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Die Vereinbarung neuer Wege und traditioneller Werte

Die digitale Transformation in Familienbetrieben
Die Vereinbarung neuer Wege und traditioneller Werte

Weitsicht schlägt kurzfristigen Profit. Nach dieser Devise führen viele Familien ihr Unternehmen. Doch in Zeiten der Digitalisierung werden deren traditionelle Grundpfeiler auf die Probe gestellt und mit disruptiven Technologien sowie Geschäftsmodellen konfrontiert. Die nächste Unternehmergeneration steht mit Ideen und Tatendrang gewappnet in den Startlöchern, bereit die Herausforderung anzugehen. Autor: Yannick Schwab

Für die deutsche Wirtschaft spielen Familienunternehmen eine fundamentale Rolle. Sie bilden den hochgelobten Mittelstand. Die hauptsächlich in Familienbesitz befindlichen Betriebe erwirtschaften laut dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn mehr als 35 % des Gesamtumsatzes in Deutschland und stellen rund 58 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Nun, im Zuge der digitalen Transformation und anstehender Generationswechsel stehen viele Mittelständler vor der Aufgabe, einen neuen Weg zu gehen – hin zur Digitalisierung.

Jedoch fehlt einem Großteil der Unternehmen eine Vorstellung davon, welche herausfordernden Umwälzungen mit der Digitalisierung verknüpft sind. „Die Haltung der deutschen Familienunternehmen zur Digitalisierung zeugt von einer gewissen Blauäugigkeit und ungekannten Naivität, die wir auch aus anderen Umfragen kennen. Deutsche Familienunternehmen unterschätzen die Macht und vor allem auch die Nachhaltigkeit der Digitalisierung“, wird Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei PwC Deutschland, in einer Studie des Beratungsunternehmens zitiert. Prof. Dr. Martin Viessmann, Chairman der Viessmann Werke, kommt in besagter Studie ebenfalls zu Wort und zeichnet ein düsteres Bild: „Es wird ein Sterben von Familienunternehmen geben. Vielen wird die digitale Transformation nicht gelingen.“

Den Umbruch erfolgreich gestalten

Bei der Viessmann Group selbst gelang dieser Umbruch jedoch sehr gut. 2016 wurde Max Viessmann zum Chief Digital Officer ernannt, während sein Vater Martin Viessmann als Präsident in den Verwaltungsrat wechselte. Ein Jahr später rückt der Sohn, mit 29 Jahren, als Co-CEO an die Spitze und ist bis heute unter anderem zuständig für das digitale Geschäft. „Als Familienunternehmen gehen wir die großen Herausforderungen Energiewende und Digitalisierung entschlossen an – und haben uns dafür organisatorisch neu aufgestellt“, sagte Martin Viessmann damals.

Heute entwickelt das Unternehmen gemeinsam mit der Tochter VC/O GmbH in Berlin neue Geschäftsmodelle im Bereich Digitalisierung und Smart Living. Unter ihrem Dach betreibt Viessmann seit 2016 auch den Start-up Company Builder Wattx mit einem Fokus auf Hardware und IoT-Themen. Der Heizungsbauer ist außerdem Partner im Verbundprojekt AgilHybrid. Hier werden Lehr- und Lernmodule für Beschäftigte entwickelt, damit sie die digitale Transformation besser verstehen und selbstständig lernen, digitale Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.

Bei der eigenen Produktentwicklung setzt das Unternehmen ebenfalls auf digitale und vernetzte Konzepte. Ein Beispiel hierfür ist Vitoconnect, eine Kommunikationsschnittstelle, mit deren Hilfe sich Wärmeerzeuger mit dem Internet verbinden lassen. Dadurch können diese vom Anlagenbetreiber via App gesteuert oder online gewartet werden.

Die nächste Unternehmergeneration

Wie bei Viessmann, wo die Nachfolge durch den Sohn mit neuen, digitalen Konzepten einherging, bietet sich durch einen Generationswechsel eine Chance für Familienunternehmen in der Digitalisierung Fuß zu fassen. Schätzungen des IfM legen nahe, dass im Zeitraum von 2018 bis 2022 etwa 150 000 Unternehmen mit rund 2,4 Millionen Beschäftigten zur Übergabe anstehen. Laut der PwC-Studie wollen dabei 77 % der Unternehmer dabei sicherstellen, dass das Unternehmen in der Familie bleibt. Dieser Übergang fällt für viele in die gleiche Zeit, in der sie sich auch der Digitalisierung zuwenden.

Deutschlands nächste Unternehmergeneration scheint bereit für diese Herausforderung: Laut einer Untersuchung der Stiftung Familienunternehmen verfolgt sie meist eine Laufbahn im familieneigenen Betrieb oder möchte alternativ ein eigenes Unternehmen gründen. Sie ist affin gegenüber Digitalisierungsthemen und bereit, diese auch anzuwenden. Wichtig ist ihr, dass die Chancen und Herausforderungen systematisch identifiziert, analysiert und beurteilt werden – ohne dabei wichtige Entwicklungen zu versäumen. Die Potenziale die sie in der digitalen Transformation sehen: Prozessoptimierung, verbesserter Zugang zum Kunden sowie die Erschließung neuer Märkte und Geschäftsmodelle. Sie ist sich aber auch bewusst, dass die Suche nach gut ausgebildeten Fachleuten und hohe Investitionskosten für viele Unternehmen ein Hindernis darstellen kann.

Auch deshalb sind Familienunternehmen gut beraten, für den bevorstehenden Wandel die nächste Generation einzubeziehen. Diese kann dabei unterstützen, die wichtigen Unternehmensziele, die Gewinnung und Bindung von Talenten und die Steigerung der Innovationskraft, zu stärken. Mit einem modernen Wertekodex und zeitgemäßen Arbeitsweisen sind sie ebenso vertraut wie mit den Arbeitskräften der Zukunft. Das bietet vielfältige Chancen für die Betriebe.

Angesprochen auf den Digitalisierungsstand im eigenen Betrieb, zeigen sich Unterschiede bei der jungen Unternehmergeneration: Etwa die Hälfte der Befragten sieht ihr eigenes Familienunternehmen bereits in der Umsetzungsphase, in der die Digitalisierung einzelner Projekte bereits begonnen hat. Jedoch ist die Mehrheit der Befragten mit der digitalen Transformation im Familienbetrieb nicht restlos zufrieden. Sie sehen beispielsweise Handlungsbedarf bei der Beobachtung der Märkte, der Zusammenarbeit mit den Kunden und der Schaffung kreativer Freiräume. Von der Seniorgeneration wünschen sie sich mehr Flexibilität und Offenheit bei der Einführung neuer Technologien.

Die Rahmenbedingungen müssen stimmen

Die erfolgreiche Transformation von der Industrie- zur Digitalnation und die damit einhergehenden Aufgaben, liegen jedoch nicht allein in den Händen der Unternehmen. Die nächste Unternehmergeneration fordert von der Politik insbesondere die Verbesserung der digitalen Infrastruktur. Ansonsten wären die Projekte zur Digitalisierung der Betriebe bereits von vornherein gefährdet. Ein weiteres Anliegen sind höhere Investitionen in die Bildung im Bereich Digitalisierung. So möchte man dem Know-how- und Fachkräftemangel aktive entgegenwirken.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) sieht es als essenziell an, die kontinuierliche Bildung und Weiterbildung in diesem Bereich fest in der Gesellschaft zu verankern: Digitale Kompetenzen sollten umfassend in allen Bildungsstufen vermittelt werden. Den Schlüssel zu einer erfolgreichen digitalen Transformation sieht der BDI in der Kombination von industrieller Stärke mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. „Zusätzlich sollte die Bundesregierung die Förderung von Hightech-Gründungen anschieben und den Technologietransfer in den Mittelstand beschleunigen“, unterstreicht BDI-Präsident Dieter Kempf.

Frischer Wind durch Kooperationen

Eine Möglichkeit, mit dem dynamischen Marktumfeld der digitalen Transformation umzugehen und sich mit zukunftsträchtigen Technologien zu befassen, bietet die Kooperation mit Start-ups. Nahezu die Hälfte der größten Familienunternehmen in Deutschland betreiben bereits solche Kooperationen. Das zeigt die Befragung „Die größten Familienunternehmen in Deutschland“, die der BDI gemeinsam mit der Deutschen Bank und dem IfM veröffentlichte. Darin geben 54 % der Befragten an, mit der Zusammenarbeit neue Technologien erschließen zu wollen. Für rund die Hälfte der Betriebe sind es weitere Gründe, die digitale Transformation sowie die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen voranzutreiben. „Immer häufiger werden heute jahrzehntelang bewährte Geschäftsmodelle angegriffen und sicher geglaubte Marktanteile radikal neu verteilt. Familienunternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle bei immer kürzeren Produktzyklen und Entwicklungen infolge der Digitalisierung oft schnell anpassen oder neu erfinden“, erläutert Stefan Bender, Leiter Firmenkunden Deutschland bei der Deutschen Bank.

Ein Hemmnis stellen für viele Unternehmer jedoch Unterschiede in der Unternehmenskultur dar. Rund die Hälfte der Unternehmen mit Kooperationserfahrung sehen das als größtes Problem. Nichtsdestotrotz sind rund 70 % der befragten Unternehmen, die bereits mit einem Start-up zusammenarbeiten, mit der Kooperation zufrieden oder sehr zufrieden.

Vertrauen in Familienbetriebe

Familienunternehmen haben dank ihrer Werte und Ziele in Zeiten der digitalen Transformation nicht nur einen Vorteil gegenüber anderen Unternehmenstypen: eine langfristige Planung, regionale Nähe und kürzere Entscheidungswege bieten die Chance, sich aus einem zunehmend globalisierten Umfeld gegenüber Kunden und Nachwuchskräften abzuheben. Traditionelle Werte differenzieren sie von einer immer anonymeren und datengetriebenen Gesellschaft. Diese Werte müssen jedoch modernisiert und ergänzt werden.

Schon heute verbindet die deutsche Bevölkerung mit Familienunternehmen dieses ausgeprägte Wertebewusstsein, verantwortungsvolle Führung, nachhaltiges Wirtschaften, gesellschaftliches und vor allem regionales Engagement. Weltweit ist das Vertrauen der Gesellschaft in Familienunternehmen laut dem Edelman Trust Barometer 2017 deutlich größer, als in Nicht-Familienunternehmen. Das Engagement für soziale und gesellschaftliche Aktivitäten beruht nicht auf einem Trend, sondern auf der inneren Überzeugung der Unternehmerfamilien: Die Verantwortung für den eigenen Betrieb, die Mitarbeiter und der Einfluss auf die Region fördern ein nachhaltiges und verantwortungsvolles Handeln.

Die Akteure sind gefordert

Um den Erfolg des Familienunternehmens auch in Zukunft nicht zu gefährden, müssen die Unternehmer die richtigen Schritte ergreifen. Sei es der Entschluss, die nächste Generation das Steuer übernehmen zu lassen oder die Bereitschaft sich selbst mit neuen Konzepten zu befassen und altbewährte möglicherweise über Bord zu werfen. Die Offenheit mit der mittelständische Unternehmen großen Veränderungen gegenübertreten, wird jedoch oft dadurch gehemmt, dass die traditionellen Geschäftsmodelle bis heute erfolgreich sind. Trotz der Tatsache, dass Familienunternehmer meist die langfristige Entwicklung ihres Betriebs im Blick haben, werden neue Technologien oftmals zu spät erkannt.

Die nachrückende Unternehmergeneration hat hier die Möglichkeit zu zeigen, dass traditionelle Werte und Innovationsfähigkeit keine Gegensätze sein müssen. Dann können Unternehmen ihre Ursprünge bewahren und sich dennoch wettbewerbsfähig für die Zukunft aufstellen. Diese Balance ist elementar für das Bestehen der Familienunternehmen und könnte dafür sorgen, dass das düstere Zukunftsbild der Familienunternehmen, das Prof. Dr. Viessmann gezeichnet hat, doch nicht Realität wird.


Vier Schritte zur Übergabe

Die Übergabe eines Betriebs lässt sich in vier Phasen unterteilen: Testphase, Qualifizierungsphase, Bindungsphase und Übergabephase.

Während der Testphase arbeiten Firmeninhaber und Nachfolger miteinander im Betrieb. Gelangen beide Seiten zur Überzeugung, dass die Erwartungen bezüglich Unternehmensführung und -entwicklung gerechtfertigt sind, beginnt die Qualifizierungsphase. Hier wird geprüft, welche Fähigkeiten der künftige Unternehmer mitbringt, welche er noch benötigt und wie er diese erwerben kann. Parallel dazu sollten finanzielle, steuerliche und erbrechtliche Fragen geklärt werden.

Ist die Qualifizierung abgeschlossen und die auch Übergabe rechtlich geregelt, kann die Bindungsphase beginnen. Während dieser Phase durchläuft der Nachfolger alle wichtigen Positionen im Betrieb. Darauf folgt meist nahtlos die Übergabephase und der Nachfolger rückt in die Unternehmensspitze. Wichtig ist in dieser Phase, dass der künftige alleinige Inhaber und Geschäftsführer bereits über ausreichend Handlungs- und Entscheidungsspielräume verfügt.

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