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Additive Fertigung von Metallteilen auf dem Weg in die Serie

Wirtschaftlicher 3D-Druck erfordert ganz neue Denkansätze
Additive Fertigung auf dem Weg in die Serie

Additive Fertigung (Additive Manufacturing) boomt – gerade im Metallbereich. Beflügelt von Erfolgen in Luftfahrt und Medizintechnik, ziehen Big Player der Produktionsindustrie Fabriken hoch und schmieden Allianzen mit dem Ziel, die Technologie in die Großserie zu führen. Doch nur wenn Bauteile völlig neu gedacht werden, ergibt sich auch ein Business Case für den industriellen 3D-Druck. Für die Metallindustrie könnten sich dort die Zukunftsmärkte eröffnen. Autor: Dr. Frank-Michael Kieß

„Additive Manufacturing (AM) war einer der Treiber des deutschen Maschinenbaus in den letzten 10 Jahren.“ So lautet die Schlagzeile einer – wenngleich imaginären – Pressemitteilung des Branchenverbands VDMA aus dem Jahr 2025. Das Zukunftsbild, das VDMA und Fraunhofer ISI entworfen haben (siehe Seite 32), antizipiert ein rasantes Wachstum der additiven Fertigungsverfahren in den kommenden Jahren. Besonders stark werde der Zuwachs im Bereich Metallpulver bzw. daraus hergestellten metallischen Bauteilen sein. „Die relativ günstigen und hochverfügbaren Ausgangsstoffe ermöglichten eine Anwendung der additiven Fertigung auch in den Massenmärkten“, heißt es weiter. „So werden seit 2025 wieder deutlich umfangreicher metallische Bauteile im Automobilsektor eingesetzt. Dennoch sind die Fahrzeuge deutlich leichter geworden. Diese Entwicklung hätte 2015 noch niemand erwartet.“

Ob alles tatsächlich so eintritt, ist offen – aber vieles deutet darauf hin. Das Beratungshaus Roland Berger erwartet, dass der Markt für additive Fertigung in den kommenden Jahren mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 25 und 40 Prozent expandiert. „Die Zahl der ausgelieferten AM-Maschinen ist in den vergangenen zwei Jahren exponentiell angestiegen“, berichtet Peter Jain, Geschäftsführer des schwedischen Anlagenherstellers Arcam in Deutschland.
Entsprechend müssen sich die etablierten Hersteller auf wachsenden Wettbewerb einstellen: 97 Hersteller von AM-Systemen zählen die Marktexperten von Wohlers Associates in ihrer aktuellen Studie – doppelt so viele wie noch vor drei Jahren. Gerade im Bereich 3D-Metalldruck sind zahlreiche Newcomer unterwegs, die sich in den vorherrschenden Verfahren selektives Laserschmelzen (SLM), Elektronenstahlschmelzen (EBM) und Laserauftragsschweißen (LMD) versuchen, oder aber mit ganz neuen Verfahren den Markt aufmischen wollen (siehe Seite 28). Dabei rennen sie in der Branche offene Türen ein: Bereits die Hälfte aller AM-Dienstleister betrieben laut Wohlers Report 2017 Systeme für Fertigung von Metallteilen. „Und die Umsätze mit Metallpulver sind in den vergangenen zwei Jahren um mehr als den Faktor 2,5 gestiegen“, merkt Herausgeber Terry Wohlers an.
Wachsende Konkurrenz bei Werkstoffanbietern
Das ruft die Arrivierten der Metallindustrie auf den Plan. So hat Arconic, eine Abspaltung des US-Aluminiumriesen Alcoa, im Sommer vergangenen Jahres in Pittsburgh eine hochmoderne Produktionsstätte für Titan-, Nickel- und Aluminiumpulver eröffnet, die dem 3D-Druck von Luftfahrtteilen für Airbus dienen soll. Auch Hersteller wie die kanadische Pyrogenesis, die britische Metalysis oder die deutsche Heraeus wollen mit maßgeschneiderten Metallpulvern für die additive Fertigung punkten – und dabei ihre metallurgische Kompetenz ausschöpfen. Denn Reinheit, Korngröße und -geometrie des Materials haben großen Einfluss auf das Bauergebnis. „Die Qualität des Pulvers beeinflusst die Bauteilqualität enorm“, bestätigt Jain. Platzhirsche im 3D-Metalldruck, deren Geschäftsmodell die Lieferung des passenden Pulvers für ihre Anlagen beinhaltet, müssen sich also auf Konkurrenz gefasst machen.
Verstärkter Wettbewerb in Verbindung mit einer einsetzenden Industrialisierung der additiven Fertigung, wie sie sich momentan in der Luftfahrtindustrie abzeichnet, könnte dazu beitragen, die Materialkosten zu senken. Aktuell sind die Pulver immer noch zu teuer, als dass AM etablierte Verfahren der Metallindustrie in großem Stil ablösen könnte. „Zum Kopieren bestehender Bauteile ist die additive Technologie allerdings auch in den seltensten Fällen sinnvoll“, stellt Dr. Christoph Klahn vom Schweizer Technologietransferzentrum Inspire AG klar. „Die Werkstoffe sind teurer, die Produktion ist teurer – ohne am Bauteildesign anzusetzen, ergibt sich meist kein Business case.“ Bestehe jedoch das Potenzial, das Gewicht zu reduzieren, Funktionen zu integrieren, den Montageaufwand zu senken oder die Effizienz über die gesamte Lebensdauer des Bauteils zu erhöhen, dann lohne sich die additive Fertigung.
Einer der interessantesten Zielmärkte ist die Luftfahrt, in der Treibstoffkosten einen hohen Anteil an den Gesamtkosten tragen. „1 Prozent weniger Gewicht bei einem Passagierflugzeug bedeuten 0,25 bis 0,75 Prozent weniger Kerosinverbrauch“, rechnet Klahn vor. Ein schon klassisches Beispiel liefern die Ti-gedruckten Kabinenhalter (Brackets) für den Airbus A350, die in Zusammenarbeit mit Concept Laser und dem Hamburger Laser Zentrum Nord entwickelt wurden. Nur eines der um 40 Prozent gewichtsreduzierten Bauteile bedeutet schon 135 g weniger Gewicht, was sich in 0,02 Liter weniger Kerosin pro Flug beziehungsweise, über die Lebensdauer von 30 Jahren gerechnet, in einer Einsparung von 660 Litern Kerosin niederschlägt.
Additive Fertigung von Triebwerksteilen boomt
Kein Wunder also, dass die gerade Luftfahrtindustrie einige der Blaupausen für den industriellen Einsatz der additiven Fertigung geliefert hat. Besonders prominent: Die 3D-gedruckte Einspitzdüse für das LEAP-Triebwerk von GE, die gleich drei der genannten Vorteile von AM vereint: Das Bauteil ist um 25 Prozent leichter geworden, es bietet die fünffache Lebensdauer und integriert 20 vormals separat hergestellte Komponenten. Die Nachfrage ist groß: Im Werk von GE Aviation in Auburn/Alabama fertigen 28 AM-Anlagen rund um die Uhr Einspritzdüsen für das Triebwerk – bis 2020 sollen es 50 sein, die 40 000 dieser Bauteile pro Jahr ausstoßen.
Von derlei Erfolgen beflügelt, ist GE jetzt massiv in das Geschäft mit additiven Fertigungsanlagen eingestiegen. Für über eine Milliarde Dollar haben die Amerikaner gleich zwei marktführende Unternehmen übernommen: die deutsche Concept Laser und die schwedische Arcam. Damit hat GE die beiden vorherrschenden Technologien SLM und EBM im Portfolio. „Das langfristige Marktpotenzial der additiven Fertigung ist gewaltig und liegt bei rund 75 Milliarden Euro“, erklärt CEO Jeff Immelt. „Bis 2020 wollen wir unser Geschäft mit additivem Equipment und Dienstleistungen von jetzt 300 Millionen US-Dollar auf 1 Milliarde US-Dollar steigern.“
Bei SLM wie bei EBM wird Metall im Pulverbett verschmolzen, nur dass im ersten Fall ein Laser, im zweiten Fall ein Elektronenstrahl zum Einsatz kommt. Die verbreiterte SLM-Technologie bietet eine große Varianz an Werkstoffen und erzeugt feinere Oberflächen. Demgegenüber ist EBM im Wesentlichen auf Titan und seine Legierungen sowie Kobalt-Chrom beschränkt, bietet aber eine höhere Produktivität und sehr gute Materialeigenschaften, die die Qualität von Schmiedeteilen erreichen oder sogar übertreffen sollen.
Ein wichtiges Anwendungsfeld der additiven Fertigung ist die Medizintechnik. Hier haben additive Verfahren in dedizierten Bereichen bereits heute konventionelle Technologien abgelöst. „Pro Jahr werden mehrere Hunderttausend künstliche Hüftpfannen gefertigt“, berichtet Jain. Gegossen würden sie nicht mehr, sondern ausschließlich additiv hergestellt und am Ende zerspant, um Innenkontur und Gewinde anzubringen. Die geforderten zellulären Oberflächenstrukturen wären anders gar nicht herstellbar. „Das ist ein Massenprodukt geworden.“
Auch in der Luftfahrt eröffnen Arcams EMB-Maschinen Potenziale. So hat die italienische GE-Tochter Avia Aero Ende vergangenen Jahres zehn Anlagen beschafft: Im Werk Cameri werden damit Turbinenschaufeln aus Titanaluminid hergestellt – einem Hochtemperaturwerkstoff, der 50 Prozent leichter als Nickel-Basislegierungen, aber kaum wirtschaftlich zerspanbar ist. Einsatz finden sie im weltgrößten Düsentriebwerk GE9X für Boeings neues Langstreckenflugzeug Boeing 777X, das Anfang 2020 auf den Markt kommen soll.
Big Player wollen AM fit für die Großserie machen
Neben GE haben sich auch andere große Industrie-Player ins 3D-Druck-Geschäft eingeschaltet und suchen den Schulterschluss mit AM-Herstellern und -Dienstleistern. So integriert Siemens die Technologie des belgischen AM-Spezialisten Materialise in seine CAD/CAM-Suite NX – mit dem Ziel, den Design-to-Manufacturing-Prozess um bis zu 30 Prozent zu beschleunigen. Und im Projekt Nextgen AM arbeitet der Automobilkonzern Daimler mit dem SLM-Anlagenbauer EOS und dem Aerospace-Zulieferer Premium Aerotec an der nächsten Generation des industriellen 3D-Drucks, der die Technologie über den Einsatz in der Luftfahrt hinaus in die automobile Großserie führen soll.
Auch die Lohnfertiger rüsten auf: 20 Millionen Euro hat die FIT AG in die nach eigenen Angaben weltweit erste Fabrik investiert, die rein auf die AM ausgerichtet ist. Im April im oberpfälzischen Lupburg eröffnet, bietet sie allein ein ganzes Stockwerk für die additive Fertigung von Metallteilen. Damit könne man heute die größten Kapazitäten für additiv gefertigte Metallteile weltweit aufweisen.
Auf Wachstumskurs ist auch IRPD, ein Joint Venture des Schleiftechnik-Konglomerats United Grinding und der Inspire AG mit Beteiligung der ETH Zürich. Die Schweizer, die über einen breiten Maschinenpark zur additiven Herstellung von metallischen wie auch von Kunststoffteilen verfügen, haben im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von 36 Prozent erzielt und planen für 2017 weiteres signifikantes Wachstum. Ihr Design- und Fertigungs-Knowhow ist auch innerhalb der eigenen Gruppe gefragt. So hat der Rundschleifmaschinen-Hersteller Studer strömungsoptimierte Düsen – in diesem Fall auf Polymerbasis – für die Kühlmittelzufuhr entwickeln können. Additiv hergestellt, reduzieren sie Kühlmittel- und Energieverbrauch deutlich, lassen sich außerdem flexibler einsetzen und benötigen weniger Platz.
Andere Dienstleiter kaprizieren sich auf die Möglichkeiten der neuen Hybridmaschinen, die Zerspanung und additive Fertigung integrieren. So hat die hessische Alesco auf der Moulding Expo in Stuttgart gezeigt, was sich mit der Lumex-Maschine des japanischen Herstellers Matsuura so alles bewerkstelligen lässt. „Die Kombination von SLM und High Speed Cutting (HSC) eröffnet vollkommen neue Möglichkeiten in der Konstruktion“, so Geschäftsführer Rüdiger Ihle. „Eine Baugruppe, die bislang aus mehreren Teilen bestand, kann nun womöglich in einem einzigen Bauteil in einem Durchgang umgesetzt werden.“ ■

Großes Marktpotenzial

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3D-Metalldruck ist gefragt

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