Ein Rennwagen, rein elektrisch? Was vor Jahren noch laute Aufschreie in den Reihen der Sportwagenpuristen provozierte, ruft heute längst keinen Skandal mehr hervor. Hybride Supersportwagen wie der Porsche 918 Spyder, Audi E-Tron oder zahlreiche Studien von Edelmanufakturen aus aller Welt machen es vor: Faszinierende Beschleunigungswerte und massive Drehmomente machen den (teil-)elektrischen Antrieb gerade für derartige Boliden interessant – obendrein erleichtern sie vermeintlich das ökologische Gewissen. Auch der Motorsport öffnete 2014 die Türen für elektrisch angetriebene Fahrzeuge. Dort ergänzt die Formel E die arrivierte Formel 1.
Motorsport wird elektrisch
Mit deutlich weniger Budget, aber mit einem Höchstmaß an persönlichem Engagement und Innovationskraft arbeitet der E.Stall der Hochschule Esslingen an seinem Konzept elektrifizierter Sportwagendynamik: Der weltweit kleinste studentische Rennstall in der Formula Student fährt mit seinem Team und dessen Leistungen so manchem internationalen Konkurrenten davon!
Die Formula Student Germany (FSG) ist ein internationaler Konstruktionswettbewerb für Studenten, der seit 2006 jährlich vom Formula Student Germany e.V. unter der Schirmherrschaft des Verein Deutscher Ingenieure e. V. ausgerichtet wird. Bei diesem Wettbewerb soll in Teamarbeit ein einsitziger Formelrennwagen konstruiert und gefertigt werden. Die Formula Student hat den Anspruch, das Studium um Erfahrungen mit Konstruktion und Fertigung sowie mit den wirtschaftlichen Aspekten des Automobilbaus zu erweitern.
Citizen liefert Material – und Knowhow
„EVE 19“ ist die mittlerweile sechste Umsetzung des rein elektrischen Formula-Student-Rennwagens, der in Esslingen entstanden ist. Dazu hat das Team vom E.Stall der Hochschule Esslingen ein 36-köpfiges Team zusammengestellt, das einen konkurrenzfähigen Rennwagen für die Formula Student entwickelt und fertigt.
Da ein solches Projekt nicht ohne finanzielle und technische Unterstützung zu bewerkstelligen ist, wandte sich der E.Stall auf der AMB 2018 an den damaligen Geschäftsführer der Citizen Machinery Europe GmbH, Jürgen Lindenberg. Der sagte ganz unbürokratisch ein festes Budget sowie materiellen Support zu. Dazu Sascha Gersmann, Leitung Marketing bei Citizen in Esslingen: „Wir wollen gerne die Region unterstützen und dort noch mehr Gesicht zeigen. Entsprechend haben wir in der Gegend jemanden gesucht, den wir mit unseren Drehmaschinen und unserem Knowhow unterstützen können. Da war die Hochschule Esslingen ein direkter Anlaufpunkt für uns und der E.Stall mit dem Schwerpunkt auf die E-Mobilität ein willkommener Bereich, in dem wir so noch nicht vertreten waren.“
Sponsoring ist für den E.Stall unabdingbar. Denn obwohl jedes Teammitglied mit extrem hohem Engagement und nicht selten 60 bis 80 Wochenstunden Arbeit zum Projekt beiträgt, muss das nötige Material angeschafft bzw. individuell gefertigt werden. „Citizen gibt uns jetzt Freiräume, die wir davor nicht hatten. Vor allem wichtig ist beim Sponsoring für uns die Kombination aus Teamunterstützung, die wir insgesamt von Citizen bekommen und dem Materialanteil, der direkt zum Fahrzeug beiträgt“, so David Wollschlaeger, Projektleitung Organisation beim E.Stall.
Fernab vom Standard: Selbst ist der Konstrukteur
Dazu hat Citizen acht unterschiedliche Bauteile, insgesamt um die 120 Einzelteile gefertigt: unter anderem hochfeste und hochkomplexe Spacer, also Distanzhülsen aus Hochleistungskunststoff, Drehteile allgemein sowie spezielle Titanschrauben.
„Die Spacer beispielsweise werden im Fahrwerk und im Hochvoltakku eingesetzt. Für die Pedalerie fanden wir am Markt keine geeigneten Schrauben, also mussten wir sie kurzerhand selbst entwerfen. Wegen der relativ hohen Flächenpressung, die für die Pedale nötig ist sowie für das hohe Drehmoment beim Anziehen, mussten die Schrauben aus Titan sein. Was aus Citizen-Sicht eher leichte Anforderungen waren, hat uns enorm geholfen, da diese Teile weitab vom Standard sind und so das Fahrwerk erst so gut werden lassen, wie wir es geplant haben“, sind sich David Wollschlaeger und Carl-Maximilian Reuter, Projektleitung Technik beim E.Stall, einig.
Dazu Michael Neitzel, Anwendungstechniker bei der Citizen Machinery Europe GmbH: „Nach der ersten Kontaktaufnahme haben wir uns die Zeichnungen der Bauteile angeschaut und kamen schnell überein, dass diese Werkstücke schnell und zudem sehr kurzfristig gedreht werden können. Bei den Abstandshaltern aus Kunststoff haben wir unsere Cincom L20 mit LFV-Technologie eingesetzt. Da die Spanbildung bei Kunststoff meist ungünstig ist, hat LFV geholfen, die Späne unter Kontrolle zu bringen und die geforderte hohe Qualität zu gewährleisten.“
Radnabenmotoren „machen Dampf“ – emissionsfrei!
„2018 haben wir nach zweijähriger Planung das erste Allradfahrzeug an den Start gebracht.“, so Alexander Winter, Teamleitung Technik. Dort sitzen nun statt wie früher zwei große Maschinen im Heck, vier kompakte Motoren, etwas größer als eine Coladose, direkt in den Felgen. „Das schafft Bauraum für den Hochvoltakku und hilft, das Gewicht besser am Auto zu verteilen“, so David Wollschlaeger. Jonas Stadelmaier, zuständig für das Embedded System, also das Steuerungssystem von „EVE 19“, ergänzt: „Ein großer Vorteil gegenüber dem Heckantrieb ist beim Allrad, dass man beispielsweise gezielt Drehmoment auf verschiedene Räder verlagern kann. Somit lässt sich das Fahrzeug unter anderem aktiv in die Kurve ziehen. In Zusammenarbeit mit einem aktiven Bremssystem eröffnen sich fahrdynamisch enorm viele Möglichkeiten!“
Brachiale Leistungsdaten
Von Null auf Hundert in etwas mehr als zwei Sekunden, Kräfte in den Kurven von 3,2 G – da wird deutlich, dass ein solches Fahrzeug riesiges Leistungspotenzial freigibt. Gleichzeitig verlangt es den Fahrern wie auch den Entwicklern entsprechend einiges ab. „Auch wenn ein sauber abgestimmtes System dem Fahrer mehr Traktion an die Räder gibt, ist es umso aufwändiger, die Applikationen fein aufeinander und auf den Fahrer abzustimmen“, erläutern David Wollschlaeger und Jonas Stadelmaier.
Um alles im Vorfeld optimal testen zu können, gibt es bei EVE 19 zum ersten Mal ein „functional mock-up“, sozusagen eine virtuelle Inbetriebnahme. „Man kann sich das so vorstellen: Alle Komponenten liegen auf einem Tisch, so dass alle Teams nahezu gleichzeitig ihre Bauteile im Zusammenspiel mit den anderen testen können. Dank einer Simulation am Rechner mit den tatsächlichen Bauteilen, lassen sich sämtliche Szenarien, auch sicherheitsrelevante, durchspielen und die Schnittstellen testen, noch bevor das Fahrzeug überhaupt zusammengebaut ist. Denn nichts ist ärgerlicher als auf der Teststrecke das halbe Auto zerlegen zu müssen, um ein fehlerhaftes Steuergerät auszubauen“, erläutert David Wollschlaeger.
Aus der Entwicklung in die Serienfertigung
In Summe sind es über 1000 Stunden, in denen das Fahrzeug gebaut wird. Zeit, die sehr gut investiert ist. „Aus unserer Sicht ist das die Zukunft, da der Elektromotor den Verbrennungsmotor sicherlich auf lange Sicht ablösen wird. Und wir wollen uns an diesen Bereich herantasten und schauen, wo wir uns mit unseren Maschinen platzieren können. Der Motorsport ist seit jeher Antrieb für neue Technologien, wie den Allrad-Antrieb, Keramikbremsen oder den Einsatz von Leichtbaumaterialien. Von daher würde es mich nicht wundern, wenn vielleicht die ein oder andere Entwicklung des E.Stall in Esslingen auch den Weg in die Serienproduktion der Mobilität von morgen findet!“, wagt Sascha Gersmann einen Ausblick.
Citizen Machinery Europe GmbH
www.citizen.de
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