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Klimaneutralität und Ressourceneffizienz in der Produktion

Klimaneutralität und Ressourceneffizienz stellen neue Vorgaben an die Produktionswirtschaft
Wie nachhaltig ist mein Unternehmen?

Neben Produktivität steht mittlerweile auch Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda der Fertigungsunternehmen – nicht zuletzt getrieben von politischen Vorgaben. Dabei sind Energie- und Ressourceneffizienz Ziele, die wirtschaftlich unmittelbar Sinn ergeben. Ungleich schwerer zu beurteilen ist es, welchen Stellenwert die ökologische Außendarstellung im Wettbewerb künftig haben wird – und wie man Schlüsselgrößen wie etwa den CO2-Fußabdruck quantifizieren kann. Unternehmen und Forschungsinstitute arbeiten mit Hochdruck an Lösungen. Autor: Dr. Frank-Michael Kieß

Zuerst die gute Nachricht: Die Treibhausgasemissionen in Deutschland sind seit vielen Jahren rückläufig. Laut Zahlen des Umweltbundesamts beliefen sie sich 2022 auf 666 Millionen Tonnen. 1990 waren es noch 1055 Millionen Tonnen. Die Richtung mag also stimmen, aber reicht das? Too little, too late – angesichts des immer näher rückenden Kipppunktes, ab dem ein sich selbst verstärkender Klimawandel unumkehrbar wird, teilt eine große Mehrheit in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik genau diese Befürchtung.

Entsprechend hat sich die EU mit dem Europäischen Green Deal auf die Fahnen geschrieben, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. In einem ersten Schritt sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 sinken. Diese werden vom meist benutzten internationalen Berechnungstool, dem Greenhouse Gas (GHG)-Protocol, in drei Kategorien oder „Scopes“ unterteilt. Scope 1 deckt direkte Emissionen aus eigenen oder kontrollierten Quellen ab. Scope 2 deckt indirekte Emissionen aus der Erzeugung von gekauftem Strom, Dampf, Wärme und Kühlung ab, die das betreffende Unternehmen verbraucht. Scope 3 umfasst alle anderen indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen.

Um zu dokumentieren, wo jedes einzelne Unternehmen hier steht, hat die im November 2022 vom EU-Parlament verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) den Umfang und die Art der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen verschärft. Die CSRD verlangt, dass Firmen ESG-Informationen, die Umwelt, Soziales und Unternehmensführung betreffen, entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette offenlegen.

Neue Berichtspflicht geht alle an

Alle an einem EU-regulierten Markt notierten Unternehmen (mit Ausnahme von Kleinstunternehmen) sind von der neuen Berichtspflicht erfasst. In Deutschland betrifft das zunächst rund 500 Unternehmen, ab 2026 dann aber auch einen beträchtlichen Teil der mittelständischen Betriebe – Schätzungen zufolge rund 15 000. Aber das ist nicht das Ende der Fahnenstange: Auch Firmen, die offiziell selbst keinen Bericht vorlegen müssen, können die EU-Richtlinie nicht ignorieren und müssen sich mit dem Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung beschäftigen, wenn sie Teil der Lieferkette von verpflichteten Unternehmen sind.

Entsprechend arbeiten auch viele Zerspanungsunternehmen emsig an ihrer Nachhaltigkeit. Kaum ein neues Werk wird eröffnet, ohne auf die dort installierten Technologien zur regenerativen Stromerzeugung, Wärmerückführung etc. hinzuweisen. Der Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori produziert nach eigenen Angaben seit 2021 CO2-neutral, Chiron tut das in Deutschland schon, Ceratizit will bis 2025 klimaneutral sein… die Reihe ließe sich fortsetzen. Zahlreiche Firmen setzen zertifizierte Umweltmanagementsysteme ein und veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte.

Für viele Produktionsunternehmen stehen dabei allerdings die wirtschaftlichen Aspekte an erster Stelle. Das zeigt die Sommererhebung 2023 des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart unter 850 deutschen Produktionsunternehmen. Danach investieren die Firmen primär in eine Nachhaltigkeitsstrategie, um künftig wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Die Querschnittstechnologien für die Erhöhung von Energieeffizienz, z. B. Abwärmenutzung und technische Gebäudeausrüstung, und die Energieversorgung stehen für die Investitionsentscheidungen klar im Vordergrund.

Die Außenwirkung spielt dagegen eine untergeordnete Rolle – und doch ist sie ein Wettbewerbsfaktor, eben nicht nur gegenüber Aktionären, sondern auch gegenüber Geschäftspartnern. „Unsere Kunden erwarten von uns nachhaltiges Wirtschaften“, betont Andreas Loock, Leiter Qualitätswesen bei der Paul Horn GmbH. „Dazu gehören beispielsweise Ressourceneinsparung sowie der Einsatz nachhaltiger Werkstoffe für Produkte und Verpackungen. Darüber hinaus spielen auch Energie- und Kosteneffizienz eine wichtige Rolle.“

Doch gerade kleine und mittelständische Unternehmen fragen sich aktuell, welche Standards und Metriken es gibt, um Nachhaltigkeit zu messen, und welche Technologien sie dafür einsetzen können. Wie ermittle ich denn beispielsweise meinen CO2-Fußabdruck? Unternehmen wie Ceratizit arbeiten genau daran. Auf der EMO in Hannover will der Präzisionswerkzeughersteller den nach eigenen Angaben ersten Standard zur Berechnung und Klassifizierung des CO2-Fußabdrucks von Hartmetallprodukten vorstellen, den so genannten Product Carbon Footprint (PCF).

Transparenz für Hartmetallprodukte

In Kombination mit einem Scoring- und Klassifizierungssystem versprechen die Luxemburger Hartmetallspezialisten eine Erhöhung der Transparenz beim CO2-Fußabdruck von Produkten und ermutigen andere Akteure der Hartmetallindustrie, sich daran zu beteiligen. „Unser Ziel ist es, einen gemeinsamen Standard zur Berechnung und Klassifizierung des CO2-Fußabdrucks von Zerspanungswerkzeugen, Hartstofflösungen und Hartmetallpulvern auf dem Markt zu etablieren“, erklärt Vorstandssprecher Dr. Andreas Lackner. „So können wir den Kunden die gewünschte Transparenz in Bezug auf den CO2-Fußabdruck bieten.“

Ähnlich wie bei den Bewertungssystemen für Elektrogeräte, Kraftfahrzeuge und Lebensmittel sollen die Kunden den Fußabdruck eines Produktes mit einem Blick erfassen und bewerten können. Die alphabetische PCF-Klassifizierung kann in jedes Produktdatenblatt oder Verkaufsdokument integriert werden.

Grundlage für die PCF-Berechnung ist der jeweilige Corporate Carbon Footprint (CCF), d. h. der CO2-Fußabdruck des gesamten Unternehmens. Im Einklang mit der Norm ISO 14067:2018 umfasst der PCF nicht nur die Emissionen, die den Scopes 1 und 2 zuzuordnen sind, sondern auch den vorgelagerten Teil der Scope-3-Emissionen, die bestimmten Produkten zugeordnet werden können. Dazu gehören eingekaufte Waren und Dienstleistungen, vorgelagerte Transporte und Vertrieb sowie Abfall aus dem laufenden Betrieb).

Ceratizit stellt Product-Carbon-Footprint-Standard für Hartmetall vor

CO2-Verbrauch für jedes Bauteil exakt bestimmen

Für mehr Klimaschutz in der Blechfertigung wollen Trumpf, Thyssenkrupp Materials Services und das Fraunhofer IPA im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekt de:karb sorgen. Ziel ist eine offene Plattform, mit der Anwender den CO2-Verbrauch ihres Bauteils genau bestimmen können. „Digitalisierung ist der Schlüssel zu mehr Klimaschutz in der Industrie“, sagt Jens Ottnad, Projektleiter bei Trumpf. Und der sei notwendig, weil sich der ökologische Fußabdruck der Fertigung immer mehr zum Wettbewerbskriterium entwickle. „Vor allem in westlichen Märkten achten Kunden immer mehr auf den CO2-Ausstoß der Unternehmen. Wer besonders klimaschonende Wertschöpfungsketten nachweisen kann, sichert sich Wettbewerbsvorteile”, sagt Ottnad.

CO2-Neutralität ist aber nur die eine Seite der Nachhaltigkeits-Medaille. Die andere heißt Ressourceneffizienz. „Wir müssen Hersteller in die Lage versetzen, alle Fertigungsschritte energie- und ressourcenschonend zu gestalten“, sagt Prof. Dr. h. c. Dr.-Ing. Eckart Uhlmann Institutsleiter, des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin. Dafür entwickeln er und sein Team beispielsweise Technologien für die Hochleistungsbearbeitung, die höchsten Anforderungen an Produktivität, Zuverlässigkeit und Ressourceneffizienz gerecht werden. Im Fokus der Forschung steht dabei unter anderem die Optimierung von Zerspanungsprozessen – etwa durch Umstellung von Nass- auf Trockenbearbeitung, was Kühlschmiermedien einspart.

Digitale Lebenszyklusakte für die Kreislaufwirtschaft

Um jedoch dem Wunschziel Kreislaufwirtschaft näher zu rücken, braucht es einmal mehr Daten und Digitalisierung. Wie das gehen könnte, zeigt das vom Bundesumweltministerium als Leuchtturmprojekt auserkorene Vorhaben ReCIrcE: Das Open Source Tool soll mittels KI Stoffkreisläufe transparenter machen und damit Abfalltrennung und digitale Lebenszyklusakte optimieren.

ReCircE soll es ermöglichen, die gesamte Wertstoffkette eines komplexen Produkts, wie z. B. einer Maschine, transparent zu machen. Darüber hinaus sollen Algorithmen des maschinellen Lernens helfen, Abfälle möglichst sortenrein zu trennen. Auf diese Weise will das Konsortium aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen das Recycling von Produkten mit hoher Materialvielfalt verbessern.

Ein zentraler Bestandteil der Kreislaufwirtschaft ist auch das Remanufacturing, also die Wiederaufbereitung bereits vorhandener Teile. Es birgt nicht nur das Potenzial, die industrielle Fertigung ökonomisch und ökologisch nachhaltiger zu gestalten, sondern fördert auch die Resilienz von Industrieunternehmen. Im Projekt EREP, in dem u. a. Firmen wie AWM Maschinenbau, Moduleworks, Siemens und Spanflug sowie die TU München zusammenarbeiten, werden Bauteile betrachtet, welche durch das Auftragen von Material durch additive Fertigung und einem anschließenden Materialabtrag durch Zerspanung wiederaufbereitet oder zu einer neuen Variante umgewandelt werden können. Dadurch würde nicht nur die Fertigung von Produkten der neuesten Generation aus bereits ausgesonderten Teilen ermöglicht, sondern es ließe sich auch die Energie- und die Rohstoffeffizienz insgesamt steigern.

Die große Herausforderung bei der Kreislaufwirtschaft besteht darin, die nötigen Informationen zu haben, wo die Produkte sind, wie sie genutzt werden, in welchem Zustand sie sich befinden und wie man sie in eine Upcycle-Fabrik zurückführen kann. „Für all das brauchen wir Mechanismen, Abläufe und Geschäftsmodelle, durch die es auch ökonomisch interessant wird, gebrauchte Produkte aufzuwerten und weiter zu vermarkten“ sagt Prof. Robert Schmitt, geschäftsführender Direktor des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen und Direktor des Fraunhofer IPT. „Sobald das endgültige Lebensende eines Produkts erreicht ist, müssen wir es so recyceln, dass die enthaltenen Rohstoffe wieder in den Kreislauf zurückfließen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir viel erreicht.“ Er sagt aber auch: „Eine vollkommen ressourcenneutrale Produktion und Wirtschaft halte ich nicht für realistisch.“


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