Die Arbeit als Chefredakteur einer fertigungstechnischen Fachzeitschrift hat ohne Frage ihre guten Seiten. Man kommt ziemlich viel herum und trifft eine Menge Leute, die wirklich Ahnung haben. Die hat man als Redakteur ja eher nicht. Der Redakteur weiß von allem etwas und von nichts richtig viel.
Was mir bei einigen Begegnungen im letzten halben Jahr besonders aufgefallen ist: die Sorge vieler Entscheider, dass der Standort Deutschland an Attraktivität verliert.
Aus seiner persönlichen Sicht hat es Bimatec-Soraluce Geschäftsführer Thilo Borbonus so formuliert: „In Deutschland kommen inzwischen eine Menge Faktoren zusammen, die sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken. Energie- und Lohnkosten sind hoch, gleichzeitig ist der Krankenstand erheblich und die Arbeitszeitregeln sind unflexibel. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der viele Unternehmen zusätzlich ausbremst“, (Interview S. 28). Nach seiner Beobachtung findet aktuell ein Abbau von Fertigungskapazität in Deutschland und ein Aufbau in den östlich von uns gelegenen EU-Ländern statt. Eine Einschätzung, die auch von aktuellen Umfragen und Studien bestätigt wird (Trend ab S. 22).
Was aber passiert, wenn die produktive Basis vernachlässigt wird, können wir uns in den USA und Großbritannien anschauen. Nach einer langen Phase der Fokussierung auf den Dienstleistungs- und Finanzsektor sortieren sich die Briten gerade neu, während in den USA bereits massiv umgesteuert wird. Unter anderem mit dem Inflation Reduction Act von 2022, der schon jetzt zu hohen Investitionen in zusätzliche Fertigungskapazitäten geführt hat.
Auch wenn viele heimische Maschinen- und Werkzeughersteller aktuell vom Boom in den USA profitieren, ohne die starke Vernetzung der exzellenten Unternehmen hier vor Ort, ohne die vielen deutschen Hidden Champions und ohne all die oftmals hochinnovativen Lohnfertiger stockt nicht nur der Konjunkturmotor, sondern auch der Innovationsmotor – mit entsprechend langfristigen Folgen.
Wer in den nächsten Tagen auf der AMB unterwegs ist, wird ganz sicher beeindruckt sein von der ungebrochenen Innovationskraft, die auf dem Stuttgarter Messegelände präsentiert wird. Aber er wird auch sehen: Es steht viel auf dem Spiel, was den Fertigungsstandort Deutschland angeht.