Unruhig lauschen über 130 Unternehmer, Inhaber und Geschäftsführer den detaillierten Ausführungen. Sie alle haben das Geschäft von kleinen und mittleren Betrieben zu verantworten, die vor allem aus Metall gefertigte Bauteile für Automobile herstellen. Ein Spezialist der Beratungsgesellschaft IHS Markit erläutert zur Fachtagung des Verbands der Deutschen Drehteile-Industrie die erwarteten Entwicklungen in den kommenden 10 bis 15 Jahren. Die Informationen scheinen das Auditorium zu beruhigen.
Über 30 % Wachstum bis 2025
Aktuell werden weltweit jährlich knapp 80 Millionen Pkw produziert und verkauft. Bis zum Jahr 2025 rechnen Analysten mit einem weiteren Wachstum auf bis zu 110 Millionen Einheiten jährlich. Dabei werden die Mengen hergestellter und verkaufter Autos vor allem in Asien und speziell in China deutlich zunehmen. Auch in den sogenannten BRIC-Staaten wird es ein leichtes Wachstum geben. In Europa und in den USA wird die Anzahl verkaufter Pkw eher auf dem derzeitigen Niveau stagnieren oder sogar rückläufig sein.
Umweltschutz im Fokus
Derzeit ist die Diskussion um die individuelle Mobilität vor allem von Aspekten der Luftreinhaltung geprägt. Politiker in Europa fordern von Fahrzeugherstellern, dass der Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) über die gesamte angebotene Fahrzeugflotte Ende des Jahres 2020 pro gefahrenem Kilometer 95 mg nicht übersteigen darf. Insbesondere in China wird deshalb der Antrieb von Pkw mit Elektromotoren präferiert und von staatlichen Stellen gefördert. Dort gibt es bereits feste Vorgaben für den Anteil an Elektrofahrzeugen zur Gesamtzahl neu zugelassener Pkw.
Weltweit wird das asiatische Land als richtungsweisend gesehen. Zudem werden künftige wirtschaftliche Erfolge vom dortigen Automobilmarkt bestimmt. Bereits heute werden mehr als 23 Millionen Pkw jährlich neu zugelassen, mehr als in jedem anderen Land der Welt, einschließlich der USA, dem bislang größten Markt für Automobile. Vor allem in Deutschland werden sich die hiesigen, weltweit führenden Automobilhersteller deshalb an China orientieren. Sie reagieren deshalb auf die Forderungen und die Vorgaben der chinesischen, der europäischen und der deutschen Politik.
Die Hersteller beabsichtigen, im Jahr 2025 bis zu 40 % der Fahrzeuge in ihrem Produktionsprogramm mit batteriegespeisten Elektroantrieben zu versehen. Einhergehend investieren die Fahrzeughersteller weniger in bestehende Produktionsanlagen und -prozesse (bis 16 % Rückgang im Jahr 2018 gemäß der Unternehmensberatung EY). Dafür haben sie in den vergangenen 18 Monaten ihre Ausgaben für Produktionsanlagen für E-Mobilität nahezu verdoppelt.
Hybride Antriebe bevorzugt
Dennoch wird gemäß den Analysten bei IHS Markit der Wandel nicht unvorbereitet und disruptiv verlaufen. Die Fahrzeughersteller rechnen laut Erhebungen damit, dass man vor allem mit Hybridantrieben den zunehmenden Forderungen nach Umweltschutz begegnen kann – ohne die individuelle Mobilität infrage zu stellen. So sollen bis zum Jahr 2032 allenfalls etwa ein Drittel aller neu zugelassenen Pkw vollständig batterieelektrisch angetrieben sein. Die übrigen werden als Hybride mit einer Kombination aus (kleinerem) Verbrennungsmotor und Elektromotor ausgestattet sein. Nur sehr vereinzelt wird es andere Antriebe, zum Beispiel mit Brennstoffzellen, Gas und Wasserstoff, geben.
Unsicherheit bewirkt vorübergehende Marktschwäche
Aktuell schwächelt allerdings die hiesige Automobilindustrie. Wie Experten betonen, ist das von der Unsicherheit bei Verbrauchern und Käufern der Automobile verursacht. So berichten unter anderem Volkswagen, Audi und Daimler über 5 bis 7 % weniger verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2019 verglichen mit den Zahlen im Jahr 2018. Speziell in Städten drohende Fahrverbote und die bisher noch nicht praxistauglichen Konzepte elektrisch und damit emissionsfrei fahrender Pkw veranlassen Käufer, ihre Entscheidung für einen Neukauf eines Fahrzeugs hinauszuzögern.
Auch weltweit, speziell in China, zögern Autokäufer ihre Anschaffung hinaus. So wurden auch in China im Jahr 2018 knapp 4 % weniger Pkw als erwartet neu zugelassen. Wegen der allgemein aber guten wirtschaftlichen Entwicklung und des nach wie vor großen Nachholbedarfs rechnen die Auguren mit einem rasch wieder anziehenden Automobilmarkt im größten Land Asiens.
Kurzfristig Kapazität anpassen
Diese technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmen die Strategien der Automobilzulieferbetriebe. Häufig sind dies mittelständische Unternehmen mit 50 bis etwa 1000 Beschäftigten. Viele davon haben sich im Verlauf einiger Jahre nahezu vollständig darauf spezialisiert, Bauteile für die Antriebstechnik herzustellen. Sie sind in die Entwicklungsprozesse der Fahrzeughersteller sowie der großen Baugruppenzulieferer (Tier-1-supplier, zum Beispiel Bosch, Getrag, ZF) eingebunden. Kurzfristig spüren sie deutlich die rückläufigen Produktions- und Verkaufszahlen speziell bei Fahrzeugen mit Dieselmotoren.
Dies betrifft beispielsweise die Automobilzulieferer Mesa Parts mit Hauptsitz in Lenzkirch im Schwarzwald und die IMS Gear in Donaueschingen. Sie haben deshalb derzeit ihre Produktionskapazität in den hiesigen Standorten verringert. Vor wenigen Monaten noch benötigte Leiharbeitskräfte werden nicht länger beschäftigt. Einzelne Unternehmensbereiche arbeiten bereits kurz, beispielsweise Nachtschichten entfallen. Allerdings rechnen die Betroffenen Unternehmen nach einer vorübergehenden Schwäche wieder mit Zuwachsraten.
Ähnlich äußerte sich Michael Ingold, Geschäftsführer der Aeschlimann AG in Lüsslingen/Schweiz. Das Unternehmen fertigt ein breites Spektrum an Einspritzdüsen für Großdieselmotoren. Als Gründe für ihre Zuversicht nennen die betroffenen Unternehmer den hohen Anteil an Antriebselementen bei den kommenden Hybridantrieben. Zudem werden die Pkw künftig mit einer Vielzahl an Assistenzsystemen ausgestattet werden. Das betrifft alle Fahrzeuge unabhängig von ihrer Antriebstechnik. Wie Dr. Gerrit Christoph als Leiter des Automotive-Clusters im WVIB in Freiburg ergänzt, erfordern bei künftigen Mobilitätskonzepten Leihfahrzeuge und autonom fahrende „Taxis“ eine weitaus umfassendere Ausstattung als bisherige Automobile.
Daraus ergibt sich eine weiter zunehmende Anzahl an Einzelteilen, die pro Pkw herzustellen sind. Strategisch werden zahlreiche Zulieferbetriebe ihr Produktprogramm etwas anders als bisher ausrichten. Statt für den Hauptantriebsstrang mit Dieselmotor, Getriebe und Kupplungen werden sie künftig vergleichbare Bauteile eher für Nebenantriebe und Assistenzsysteme herstellen. Andere Zulieferbetriebe, unter anderem die A. Raymond, die mehrere Produktionsstandorte in Südbaden betreibt, spüren zwar die aktuelle Nachfrageflaute bei Pkw. Von dem Wandel zur E-Mobilität sehen sie sich allerdings kaum berührt. Wie Geschäftsführer Jürgen Trefzer sagt, produziert der Hersteller überwiegend Bauteile, die unabhängig vom klassischen Antriebsstrang des Verbrennungsmotors in Autos eingebaut werden. Deshalb werde man weiterhin von der Konjunktur in der Automobilindustrie unabhängig von künftigen Antriebsformen profitieren.
Allerdings, so die Zulieferer weiter, sieht man sich damit konfrontiert, den Forderungen der Automobilhersteller nach Regionalisierung nachzukommen. Künftig werden Pkw überwiegend in den Ländern mit steigender Nachfrage und großen Verkaufszahlen produziert. Daran müssen sich die Zulieferbetriebe orientieren. Das wird sie veranlassen, Produktionskapazitäten eher in Asien als in Europa aufzubauen und auszuweiten.
Aktiv mitwirken am Wandel
Dagegen verfolgen Zulieferbetriebe, die nahezu ausschließlich Bauteile für die mobile Antriebstechnik herstellen, andere Geschäftsstrategien. Das betrifft beispielsweise die kößler technologie GmbH im schwäbischen Babenhausen. Das im Jahr 1972 gegründete Unternehmen beschäftigt derzeit etwa 450 Fachkräfte. Es produziert in einer hochautomatisierten, inzwischen weitgehend digitalisierten Produktion vor allem Komponenten für Automobilgetriebe, aber auch für Hydraulik. Schon seit vielen Jahren übernimmt der Zulieferer auch einen großen Anteil am Engineering für Bauteile und Komponenten im Fahrzeugbau.
Wie Inhaber und Geschäftsführer Reinhard Kößler berichtet, ist die aktuell sehr volatile Entwicklung für Automobilzulieferer schwierig einzuschätzen. In seinem Unternehmen werde in halbjährlichen Workshops jeweils die weitere Strategie mit Führungskräften diskutiert. Als kompetenter Zulieferer profitiert kößler technologie von umfassendem Knowhow und der Spezialisierung. „Da wir bisher schon viele Anteile am Engineering neuer Produkte übernommen haben, werden wir demnächst noch viel stärker in die Entwicklungsprozesse der Automobilhersteller eingebunden. Die Fahrzeughersteller geben immer mehr Entwicklungs- und Konstruktionstätigkeiten an qualifizierte Zulieferbetriebe ab“, erläutert Reinhard Kößler. So ist er inzwischen in die Entwicklung von Antriebselementen für Elektro-Pkw eingebunden.
Produktpalette und Dienstleistungen ausweiten
Wie Reinhard Kößler bestätigt, profitieren Zulieferer in den kommenden zehn Jahren sogar vom Wandel zur E-Mobilität. „Nach wie vor werden Pkw mit Verbrennungsmotoren gebaut. Die Automobilhersteller selbst konzentrieren sich aber bereits jetzt voll auf die Elektroantriebe und die Batterietechnik. Deshalb geben sie die Entwicklung und die Produktion aller Bauteile für Verbrennerantriebe an Zulieferer ab“, führt er aus. Wer sich hier engagiere, könne in Zeiten des Wandels hin zur E-Mobilität nur profitieren. Er fügt weiter hinzu, dass bis zum Jahr 2030 nach wie vor Verbrennungsmotoren und Getriebe in beinahe 70 % aller Pkw benötigt werden, sollten die derzeitigen Vorhersagen zutreffen.
Das betreffe zwar Bauteile für Verbrennungsmotoren mit kleineren Leistungen, aber grundsätzlich gehe es um gleiche Produkte. Für sich und sein Unternehmen sieht er beste Chancen. Allerdings müsse man dafür gerade aktuell sehr wachsam die Entwicklung verfolgen und sich flexibel auf wandelnde Forderungen aus der Politik und der Automobilindustrie einstellen. Dem Trend zur regionalen Fertigung dürfe man sich nicht verschließen, um weiterhin als Automobilzulieferer erfolgreich tätig zu sein, so Reinhard Kößler.
Alternative Märkte und Branchen erschließen
Ein anderes Konzept verfolgt Hermann Rumpel mit seinem Unternehmen Rumpel Präzisionstechnik in Wilflingen. Knapp 70 Beschäftigte waren bisher zu 80 bis 90 % mit Aufträgen zum Bearbeiten von Gehäusen, Klappen und anderen Komponenten für Turbolader ausgelastet. Dafür werden speziell hoch warmfeste Metalllegierungen bearbeitet.
Wie Hermann Rumpel berichtet, hat er vorausschauend bereits vor etwa drei Jahren begonnen, zusätzlich zum Turbolader vergleichbare Bauteile für andere Branchen zu fertigen. Dabei profitiert sein Unternehmen vor allem vom herausragenden Know-how beim Bearbeiten exotischer Metalllegierungen. „Aus diesen Legierungen bestehen eine Vielzahl an Bauteilen in der Luft- und Raumfahrt, der Energie- und Verfahrenstechnik sowie in der Medizintechnik. Deshalb erachte ich es als sinnvoll und lohnend, diese Branchen als Kunden zu erschließen. Damit können wir den rückläufigen Anteil an Aufträgen aus der Automobilindustrie auf längere Zeiträume hin ausgleichen“, führt Hermann Rumpel aus.
Als zusätzliche Motivation für seine angepasste Unternehmensstrategie sieht er die zunehmenden Auflagen der Automobilindustrie. Für einen kleinen Betrieb lassen sich die zahlreichen Zertifizierungen und Audits kaum noch wirtschaftlich bewältigen, so Hermann Rumpel. Inzwischen fertigt der Zulieferbetrieb in Wilflingen nur noch zu etwa 40 % seiner Gesamtkapazität für die Automobilindustrie. Das will Hermann Rumpel noch weiter reduzieren. Entsprechend investiert er nicht mehr in spezialisierte Maschinen und Prozesse, sondern eher in universell nutzbare Fertigungstechnologie.
Ähnlich wie Rumpel agiert Tolga Diethelm. Er leitet den Vertrieb für mehrere in der Türkei angesiedelte Produktionsbetriebe, die überwiegend als Automobilzulieferer tätig sind. Für Diethelm steht unter den derzeit volatilen Bedingungen vor allem im Fokus, sehr agil und flexibel zu sein. Wie Diethelm erläutert, könnte die Additive Fertigung für Zulieferer eine zukunftsweisende Alternative zur bisherigen Produktion sein. Derzeit verhandelt er mit einigen Kunden bereits mögliche Projekte für eventuell wirtschaftlich zu fertigende Bauteile.
Zum anderen befasst sich Tolga Diethelm auch sehr intensiv damit, in anderen Sparten als der Automobilbranche Auftraggeber zu finden. „Das Umfeld in der Produktion muss zu den Produkten und den Auftragslosen passen“, sagt er. So kann er sich vorstellen, statt Wellen und Bolzen für Pkw auch Knochenschrauben in großen Serien für die Medizintechnik zu fertigen. Alternativ könnten seine Produktionsbetriebe auch in der Luftfahrtbranche tätig werden.
„Allerdings“, so schränkt Diethelm ein, „muss man für den Wechsel in alternative Branchen mehrere Jahre Vorlauf einrechnen. Denn es bedarf einiger, zum Teil erheblicher Anstrengungen, zum Beispiel Zertifizierungen und Audits.“ Als besonders wichtig erachtet Tolga Diethelm, jederzeit die Konzepte und Geschäftsstrategien zu überdenken, wachsam die Märkte zu beobachten und vor allem immer wieder zusätzliche Kunden zu akquirieren.
Reinhard Kößler:
„Wer bisher als Zulieferbetrieb stark auf die Automobilindustrie fokussiert war, wird künftig bei der E-Mobilität ebenso eine entscheidende Rolle spielen. Auch dafür sind eine Vielzahl an innovativen und hochwertigen Bauteilen in großen Serien besonders wirtschaftlich zu fertigen.“
Reinhard Kößler, kößler technologie GmbH,
Babenhausen
Hermann Rumpel:
„Mit speziellem Fertigungs-Knowhow lassen sich profitable Aufträge in alternativen Branchen erschließen.“
Hermann Rumpel, Rumpel Präzisionstechnik in Wilflingen
Die Produktion
von Personenkraftwagen wird bis zum Jahr 2032 insgesamt um knapp 30 % auf jährlich etwa 110 Millionen Einheiten zunehmen!“
Fawad Ahmad, Analyst der Unternehmensberatung IHS Markit
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