Julian Wiegold ist Zerspaner aus Leidenschaft. Der gelernte Flugtriebwerkmechaniker lebte diese zunächst einige Jahre lang daheim in seiner Werkstatt aus, neben seinem eigentlichen Job in der Flugzeugindustrie. Doch seine zerspanende „Feierabendbeschäftigung“, die er 2009 gestartet hatte, lockte immer mehr Kunden an, so dass er sich 2014 komplett selbstständig machte und die Firma Wispatech, Kaltenkirchen, gründete. Heute beschäftigt Wiegold neun Mitarbeiter, fertigt anspruchsvolle Bauteile für verschiedenste Industriebereiche sowie eigene Produkte, zum Beispiel Linearachsen und Vakuumspannplatten.
Zerspanung verstehen und Lösungen entwickeln
Am meisten Freude bereitet es ihm, sich intensiv mit schwierigen Zerspanungsaufgaben auseinanderzusetzen und die Prozesse optimal zu gestalten. Dabei kommen sein großes Fachwissen und seine Kreativität zum Tragen. Das zeigt sich nicht zuletzt an seiner Maximart VMC 105, die ihm besonders am Herzen liegt. Kein Wunder, das vertikale 3-Achs-BAZ, Baujahr 2004, war seine erste größere Investition und ist heute – längst abgeschrieben – eine Cash Cow des Unternehmens.
„Vor einigen Jahren haben wir sie mit einem von mir entwickelten Vakuumspannsystem ausgestattet“, erklärt Wiegold, „um dünne Aluminiumplatten schwingungsfrei spannen zu können.“ Diese für einen Achshersteller gefertigten Grundplatten werden gefräst und mit zahlreichen Bohrungen versehen.
Aber, wer Vakuumspannung nutzt, muss auf ein klassisches KSS-Überflutungssystem verzichten. Die Vakuumpumpe würde die Emulsion ansaugen und ihren Geist aufgeben. Das war Wiegold klar: „Mit einem solchen Spannsystem kann man nur trocken oder mit MMS arbeiten.“ Kurzerhand baute er ein eigenes MMS-System – auf Alkoholbasis, da sich dieses Medium optimal für Aluminium, AlMg- und AlSi-Legierungen eignet. Wiegold erklärt: „Wir bringen den Alkohol über eine Düse von außen ans Werkzeug. Durch die Verdunstung kühlt dieses auf bis zu minus 30 ºC ab. Zusätzlich soll der Alkohol die Werkzeugschneide schmieren, um die Standzeit zu erhöhen. Außerdem: kein Reinigen, kein Entfetten. Der Alkohol verdunstet rückstandsfrei.“
Alkohol-MMS – ein System mit Stärken und Schwächen
Beim Fräsen ging der Plan in den meisten Fällen auf. „Gegenüber Trockenbearbeitung ein eindeutiger Gewinn“, urteilt Wiegold, der bei der Zerspanung gerne an die Belastungsgrenzen geht. Seine Überzeugung: „Nur wenn man die Möglichkeiten von Maschine und Werkzeug ausreizt, wird die Bearbeitung interessant und lukrativ.“ Doch bei hohen Schnittdaten, bei langen Werkzeugen für tiefe Einfräsungen und speziell beim Bohren stößt das Alkohol-MMS an seine Grenzen. Die Werkzeugkühlung ist zwar vorhanden, aber kein Tropfen Alkohol gelangt bis zur Schneide. Der Schmiereffekt entfällt.
Ein weiterer Nachteil: Da das von Wiegold gebaute MMS-System keinen hohen Druck erzeugt, lässt sich der Span nicht aus den Werkzeugkanälen blasen. Es besteht die Gefahr, dass er bei der zweiten Fräsbahn die Spanabfuhr blockiert und dass Späne unter die Schneide gezogen werden. Die Werkzeugstandzeit geht dann rapide in den Keller, zudem sind am Bauteil schlechte Oberflächen zu erwarten.
Vielversprechende Lösung: Aerosol-Trockenschmierung
Wiegold machte sich auf die Suche nach einer besseren Lösung: nach einem System zur Kühlung und zur zuverlässigen Schmierung an der Schneide. Sein bevorzugter Werkzeuglieferant empfahl ihm, Kontakt zu Knoll Maschinenbau aufzunehmen und sich das System zur Aerosol-Trockenschmierung (ATS) anzusehen.
Gesagt, getan – und prompt kam Michael Erler, Gebietsverkaufsleiter bei Knoll, mit einem Kollegen von der Technik und einem Aerosolmaster-Testgerät vorbei. Dieses ließ sich mechanisch über die für innere Kühlmittelzufuhr (IKZ) vorhandene Drehdurchführung und steuerungstechnisch über ein externes Bedienpult anbinden.
Eineinhalb Tage testeteWiegold zusammen mit den Knoll-Vertretern das System. Er fuhr Versuche bis an die Grenzen der Werkzeugbelastbarkeit und darüber hinaus, also bis zum Bruch. Seine Erkenntnis: „Mit dem Alkohol-MMS und gleichem Werkzeug hätten wir nicht annähernd die gefahrenen Schnittdaten erreicht.“
ATS lohnt sich auch bei älterer Maschine
Was folgen sollte war klar: Bestellung, Lieferung, Festinstallation. Aber funktioniert das System auch an einer fast 20 Jahre alten CNC-Maschine? Ja. Zwar nicht ganz so einfach, wie bei einer neueren, die über CAN-Bus verfügt, aber es geht.
Bei Wispatech dauerte die Installation zwei Tage. Denn es mussten ergänzende Relais installiert und ein paar weitere Veränderungen vorgenommen werden. Doch letztendlich ist das System so in die vorhandene Steuerung eingebunden, dass der Anwender im Maschinenprogramm je nach Werkzeug aus drei verschiedenen Kühl-Schmier-Konstellationen wählen kann.
Wiegold ist begeistert: „Das Arbeiten mit dem Aerosolmaster funktioniert fantastisch und absolut zuverlässig. Die Anschaffungskosten und der Installationsaufwand haben sich auf alle Fälle gelohnt. In den meisten Fällen erreichen wir jetzt um bis zu 30% reduzierte Bearbeitungszeiten und vor allem eine viel höhere Prozesssicherheit.“
Für Letztere sorgt in erster Linie die Druckluft, mit der das ATS-System arbeitet (siehe auch Infokasten). „Die 8-bar-Druckluft, die am Werkzeugaustritt expandiert, bläst die Späne schnell und effektiv weg, so dass wir immer freie Spänekanäle haben. Das funktioniert viel effizienter, als mit 25 bar Kühlmitteldruck.“
Effizienter durch zusätzliche Schaftkühlung
In einigen Fällen nutzt Wispatech noch – ergänzend zum Knoll Aerosolmaster – das weiterhin vorhandene Alkohol-MMS zum Kühlen des Werkzeugschaftes. Wiegold erklärt: „Nachdem ein grundsätzlicher Erfolg sichtbar war, machten wir uns an die Optimierung der Prozesse und Werkzeuge. Das ist elementar wichtig, wenn man die Möglichkeiten voll ausreizen will.“
Er gibt ein Beispiel: „Wir hatten 120 Teile auf die Vakuumplatte gespannt. Früher bedeutete das zwölf Stunden Fräszeit. Mit dem ATS, der ergänzenden Alkoholschaftkühlung und dem optimalen Fräser sind wir runter auf zwei Stunden.“ Solche extremen Einsparungen lassen sich nicht verallgemeinern, aber 50 % Zeitersparnis sind laut Wiegold bei optimierten Prozessen häufig möglich.
ATS mit kryogener Kühltechnologie
Wiegold äußerte in Gegenwart von Knoll-Vertreter Erler einen weiteren Gedanken: Wenn sich jetzt noch die Alkoholkühlung ersetzen ließe, denn die Beschaffung des Mediums sei immer wieder problematisch … Erler hatte prompt eine Antwort parat: Kühlung mit CO2.
Für die Fälle, in denen die reine Aerosol-Trockenschmierung an ihre Grenzen stößt, zum Beispiel bei der Schwerzerspanung von Titan und anderen kaum wärmeleitenden Materialien, kombiniert Knoll das ATS mit kryogener Kühltechnologie. Das heißt, ergänzend zum normalen Aerosolmaster wird flüssiges CO2 in einem zweiten Kanal zur Zerspanungskontaktzone geführt, die sich dadurch auf eine Temperatur bis zu -78 ºC abkühlen lässt. „Im Prinzip funktioniert das wie das Alkohol-MMS, nur mit flüssigem CO2 aus der Gasflasche und noch wirkungsvolleren Temperatursenkungen“, erklärt Erler.
„Einen Versuch wert“, urteilt Wiegold, „das testen wir bei nächster Gelegenheit.“ Von der Qualität des Knoll Aerosolmasters ist er inzwischen rundum überzeugt. Seine Konsequenz: die Bestellung eines zweiten Systems, das er für zwei weitere Maschinen einsetzen will: „Wir werden das so installieren, dass ich es je nach Bedarf zwischen den beiden umschalten kann.“
Vielversprechende Perspektiven
Bei den vorgesehenen Bearbeitungszentren handelt es sich zum einen um eine dreiachsige POSmill E 1100, die mit einer abbaubaren Vakuumplatte ausgestattet ist. Durch den Aerosolmaster erreicht Wispatech hier eine wirkliche Redundanz zur Maximart.
Zum anderen soll der Aerosolmaster das 5-Achs-BAZ POSmill H 800 U versorgen, das Wispatech bevorzugt zum Trochoidalfräsen einsetzt. „Wir bearbeiten auf dieser leistungsstarken Maschine unter anderem Kipphebel für Großmotoren“so Wiegold. „Vom 25 kg Stahlrohling bleibt ein Fertigteil mit nur noch 5 kg übrig. Reine Luftkühlung ist da zu wenig. Ich bin überzeugt, dass wir mit dem AerosolMaster deutlich an Produktivität zulegen.“
Knoll Maschinenbau GmbH
www.knoll-mb.de
EMO Halle 6 Stand F31
Wispatech Zerspanung
www.wispatech.de
Funktionsweise des Knoll Aerosolmaster
Das Herzstück des Aerosolmaster-Systems ist ein Druckbehälter, der ein MMS-Öl, wie zum Beispiel das Schmieröl ATS Lubricant, enthält. Dieses wird mit dem Trägermedium Luft über eine spezielle Venturi-Düse in ein feines Aerosol mit einer Tröpfchengröße von 0,1 µm bis 0,4 µm (durchschnittliche Größe 0,25 µm) verwandelt. Eine patentierte Steuer- und Regelungstechnik sorgt dafür, dass sich Aerosolerzeugung und -transport abhängig von der jeweiligen Applikation einstellen lassen. Selbst bei hohen Drehzahlen und auf langen Distanzen ist wegen der extrem feinen Partikel eine Entmischung des Aerosols kaum zu erwarten. Ebenso wenig besteht die Gefahr eines Filmabrisses. Darüber hinaus bläst das ATS-Medium die trockenen Späne unmittelbar aus der Zerspanungszone.