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Industrie und Politik vor der Antriebswende

Modernes Mobilitätskonzept in Deutschland
Industrie und Politik vor der Antriebswende

Für den Automobilstandort Baden-Württemberg und Deutschland allgemein, ist der Wandel zur emissionsfreien Mobilität eine durchaus folgenschwere Entwicklung. Den Autozulieferern droht durch die Antriebswende der Verlust eines großen Teils ihres Geschäfts. Allein Bosch und ZF erwirtschaften jährlich einen Umsatz von 67,5 Milliarden Euro im Bereich Automotive. Politik und Automobilbranche stehen vor einer großen Herausforderung. Autor: Yannick Schwab

Ein schneller Wandel hin zur Elektromobilität würde die großen Automobil-Zulieferer vor viele Probleme stellen. Verläuft die Veränderung über einen längeren Zeitraum, besteht für die Unternehmen die Möglichkeit, sich mit neuen Geschäftsfeldern anzupassen. „Von der Wirtschaft, insbesondere von den großen deutschen Automobilherstellern, erwarten wir jetzt Beiträge, die den Weg für zukünftige Antriebsformen aktiv mitgestalten“, fordert etwa der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann. „Wenn deutsche Unternehmen zu lange abwarten, welche Trends sich durchsetzen, könnten sie am Ende die Verlierer sein.“ Dieser Forderung folgen große Zulieferer wie beispielsweise Bosch, der in eine neue Chipfabrik in Dresden investiert. Hier sollen für die wachsenden Anwendungen in der Mobilität Halbleiter auf Basis der 300-Millimeter-Technologie produziert werden. Das Investitionsvolumen beläuft sich auf rund eine Milliarde Euro und ist laut Bosch-Chef Volkmar Denner die größte Einzelinvestition in der mehr als 130-jährigen Geschichte von Bosch. Bei ZF wurde im Juni die strategische Zusammenarbeit mit dem Automobilexperten Hella beschlossen. Die Kooperation legt den Fokus auf moderne Assistenzsysteme und autonome Fahrfunktionen.

Problematischer ist die Lage hingegen für die vielen kleinen und mittelständischen Lieferanten überall in Deutschland. Laut statistischem Bundesamt sind aktuell mehr als 302 000 Arbeitskräfte in knapp 700 Zulieferer-Unternehmen beschäftigt, die sehr unterschiedlich auf den kommenden Wandel vorbereitet sind. Hermann erklärt, dass einerseits gezielte Maßnahmen notwendig seien, damit sich der Mittelstand als Lieferant im Bereich der neuen Technologien etablieren könne. Andererseits seien Industrialisierung, Kostenreduktion und Validierung der neuen Technologien zur Großserienproduktion unabdingbar.

Politik in der Verantwortung

Neben den Automobilunternehmen ist hier die Regierung in der Verantwortung, da „die Transformation des Verkehrssektors derart komplex ist, dass sie eine Struktur und gemeinsame Anstrengungen erfordert. Länder, Bund und die EU sind angehalten, in ihrer Zuständigkeit wirksame Maßnahmen umzusetzen“, sagt Hermann. „Wir stellen heute die Weichen, damit sich umwelt- und sozialverträglichere Mobilitätsformen durchsetzen können. Die Automobilindustrie wird den Wandel nicht allein schaffen. Die Politik muss den Transformationsprozess unterstützen und mit klaren ökologischen Leitplanken beschleunigen.“ Deshalb hat der Bund, in Form des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), 26 Förderbescheide für E-Ladesäulen vergeben. Mit dem Bundesprogramm soll eine flächendeckende Ladeinfrastruktur aufgebaut werden. Dafür stellt das BMVI von 2017 bis 2020 insgesamt 300 Millionen Euro bereit. Weiter unterstützt der Bund die Forschung von Plug-in-Hybrid, Batterien sowie Brennstoffzellen und hat in den letzten Jahren mehr als 2 Milliarden Euro in die Entwicklung alternativer Antriebe investiert. Bundesverkehrsminister Dobrindt: „Wir bringen Elektromobilität in die Fläche. Bis 2020 werden bundesweit 15 000 Ladesäulen gebaut. Unser Ziel ist es, eine flächendeckende Ladeinfrastruktur zu schaffen. Damit stärken wir das Vertrauen der Autofahrer, jederzeit und überall ihr Fahrzeug laden zu können. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Antriebswende voranzubringen: mehr Mobilität bei weniger Emissionen.“

Automobilstandort Baden-Württemberg

Als einer der großen Standorte der Automobilindustrie, will sich Baden-Württemberg als Spitzenkraft in Sachen moderner Mobilitätskonzepte ausrichten. „Für Baden-Württemberg ist es existenziell, die führende Position im Bereich der Mobilität auch bei den zukünftigen Technologien und Konzepten zu erhalten. Die Landesregierung wird die im Land angesiedelte Fahrzeugbranche beim Strukturwandel hin zu elektrischen Antriebskonzepten und neuen Mobilitätssystemen intensiv begleiten und unterstützen“, sagt Hermann. Er weist außerdem darauf hin, dass die Elektromobilität einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der wirtschafts-, verkehrs- und klimapolitischen Ziele des Landes leisten müsse. Die Förderung der Elektromobilität sei deshalb in der Politik von zentraler Bedeutung.

Die baden-württembergische Regierung hat mit den beiden Landesinitiativen E-Mobilität I und II auf den wesentlichen Gebieten Aktivitäten initiiert und umgesetzt. Die zuletzt aufgelegte Landesinitiative E-Mobilität III greift dies auf und entwickelt ein Förderprogramm für ein effektives Marktwachstum, welches komplementär zur Bundesförderung wirkt. Dazu gehört, laut Hermann, unter anderem der Aufbau eines landesweiten Netzes von 2000 Ladesäulen mit dem Ziel, künftig in ganz Baden-Württemberg nirgends weiter als 10 Kilometer von der nächsten Lademöglichkeit entfernt zu sein. Bisher stehen in Baden-Württemberg knapp 600 Ladesäulen.

Durch das neue Förderprogramm werden Wege aufgezeigt, wie sich das Land auch zukünftig als wesentlicher Treiber und Gestalter der Elektromobilität positionieren kann. Gefördert werden soll künftig auch der Einsatz von E-Autos bei Sozial- und Pflegediensten, Lieferdiensten, Fahrschulen und Mietwagenfirmen. Allerdings sind die angebotenen alltagstauglichen Elektrofahrzeuge noch sehr teuer.

„Bei Vermarktung, Werbung und Beratung müssen die Automobilhersteller deutlich besser werden“, verlangt Hermann. „Außerdem sollten Kommunen mehr von ihren gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, um den Nutzern von E-Fahrzeugen Vorteile beispielsweise beim Parken und Fahren einzuräumen.“ Ergänzend zu der finanziellen Förderung beim Fahrzeugkauf und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur sucht die Regierung zusammen mit verschiedenen Unternehmen und Verbänden nach spezifischen Lösungen, um deren Fahrzeugflotten zu elektrifizieren.

Das Problem mit dem Verkehr

Die Vernetzung unterschiedlicher Mobilitätsformen spielt eine wichtige Rolle. „Für viele Menschen ist die Kombination der Verkehrsmittel, zum Beispiel Auto, ÖPNV, Rad und Fuß schon heute Alltag“, so Hermann. „Die dafür notwendigen Angebote wie Car-Sharing, Leihfahrräder, Bus- und Bahnanschlüsse fördern die Länder nachhaltig.“ Dabei erprobt die Regierung auch neue Wege im Bereich des autonomen Fahrens. Das autonome Fahren soll nicht nur die Sicherheit der Insassen erhöhen, sondern auch für einen geringeren Energieverbrauch und einen besseren Verkehrsfluss sorgen. Denn die Staubilanz des ADAC für das Jahr 2016 fällt alles andere als positiv aus: 20 Prozent mehr Stau als im Vorjahr – sowohl in ihrer Anzahl, als auch in Länge und Dauer haben Staus zugenommen. Deutschlandweit standen Autofahrer auf einer Gesamtlänge von mehr als 1,3 Millionen Kilometer rund 419 000 Stunden im Stau. Das ist eine Vervierfachung des Stauaufkommens in den letzten 10 Jahren und ein deutlicher Anstieg der Feinstaub- und Stickoxidbelastung in vielen deutschen Städten.

„Elektrofahrzeuge werden kurzfristig keine Wunder vollbringen, aber sie sind langfristig wichtig. E-Fahrzeuge sind bereits heute als Alltagsfahrzeuge voll einsetzbar, beispielsweise als Teil dienstlicher Fahrzeugflotten oder als Pendlerauto. Das heißt, sie werden sich dann gegenüber Verbrennungsfahrzeugen durchsetzen, wenn sie über den gesamten Lebenszyklus betrachtet preiswerter sind“, sagt Hermann. Die baden-württembergische Landesregierung strebt an, dass im Jahr 2020 etwa 200 000 Elektrofahrzeuge auf den Straßen im Land unterwegs sind, in ganz Deutschland sollten es zu diesem Zeitpunkt 1 Million sein.

Internationaler Vergleich

International betrachtet verliert Deutschland bei der E-Mobilität aktuell leicht an Boden. Laut dem „Index Elektromobilität“, einer Zusammenarbeit der Unternehmensberatung Roland Berger und der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen Aachen, verliert Deutschland im Indikator Technologie knapp den Spitzenplatz an Frankreich. Die Konzentration der deutschen OEMs auf Plug-in-Fahrzeuge führt zu einem leichten Rückgang der technologischen Leistungsfähigkeit elektrifizierter Fahrzeuge. Das liegt daran, dass Plug-in-Hybride eine geringere Reichweite und Höchstgeschwindigkeit aufweisen und größtenteils auf einfache Ladetechnologie zurückgreifen. Den Spitzenplatz im gesamten Elektromobilitätsindex übernimmt China und unterstreicht damit seinen Standpunkt als Leitmarkt. Die chinesische Regierung fördert die Forschung und Entwicklung von Elektromobilität im eigenen Land mit rund 4,8 Milliarden Euro. Deutschland folgt auf Rang zwei mit 1,4 Milliarden Euro. Das hat Folgen: Die erwartete Produktion von Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeugen bis 2019 liegt in China bei über 3,5 Millionen Fahrzeugen, in den USA sind es 1,5 Millionen und in Deutschland etwas mehr als 1 Million.


Wie sauber ist der E-Motor?

Ein E-Fahrzeug stößt keine Schadstoffe aus, es wird von daher gerne als lokal emissionsfrei bezeichnet. Ganz anders sieht das bei der Stromerzeugung in den Kraftwerken aus. Hier entstehen je nach Energiequelle zum Teil erhebliche Emissionen.

Unter dem Begriff Strommix versteht man die anteilige Zusammensetzung des erzeugten Stroms nach Energiequellen. Nach einer Studie der AG Energiebilanzen e.V. bezieht der Strommix in Deutschland 29 Prozent der Bruttostromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen wie beispielsweise Windkraft (11,9 %) und Photovoltaik (5,9 %). Auf Braun- und Steinkohle entfallen etwa 40 Prozent. Kernkraftwerke erzeugen rund 13 Prozent. Der Anteil an Erdgas-Strom beläuft sich auf über 12 Prozent.

In China wiederum dominiert die Energiegewinnung aus Kohle den Markt. Dies macht die E-Mobilität in China deutlich klimaschädlicher als in Deutschland.


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