Grüne Wiesen, frische Luft und drei Seen: Das ist die kleine Gemeinde Illmensee. Es verwundert kaum, dass der Erholungsort jährlich tausende Besucher in die nördliche Bodensee-Region lockt. Inmitten dieses Idylls steht die neue Produktionshalle von Müller Maschinenbau. Angefangen hat Gründer Peter Müller 2008 mit einer einzigen Maschine und einer Garage. Über die Jahre vergrößerte sich der Betrieb stetig. Mittlerweile beschäftigt Müller 35 Mitarbeiter. Kurzarbeit war nie ein Thema – auch nicht in der Corona-Krise. Aktuell wächst das Unternehmen wieder stark. Man kann also ohne jede Übertreibung von einer Erfolgsgeschichte sprechen.
Gebremst wird der Unternehmer allerdings immer mehr durch den überall zu spürenden Fachkräftemangel. Gesucht werden dringend: CNC-Dreher und -Fräser. Was dies in der Realität bedeutet, bricht Peter Müller folgendermaßen herunter: „Hier boomt es und ich habe einfach nicht genügend Fachkräfte,“ so Müller.
Ausbildung hat stark an Attraktivität eingebüßt
Das liegt auch daran, dass die klassische Ausbildung stark an Attraktivität eingebüßt hat. Besonders die Industrie leide unter den veralteten Vorstellungen in der Gesellschaft über den Berufsalltag einer Fachkraft in einem Lehrberuf. Dass indes viele der Ausbildungsberufe komplexe Tätigkeitsprofile und ein hoch technologisiertes Arbeitsumfeld bieten, ist vielen Menschen nicht bekannt. Im Gegensatz dazu machen immer mehr Schüler Abitur und beginnen ein Studium. Dadurch erhoffen sich die Schüler und deren Eltern bessere berufliche Zukunftschancen. Die hohe Zahl an Studienabbrechern, zeigt aber, dass ein Studium für viele Schulabgänger nicht immer der richtige Weg ist.
„Für mich wäre das nichts gewesen,“ ist sich Peter Müller sicher. Ihn begeisterte seit klein auf die Technik und die Möglichkeiten, die sie bietet. Etwa die Tatsache, dass man aus einem Block Stahl Maschinenbauteile fertigen kann, die später etwa in der Medizin Leben retten können. So produziert Müllers zum Beispiel Maschinenbauteile, die dazu beitragen bei schweren Corona-Fällen, die Auswirkungen auf die Lunge zu diagnostizieren. Dennoch sucht er seit Monaten vergeblich nach CNC-Fräsern, -Drehern, Maschinenbedienern und auch nach Azubis für den Beruf des Zerspanungsmechanikers. „Männlich, weiblich oder divers versteht sich,“ so Müller.
Die Industrie leidet zunehmend
Allein sind die Ilmenseer mit diesem Problem nicht. Der Fachkräftemangel in der Industrie ist enorm. Viele Betriebe können sich zwar kaum vor Aufträgen retten, haben jedoch nicht die personellen Ressourcen, diese abzuarbeiten. Aufgefangen wird die Diskrepanz zwischen steigender Nachfrage und ausbleibender personeller Verstärkung indes meist von der bestehenden Belegschaft. Ein Trend, dessen Ende derzeit nicht abzusehen ist.
In der Industrie liegt der Anteil der Unternehmen, die mit einer Mehrbelastung des Personals rechnen, laut DIHK am höchsten. Doch nicht alles kann abgefangen werden. Mit 49,7 Prozent sagte im Juli fast die Hälfte aller vom Münchner Ifo-Institut befragten Industrie Firmen, dass sie durch einen Mangel an qualifizierten Fachkräften eingeschränkt werden. Das ist der höchste Wert seit Beginn der quartalsweisen Befragung im Jahr 2009. Besonders hohen Mangel gibt es bei Ingenieuren CNC-Fräsern und -Drehern.
Der Fachkräftemangel stellt dabei nicht nur die direkt betroffenen Unternehmen vor riesige Herausforderungen, sondern die deutsche Wirtschaft im Ganzen. Auch die wichtigen Zukunftsprojekte wie Klimaschutz, Digitalisierung oder Infrastruktur- und Wohnungsbau sind dadurch gefährdet.
Mehr Work-Life-Balance
Die meisten Betriebe versuchen mit einer Steigerung ihrer Arbeitgeberattraktivität auf die Engpässe zu reagieren. Neben dem Gehalt zählen dazu z. B. Möglichkeiten zum flexiblen bzw. mobilen Arbeiten sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeitsplatz und Familie.
Dabei bietet die Branche und allen voran Maschinenbauer wie Peter Müller bereits sehr gute Karrierechancen. „Die Perspektiven für Fachkräfte, Ingenieure aber auch Informatiker im Maschinen- und Anlagenbau sind exzellent. Wer sich heute für den Maschinenbau als Arbeitgeber entscheidet, erhält einen krisenfesten Job mit exzellentem Entwicklungspotenzial und sehr guten Gehaltschancen,“ so Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VDMA.
Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
All das wird Prognosen des VDMA und der DIHK zufolge jedoch nicht ausreichen. Sie fordern daher, dass man zusätzlich gezielt um Fachkräfte aus dem Ausland werben sollte.
Eine Forderung, die auch Vize-Kanzler Robert Habeck unlängst auf dem Fachkräftegipfel in Berlin wiederholte. „Wir müssen Aus- und Weiterbildung attraktiver machen und wir müssen uns deutlich stärker für Einwanderung öffnen und gemeinsam dafür werben, dass Deutschland ein weltoffenes Land ist mit interessanten und hochwertigen Arbeitsplätzen,“ so der Grünen-Spitzenpolitiker.
Wie dringlich Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel sind, wird seit Jahren gebetsmühlenartig von allen Parteien im Bundestag betont. Wirklich weitreichende Maßnahmen wurden von den letzten Regierungen jedoch nicht in die Wege geleitet. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP stellte Anfang September ihren „5 Punkte -Plan“ vor, der noch im Herbst dem Kabinett zur Abstimmung vorliegen soll. Der Plan beinhaltet:
- Zeitgemäße Ausbildung: Ausbildungsberufe sollen attraktiver und als Karriereweg stärker beworben werden.
- Gezielte Weiterbildung: Arbeitnehmer sollen gefördert werden, wenn sie sich beruflich weiterqualifizieren möchten.
- Arbeitspotenziale wirksamer heben und Erwerbsbeteiligung erhöhen: Die Bundesregierung will eine Ausbildungsgarantie einführen.
- Wandel der Arbeitskultur: Frauen sollen stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden. Dazu soll es steuerliche Vorteile und mehr Kinderbetreuungsangebote geben
- Einwanderung modernisieren und Abwanderung reduzieren: Der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt soll erleichtert werden.
Wirklich konkret wird die Ampel-Regierung in ihrem Strategiepapier jedoch nicht. Gerade für Betriebe aus der Industrie bietet es wohl wenig Grund zur Freude. Die Ausbildungsvergütung in der Industrie und gerade dem Maschinenbau ist bereits sehr attraktiv und die Unternehmen haben ihrerseits weitreichende Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon getroffen. Wie die Regierung zusätzliche Kinderbetreuungsangebote für Erwerbstätige Eltern stemmen will, bleibt ebenfalls fraglich. Ist doch der Bereich Erziehung ebenfalls enorm vom Fachkräftemangel betroffen.
Zuwanderung von Fachkräften
Experten betonen daher, besonders wie wichtig die Zuwanderung ist. So wie etwa Prof. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung: „Mittelfristig werden wir sicherlich auf eine sehr offene Zuwanderungspolitik setzen müssen, ohne Zuwanderung würden wir bis 2030 rund fünf Millionen Arbeitskräfte im deutschen Arbeitsmarkt verlieren.“
Hier plant die Bundesregierung noch im September Eckpunkte für ein neues Zuwanderungsgesetz vorzulegen. Wann die Vorhaben aber letztlich ihre Wirkung entfalten werden ist unklar, ein konkreter Zeitrahmen fehlt bislang zudem.
In Illmensee steht derweil die neue große Produktionshalle von Müller Maschinenbau und wartet auf neue Fachkräfte und Auszubildende. Derweil arbeitet Peter Müller selbst an den Maschinen. Alle neuen Aufträge wird er trotz seines Enthusiasmus, ohne neue Fachkräfte, nicht erfüllen können.