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Innovative Entkeimungsanlage hält Kühlschmierstoff frisch

Elektrolytische Technik befreit von Bakterien, Pilzen und Biofilm
Innovative Entkeimungsanlage hält Kühlschmierstoff frisch

Bakterieller Befall des Kühlschmierstoffs (KSS) belastet nicht nur die Arbeitsgesundheit, sondern führt auch zur Zersetzung der Emulsion, die damit ihre Wirksamkeit für den Zerspanungsprozess verliert. Der Einsatz von Bioziden stellt keine nachhaltige Lösung dar – ganz anders ein neuartiges Wasseraufbereitungsgerät, das die Firma IRD aus Rhede entwickelt hat. Seit April 2009 testet der Werkzeughersteller Mapal die Anlage in der Weichzerspanung – mit durchschlagendem Erfolg: Die Kühlschmiermittel-Standzeit wurde auf Anhieb mehr als verdoppelt.

Im Bereich Sonderwerkzeuge fertigt Mapal auf rund 20 Mehrachs-Bearbeitungszentren Werkzeuggrundkörper. „Zu 95 Prozent wird Stahl zerspant“, berichtet Dieter Berberich, Leiter Betriebsmittelplanung und Fertigungstechnologie. Die Maschinen werden einzeln mit Kühlschmiermittel versorgt, dessen Management die Aalener komplett in die Hände des Ulmer Dienstleisters Bantleon gegeben haben. Dieser erledigt die Nachdosierungen, führt die vorgeschriebenen Messungen durch und kümmert sich um die Dokumentation.

„Wir haben in der Vergangenheit keine zufriedenstellende Lösung gefunden“, sagt Berberich. „Aber natürlich ist die Standzeit des Kühlschmiermittels von jeher ein Thema.“ Einen Schlüsselfaktor stellt hier der Befall mit Bakterien und Pilzen dar: Die Organismen nutzen die Öle und Schmierbestandteile als Nahrungsquelle für sich – und zersetzen dadurch die Emulsion. „Damit verliert der KSS seine eigentliche Wirkung für den Zerspanungsprozess“, so Berberich.
Ein vorrangiges Problem sieht der Mapal-Verantwortliche aber auch in der gesundheitlichen Belastung der Mitarbeiter. Durch Mikrorisse in der Haut, die beim Umgang mit den bearbeiteten Metallen entstehen, können Kühlschmierstoffe und samt der darin enthaltenen Bakterien eindringen und Erkrankungen auslösen.
Biozide bieten keine nachhaltige Lösung
Ohne Gegenbehandlung geht es deshalb nicht. „Klassisch versetzt man die Lösung mit Biozid – einem chemischen Zusatz, der verhindert, dass die Emulsion umkippt“, erläutert Berberich. Der Einsatz der chemischen Keule ist jedoch nicht nur kostspielig, sondern kann bei empfindlichen Mitarbeitern zu Hautirritationen führen. Vor allem aber bietet er keine nachhaltige Lösung. „Sie können die momentan aktiven Bakterien vernichten, aber vorhandene Verkeimungen nicht komplett entfernen“, so Berberich. Im Kühlmittelbehälter, in Rohrleitungen, hinter Abdeckungen, im Arbeitsraum der Maschine – überall dort, wo wenig Flüssigkeitsbewegung herrscht, siedeln sich Bakterienherde an, und bald bildet sich ein Biofilm, der die Bakterien vor Hitzeeinwirkung und chemischen Giften abschirmt.
Um auch diese Verunreinigungen zu entfernen, hilft nur eine chemische und mechanische Komplettreinigung der Maschine – und die ist aufwändig. „Ein Bearbeitungszentrum mit einem 400-Liter-Kühlmittelbehälter so zu säubern, dass man es anschließend frisch befüllen kann, kostet schon vier bis fünf Stunden Arbeit“, bestätigt Werner Sturm, der diesen Test im Hause Mapal im Zuge seiner Aufgaben als Leiter der Instandhaltung betreute und dokumentierte. „Aber selbst damit reinigt man nur die Maschinenteile, die man erreichen kann“, gibt Ralf Löbbe zu bedenken, dessen Industrie- und Handelsvertretung bei den Aquatransform-Tests mit Mapal zusammenarbeitet. Rohrleitungssysteme oder verdeckte Bereiche unter Abdeckungen ließen sich mit klassischen Methoden gar nicht reinigen.
„Der Biofilm sorgt im Kühlmittelkreislauf ständig für eine Rekontamination mit Bakterien“, konstatiert Uwe Schwarz. Er ist Geschäftsführer der Firma IRD, die aus dem Schmiermittel- und Schmierstoffspezialisten Innoself heraus gegründet wurde, um eine innovative Lösung für dieses Problem zu entwickeln: Hinter der Bezeichnung Aquatransform verbirgt sich eine kompakte, mobile Aufbereitungsanlage, die einfach in den Wasserzustrom geschaltet wird. Die Zumischung des behandelten Wassers zur Emulsion sorgt nicht nur für die Abtötung der freien Bakterien und Pilze, sondern löst auch komplett den vorhandenen Biofilm ab und unterbindet dessen Neubildung.
Die Funktionsweise beruht auf einem Elektrolyseverfahren. Eine spezielle Legierung der Elektrode führt zur Bildung eines Desinfektionsmittels, das vorrangig aus hochaktiven Sauerstoffverbindungen besteht. Die Oxidationskraft wird durch unspezifische chemische Folgereaktionen weitergegeben, wodurch die Desinfektionswirkung über Stunden anhalten kann. Desinfektionsmittel auf Basis aktiver Chlorverbindungen werden dabei nur in untergeordnetem Maß gebildet, wodurch die gesundheits- und umweltgefährdenden Effekte einer Chlorierung vermieden werden. „Entscheidend ist dabei, dass die Desinfizide sich schließlich selbst neutralisieren und es zu keiner Anreicherung kommt“, betont Schwarz.
Konkurrierende Verfahren bringen laut Schwarz diverse Nachteile mit: Die Desinfektion mittels UV-Lampen etwa stelle einen aufwändigen und langwierigen Prozess dar. „Die Flüssigkeit muss komplett abgepumpt, auf einen dünnen Film gebracht und über Walzen bestrahlt werden.“ Filtration für die notwendige Reinheit sei extrem teuer. Auch andere Alternativen wie Chlorierung, Ozonierung, Salzelektrolyse oder Zugabe von Wasserstoffperoxid hätten alle ihre jeweiligen Schwächen – sei es bei den Betriebskosten, bei der Wirkungsdauer oder beim Gefährdungspotenzial. Doch das alles entscheidende Plus der Aquatransform-Technik sei eben die Ablösung des Biofilms – das schaffe kein anderes Verfahren.
Bei Mapal wurde die Anlage seit April 2009 getestet – zunächst an drei Maschinen. „Zwei davon haben wir labortechnisch wöchentlich überwachen lassen, also die Bakterienzahl gemessen, pH- und Nitritwerte überprüft“, so Löbbe. „Die dritte Maschine haben wir nur optisch und haptisch überwacht.“ Nach zwei Monaten seien auf Wunsch des Kunden noch weitere Maschinen hinzugekommen, die ebenfalls mit dem aufbereiteten Wasser versorgt werden. „Mapal hat gesehen, die Technik funktioniert, und wollte gerne noch einen größeren Bereich damit versorgen.“ Der Einsatz ist simpel: Aquatransform ist ein mobiles Gerät, das in die Trinkwasserleitung zwischengebracht wird. Aus dem Gerät kommt aufbereitetes und trinkbares Wasser, das mit dem Kühlschmiermittel gemischt und in das Becken eingefüllt wird.
KSS-Standzeit deutlich verlängert
Der Effekt auf die KSS-Standzeit ist bei Mapal unmittelbar zu spüren. „Normalerweise wechseln wir in diesem Fertigungsbereich die Kühlschmieremulsion alle drei bis vier Monate“, berichtet Sturm, „und jetzt haben wir zwei Testmaschinen, die schon fast ein Jahr ohne Wechsel laufen.“ Tatsächlich ist an den betreffenden Maschinen vom charakteristischen Geruch und der typischen Verfärbung alternden Kühlschmiermittels kaum etwas zu bemerken. Das registrieren auch die Mitarbeiter. „Sie haben es schon rein optisch mit einer ganz anderen Emulsion zu tun“, berichtet Berberich. „Und – ganz entscheidend: Sie haben fast keine Geruchsbelästigung, die ja sonst immer den beginnenden Befall signalisiert. Das zeigt sich nach einem viertel oder halben Jahr ganz deutlich.“
Eine Standzeiterhöhung um den Faktor Zwei hält Berberich für realistisch – bei vorsichtiger Schätzung, denn auch deutlich längere Standzeiten seien denkbar. Der Einsatz von Bioziden ist an den Testmaschinen drastisch zurückgegangen. „Wenn wir überhaupt Biozide eingebracht haben, dann nicht, um die Bakterien abzutöten, sondern um den pH-Wert wieder auszugleichen“, erläutert Löbbe. Denn das Biozid enthält zusätzlich einen Stabilisator, der den pH-Wert nach der Beseitigung des Biofilms anhebt. Dieser Stoff ist zwar auch separat erhältlich, aber leider im Moment noch teurer als die gemixte Variante. IRD und Innoself arbeiten gegenwärtig daran, den reinen Stabilisator auch als Einzelprodukt zu einem vernünftigen Preis anbieten zu können. „Dann können die Nutzer unseres Geräts komplett auf ein Biozid verzichten.“
Der Wartungsaufwand für ein Aquatransform-System ist gering. „Es braucht Strom sowie einen Wasseranschluss, und in regelmäßigen Abständen muss die Elektrode entkalkt werden“, erläutert Löbbe. Die Anschaffungskosten für ein Gerät wie das in Aalen getestete liegen bei rund 25 000 Euro. Im Preis inbegriffen ist ein Servicepaket, das Einweisung, einmal Wartung und drei Laboruntersuchungen einschließt. Für Mapal hat Löbbe eine Anlage mit etwas höherem Volumendurchsatz vorgeschlagen, die auf etwa 35 000 Euro käme. „Diese Anlage würde sich nach 14 bis 15 Monaten amortisieren“, schätzt Berberich. „Wir könnten damit sicher alle rund 20 Maschinen in diesem Fertigungsbereich versorgen.“ Nach abgeschlossener Erprobungsphase nutzt Mapal das Gerät seit Oktober 2009 übergangsweise zur Miete, und die endgültige Anschaffung ist geplant. „Aufgrund der Wirtschaftskrise wurde noch keine Kaufentscheidung getroffen.“
Löbbe, der für IRD auch die Vertriebsleitung in Deutschland, Österreich und der Schweiz übernommen hat, gewinnt der Krise auch eine positive Seite ab: „Natürlich ist es schade, dass wir dadurch weniger Anlagen verkauft haben, aber auf der anderen Seite konnten wir hier mit Mapal zusammen sehr lange testen und viel am Gerät erforschen. Wir konnten zum Beispiel ausprobieren, was mit dem Kühlschmierstoff passiert, wenn eine Anlage einmal längere Zeit steht. Vor zwei Jahren war alles ausgelastet, da hätte man etwas Derartiges gar nicht machen können.“
Inzwischen hat IRD auch an der Skalierbarkeit und an den Anzeigefunktionen gearbeitet, die bereits in die Serienproduktion einfließen. Denn Anwender wie Berberich denken bereits weiter: „Wenn wir auch bei unserer Zentralanlage, die ein KSS-Volumen von 100 Kubikmeter besitzt, eine Standzeitverlängerung erreichen würden, dann wären erhebliche Einsparungen für uns drin.“
Einen entsprechenden Versuch dazu hat man in Aalen bereits unternommen – und festgestellt, dass noch einiges an Abstimmung nötig ist. Gelingt das Vorhaben, dann steigt der wirtschaftliche Nutzen weiter. „Ein Neuansatz kostet bei einer Anlage dieser Größenordnung allein 10 000 bis 15 000 Euro“, stellt Berberich klar. „Wenn wir da eine Standzeitverdoppelung erreichen, dann ist so ein Gerät relativ schnell bezahlt.“ (fm)
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