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Thierry Wolter: „Ceratizit möchte Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein“

Thierry Wolter, Vorstandsmitglied, Ceratizit Group
Thierry Wolter: „Ceratizit möchte Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein“

Thierry Wolter: „Ceratizit möchte Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein“
Thierry Wolter, Vorstandsmitglied, Ceratizit Group. Bild: Ceratizit
Der Werkzeughersteller Ceratizit will bis 2025 klimaneutral werden und hat sich dafür einen ambitionierten Zeitplan auferlegt. Die mav sprach mit Thierry Wolter, Vorstandsmitglied der Ceratizit Group, darüber, wie die nachhaltige Transformation in die Unternehmensziele integriert wurde und wie man gerade mit nachhaltigen Produkten zur weltweiten Nummer 3 unter den Werkzeugherstellern werden will.
Das Interview führte: Frederick Rindle

mav: Auf der AMB 2022 haben Sie mit der Ankündigung, dass Ceratizit bis 2025 CO2-neutral sein will, für viel Aufmerksamkeit in der Branche gesorgt. Kann man sagen, dass die nachhaltige Transformation zum Unternehmensziel geworden ist?

Thierry Wolter: Wir verstehen Nachhaltigkeit nicht so, dass man einmal ein selbst gestecktes Ziel erreicht und dann zufrieden ist. Wir sehen das Thema Nachhaltigkeit vielmehr als eine Mission, bei der die gesamte Belegschaft mitgenommen werden muss und alle eine gewisse Sensibilität dafür entwickeln müssen. Mit dem ersten Ziel, bis 2025 CO2-neutral zu werden und unsere eigenen Emissionen um 35 Prozent zu reduzieren, haben wir den Anfang gemacht. Bis 2030 wollen wir dann unsere Emissionen um 60 Prozent reduziert haben und bis 2040 wollen wir Net-Zero erreichen, was für uns eine Reduzierung der Emissionen um 75 Prozent, bezogen auf Scope 1, 2 und 3, bedeutet.

Ich bin mir sicher, dass wir diese Ziele erreichen können und damit auch zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit in unserer Branche werden. Wir wollen da ganz vorne mit dabei sein. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass die Industrie hier eine große Verantwortung hat und auch eine Vorreiterrolle einnehmen muss. Wir haben schließlich die Möglichkeiten und vor allem die Produkte, um ein wichtiger Teil der Lösung zu sein. Darüber hinaus wollen wir mit unseren Lösungen auch unseren Kunden die Möglichkeit geben, ebenfalls nachhaltiger zu produzieren.

mav: Bis 2025 sind es nur noch rund 18 Monate. Wie weit ist Ceratizit noch vom Ziel der CO2-Neutralität entfernt?

Thierry Wolter: Wir als Ceratizit haben die Chance, das Thema Nachhaltigkeit genauso wie die gesamte Werkzeugentwicklung bei uns von der Mine über das Werkzeug bis zum Recycling, also über den gesamten Wertschöpfungsprozess, zu verbessern. Dafür haben wir zunächst mit der Ermittlung unseres eigenen CO2-Footprints die notwendige Basis geschaffen. Was an dieser Stelle nicht verschwiegen werden soll: Das ist ein echter Kraftakt. Im Ergebnis haben wir festgestellt, dass sich unsere Emissionen zu je 25 Prozent auf die Bereiche Scope 1 und 2 und zu 50 Prozent auf den Bereich Scope 3 verteilen.

Mit diesen Zahlen im Hinterkopf haben wir für uns eine Strategie entwickelt, wie wir mit Hilfe der 80/20-Regel schnell CO2-neutral werden können. Die ersten Meilensteine haben wir hier auch schon erreicht: Seit dem 1. Januar beziehen wir beispielsweise in der gesamten Ceratizit-Gruppe nur noch grünen Strom aus erneuerbaren Quellen – und das an allen Standorten weltweit. Damit haben wir unseren CO2-Footprint bereits um 20 Prozent reduziert. Trotz der enorm gestiegenen Strompreise war das für uns ein sehr wichtiger Schritt, den wir auf jeden Fall so schnell wie möglich umsetzen wollten. Hierbei sehe ich auch eine große Aufgabe für die Politik: Ökostrom muss für alle zu günstigen und langfristigen Konditionen zur Verfügung stehen. Ansonsten wird es für eine Produktion in Europa immer schwieriger, wettbewerbsfähig zu bleiben.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist für uns die Versorgung mit grünem Wasserstoff. Diesen benötigen wir in der Hartmetallproduktion zur Herstellung unseres eigenen Wolframcarbids. Hierbei mussten wir schnell feststellen, dass grüner Wasserstoff nicht so einfach wie etwa grüner Strom am Markt eingekauft werden kann. In Luxemburg hoffen wir diesbezüglich auf ein von der Regierung unterstütztes Projekt, das die Versorgung mit grünem Wasserstoff ermöglichen soll. Für den Standort Reutte haben wir auf Ebene der Plansee Group die Initiative ergriffen und gemeinsam mit Linde ein Projekt zur Erzeugung von grünem Wasserstoff auf unserem Werksgelände gestartet. Dadurch werden wir unseren Scope-2-Wert zusätzlich massiv reduzieren. Die verbleibenden CO2-Emissionen werden wir vorerst mit Zertifikaten kompensieren und dann in weiteren Schritten immer weiter reduzieren.

Ceratizit stellt Product-Carbon-Footprint-Standard für Hartmetall vor

mav: Ihr Forschungs- und Entwicklungsleiter Dr. Uwe Schleinkofer sprach in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Skaupy-Preises unter anderem über das erste Hartmetall, bei dessen Entwicklung konsequent das Thema Nachhaltigkeit im Fokus stand. Das unterstreicht einmal mehr die Bedeutung der Forschung rund um den Einsatz von Sekundärrohstoffen. Ist recyceltes Hartmetall schon reif für den Serieneinsatz?

Thierry Wolter: Das Besondere ist, dass wir nach nunmehr rund 15 Jahren Forschung ein Hartmetall aus Sekundärrohstoffen anbieten können, das exakt die gleichen Qualitätsstandards erfüllt wie ein Hartmetall aus Primärrohstoffen. Mit diesem Qualitätsversprechen gehören wir zu den ganz wenigen Anbietern, die dies auch prozesssicher umsetzen können. Dass mit Uwe Schleinkofer jemand mit dem Skaupy-Preis gekrönt wurde, der an diesen Entwicklungen direkt beteiligt war, darüber sind wir natürlich sehr stolz und haben uns auch sehr für ihn gefreut.

Grundsätzlich verfolgen wir beim Hartmetall-Recycling zwei unterschiedliche Wege, die aus Umweltsicht aber beide besser sind als der Abbau von Erzen: das thermische Zink-Recycling und ein rein chemisches Verfahren. Wobei das chemische Verfahren wirklich spektakulär ist. Denn dabei geht das Hartmetall komplett in Lösung. Für mich ist dieser Prozess, bei dem sich ein so massives Material in seine Elemente auflöst, immer wieder aufs Neue unglaublich faszinierend. Am Ende erhält man eine Lösung, aus der man die Hartmetallbestandteile einschließlich des Wolframs als Element extrahieren kann. Das so gewonnene Wolfram unterscheidet sich dann in keiner Weise von Wolfram, das direkt aus der Mine kommt. Außerdem gewinnen wir aus dem Recyclingprozess noch zusätzlich mehr Kobalt, das ja auch für die Elektromobilität immer wichtiger wird, als wir selbst benötigen. Generell macht uns das Hartmetall-Recycling deutlich unabhängiger vom Rohstoffmarkt, was angesichts der aktuellen geopolitischen Umwälzungen ein großer Vorteil ist.

Als Ergebnis all dieser Entwicklungen konnten wir auf der AMB 2022 mit den Hartmetallstäben auf Basis der Sorte CT-GS20Y unser erstes rein auf Sekundärrohstoffen basierendes Produkt präsentieren, auf der Ligna 2023 folgte mit der Sorte KLC20+ für die Holzbearbeitung das bereits zweite Produkt aus der upGRADE-Reihe. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das ein tolles Ergebnis: Denn durch das Recycling sparen wir bei der Herstellung rund 80 Prozent CO2 ein – im Vergleich zu einer Produktion in China wahrscheinlich sogar 90 Prozent!

mav: Wie konnten sie die Qualität der upGRADE-Sorten so verbessern?

Thierry Wolter: Der wesentliche Grundsatz dabei ist: Die Qualität des Hartmetalls, das man dem Recyclingprozess zuführt, bestimmt später auch die Qualität der daraus gewonnenen Materialien, oder ganz plakativ: quality in, quality out. Diesen Prozess haben wir mittlerweile auch durch das interne Know-how von GTP Powders fest im Griff. Um den Sortieraufwand beim Recycling zu reduzieren, denken wir auch darüber nach, die Sortenvielfalt unserer Werkzeuge zu reduzieren. Ebenso wichtig ist eine klare Kennzeichnung und damit Rückverfolgbarkeit aller Produkte.

Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell für den Maschinenbau

Digitalisierung in der Fertigung

mav: Für die Digitalisierung in der Fertigung bietet Ceratizit mit ToolScope und CERAsmart Cockpit zwei digitale Lösungen, zum einen für die Werkzeug- und Prozessüberwachung und zum anderen für die optimale Nutzung der eigenen Produktionsdaten. Was können wir in Zukunft von Ceratizit in Sachen Digitalisierung erwarten?

Thierry Wolter: Wir haben die digitalen Lösungen bei uns in drei große Bereiche unterteilt. Erstens gibt es digitale Lösungen für unsere eigene Produktion, zweitens gibt es Tools, um die Kommunikation mit dem Kunden zu optimieren, und drittens gibt es Lösungen, die unsere Kunden in ihrer Produktion einsetzen. Für unsere eigene Produktion sind wir zum Beispiel dabei, die ewige Blackbox des Sinterns mit Methoden der künstlichen Intelligenz und unserem extrem großen Datenschatz, in dem unzählige Daten zu jeder Pulvercharge über zum Beispiel Schüttdichten, Schrumpffaktoren, Kohlenstoffgehalte oder Pressdichten zu finden sind, zu durchleuchten. Daraus können wir jetzt Modelle entwickeln, mit denen wir vorhersagen können, wie das Sinterergebnis unserer Hartmetallprodukte aussehen wird. Besonders spannend wird das natürlich bei unseren großen Bauteilen, die bis zu 1,5 Tonnen wiegen und den Wert eines Mittelklassewagens haben können. Im Ergebnis können wir höhere Toleranzen, genauere Konturen und die vorhergesagten Eigenschaften prozesssicherer erreichen.

Für den Einsatz beim Kunden stehen die bereits erwähnten Lösungen ToolScope und das CERAsmart Cockpit zur Verfügung. Insbesondere ToolScope ist in den letzten Jahren in seiner Funktionalität stark gewachsen, so dass das heutige Produktionsoptimierungssystem kaum noch etwas mit dem früheren reinen Überwachungssystem gemeinsam hat. Heute können wir mit ToolScope sogar sofort in den Prozess eingreifen, wenn die voreingestellten Parameter aus der Toleranz laufen sollten, und sorgen so für eine hohe Prozesssicherheit, Qualität und Effizienz auch in einer mannarmen Fertigung.

Mit dem CERAsmart Cockpit sind wir sogar in der Lage, mehrere Tools miteinander zu verknüpfen und so dem Kunden ein Lagebild seines angeschlossenen Maschinenparks zu generieren. Was das System so besonders macht, ist seine Unabhängigkeit vom Maschinenhersteller und Steuerungslieferanten. So können sowohl größere Unternehmen einzelne Produktionslinien überwachen als auch kleinere Betriebe ihre gesamte Produktion, bestehend aus unterschiedlichsten Maschinentypen und Baujahren, optimieren. Für KMUs steht bei der Digitalisierung meist das Thema Produktivität im Vordergrund und gerade hier kann CERAsmart einiges leisten.

Plansee Group hat die Mehrheit an der Ceratizit Group übernommen

mav: Anfang 2021 hat die Plansee Group die Mehrheit an der Ceratizit Group übernommen. Hat sich dadurch die Unternehmensausrichtung von Ceratizit verändert?

Thierry Wolter: Ja, sicher, aber das ist eine Veränderung, die an der Kontinuität bei Ceratizit nicht viel ändert. Denn im Prinzip ist kein neuer Akteur hinzugekommen. Mit der Plansee Group hat lediglich ein Partner die Mehrheit an dem bisherigen Gemeinschaftsunternehmen übernommen und der andere Partner, in diesem Fall die luxemburgische Seite, hat sich daraufhin zurückgezogen. Unsere Kunden werden davon im besten Fall zunächst nichts mitbekommen.

Intern hat sich dadurch aber etwas in der Ausrichtung des Unternehmens verändert: Der Wille, die Nummer 3 unter den Werkzeugherstellern zu werden, ist jetzt noch präsenter. Dafür stehen nun auch in größerem Umfang Mittel für mögliche Akquisitionen zur Verfügung. Natürlich sind mit nur noch einem Eigentümer auch die Entscheidungswege noch kürzer als sie eh schon waren.

mav: Wie ist das Jahr 2023 aus wirtschaftlicher Sicht für Ceratizit gestartet? Was erwarten Sie vom zweiten Halbjahr?

Thierry Wolter: Bemerkenswerterweise ist das Jahr besser gestartet, als wir und viele unserer Marktbegleiter erwartet hatten. Im Moment liegen wir noch auf Vorjahresniveau. Für das zweite Halbjahr rechnen auch wir mit einem leichten Rückgang, aber ich glaube nicht, dass es zu einer größeren Rezession kommen wird. Insgesamt sind wir jetzt deutlich optimistischer als noch im November oder Oktober letzten Jahres. Einzig die Baubranche macht uns noch Sorgen. Denn wir liefern in die Baubranche doch recht viele Verschleißprodukte, die derzeit relativ wenig nachgefragt werden.

Wachstums- und Entwicklungschancen für Ceratizit

mav: Wo sehen Sie noch Wachstums- und Entwicklungschancen für Ceratizit?

Thierry Wolter: Für mich ganz klar in der Internationalisierung. Besonders interessant sind für uns in diesem Zusammenhang Amerika und Asien. Der brasilianische Markt läuft im Moment sehr gut. Auch Mexiko entwickelt sich immer besser. Ebenso haben wir unsere Beziehungen nach China noch einmal verstärkt und erhoffen uns auch hier weiteres Wachstum. Korea ist für uns ebenso ein Zukunftsmarkt, den wir bislang noch nicht stärker bearbeitet haben. In Indien wollen wir zudem unser bereits großes Engagement weiter ausbauen. Indien scheint ohnehin einer der Gewinner der geopolitischen Umwälzungen zu sein.

Ceratizit Deutschland GmbH
www.cuttingtools.ceratizit.com

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