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Mehr Spielraum bei den Toleranzen

Längenmessgeräte für Bearbeitungszentren in der automatisierten Großserienfertigung
Mehr Spielraum bei den Toleranzen

Die Großserienfertigung in der Automobilindustrie befindet sich mitten in einem Wandel. So werden zum Beispiel zur Steigerung der Flexibilität bei der mechanischen Bearbeitung von Antriebsstrangkomponenten für Kraftfahrzeuge starre Transferlinien zunehmend durch Linien mit verketteten Bearbeitungszentren ersetzt. Heidenhain-Längenmessgeräte in Closed Loop-Anordnung helfen, die Bearbeitungsgenauigkeit zu steigern. Damit bleibt im gesamten Toleranzbudget Spielraum für andere Fehler.

Das Kaufverhalten der Autofahrer hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Sie wünschen sich immer mehr Modell- sowie Motorvarianten und gleichzeitig immer effizientere Fahrzeuge. Die Automobilhersteller reagieren mit häufigeren Modellwechseln und mehr Motorvarianten. Für ihre Großserienfertigung heißt das: kürzere Produktzyklen, größere Vielfalt und kleinere Lose, also höhere geforderte Flexibilität.

Das Plus an Flexibilität erreichen sie durch die Umstellung der Fertigung auf verkettete Bearbeitungszentren (Abbildung 1). Sie erlauben eine schnelle Reaktion auf Nachfrageschwankungen oder Nachfrage-Änderungen. Bearbeitungszentren bieten die Möglichkeit, verschiedene Varianten eines Werkstücks ohne Umrüstaufwände auf der gleichen Fertigungslinie zu bearbeiten (Variantenflexibilität) oder die gesamte Linie relativ einfach um Maschinen zu erweitern bzw. zu verkleinern (Re-Use-Flexibilität).
Allerdings hängen die gefertigten Toleranzen eines Werkstücks von den einzelnen Maschinen bzw. den Teilprozessen der gesamten Fertigungsanlage ab. Ziel muss also die sichere Einhaltung der Werkstücktoleranzen im Gesamtprozess sein. Die einzelnen Bearbeitungszentren sollten nur einen möglichst geringen Anteil der verfügbaren Toleranzen verbrauchen. Denn je größer die verbleibende Toleranzreserve ist, desto mehr Spielraum steht dem Automobilhersteller zur Verfügung, um schwer kontrollierbare Prozesseinflüsse zu kompensieren und die Genauigkeit seiner Bauteile zu optimieren.
Toleranzen haben es in sich
Im Vergleich zu den Anforderungen in anderen Fertigungsbereichen wie zum Beispiel dem Werkzeug- und Formenbau erscheinen die Toleranzwerte in der Großserienfertigung eher groß. Allerdings müssen die geforderten Toleranzen über einen langen Zeitraum und große Stückzahlen mit definierter Sicherheit eingehalten werden. Zur Sicherstellung führen die Automobil-Produzenten mit den Bearbeitungszentren statistische Fähigkeitsuntersuchungen durch.
Welche Auswirkungen diese Fähigkeitsuntersuchungen haben, soll das folgende Beispiel zeigen: Eine Bohrung, wie sie beispielsweise im Lagerbereich von Getriebegehäusen eingebracht wird, hat eine vorgesehene Zeichnungstoleranz von ± 0,1 mm in der Tiefe. Um die geforderte Zeichnungstoleranz in der Fertigung sicher einhalten zu können, erfolgt eine weitere Einschränkung des Toleranzmaßes mittels sogenannter Fähigkeitskennwerte. Diese Einschränkung führt dazu, dass die tatsächlich gefertigte Tiefentoleranz der Bohrung über eine große Anzahl gefertigter Werkstücke in einem Bereich von ± 0,06 mm liegen muss.
Dieses Toleranzmaß teilen sich nun verschiedene potenzielle Fehler der Bearbeitungsmaschine und der Prozesskette: Werkstückspannung, Werkzeugspannung, axiale thermische Achsdrift an der Arbeitsspindel, thermische Ausdehnung des Kugelgewindetriebs an den Vorschubachsen und vieles mehr. Außerdem sollte noch eine Toleranzreserve verbleiben, die es den Maschinen bzw. dem Prozess erlaubt, unvorhersehbare, schwer kontrollierbare Fertigungseinflüsse abzufangen.
Positionserfassung an Vorschubachsen
Die Position einer NC-Vorschubachse lässt sich grundsätzlich über die Kugelgewindespindel in Verbindung mit einem Drehgeber (Semi-Closed Loop) oder über ein Längenmessgerät (Closed Loop) erfassen (Abbildung 2). Semi-Closed Loop bedeutet, dass der Regelkreis der Vorschubachse über den Drehgeber des Vorschubmotors geschlossen wird. Die Position des Achsschlittens wird hierbei anhand der Steigung des Kugelgewindetriebs in Verbindung mit dem Drehgeber ermittelt. Thermisch bedingte Dehnungen oder Verschleiß des Kugelgewindetriebs gehen in die Positionsermittlung jedoch nicht ein. Die Semi-Closed Loop-Regelung ist sozusagen blind gegenüber diesen Veränderungen des Antriebsstrangs der Werkzeugmaschine.
Daher empfiehlt sich auch für die Großserienfertigung mit verketteten Bearbeitungszentren der Einsatz von Maschinen mit Closed Loop-Regelung. Dabei wird die Position des Schlittens der Vorschubachse mittels eines Längenmessgeräts erfasst und als Lage-Ist-Wert in die Achsregelung rückgekoppelt. Die thermische Ausdehnung des Kugelgewindetriebs wird auf diese Weise direkt am Schlitten erfasst und ausgeregelt.
Closed Loop: thermische Ausdehnung erfassen
Abschätzungen der Fehlergrenzen zeigen, dass einer der größten Verbraucher der verfügbaren Toleranz innerhalb des Bearbeitungszentrums die unkontrollierte axiale thermische Ausdehnung des Kugelgewindetriebs ist, wenn die Positionsmessung im Semi-Closed Loop erfolgt. Für das zuvor beschriebene Beispiel einer Bohrung mit einem eingeschränkten Toleranzmaß von ± 0,06 mm haben Untersuchungen zur Zusammensetzung der Fehlergrenzen eine Aufteilung ergeben, wie sie in Abbildung 3 dargestellt ist.
Die aufgeführten Fehlergrenzen rund um das genannte Bearbeitungsbeispiel zeigen, dass eine Closed Loop-Regelung den Einfluss von thermischer Ausdehnung und Verschleiß des Kugelgewindetriebs nahezu eliminiert (Abbildung 4). Dadurch erhöht sich die Toleranzreserve in dieser Beispielbearbeitung um 20 µm auf 39 µm. Damit stehen nun rund zwei Drittel des Toleranzmaßes dafür zur Verfügung, unvorhersehbare, schwer kontrollierbare Einflüsse innerhalb der Fertigungskette wie zum Beispiel Schwankungen der Hallen-, Kühlschmierstoff- und Werkstücktemperatur auszugleichen.
Toleranzreserve aktiv nutzen
Um zukünftigen Forderungen nach reduziertem Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch nachzukommen, ist mit höheren Bauteilgenauigkeiten – sprich engeren Werkstücktoleranzen sowie feineren Oberflächenkennwerten – seitens der Konstruktion zu rechnen. Denn diese führen zu reduzierter Reibung im Antriebsstrang des Kraftfahrzeugs und damit zu den gewünschten Einsparungen. Die Toleranzreserve aus der Closed Loop-Regelung schafft somit für die Großserienfertigung den Spielraum, um zukünftige, noch engere Toleranzvorgaben aus der Konstruktion umzusetzen.
Auch muss die gesteigerte Toleranzreserve nicht mehr ausschließlich als Sicherheit für Eventualitäten vorgehalten werden. Sie kann aktiv genutzt werden, um Produktivität oder Qualität zu steigern. Möglich wäre es beispielsweise, einen Teil der gewonnenen Toleranzreserve dem Werkzeugverschleiß zuzuschlagen. Bei der Bearbeitung von Werkstücken aus Grauguss (z. B. Kurbelgehäusen) oder hochwarmfestem Stahlguss (z. B. Abgasturboladern) mit erhöhtem Werkzeugverschleiß führt eine solche Anhebung der Verschleißgrenze zu signifikanten Einsparungen und zu einer Erhöhung der Produktivität. Diese resultieren unter anderem aus den höheren Standmengen pro Werkzeug, dem reduzierten Prüf- und Korrekturaufwand und den längeren Maschinenlaufzeiten. Der Einsatz von Längenmessgeräten in den Vorschubachsen der Bearbeitungszentren trägt somit auch zur Senkung der Fertigungskosten bei.
Dr. Johannes Heidenhain GmbH www.heidenhain.de EMO Halle 3 Stand F06/H19

Semi-Closed Loop-Regelung


Closed Loop-Regelung

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