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Produktion im Umbruch

Resilienz und Agilität sind gefragt – Energiewende bietet neue Marktchancen
Produktion im Umbruch

Die Welt der Fertigungsindustrie verändert sich. In einer globalisierten Welt zuverlässig funktionierende Lieferketten haben an Stabilität eingebüßt. Um flexibler auf künftige Herausforderungen reagieren zu können, müssen Zerspanungsunternehmen sich jetzt daten- und serviceorientierter aufstellen. Dann können sie auch neue Marktchancen nutzen, wie sie etwa die Energiewende bietet.

Ein Punkt, in dem sich der wachsende Veränderungsdruck auf die Branche widerspiegelt, ist die Digitalisierung. Diese hat seit der Coronakrise nochmals stark an Bedeutung gewonnen. Laut einer Studie von IBM haben seit Beginn der Covid-19-Pandemie 67 % der Fertigungsunternehmen ihre digitalen Projekte beschleunigt – in der Regel, um ihre betriebliche Effizienz zu verbessern. „Der Maschinenbau muss in diesem Jahr den nächsten Digitalisierungsschritt gehen, denn die Coronapandemie dauert an und Handelskonflikte sowie konjunkturelle Schwankungen werden in Zukunft häufiger auftreten als bisher“, sagt Andreas Gladis, Bereichsleiter Produktion beim Aachener Softwarespezialisten Inform. „Mit innovativen digitalen Lösungen kann die Branche allerdings nicht nur solchen Herausforderungen besser trotzen, sondern auch nachhaltiger und mitarbeiterfreundlicher werden. Das erleichtert es ihr, Kosten zu senken, Kunden zu überzeugen und Fachkräfte zu gewinnen.“

Für die Umsetzung haben die Aachener IT-Experten fünf Themen definiert, denen sich der Maschinenbau in diesem Jahr widmen sollte:

Aufbau resilienter und agiler Wertschöpfungssysteme

Um kurzfristige Störungen der Produktion wie Mitarbeiter- und Maschinenausfälle oder kurzfristige Veränderungen der Auftragssituation zu vermeiden, benötigen Maschinenbauer dringend moderne Planungstools. Diese können mithilfe mathematischer Modelle und Künstlicher Intelligenz (KI) in kürzester Zeit unzählige Szenarien simulieren und eine optimierte Alternativplanung erstellen.

Entwicklung einer Datenstrategie

Der „Treibstoff“ für moderne Planungstools und andere innovative Software-Anwendungen sind Daten. Diese lassen sich aber nur mit einer Datenstrategie wertschöpfend im Unternehmen einsetzen. Sie hilft, kontinuierlich Anwendungsfälle für die Datennutzung zu entwickeln und umzusetzen, neue Datenquellen zu erschließen und datenbasiert bessere Entscheidungen zu treffen.

Fokus auf nachhaltiger Produktion

Ein effizienter Ressourceneinsatz, die Absenkung von CO2-Emissionen und eine möglichst geringe Umweltbelastung sind inzwischen Pflicht für den Maschinenbau – nicht nur, weil Kunden zunehmend Wert auf klimafreundliche Produkte legen, sondern auch, weil eine nachhaltige Fertigung erhebliches Potenzial für Kostensenkungen bietet. Mit einer digitalen und vorausschauenden Planung vermeiden Maschinenbauer teure und umweltschädliche Eillieferungen, optimieren ihre Lagerbestände und reduzieren dadurch ihren Energieverbrauch sowie die Verschwendung von Rohstoffen. Zugleich unterstützt sie eine intelligente Planung dabei, Maschinen besser auszulasten.

Schaffung einer Single Source of Truth

Um reibungslose Datenflüsse zu gewährleisten, sollten Unternehmen eine einheitliche Datenbasis aufbauen, auf die alle Abteilungen, Mitarbeiter und Anwendungen zugreifen können – eine sogenannte Single Source of Truth. Sie sorgt nicht nur dafür, dass Mitarbeiter mit verbindlichen Arbeits- und Auftragslisten hantieren, weniger Daten manuell übertragen müssen und somit weniger Fehler machen. Sie hilft dem Unternehmen auch, Transparenz über alle Prozesse hinweg zu erhalten und Engpässe oder kritische Pfade in der Planung frühzeitig werksübergreifend zu identifizieren. Planungsanpassungen lassen sich so schnell und mit geringem Aufwand durchführen, was zu kürzeren Durchlaufzeiten und verlässlicheren Terminangaben führt.

Berücksichtigung von Mitarbeiterwünschen

Von „New-Work“-Konzepten profitierten bislang vor allem Büroarbeiter. Doch der Fachkräftemangel und eine stärkere Fluktuation in der Produktion machen ein Umdenken auch in Bereichen nötig, in denen Schichtarbeit häufig noch starre Arbeitszeitmodelle vorgibt. Mit einer digitalen Personaleinsatzplanung, wie sie einige Maschinenbauer in den vergangenen Monaten bereits eingeführt haben, um optimal auf Auftragsspitzen oder Personalausfälle zu reagieren, lassen sich Mitarbeiterinteressen mit betrieblichen Anforderungen in Einklang bringen.

Energiesektor bietet Potenzial für
Werkzeugmaschinenhersteller

Wer entsprechend aufgestellt ist, dem winken auch neue Marktchancen – etwa in der Energietechnik. Aktuell spielt der Energiesektor für den Absatz von Werkzeugmaschinen eine eher kleinere Rolle. Jedoch liegt die Entwicklung des relevanten Marktsegments laut Branchenverband VDW mit jährlich 3,6 % realem Wachstum bis 2040 signifikant über der durchschnittlichen längerfristigen globalen Marktentwicklung für Werkzeugmaschinen (1,1 %).

Laut einer aktuellen Studie, die in Kooperation mit der Münchner Beratungsgesellschaft Strategy Engineers durchgeführt wurde, werden sich die jährlichen Investitionen in energietechnische Anlagen in Zukunft mehr als verdoppeln: von global 762 Milliarden Euro 2020 auf 1808 Milliarden Euro im Jahr 2040. Das entspricht einem jährlichen realen Wachstum von 4,4 %.

„Die Studie zeigt, dass die Energiewirtschaft mit ihrem signifikanten Wachstum bis 2040 Potenzial für die Hersteller bietet“, resümiert der VDW-Vorsitzende Franz-Xaver Bernhard. Für die Werkzeugmaschinenindustrie ergäben sich eine Reihe von vielversprechenden Ansatzpunkten, zum Beispiel bei der Fertigung von Getrieben und Lagern in der Windenergie oder bei Kernkomponenten wie Kompressoren, Pumpen oder Ventilen in der Elektrolyse, der Brennstoffzelle oder bei den stückzahlbezogen interessanten Wärmepumpen.

Das größte Potenzial bieten demnach Komponenten für Windkraftanlagen mit anspruchsvoller Fertigung von Getrieben, Nachführungssystemen und Großlagern. Dies werde durch den Trend zu immer leistungsfähigeren Anlagen noch verstärkt. Relevant sei darüber hinaus der Bau von Gasturbinen für die Energieerzeugung in Gas- und Dampfkraftwerken. Schließlich würden viele übergreifende Peripheriekomponenten wie Pumpen, Kompressoren, Generatoren, Lager, Ventile, Tanks und Rohre in hohen Stückzahlen benötigt.

Volumenmäßig besonders interessant seien Wärmepumpen zur Beheizung von Gebäuden. Perspektivisch würden Komponenten für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft ins Blickfeld rücken – wie Kompressoren und Stackendplatten in der Elektrolyse sowie bei mobilen und stationären Brennstoffzellen. Über die reine Energieerzeugung, Speicherung und Verteilung hinaus ergäben sich auch Potenziale durch die Automatisierungstechnik zur Fertigung von Photovoltaikmodulen, Batteriezellen oder Brennstoff- bzw. Elektrolysestacks. Anforderungen durch die Energieverteilung, beispielsweise an Transportfahrzeuge oder Spezialschiffe, sowie Maschinen für die Fertigung von Komponenten zur Umsetzung der Energiewende würden den Bedarf abrunden.

Hersteller werden zu Dienstleistern

Um künftige Marktchancen zu nutzen und wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten sich Fertigungsunternehmen auch serviceorientierten Nutzungsmodellen zuwenden. Muss man eine Maschine wirklich kaufen, um sie nutzen zu können? Nicht unbedingt, denn die Digitalisierung macht neue Geschäftsmodelle möglich, die auf dem automatisierten Austausch von Daten basieren.

Welche Bedingungen in der Fertigung erfüllt sein müssen, damit solche Geschäftsmodelle wirtschaftlich und technisch umsetzbar sind, untersuchen Fachleute aus Wissenschaft und Industrie im Großforschungsprojekt „X-Forge“, an dem unter anderen das Fraunhofer IPA in Stuttgart beteiligt ist. Die Digitalisierung habe nicht nur die Art und Weise verändert, wie produzierende Unternehmen ihre Ware herstellen, so die Erkenntnis der Forscher. Auch die Geschäftsbeziehungen, die Unternehmen untereinander eingehen, hätten sich im Zuge der vierten industriellen Revolution gewandelt. Aus der starren Wertschöpfungskette sei ein flexibles Wertschöpfungsnetzwerk geworden, das keine festen Abläufe mehr kenne und dessen Akteure ständig wechseln würden.

Am Laufen gehalten wird so ein „Digitales Ökosystem“ vom automatisierten Austausch von Daten zwischen allen Akteuren. Dieser ermöglicht neue, datenbasierte Geschäftsmodelle, in denen nicht nur Hersteller zu Dienstleistern werden, sondern auch alle Prozesse in einer Werkhalle als einzelne Services verstanden werden können: Everything as a Service (XaaS) heißt hier das Schlagwort.

Zerspanungsmaschine konfiguriert sich selbst

Ein Beispiel liefert das Konsortialprojekt „Productivity as a Service“ (PRODaaS), an dem neben dem Fraunhofer IPA auch die Karl Walter Formen- und Kokillenbau, der Sensorhersteller Blum-Novotest, der Maschinenbauer F. Zimmermann, der Werkzeughersteller Mapal und der Plattformanbieter c-Com beteiligt sind. Ziel ist ein nutzungsbasiertes Geschäftsmodell: Künftig sollen Lohnfertiger und Zulieferer keine teuren Maschinen mehr anschaffen müssen. Stattdessen bezahlen sie ein Paket aus Werkzeugmaschine, Zerspanungswerkzeug und IT-Diensten. Letztere sollen neben automatisiert ausgelösten Bezahl- und Wartungsvorgängen auch aus intelligenten Algorithmen bestehen, die selbstständig in den Zerspanprozess eingreifen und die Prozessparameter im laufenden Betrieb verbessern. Übermäßiger Verschleiß und Schäden an Bauteilen sollen so vermieden werden. „Zerspanungsmechaniker müssen sich dann nicht mehr mit Einstellungen an der Maschine herumschlagen und auch keine externen Dienstleister mehr beauftragen, die ihnen ihre Produktionsprozesse optimieren“, sagt Oliver Schöllhammer, Leiter der Abteilung Unternehmensstrategie und -entwicklung am Fraunhofer IPA.

Schaffen wollen Schöllhammer und sein Team das, indem sie die Prozess- und Produktionsdaten, die bisher noch getrennt vorliegen, vereinen und einem selbstlernenden Algorithmus zugänglich machen. Auf diese Weise sollen Lohnfertiger und Zulieferbetriebe mit metallischer Bearbeitung in die Lage versetzt werden, ihre Zerspanungsmaschinen möglichst effektiv zu nutzen und so im internationalen Wettbewerb unter massivem Preisdruck zu bestehen.

Antriebssystem gibt Tipps zur besseren Produktqualität

Auch intelligente Maschinenkomponenten können viel zur Optimierung der Prozessqualität beitragen. So wollen Paul Thieme und seine Kolleginnen und Kollegen vom Kompetenzzentrum DigITools am Fraunhofer IPA im Konsortialprojekt „Product Life Cycle Enrichment as a Service“ (PLCEaaS) alle Daten, die während des gesamten Produktlebenszyklus eines Antriebssystems von Wittenstein anfallen, an zentraler Stelle sammeln und zugänglich machen. Dort werden alle relevanten Informationen sortiert aufbewahrt – von der Produktion der Einzelteile über die Montage und Auslieferung des fertigen Antriebssystems bis hin zur Nutzungsphase mit all ihren Störungen, Stillständen Schadenfällen, Reparatur- und Wartungsvorgängen. Mittels eines einfach zu bedienenden Analytik-Werkzeugkastens können diese Daten dann aufbereitet und ausgewertet werden. „Mit diesem Ansatz lässt sich weit mehr als nur Predictive Maintenance verwirklichen“, sagt Thieme. „Er liefert auch Hinweise, wie sich das Antriebssystem ressourcenschonender einsetzen lässt und offenbart dem Hersteller, wie er die Produktqualität weiter steigern könnte.“


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