Startseite » Fertigung »

Mit der Produktion auf Augenhöhe

Werkzeugbau als vollwertiges Verbindungsglied zwischen Design und Serienfertigung
Mit der Produktion auf Augenhöhe

Der Werkzeugbau der AUDI AG in Ingolstadt nimmt im Volkswagen-Konzern die Position des Center of Excellence für diesen Bereich ein. Aus dieser Rolle ergibt sich der eigene Anspruch, Konzeption und Entwicklung von Produkten und Produktion entscheidend mitzugestalten.

Autor: Konrad Mücke

„Der Werkzeugbau im Volkswagen-Konzern trägt auch zum Design unserer Autos und zur Konzeption unserer Produktionsprozesse bei.“ So umreißt Hubert Waltl, Leiter Sparte Werkzeugbau im Volkswagen-Konzern, gleich zu Beginn die besondere Rolle des Werkzeugbaus. Damit hebt er deutlich hervor, dass er sich und seinen Betrieb in Ingolstadt nicht als Zulieferer sieht. Daraus leitet er aber auch den Anspruch ab, bei allen Stufen der Produkt- und Produktionsentwicklung dabei zu sein. „Dem Werkzeugbau in der Automobilindustrie fällt die Rolle zu, die Kosten und den Aufwand in der Serienproduktion zusammen mit der Planung beurteilen zu können“, erklärt Waltl.
Innovativer Werkzeugbau entwickelt richtungsweisende Konzepte
Den hohen Stellenwert im Volkswagen-Konzern hatte der Werkzeugbau nicht immer. In den frühen 1990er Jahren stand man vor der Entscheidung, diesen Bereich vollständig auszugliedern und externen Zulieferern zu übertragen, oder, wie im Jahr 1993 begonnen, ihn zu seiner heutigen Position aufzuwerten. Waltl ist überzeugt, dass diese Entscheidung richtig war. „Mit diesem Weg haben wir dem Werkzeugbau völlig neue Impulse gegeben. Viele Innovationen, die den Werkzeugbau leistungsfähiger, effizienter und wirtschaftlicher gemacht haben, hätten wir sonst nicht realisiert. Zudem hat von diesem Konzept der gesamte Fahrzeugbau, von Design und Konstruktion bis hinein in die Serienproduktion, profitiert,“ erklärt er weiter.
Entwicklumgszyklen kürzen
In der Entwicklung von Automobilen wurden die Zykluszeiten von ehemals acht bis zehn Jahren auf etwa die Hälfte reduziert. Dabei kommt dem Werkzeugbau eine besondere Bedeutung zu. Umfassende Anstrengungen waren nötig, um die Durchlaufzeiten drastisch zu kürzen. Wie Waltl betont, werden dafür fortlaufend alle aktuell realisierbaren organisatorischen und technischen Möglichkeiten genutzt. Drei Faktoren bezeichnet er als entscheidend: „Zum Erfolg führen Rhythmus, Standardisierung und ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Wir haben dies in unserem Projekt „Speed“ umgesetzt, das seit dem Jahr 2005 läuft. Rhythmus entsteht mit einer Fließproduktion. Deshalb richten wir sämtliche Prozesse im Werkzeugbau danach aus. Standardisierung schafft man mit dem digitalen Abbilden der Prozesse. Soweit möglich, simulieren wir alle Abläufe und Verfahren. Das sorgt für eine sichere Planung und durch geprüfte Prozesse kommt es zu einem schnellen Fertigungsanlauf. Zur kontinuierlichen Verbesserung tragen vor allem unsere gut ausgebildeten und fortlaufend geschulten Mitarbeiter bei. Deshalb investieren wir umfassend in deren Aus- und Weiterbildung.“
Fließfertigung effizienter
Gemäß diesen Vorgaben ist der Werkzeugbau in Ingolstadt inzwischen nach dem Prinzip einer Fließfertigung aufgebaut. Auf mehreren Arbeitsplätzen führen die Mitarbeiter jeweils einen festgelegten Arbeitsumfang an einem Werkzeug aus, bevor in der Produktionslinie zum nächsten Arbeitsplatz weitergetaktet wird. Benötigte Komponenten von Zulieferern, beispielsweise Maschinenelemente wie Schrauben, Dichtungen und Passstifte, aber auch Schieberbauteile oder Pneumatik- und Hydraulikteile, werden entlang der Fertigungslinie dezentral bereitgestellt. So können die Mitarbeiter an ihren jeweiligen Stationen direkt ohne lange Wege in der Halle auf die aktuell benötigten Teile zugreifen. Das minimiert den Zeit- und Arbeitsaufwand und führt somit zu kürzeren Durchlaufzeiten.
Spanende Bearbeitung an Montage angegliedert
Auch die spanende Fertigung für die formgebenden Geometrien sowie für Anbauteile an den Presswerkzeugen befindet sich parallel zu der Produktionslinie. Damit erreichen die Werkzeugbauer in Ingolstadt eine Fertigung, die in direktem Kontakt und zeitlichem Bezug zur Montage und dem Aufbau der Presswerkzeuge steht.
Zentrale Planung stellt Daten dezentral bereit
Eine solche Fließproduktion im Werkzeugbau lässt sich allerdings nur mit einer ausgeklügelten, sorgfältigen Planung und Organisation verwirklichen. Dafür haben die Werkzeugbauer in Ingolstadt ein durchgängiges System zur Steuerung der Produktion installiert. Einbezogen sind alle Schritte von der Anlieferung und Vermessung der Rohgussteile bis zur abschließenden Qualitätssicherung der fertiggestellten Werkzeuge. Jeder Mitarbeiter kann an seiner Arbeitsstation über dezentrale Terminals die vorgesehenen Arbeitsschritte abrufen. Dazu erhält er die benötigten CAD-Daten sowie Stücklisten mit erforderlichen Komponenten, Einzelteilen und Werkzeugen. Er bestätigt hier auch das Ausführen der Produktions- und Montageschritte und gibt damit das Werkzeug für die nachfolgende Arbeitsstation frei.
Simulieren schafft frühzeitig Sicherheit
Um die Abläufe bereits in ihren Auswirkungen und ihren wechselseitigen Einflüssen vorab prüfen und beurteilen zu können, nutzt der Werkzeugbau in Ingolstadt konsequent die Simulation. Nahezu sämtliche Prozesse werden virtuell abgebildet. „Vordenken ist besser als nacharbeiten,“ sagt Waltl. „Das erscheint zwar zunächst sehr aufwendig, erweist sich aber im gesamten Ablauf als äußerst effizient. Simulation verbessert die Qualität und sorgt für wesentlich kürzere Durchlaufzeiten.“ Als innovationsorientierter Werkzeugbau nutzen die Ingolstädter ein sehr weitreichendes Spektrum an Simulationen. So simulieren die NC-Programmierer die spanenden Bearbeitungen. die Umformtechniker den Tiefziehverlauf der Bleche im konstruierten Presswerkzeug und die Produktionsplaner den Fertigungs- und Montageablauf vom Rohteil bis zum einsatzbereiten Serienwerkzeug. Da sämtliche verwendeten Daten in Rechnern vorgehalten und bereitgestellt werden, zieht diese Arbeitsweise die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Bereiche und Mitarbeiterteams nach sich. So können die Bauteilkonstrukteure aus der Design- und Produktentwicklung und die Umformtechniker im Werkzeugbau sehr früh Konzepte einzelner Karosserieteile untereinander austauschen und sich wechselseitig über deren Realisierung abstimmen. Das vermeidet Fehlentwicklungen sowie zeit- und kostenintensive Änderungen in späteren Entwicklungsstadien.
Qualifizierte Mitarbeiter in ständigem Dialog
Auf diese Weise trägt die Informationstechnologie zu einem schnellen und gezielten Weitergeben und Verarbeiten von Daten bei. Wie Waltl aber hervorhebt, gehören auch kurze Wege beim persönlichen Informationsaustausch zu den Erfolgsrezepten. „In unseren regelmäßigen Mitarbeiterschulungen legen wir besonderen Wert auf Kommunikationsfähigkeit.“ Dies betrifft vor allem den Kontakt und den Informationsaustausch zu anderen Bereichen, wie dem Design und der Konstruktion oder der Produktionsplanung für die Serienfertigung.
Eine besondere Rolle spielt die Qualifikation der Mitarbeiter beim Tuschieren der gefertigten Presswerkzeuge. Dafür verfügt der Werkzeugbau in Ingolstadt über mehrere Try-out-Pressen. Diese lassen sich in ihren Eigenschaften an das Verhalten von Großteilpressen der Serienfertigung anpassen. So können die Mitarbeiter in Ingolstadt nahezu unter den Bedingungen der Serienfertigung die Werkzeuge optimieren und einrichten. Das vermeidet unnötig lange Einarbeitung und Anpassen der Werkzeuge auf den Großteilpressen in den Presswerken.
Werkzeugbau bestimmt Qualität und Prozesssicherheit
Kurze Durchlaufzeiten und höchste Effizienz reichen für den anhalten Erfolg im Werkzeugbau alleine nicht. „Bei der Fertigung unserer Autos geht es um Gesamtwirtschaftlichkeit gepaart mit höchsten Qualitätsansprüchen,“ betont Waltl. Auch die Qualität der Karosserieblechteile, die mit unseren Presswerkzeugen gefertigt werden, steht im Vordergrund. Daraus leiten die Ingolstädter Werkzeugbauer ihren eigenen Anspruch ab, fortlaufend Innovationen zur Qualitätsverbesserung zu prüfen und möglichst rasch in die tägliche Praxis zu übernehmen. Dazu haben sie eine eigenständige Abteilung für Innovationen etabliert. Hier werden beispielsweise neue Konstruktionsmethoden, Bearbeitungs- und Messverfahren sowie Automatisierungseinrichtungen für die Serienproduktion in Verbindung mit Presswerkzeugen untersucht und beurteilt. Dies geschieht immer mit dem Ziel, die Effizienz in der Produktentwicklung und in der Serienfertigung zu steigern.
Messtechnik sorgt für Qualitätsverbesserungen
Entscheidendes Element für höchste Qualität bei minimierten Durchlaufzeiten ist die zeitgemäße Messtechnik. So werden beispielsweise die Geometrien der Rohgussteile mit optischen Scannern dreidimensional erfasst. Damit erhalten die Qualitätsteams innerhalb kürzester Zeiten absolut zuverlässige Daten, um Korrekturmaßnahmen abzuleiten.
Nach dem Abpressen von Musterteilen werden die Bleche taktil oder optisch gemessen und protokolliert. So lassen sich die Geometrien auch großer Teile, wie Motorhauben und kompletter Seitenwände, genau erfassen, um die Qualität beim späteren Zusammenfügen zur kompletten Karosserie beurteilen zu können. Auch in der Messtechnik setzen die Werkzeugbauer konsequent auf Standardisierung und Simulation. Inzwischen verfügen sie über ein umfassendes Baukastensystem an Standardteilen zum Aufbau von Meisterböcken. Diese tragen Blechteile und daraus komplett zusammengestellte Karosserien zum Vermessen. Messvorgänge können unter anderem wegen dieser Standardisierung der Aufbauhilfen vorab virtuell entwickelt und simuliert werden. Daraus erzeugen die Programmierer innerhalb kürzester Zeiten die erforderlichen Messprogramme. Damit können die umfassenden und langwierigen Messungen anschließend automatisch ablaufen. Die Optimierungen, die sich aus den Messungen ergeben, können so wesentlich schneller in die Konstruktion und Bearbeitung der Presswerkzeuge einfließen als früher.
Zukunftsweisende Konzepte weitergeben
Mit den zahlreichen Verbesserungen in der Konstruktion, der Produktion, der Montage und der Qualitätssicherung hat sich der Werkzeugbau in Ingolstadt inzwischen zum Center of Excellence für Werkzeugbau im Volkswagen-Konzern entwickelt. Hier werden die Innovationen vorangetrieben und praxistaugliche Verfahren entwickelt und verwirklicht. Diese stehen allen anderen Konzern-Werkzeugbauten zur Verfügung. Waltl beurteilt diese Vorreiterrolle so: „Im gesamten Volkswagen-Konzern halten wir einheitliche Standards an Qualität und Produktivität ein. Nur so können wir gewährleisten, dass unsere Autos unabhängig von der Herkunft der Einzelteile den hohen Qualitätsansprüchen genügen.“ Deshalb werden in Ingolstadt die Prozesse weiter optimiert und standardisiert. Dies geschieht für alle Karosserieteile und die benötigten Presswerkzeuge. Um allerdings die erforderliche Produktivität zu schaffen – für eine Seitenwand sind allein bis zu zwölf Werkzeugsätze bestehend aus Ober- und Unterwerkzeug zu fertigen – sind die Werkzeugbauer an unterschiedlichen Standorten auf jeweils eigene Segmente spezialisiert. Ingolstadt produziert die Presswerkzeuge für komplette Seitenwände. Daneben teilen sich die Standorte Neckarsulm, Györ in Ungarn und Barcelona in Spanien die übrigen Karosserieteile. Neben Presswerkzeugen entwickeln die Werkzeugbauer in Ingolstadt auch Anlagen zum Fügen von Karosserieblechen. In Györ produzieren die Werkzeugbauer zudem Karossserieteile für den Audi R8 und den Audi RS6 in Kleinserie.
Die Sparte Werkzeugbau im Volkswagen-Konzern blickt auf über 15 Jahre Erfolgsgeschichte. Mehrere Auszeichnungen, darunter wiederholt als „Werkzeugbauer des Jahres“ belegen die besondere Innovationsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Werkzeugbaus. Waltl fasst zusammen: „Wir agieren auch am freien Markt als ernstzunehmender Anbieter. Ein Beweis für unsere herausragende Position ist das stetig zunehmende Auftragsvolumen. Um diesem gerecht zu werden und unseren Erfolg fortzusetzen, investieren wir an den Standorten Ingolstadt und Neckarsulm jeweils über 20 Millionen Euro in den nächsten Jahren. Wir sind überzeugt, im Werkzeugbau die richtigen Konzepte zu realisieren und damit eine hochwertige Wertschöpfung auf Dauer in Deutschland und Europa halten und weiter ausbauen zu können.“ Eine Einschätzung, die Mut macht auf Zukunft und manchem als Vorbild zu empfehlen ist.
Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild mav Innovation in der spanenden Fertigung 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Trends

Aktuelle Entwicklungen in der spanenden Fertigung

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Alle Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de