mav: Wie groß ist die Affinität der Gehring-Gruppe zum Automotive-Bereich?
Winterstein: Gehring ist seit jeher enger Partner der Automobilindustrie – das fing bei Gründer Christoph Willi Gehring an, der als technischer Direktor unter anderem auch schon Motoren für Rennwagen entwickelte. Diese Leidenschaft hat sich erhalten und weiterentwickelt, sowohl in der PKW-Branche als auch darüber hinaus, vom Zweirad über Nutzfahrzeuge bis zum Off Highway Fahrzeug. Als Honspezialist bedienen wir mit optimierten Funktionsoberflächen aber auch die Lebensmittelbranche, Luft- und Raumfahrt, Medizin- und Hydraulik/Pneumatik.
Welche Rolle spielt dabei aktuell die Elektromobilität?
Winterstein: Wir haben uns der Aufgabe angenommen, die Industrialisierung der Elektromobilität aktiv mitzugestalten. Dabei kommt uns zugute, dass die Technologie- und Prozessentwicklung ein grundlegender Bestandteil all unserer Aktivitäten ist. Auf die E-Mobilität bezogen haben wir damit den Stator als das wesentliche Bauteil identifiziert. Die ersten Planungen und Entwicklungen starteten schon vor circa vier Jahren. Im Verlauf des Aufbaus unserer Aktivitäten konnten wir uns dann vor gut zwei Jahren mit der copperING-Gruppe verstärken, die unsere bis dahin geschaffenen Kompetenzen und Kapazitäten mit wertvoller Erfahrung und Knowhow ergänzte. Nach einer gelungenen Integration und gemeinsamer Marktbearbeitung treten wir nun seit Juni ausschließlich unter der Marke Gehring am Markt auf. Klares Ziel ist, den Ausbau der weltweiten Kapazitäten zu unterstützen und das Segment auszubauen.
China fährt aktuell die Subventionen für E-Fahrzeuge zurück, um sie in naher Zukunft auslaufen zu lassen. Glaubt die Regierung im Reich der Mitte nicht mehr recht an eine elektromobile Zukunft?
Winterstein: Es ist tatsächlich so, dass die Entwicklung und Strategie der Öffentlichkeit und Industrie in China bzgl. der E-Mobilität recht dynamisch ist. Dies gilt es zu begleiten, indem wir nah an den uns bekannten und den neuen Herstellern dran sind, auch wenn es hier eine große Anzahl an Anbietern gibt. Man kann hier sicher mit einer Konsolidierung rechnen. Auf die politische Linie hat man natürlich wenig Einfluss, aber nach unseren Informationen gibt es derzeit doch wieder Subventionen für die E-Mobilität und wir sehen auch einiges an Projekten.
Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der Elektromobilität weltweit ein?
Winterstein: Wenn wir auf die Entwicklung der Prognosen schauen, gab es in der Vergangenheit eine Vielzahl an Szenarien und reichlich Unsicherheit – dies hat sich inzwischen merklich gebessert. Man kann davon ausgehen, dass mittelfristig die rein elektrischen Fahrzeuge inklusive Hybride und weiterentwickelte Verbrenner von den Stückzahlen her etwa gleichwertig sind. Dies wird ergänzt durch einen gewissen Anteil Sondertechnologien, wo vor allem die Wasserstofftechnologie interessant ist. Die weitere Entwicklung in diesem Bereich ist noch nicht genau vorherzusehen, wir behalten dies aber im Auge.
Es mehren sich Stimmen, die für die nächsten Jahre das stärkere Wachstum im Bereich der Hybridfahrzeuge sehen. Schließen Sie sich dieser Einschätzung an?
Winterstein: Die Zahlen, auf die wir uns beziehen, bestätigen das – und wir sehen es auch am Markt, wo wir entsprechende Projekte anbieten.
Welche Entwicklungen treibt Gehring im Bereich E-Mobilität voran?
Winterstein: Allgemein gesprochen bieten wir die Produktionstechnik zur Fertigung von Traktionsantrieben in elektrifizierten Fahrzeugen. Zentrales Bauteil ist der Stator auf Basis der Hairpin-Technologie. Diese Bauart kombiniert effiziente Elektromotorencharakteristik mit hoher Automationsfähigkeit und Prozessreproduzierbarkeit – wesentliche Voraussetzungen für die automobile Großserienfertigung. Die Bandbreite des Angebots reicht von unabhängigen, maßgeschneiderten Lösungen für die Stator-Prototypenentwicklung und Kleinserienproduktion bis zu vollautomatisierten, neuen Systemlösungen für Elektromotor-Fertigungslinien.
Welche Maschinen und Anlagen speziell für diesen Bereich sind für Kunden verfügbar?
Winterstein: Wir verfolgen hier den Ansatz, alles aus einer Hand liefern zu können und decken alle Prozesse der Statorfertigung mit den entsprechenden Maschinenkonzepten aus einem Baukasten ab. Dies umfasst unter anderem die maßgeblichen Prozesse des Pin-Herstellens, Setzens und Einbringens sowie des Twistens und Schweißens und der Statorimprägnierung. Darüber hinaus kümmern wir uns auch um die Prozess- und Systemauslegung, die Qualitätssicherung und Automation und liefern mit unserer eigenen Gehring-IoT-Plattform CORE tiefgehende Daten zur Produktionsüberwachung und -optimierung.
Welche Kunden aus dem Bereich E-Mobilität können Sie mir nennen?
Winterstein: Sie werden verstehen, dass die Vertraulichkeit in diesem Bereich noch einmal über das bekannt hohe Maß bei Automobilisten hinausgeht. Aufgrund der Neuheit der Entwicklungen kommt dies beim elektrischen Antriebsstrang noch stärker zum Tragen. Wir können aber sagen, dass wir große OEMs und Nischenanbieter sowie deren Zulieferer beliefern.
Sind in diesem Bereich wichtige neue Kunden gewonnen worden?
Winterstein: Wir sind als Systemlieferant beim konventionellen Antrieb natürlich bei allen großen Herstellern vor Ort und betreuen entsprechend auch die Projekte im Bereich der E-Mobilität dort. Die Vertrautheit mit der Branche und die entsprechenden Fähigkeiten sind Bestandteil unserer Strategie. Natürlich gibt es nun neue Start-ups und Zulieferer, grundsätzlich besteht aber eine große Synergie.
Wie sieht die Situation aktuell bei den Verbrennern aus?
Winterstein: Die Verbrauchs- und Emissionsreduzierung bleibt ein Treiber bei der Entwicklung der Motoren. Wir sind hier mit unserer etablierten Formhontechnologie ein wichtiger Partner. Bei dem Verfahren wird die Funktionsverformung des Zylinders fertigungstechnisch vorgehalten, so dass sich im Betriebszustand eine nahezu idealzylindrische Geometrie einstellt. Dies wirkt sich vorteilhaft auf CO2-Emissionen, Öl- sowie Kraftstoffverbrauch, Leistung und Verschleiß aus. Zusammen mit führenden globalen Automobilherstellern wurde diese Technologie umgesetzt und schafft inzwischen auf Anlagen in den USA, Europa und China serienmäßig Kostenvorteile. Ein Schwerpunkt der weiteren Entwicklung ist die Umsetzung im Nutzfahrzeugbereich, wo dann die Buchsen formgehont werden.
Eine weitere Entwicklung, die wir mit eingeführt haben und vorantreiben ist die Herstellung von Motoren mit beschichteten Zylinderlaufbahnen. Dies umfasst die Prozesskette Laseraufrauen – thermisches Beschichten – Honen. Thermische Spritzschichten in Zylinderlaufbahnen von Verbrennungsmotoren erhöhen die Energieeffizienz der Aggregate durch geringere Reibung. Verschleiß sowie Baugröße der Motoren werden reduziert. Neben den Honprozessen liefert Gehring als erster Ausrüster in dieser Prozesskette auch das Aufrauen mittels Laser. Die vielfältigen produktionstechnischen Vorteile des Verfahrens kommen zum Beispiel bei Volkswagen zum Tragen, wo wir inzwischen mehrere Linien ausrüsten. Wie oben schon mal erwähnt zeigt sich auch hier unsere DNA als Technologie- und Prozessentwickler.
Werden neue Linien aufgebaut? Wie ist hier die Auftragslage?
Winterstein: Ja, es gibt hier in allen Weltregionen aktive Projekte – teils mit der Einschränkung, dass die Stückzahlen etwas geringer sind.
Welche technologischen Entwicklungen treiben das Geschäft bei den Verbrennern?
Winterstein: Die Formhon- und Nanohontechnologie zur Emissionsreduzierung sind die wesentlichen Treiber.
Was bedeutet dies für Ihr Produktportfolio?
Winterstein: Wir haben hier im Bereich Laseraufrauen eine Produktlinie mit ein- und zweispindligen Maschinen eingeführt. Darüber hinaus wird es hier aufseiten der Steuerungstechnik Weiterentwicklungen geben, die wir in Kürze als nächste Generation des Formhonens vorstellen werden.
Gehen Sie davon aus, dass das Geschäft mit Werkzeugmaschinen und Anlagen zur Herstellung von Komponenten für Verbrennungsmotoren weltweit bereits den Zenit überschritten hat?
Winterstein: Das Stichwort lautet hier Nachhaltigkeit – und zwar im doppelten Sinne: neben dem ökologischen Aspekt wird es wichtig sein, Mobilität als Grundbedürfnis mit eher wachsender Bedeutung zuverlässig verfügbar zu machen, in verschiedenen Formen. Dabei erreicht der rein konventionelle Antrieb nun sicher den Zenit, das Wachstum wird bei hybriden Antrieben und im rein batterieelektrischen Segment stattfinden. Der Individualverkehr gewinnt derzeit in China bedingt durch die Corona-Krise wieder an Bedeutung, ein Trend, der ggf. weiter wirkt.
Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf das Maschinen- und Anlagengeschäft bei Gehring?
Winterstein: Man kann davon sprechen, dass es in diesem Jahr für drei Monate praktisch einen Stillstand gab – eine sehr ernstzunehmende Situation. Inzwischen sind wieder Fortschritte zu sehen. In unserem Fall hat sich die frühe Diversifizierung zur E-Mobilität als hilfreich erwiesen. Auch konnten wir durch andere kreative Maßnahmen gegensteuern.
Ab wann gehen Sie von einer weitgehenden Normalisierung der Lage aus?
Winterstein: Eine ernsthafte Normalisierung ist vor 2021 nicht zu sehen, dazu ist die Investitionsbereitschaft in 2020 zu gering. Es wird darüber hinaus Herausforderungen geben, die wir mit Kreativität und gesamtgesellschaftlicher Kooperation meistern müssen.
Gehring Technologies GmbH
Gehringstraße 28
73760 Ostfildern
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