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Größter Langdreher der Welt

Größter Langdreher der Welt - Bewährtes Drehmaschinenkonzept als produktive Großmaschine
Elektromobilität: gehasst und geliebt zugleich

Die Maschinentechnologie für höchste Produktivität bei robusten und zuverlässigen Prozessen, da sind sich die Dreher einig, sind Langdrehmaschinen (Swiss Type Turning). Damit haben sich diese Maschinen längst etabliert. Sie entstanden aus der Feinwerktechnik (Uhren, Schmuck) und sind inzwischen in sämtlichen Bereichen verbreitet, zunehmend auch in der Kfz-Zulieferindustrie. Bisherige Beschränkung: Der Stangendurchlass! Dies scheint eine Art natürliche Begrenzung der Teilegröße zu sein. Da endet die Anwendung in der Regel üblicherweise bei einem Durchmesser von 32 mm.

Die Elektromobilität ist mit Sicherheit aktuell eine der größten Herausforderungen der zerspanenden Industrie. Inzwischen ist die Elektrifizierung des Antriebsstrangs in vollem Gange: Politisch forciert aufgrund der notwendigen Senkung von Emissionen und der drohenden Knappheit von Ressourcen scheint zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung der Wandel hin zu alternativen Antrieben unaufhaltsam zu sein. Dieses ist ohne Frage die positive Seite des Mobilitätswandels. Betrachtet man jedoch die in den letzten Jahrzehnten gewachsene Struktur der konventionellen Automobilindustrie, insbesondere der Zulieferindustrie im Bereich Antriebsstrang und Verbrennungsmotor mit dem Fokus Zerspanung, findet man dort – und auch das darf kein Geheimnis sein – nicht nur eine ganze Menge bisher gut bezahlter und zuverlässiger Arbeitsplätze, sondern vielmehr auch eine höchst effiziente Wertschöpfungskette. Modernste Produktionstechnik und ausgefuchste Prozesse. Dadurch haben es innovative mittelständische Unternehmen geschafft, in einem Hochlohnland wie Deutschland international eine treibende und führende Rolle einzunehmen.

Direkte Konsequenzen für die Zerspanung

Auffallend ist der dramatische Wandel, ausgelöst durch die Elektromobilität in der Produktionstechnik, bei der Betrachtung des Zerspanungsaufwands von Elektro- bzw. konventionellem Antrieb im Vergleich. Setzen wir den Zerspanungsaufwand für den konventionellen Kolbenmotor auf 100 %, jeweils einzeln in den Disziplinen Drehen, Fräsen und Bohren, so würde der Aufwand beim Elektrofahrzeug für das Fräsen auf 47 % reduziert werden, das Drehen – nicht ganz so drastisch – auf 82 %, das Bohren auf 33 % und das Schleifen auf 22 % sinken. Insgesamt schrumpft also der Zerspanungsanteil im Gesamten auf nur noch 41 %. Diese Zahlen sollten dem Zerspaner gegenwärtig sein. [1]

Gerade in den traditionellen Zerspanhochburgen führen diese Fakten zu großem Augenmerk. Während zu Beginn des Wandels vor zwei bis drei Jahren bei den Zerspanern das Ganze noch wie Zukunftsmusik klang und vielmehr das große Rätselraten war, welche Bauteile nun für alternative Antriebe zerspant werden müssen und ob sich daraus evtl. sogar Geschäftserweiterungen ergeben, ist nach Jahren des konjunkturellen Aufschwungs die ganze Misere, zusätzlich getrieben durch die Coronapandemie, plötzlich in den Firmen real auf dem Hallenboden angekommen und jäh spürbar geworden. Jedoch verstärken Krisen bekanntlich den Überlebenstrieb und damit auch die Innovationskraft. Und ganz gestorben ist der Verbrennungsmotor letztendlich noch lange nicht, unabhängig davon, welche Technologie sich bei der aktuellen Vielfalt der Antriebsalternativen am Ende durchsetzen wird. Die individuelle Mobilität ist und bleibt ein Grundbedürfnis, woraus sich Chancen für die Produktionstechnik bzw. den Zerspaner ergeben. Eines aber scheint sicher zu sein: Betriebe, die schon seit jeher auf Innovation und Effizienz setzten, sind zumindest für kritische Zeiten gut gewappnet, egal in welche Richtung der Markt sich bewegt. Die technologische und physikalische Effizienz nicht nur in der Produktionstechnik bezogen auf die Antriebsalternativen wird sich am Ende durchsetzen. Bricht man die Effizienz über das Produkt bis zur Produktionstechnik herunter, bedeutet dies hochfeste Werkstoffe, komplexe Bauteile und robuste Prozesse bei gleichzeitig engen Toleranzen und innovativen Fertigungstechnologien.

Innovationskraft durch Tradition und Erfahrung

Zu welchen technischen Innovationen ist nun eine Region fähig, die kulturell eher geprägt ist von der Tradition, wie es beispielsweise in der Region Schwarzwald-Baar- Heuberg der Fall ist? Gerade dort sind die Lohnzerspaner zu Hause und auch der Maschinenbau ist stark vertreten. Qualität und Produktivität sowie Kreativität und Innovation dürfen weder in der konjunkturellen Hochphase noch in der Krise vernachlässigt werden. Genau diese Merkmale sind die eigentlichen Treiber der gesamten Region. Für die traditionellen Werkstücke also überwiegend Drehteile für den Verbrennungsmotor bzw. im Antriebsstrang haben sich in der Region höchst produktive Langdreher (Swiss Type Turning) als kostengünstige und zuverlässige Systeme erwiesen. Das erarbeitete Know-how der Dreher liegt damit zum einen in extrem großem Technologiewissen bezüglich des Zerspanprozesses, zum anderen auch im Materialfluss von und zu den Maschinen, also sozusagen alles um die Maschine herum. Wenig überraschend ist der Einsatz von Langdrehmaschinen insbesondere für schmale und lange Teile im Teilebereich bis Durchmesser 32 mm. Die Prozesse sind auf diesen Maschinen derart ausgefeilt, dass bei geringsten Fertigungskosten höchste Präzision erreicht werden kann. Damit ist nicht nur die Region, sondern auch die Langdrehmaschine ein Rückgrat der Automobilzulieferindustrie.

Lohnzerspaner und Maschinenhersteller
nehmen die Herausforderung an

Die Nähe zwischen den Lohnzerspanern und den Maschinenherstellern zahlt sich nun aus. Gemeinsam hat man sich an einen Tisch gesetzt und zum einen die Bauteile für die Elektromobilität genau unter die Lupe genommen und diese den bisher bekannten Fertigungsprinzipien und Maschinentypen gegenübergestellt. Zum anderen war es das Ziel, den Gesamtprozess aus den bisherigen Erfahrungen der Zerspanung für Verbrennungsmotoren höchst produktiv zu gestalten. Die Wahl fiel auf eine Ankerwelle. Diese Welle war besonders aufwendig in der Drehbearbeitung. Schnell war ein höchst produktiver Prozess nach den bewährten Prinzipien des robusten Langdrehens konzipiert. Kleines Manko: Das Bauteil erforderte maschinenseitig einen Stangendurchlass von 60 mm. Übliche Langdrehmaschinen sind damit für diesen Prozess nicht geeignet.

Diese Herausforderung haben die Ingenieure des Langdrehmaschinenherstellers Maier Werkzeugmaschinen angenommen und auf Basis des angesammelten Know- hows, also der Tradition, sowie bewährter Komponenten und Baugruppen einen neuen Maschinentyp entwickelt. Herausgekommen ist nichts weniger als die wohl größte Langdrehmaschine der Welt, die ML60F3.5 (Abb.1). Mit einer schier unglaublichen Kraft schöpft die ML60F3.5 ihre Leistung aus ungewöhnlich starken Motoren, um nach dem Prinzip des Langdrehens mithilfe einer in Z-Richtung feststehenden Führungsbuchse und der dafür entsprechend verfahrbaren Hauptspindel nun generell bis zu einem Stangendurchmesser von 60 mm drehen zu können. Nun gab es selbstverständlich handfeste Gründe, warum bisher Langdrehmaschinen eher als kleine und kompakte Maschinen realisiert wurden. All diese Punkte ist man systematisch angegangen und hat daraus ein neues Maschinensystem entwickelt.

Erste „Großmaschine“
im Langdrehbereich

Genau genommen basiert das Maschinenkonzept auf einer Zusammenführung der bewährten Konstruktionsprinzipien von Kurzdrehmaschinen und Langdrehmaschinen. Als Resultat wurde das Maschinenbett aufgrund des höheren Spananfalls entgegen dem verbreiteten Langdrehprinzip als Schrägbett ausgeführt. Bei derart großen Maschinen erleichtert dies zusätzlich die Übersichtlichkeit und Zugänglichkeit. Hohe Dämpfung und Steifigkeit werden durch die Ausführung in Mineralguss ermöglicht (Abb.2).

Die Haupt- und Abgreifspindeln sind als C-Achse konzipiert. Mit einer Drehzahl der Hauptspindel von 4500 U/min leistet sie massive 37 kW, die Gegenspindel bei gleicher Drehzahl immerhin noch 26 kW (60 % /100 %ED). Das Spannmittel wurde als Spanntop Nova 65 KK6 realisiert (Abb.3).

Für das Drehen nach dem Langdrehprinzip stehen bei einem Stangendurchlass von 60 mm vier Stechwerkzeuge 25 x 25 zur Verfügung. Ausgerüstet werden kann die ML60F3.5 mit bis zu drei wassergekühlten Sauter-Werkzeugrevolvern mit einer Leistung von 10 kW und je zwölf angetriebenen Werkzeugen. Die angetriebenen Werkzeuge rotieren mit bis zu 10 000 U/min. Der Spindelstockhub beträgt für Langdreher 500 mm. Auch bei der Steuerung greift man auf Bewährtes und bei den Anwendern Gewohntes zurück, nämlich die Fanuc 31iTB mit 2 MB Speicher je Kanal. Zusätzlich gesteuert werden kann die Maschine über ein elektronisches Handrad mit Programm-Check (Abb.4).

Eine besondere Herausforderung war die langdrehtypische Führungsbuchse. Am Markt verfügbare Standardbuchsen stehen für diese Größenordnungen und Belastungen nicht zur Verfügung. Weiterhin würde die in konventionellen Langdrehmaschinen oft als Gleitlager realisierte Buchse aufgrund der Kräfte einem hohen Verschleiß unterliegen. Ein typischer Fall für die Ingenieure bei Maier Werkzeugmaschinen. Eigens entwickelt wurde für diesen anspruchsvollen Leistungsbereich eine synchron angetriebene Führungsbuchse. Die nun entwickelte SB60 kann die Kräfte aufnehmen und es kann bei geringstem Verschleiß unter hoher Belastung präzise gearbeitet werden.

Nach Kundenwunsch kann der Teileausstoß als pneumatischer Teileausstoßer an der Abgreifspindel inkl. Ausblaseinrichtung oder durch die Abführung langer Teile auf einem Entladetisch realisiert werden, wobei im Standard ein Teileförderband mit Auffangschale vorgesehen ist.

Der Maschinenhersteller Maier Werkzeugmaschinen versteht sich als Nischenanbieter für individuelle Kundenanforderungen und fertigt seine Maschinen aus einem Baukastensystem. Dieser Baukasten und sämtliche Maier-Werkzeugmaschinen-Lösungen stehen nach Kundenbedürfnissen vollumfänglich für diese Maschine zur Verfügung.

Die Forderung nach kontinuierlicher Produktivitätssteigerung macht auch im Bereich der alternativen Antriebe nicht halt. Gewachsene und ausgereifte Fertigungsprinzipien eignen sich zur Effienzsteigerung durch evolutionäre Herangehensweisen für diese neue Technologie. Setzen sich die „alten Hasen“ aus der „konventionellen“ Branche an einen Tisch, entstehen neue Möglichkeiten. Diese sind die Basis für eine zukünftige führende Rolle in der Produktionstechnik von Bauteilen alternativer Antriebsstränge im Kraftfahrzeug. Gerade in einem scheinbar schrumpfenden Markt sorgen derartige Lösungen für individuelles Wachstum. Die Nische zum Überholen ist nicht für jedermann offensichtlich, vermag aber durch Mut und Erfahrung ertastet werden. Mit der Maier Langdrehmaschine ML60F3.5 (Abb.3) kann nun bis zu einem Stangendurchmesser von 60 mm ein völlig neues Teilespektrum auf Basis robuster und bekannter Technologien bearbeitet werden. Initiiert durch die Elektromobilität ist hier ein weiterer Schritt in die Zukunft der Langdrehtechnologie erfolgt.

Maier Werkzeugmaschinen GmbH & Co. KG

Siemensstraße 10

78564 Wehingen


Die Autoren

Siegfried Schmalzried

Hochschule Furtwangen,
Hochschulcampus Tuttlingen,

Fakultät Industrial Technologies

Michael Maier

Maier Werkzeugmaschinen GmbH & Co. KG


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