Zu Zeiten, in denen ich noch mehr von Computern als von Werkzeugmaschinen verstand – Spötter mögen einwerfen, das sei immer noch so –, habe ich mich gefragt: Kann es denn so schwer sein, einen „einfachen“ Zerspanprozess zu simulieren? Ich dachte an die Rechenprobleme, die Supercomputer bearbeiteten – beispielsweise der 2002 in Japan installierte Earth Simulator. Zwei Jahre lang war er der schnellste Rechner der Welt, und wie der Name schon sagt, war die Ambition keine geringere als die, das Erdklima zu simulieren. Angesichts der Zahl der beteiligten Teilchen und der Multidimensionalität des Problems sollte das doch eine ungleich gewaltigere Aufgabe sein, oder?
Nicht erst seit dem Hype um den „digitalen Zwilling“ ist mir klar geworden, welche Komplexität sich hinter den Fertigungsprozessen tatsächlich verbirgt. Es geht ja beileibe nicht „nur“ um die Simulation des Werkzeugeingriffs an der Schneide. Da sind Werkstück, Spannmittel, Maschinenkomponenten, Kühlmittel, Werkstoff, Messmittel, Automatisierung und vieles mehr zu berücksichtigen. Man beziehe zusätzlich den gesamten Produktlebenszyklus von der Konstruktion bis zum Einsatz beim Kunden mit ein. Dann noch Logistik, Energie, betriebswirtschaftliche Abläufe, Mitarbeiter …
Dennoch betrachten Experten den digitalen Zwilling als die Schlüsseltechnologie, um Produktionsprozesse sowie Bauteile zu optimieren und die Wirtschaftlichkeit der Fertigung zu erhöhen. Tatsächlich bilden die digitalen Modelle den Fertigungsprozess und seine Auswirkungen auf das Bauteil durchaus präzise ab. Ihre Ausführung ist jedoch derart rechenintensiv, dass die reale Anwendung in der Industrie noch Zukunftsmusik zu sein scheint.
Noch – denn die Ära des Quantencomputing ist angebrochen. Und dieses könnte nach Ansicht vieler Wissenschaftler auch im Fertigungsbereich große Fortschritte bringen. Zu denken gibt mir allerdings, dass die USA auch in diesem Sektor schon wieder den Ton angeben. Und auch China meldet Erfolge. Was, wenn die Amis uns mit Quanten-Power in der Fertigungsoptimierung mal eben rechts überholen?
Deshalb war es eine gute Nachricht, dass im vergangenen Jahr IBMs Quantum System One in Ehningen als leistungsfähigster Quantencomputer Europas für industrielle Anwendungen in Betrieb gegangen ist. Genutzt wird er zunächst exklusiv von den Fraunhofer-Instituten, von deren Ergebnissen dann Industrieunternehmen profitieren sollen. Das ist auch sinnvoll, denn noch ist das Quantencomputing eine große Spielwiese. In welchen Punkten es künftig konventionellen Computerarchitekturen überlegen sein wird, ist noch unklar. Klar ist allerdings jetzt schon, dass Teilprobleme wie etwa die Simulation von Materialeigenschaften mit Gewinn an die Quantenrechner ausgelagert werden könnten.
Bei alledem bleibt festzuhalten: Wird die Komplexität zu groß und ist die Softwareunterstützung unzureichend, dann ist der schönste digitale Zwilling wenig wert. Denn am Ende muss ich als Fertiger auch wissen, welche Handlungsanweisungen und Optimierungsmöglichkeiten ich aus dem gewonnenen Modell ableiten will. Unweigerlich kommt mir da der unvergessene britische Schriftsteller Douglas Adams in den Sinn, dessen Superhirn „Deep Thought“ auf die reichlich unkonkrete Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest die ebenso lapidare wie nutzlose Antwort ausspuckte: 42…