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Hochdruckkühlung – produktiv und sicher

Mit pulsierender Kühlschmierstoffzufuhr zur gewünschten Spanlänge
Hochdruckkühlung – produktiv und sicher

Moderne Fertigungsprozesse müssen hohen Produktivitätsanforderungen bei Gewährleistung gleichbleibend hoher Qualität der gefertigten Werkstücke genügen. Um dies bei der Bearbeitung von schwer zerspanbaren Werkstoffen zu realisieren, wird häufig die Hochdruck-Kühlschmierstoffzufuhr angewandt, welche sich sowohl auf den Werkzeugverschleiß als auch auf die Spanbildung positiv auswirkt.

Das Potenzial der Hochdruck-Kühlschmierstoffzufuhr wird bisher jedoch vorwiegend bei der Schrupp- und weniger bei der Schlichtbearbeitung genutzt, da durch den KSS-Strahl beschleunigte, kurze Späne auf bereits fertig bearbeitete Oberflächen auftreffen und diese beschädigen können [CAYL18]. Am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen University wird nun eine innovative, pulsierende Hochdruck-KSS-Zufuhrstrategie entwickelt. Diese ermöglicht eine gezielte Einstellung von günstigen Spanlängen und somit die Nutzung der Vorteile der Hochdruck-KSS-Zufuhr beim Schlichtdrehen schwer zerspanbarer Werkstoffe.

In der Luftfahrtindustrie werden für die Herstellung von Triebwerkskomponenten aufgrund ihrer Temperaturfestigkeit und Korrosionsbeständigkeit häufig Nickelbasislegierungen verwendet. Nickelbasislegierungen weisen etwa 30 % der Wärmeleitfähigkeit der Stahlwerkstoffe auf. In der Folge wird bei der Bearbeitung weniger Wärme über den Span und das Werkstück abgeführt und das Werkzeug erfährt eine erhöhte thermische Beanspruchung. Weiterhin neigt das Werkzeug bei der Bearbeitung von Nickelbasislegierungen zur Aufbauschneidenbildung und es tritt Abrasionsverschleiß auf.

Aufgrund ihres einzigartigen Dichte-Festigkeitsverhältnisses, bei guter Temperatur- und Korrosionsbeständigkeit, spielen auch Titanlegierungen eine wichtige Rolle bei der Fertigung von Komponenten für Luftfahrtanwendungen [MSAO15]. Ihre Wärmeleitfähigkeit entspricht etwa 10 bis 20 % der Wärmeleitfähigkeit von Stahlwerkstoffen. Die elastische Verformung des Werkstoffs führt bei der Zerspanung von Titanlegierungen zusätzlich zu einer starken thermischen und mechanischen Wechselbelastung der Schneide. Aufgrund der beschriebenen hohen Belastungen der Werkzeugschneide, werden beide Werkstoffe als schwer zerspanbar eingestuft [KLOC18].

Bei der Bearbeitung solcher Werkstoffe mit konventioneller Überflutungskühlung treten oftmals ungünstige Spanformen auf. Band- oder Wirrspäne verursachen zusätzliche Stillstandzeiten, da der Maschinenbediener die Späne entfernen muss. Neben der Verletzungsgefahr für den Bediener besteht durch die langen Späne auch das Risiko der Beschädigung des Werkstücks und der Maschine.

Verbesserte Kühlung steigert Werkzeugstandzeit

Die gerichtete Zufuhr von Kühlschmierstoff unter erhöhten Drücken in die Zerspanzone führt zu einer verbesserten Kühlwirkung und damit zu einer Steigerung des Werkzeugstandvermögens gegenüber der konventionellen Überflutungskühlung. Durch den auftreffenden KSS-Strahl wird Kraft auf den sich bildenden Span ausgeübt, wodurch dieser bereits bei einer geringen erreichten Länge bricht und keine Band- oder Wirrspäne entstehen [KLOC18].

Die durch den dauerhaft auf die Zerspanzone gerichteten KSS-Strahl kurz gebrochenen Späne, werden durch diesen beschleunigt und können bereits bearbeitete Flächen beim Auftreffen beschädigen. In Abbildung 1 ist eine Beschädigung der Werkstückoberfläche durch einen anhaftenden Span nach einem Außenlängsdrehprozess gezeigt.

Durch Spankollisionen können jedoch auch weniger offensichtliche Oberflächenschädigungen in Form von Werkstoffabtrag oder Anhaftungen auftreten [CAYL18]. Beim Schlichtdrehen rotierender Komponenten für Luftfahrtanwendungen ist es besonders wichtig, Beeinträchtigung der Oberfläche durch Spankollision zu unterbinden. Ihre Qualität ist häufig ausschlaggebend für die Sicherheit eines Flugzeugs, da ein Versagen beispielsweise zu einem Triebwerksausfall führen kann [ULUT11].

Um dieser Problematik der Hochdruck-KSS-Zufuhr entgegenzuwirken und ihre technologischen und ökonomischen Potenziale bei der Schlichtbearbeitung besser nutzen zu können, wird im Rahmen des Projektes „Puls Kühl“ eine innovative pulsierende Zufuhrstrategie entwickelt. Diese ermöglicht die gezielte Einstellung der resultierenden Spanlängen. Auf diese Weise wird sowohl die Entstehung von ungünstigen Band- und Wirrspänen verhindert, als auch der Schwerpunkt des brechenden Spans aus dem Fokus des KSS-Strahls bewegt, wodurch die Beschleunigung in Strahlrichtung und somit in Richtung bereits bearbeiteter Flächen vermindert wird [CAYL18].

Die Einstellung der Spanlänge erfolgt über die Zeitintervalle ton und toff, welche in Summe die Periodendauer bestimmen. Jedem Intervall ist eine Ventilstellung der Pulsationseinheit zugeordnet. Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, bestimmt die Dauer des Zeitintervalls toff in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit die Länge des Spans. Sobald der in der Zerspanzone auftreffende KSS-Strahl die, abhängig von Werkstoff und Schnittbedingungen, für den Spanbruch benötigte Kraft nach Beginn des Zeitintervalls ton aufbringt, bricht der Span [CAYL18]. In Abbildung 2 ist ein idealisierter Druckverlauf dargestellt.

In bereits durchgeführten Voruntersuchungen konnte die resultierende Spanlänge beim Drehen der Nickelbasislegierung Inconel 718 mittels der pulsierenden KSS-Zufuhr variiert werden. In Abbildung 3 sind charakteristische Spanformen für die drei beschriebenen KSS-Zufuhrstrategien gegenübergestellt. Bei Anwendung der konventionellen Überflutungskühlung, ohne den Einsatz erhöhter Drücke, bilden sich Spannester aus langen Spänen. Die KSS-Zufuhr unter dauerhaft erhöhtem Druck führt dagegen zum frühzeitigen Bruch der Späne und somit zu den beschriebenen möglichen Oberflächenschädigungen.

Späne definierter Länge

Die Spanlänge kann nicht gezielt eingestellt werden. Wird nun der Druck jeweils für die Hälfte einer Sekunde reduziert – woraus eine Pulsationsfrequenz von 1 Hz folgt – entstehen innerhalb dieses Intervalls toff Späne einer definierten Länge, welche in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit vorhersagbar und einstellbar ist. Diese sind in Abbildung 2 rechts zu sehen [CAYL18].

Dem Anwender wird ermöglicht, bei bestehenden optimierten Schnittparametern, Späne in einer erwünschten, technologisch sinnvollen Länge zu erhalten. Somit können die Vorteile der Hochdruck-KSS-Zufuhr in den Schlichtdrehprozess implementiert und seine Produktivität und Sicherheit gesteigert werden.

Zur Realisierung dieses Vorhabens werden am WZL zukünftig detaillierte Forschungsarbeiten durchgeführt. Zu Beginn wird die Reaktion des Strahlverhaltens auf die Ventilschaltvorgänge in grundlegenden Versuchen dokumentiert, um den tatsächlichen Verlauf der in Abbildung 2 idealisiert dargestellten Druckkurve zu ermitteln und technologisch realisierbare Pulsfrequenzbereiche sowie Zeitintervalle ton und toff zu ermitteln. Ziel der auf diesen Erkenntnissen basierenden Zerspanuntersuchungen ist die Evaluation der Auswirkungen verschiedener Parametereinstellungen bezüglich der Pulsation auf die Zerspanbarkeitskriterien, die Oberflächenqualität und die Spanlänge.

Um den Transfer der Erkenntnisse in die industrielle Anwendung zu unterstützen, werden die ermittelten Wirkzusammenhänge zwischen den erweiterten KSS-Parametern, den Zerspanbarkeitskriterien und der Spanlänge verwendet, um ein Softwaretool für den Anwender zu erstellen. Bei Eingabe der Schnittbedingungen erhält dieser dann beispielsweise die erforderlichen erweiterten KSS-Parameter für das Erzielen der gewünschten Spanlänge und kann sie entsprechend an der Pulsationseinheit einstellen. Die Erarbeitung geeigneter Einsatzbedingungen bezüglich ökonomischer und ökologischer Gesichtspunkte für die pulsierende Hochdruck-KSS-Zufuhr wird ebenfalls Teil der Forschungsarbeiten sein.

Das Forschungsvorhaben Puls Kühl (IGF 19962 N) wird über das VDW Forschungsinstitut e.V. durch die AiF im Rahmen des IGF vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert.

Werkzeugmaschinenlabor
WZL der RWTH Aachen
www.wzl.rwth-aachen.de


Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Thomas Bergs, MBA,

Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Benjamin Döbbeler,
Antonia Splettstößer, M.Sc., RWTH Aachen.


Hochleistungszerspanung im Fokus

Weitere Informationen rund um das Thema der Hochleistungszerspanung erhalten Sie auf der 7. Aachener High-Performance-Cutting (HPC) Konferenz am 23. und 24. Oktober 2018 am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen. Renommierte Experten aus Industrie und Forschung berichten hier über ihre Erkenntnisse und Erfahrungen im Bereich der Hochleistungszerspanung mit geometrisch bestimmter Schneide. Die Konferenz dient als Diskussionsforum und beinhaltet die Demonstration von aktuellen Forschungsergebnissen aus dem Bereich der Zerspanungstechnologie an zahlreichen Prüfständen. Programm der Konferenz und Anmeldung unter www.wzlforum.rwth-aachen.de


Quellen

  • [CAYL18] Cayli, T.: Surface Anomalies in Turning of Difficult-to-Cut Materials with High-Pressure Coolant Supply. 1st ed. Aachen: Apprimus Wissenschaftsverlag, 2018
  • [KLOC18] Klocke, F.: Fertigungsverfahren 1. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2018
  • [MSAO15] M‘Saoubi, R.; Axinte, D.; Soo, S. L.; Nobel, C.; Attia, H.; Kappmeyer, G.; Engin, S.; Sim, W.-M.: High performance cutting of advanced aerospace alloys and composite materials. In: CIRP Annals, 64. Jg., 2015, Bd. 2, S. 557–580
  • [ULUT11] Ulutan, D.; Ozel, T.: Machining induced surface integrity in titanium and nickel alloys. A review. In: International Journal of Machine Tools and Manufacture, 51. Jg., 2011, Bd. 3, S. 250–280
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