algorithmus zur automatischen Preiskalkulation ein. „Über unsere Sofortpreisberechnung erhält der Kunde unmittelbar ein verbindliches Feedback, bis wann und zu welchem Preis er seine Teile erhält“, erläutert Geschäftsführer Dr. Markus Westermeier. „Innerhalb unseres Netzwerks stehen uns vielfältige Fertigungskapazitäten zur Verfügung, wodurch wir sehr schnell liefern und sicherstellen können, dass die Teile pünktlich beim Kunden ankommen. Die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten geht bei Spanflug gegen Null.“
Aber auch für die Lohnfertiger eröffnen die digitalen Vermittler neue Möglickeiten. Viele CNC-Hersteller seien kleine und mittlere Unternehmen, die sich auf traditionelle Beschaffungsstrategien verließen, argumentiert man bei Orderfox. Diese seien zeitaufwendig und bald veraltet. Vielfach hingen die betreffenden Hersteller in hohem Maße von ihrer Stammkundschaft ab, während sie nur ca. 30 % ihres Umsatzes mit neu gewonnenen Kunden erzielten. Die Kundenakquise gestalte sich oft schwierig und aufwendig. Insbesondere jetzt, wo zahlreiche Industriemessen abgesagt wurden, würden neue Akquisitions-Kanäle aber dringend benötigt.
„Es gibt viele kleine, hochprofessionelle Unternehmen, die man kaum finden kann, weil sie wenig in Marktpräsenz und Marketing investieren“ sagt Orderfox-CSO Oliver Lödl. „Diese mühsame Recherche wird bereits von Orderfox.com durchgeführt. Auf der Plattform sieht man auf einen Blick, welche Bauteile von welchen Firmen produziert werden können, in welchen Toleranzklassen sie das können, welche Maschinen sie einsetzen und wo sie produzieren.“
Marktkonsolidierung der Plattformen ist schon im Gang
Angesichts der dynamischen Entwicklung überrascht es wenig, dass der Markt der Online-Fertiger bereits begonnen hat sich zu sortieren. So hat der deutsch-japanische Werkzeugmaschinen-Multi DMG Mori auf der EMO Hannover im September 2019 für Aufsehen gesorgt, als er die Investition in Up2parts vermeldete. Die Online-Plattform des Oberpfälzer Lohnfertigers BAM bietet maßgeschneiderte CNC-, aber auch 3D-Druckteile an. Der Clou dabei ist einmal mehr die dahinter liegende Software, die Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI) nutzt. Auf Basis von Machine Learning und menschlichem Knowhow analysiert sie in Sekundenschnelle die Geometrie des hochgeladenen Bauteils.
Und darauf kam es DMG Mori an: Mit der strategischen Beteiligung will man sich wichtiges Knowhow im Bereich der Digitalisierung von Fertigungsprozessen erschließen. „Die KI-basierten Softwarelösungen von Up2parts schaffen die Basis für die digitalisierte Fertigung“, sagt Christian Thönes, Vorstandsvorsitzender der DMG Mori AG. „3D-Konstruktionsdaten können nun schnell erfasst und Fertigungszeiten in Kürze berechnet werden. Ein riesiger Vorteil für unsere überwiegend mittelständischen Kunden: Bisher ungeordnete Prozesse werden vereinheitlicht und professionalisiert.“ Eine Randnotiz des Deals ist, dass BAM seine eigene Online-Plattform inzwischen unter dem geänderten Namen Miparts btereibt.
Auch im „Ländle“ bündelt man die Kräfte: Im Februar hat die Tübinger Kreatize, nach eigenen Angaben führende deutsche Beschaffungsplattform für den Maschinenbau, den Wettbewerber Fabrikado aus Balingen übernommen. Beide Unternehmen sehen eine klassischen Win-win-Situation: „Mit unserer Technologie vernetzen wir den Mittelstand mit dem Ziel, Hidden Champions und Technologieführer noch wettbewerbsfähiger zu machen und so ein neues Kapitel ‚Made in Europe‘ zu prägen“ so Kreatize-Gründer Simon Tüchelmann. Fabrikado-Gründer Thomas Hoffmeister geht noch einen Schritt weiter: „Der Zusammenschluss ist der konsequente Schritt, um aus Deutschland heraus die global führende Beschaffungsplattform für den Maschinenbau zu bauen.“
US-Unternehmen will in Europa mitmischen
Doch die Konkurrenz aus Übersee schläft nicht: Im Dezember vergangenen Jahres hat das US-Unternehmen Xometry das deutsche Start-up Shift übernommen. Die Münchner haben eine Vermittler-Plattform für Metall- und Polymerprodukte entwickelt. Zu den Investoren gehören BMW i Ventures, Bosch und Cherry Ventures. Xometry wiederum ist ein US-basierter Marktplatz für auftragsbezogene, industrielle Produktfertigung. Das 2013 gegründete Unternehmen segelt mit ordentlich Rückenwind aus der Finanzbranche: Erst im Frühjahr 2019 hat Xometry rund 50 Millionen Dollar Risikokapital für die internationale Expansion eingesammelt. Mit der Übernahme von Shift wollen Amerikaner im europäischen Markt Fuß fassen und dabei ein weltweites Netzwerk von über 4000 Herstellern nutzen. Zu den Kunden zählen BMW, Bosch, Dell oder GE. „Wir sehen große Möglichkeiten für den Einsatz der Technologie von Xometry auf dem europäischen Markt“, erklärt Alexander Belskiy, Gründer von Shift und jetzt Head of Technology bei Xometry Europe.
Mancher heimische Innovator blickt mit Argwohn auf diese Entwicklungen. „Aus unserer Sicht geschieht diese Konsolidierung des Markts der industriellen Plattformen zu früh. Dadurch kann viel Dynamik und Innovationsdruck verloren gehen”, kritisiert etwa Adrian Raidt, Gründer der Stuttgarter Beschaffungsplattform für Laser- und Blechteile, Laserhub. „Wir schätzen den adressierbarer Markt in Europa auf jährlich rund
150 Milliarden Euro“, ergänzt Co-Gründer Christoph Rößner. Die momentanen Anbieter digitaler Plattformen in diesem Business setzten allerdings jeweils nur wenige Millionen um. Keine Plattform habe bisher bewiesen, dass ihr Konzept nachhaltig und skalierbar funktioniert.
Dabei stünden industrielle Beschaffungsplattformen vor einer spezifischen Herausforderung, so Raidt.: „B2B-Start-ups müssen die richtige Entscheidung zwischen einem breiten Leistungskatalog oder einer hohen Fertigungstiefe mit wenigen Verfahren treffen.“
Für Laserhub eine Gratwanderung: Der Drang, durch ein möglichst breites Portfolio möglichst viel Kundenbedarf abzudecken, sei zwar nachvollziehbar, aber gefährlich. Die Anzahl der sehr fachspezifischen Problemstellungen, die ein kleines Start-up-Team lösen muss, potenziere sich exponentiell. Darunter litten oft Nutzererfahrung und der Service. „Wir vergleichen die Gründung eines Start-ups im B2B mit einem Marathon”, schließt Rößner. „Im B2C ist es eher ein Sprint. Wer hier mit der falschen Einschätzung an den Start geht, dem geht schnell die Puste aus.“
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