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„Werkzeuge mit konturnaher Kühlung machen Sinn“

Branchenexperten diskutieren die Möglichkeiten additiver Verfahren im Werkzeug- und Formenbau
„Werkzeuge mit konturnaher Kühlung machen Sinn“

Autor: Das Interview führte:

mav: Warum haben die additiven Fertigungsverfahren im Werkzeug- und Formenbau so stark an Bedeutung gewonnen?

Falke: Für den Spritzgussprozess ist die Werkzeugwandtemperatur sehr wichtig. Eine konturnahe Kühlung in den Werkzeugkern einzubringen, ist aber schwierig. Oft sind jede Menge formbildende Teile in das Werkzeug hineinkonstruiert, und wenn man dann noch eine optimale Kühlung einbringen will, fehlt schlicht der Platz. Vor einigen Jahren hatten wir beispielsweise ein Gehäuse für einen Stromzähler konstruiert, bei dem die Temperaturführung des Kerns extreme Probleme bereitet hat. Das Spritzgussmaterial, Polycarbonat, erforderte eine Werkzeugtemperatur um 90 Grad. Im eingeschwungenen Prozess waren es aber um die 130 Grad – einfach viel zu heiß. Das hat Zykluszeit gekostet, Qualität am Bauteil gekostet und das Prozessfenster eingeschränkt. Schließlich war dann auch das Werkzeug verschlissen, und wir durften ein neues konstruieren.
mav: Was haben Sie geändert?
Falke: Wir haben wieder dieselbe Geometrie konstruiert, haben vom Auftraggeber aber diesmal die Möglichkeit erhalten, den Kern generativ herstellen zu lassen. Wir konnten so überall, wo noch etwas Platz war, eine Temperierung einbringen. So haben wir jetzt komplett umlaufend zwei Temperierkreisläufe, mit denen der Kern sich wunderbar temperieren lässt und eine Temperatur von 85 bis 90 Grad im eingeschwungenen Zustand hat.
mav: Ist das Knowhow für die Konstruktion solcher Werkzeuge vorhanden?
Falke: Das sollte für jeden Werkzeugkonstrukteur möglich sein. Entscheidend ist, dass man jemanden hat, der über das Knowhow verfügt, diesen Kern entsprechend zu sintern. Es wirken ja extreme mechanische und thermische Belastungen auf den Kern, und vor allem müssen wir sehr enge Toleranzen halten. Es nützt nichts, wenn uns jemand einen Kern generiert, der dann fünf oder acht Zehntel Millimeter Abweichung hat.
mav: Hier kam dann die bkl-Lasertechnik ins Spiel. Wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Klötzer: Wir haben den besagten Kern generativ hergestellt. Da spricht man sich natürlich mit dem Konstrukteur ab, was machbar ist. Ob die Kühlung so, wie sie einkonstruiert wurde, überhaupt baubar ist – denn auch beim Lasersintern gibt es Grenzen.
mav: Welche Maschinen setzen Sie ein?
Klötzer: Wir selbst arbeiten mit EOS-Anlagen. Es kommt aber heutzutage weniger auf die Anlage an, sondern Sie müssen die Parameter richtig beherrschen können: wie Sie die Qualität des Pulvers kontrollieren, welche Belichtungen Sie einstellen, welche Geschwindigkeiten, welche Temperaturführung…
mav: Ist die Qualität der Werkstoffe inzwischen gesichert?
Klötzer: Was die Verschmelzung betrifft, kann man eigentlich jeden Stahl nehmen, man muss nur darauf achten, welche Spannungen entstehen in den Teilen. Wir arbeiten für den Werkzeug- und Formenbau überwiegend mit dem Stahl 1.2709. Der ist sehr gutmütig, Spannungen kommen kaum auf beim Bauen, und man kann großvolumige Bauteile herstellen. Und nach dem Verlasern hat er die gleichen Eigenschaften, wie wenn Sie ihn auf herkömmlichem Weg beim Stahlhersteller kaufen würden.
mav: Beziehen Sie das Pulvermaterial vom Anlagenhersteller?
Klötzer: Nein, da sind wir komplett unabhängig. Wir haben unsere eigene Körnung festgelegt und beziehen unser Material frei am Markt.
mav: Könnten sich beim Pulver Verkaufsmodelle herausbilden, wie es sie etwa bei der Tinte von Tintenstrahldruckern gibt?
Hofmann: Für den Metallbereich kann ich mir das nicht vorstellen. Dazu ist das Pulvermaterial zu leicht zu bekommen. Die Herstellung ist relativ einfach. Es ist reines Blockmaterial, das aufgeschmolzen und verdüst wird. Man braucht kein allzu großes Knowhow, abgesehen von der Frage der Korngröße.
mav: Und doch zögern viele Auftraggeber, generative Fertigung einzusetzen…
Hofmann: In der Tat steht das vorher genannte Beispiel sinnbildlich für das Grundproblem der konturnahen Kühlung im Werkzeugbau: Erst als sich das konventionell gefertigte Werkzeug als nicht so gut erwiesen hatte, hat man die Vorteile der generativen Herstellung verstanden.
Falke: Das Schlimme ist, jeder Fachmann konnte schon vorher sehen, dass die Temperierung nicht ausreichen wird. Aber dann kommt vom Auftraggeber immer das Zeit- und Kostenargument. Dabei gibt es noch weitere Vorteile: Das Teil, das man beim Sintern erhält, ist von der Qualität her bereits vergleichbar mit dem vorgefertigten Kontureinsatz, der mit den Schruppelektroden behandelt worden ist. Man spart also sowohl das Fräsen als auch das Erodieren der Schruppelektroden, muss nur noch schlichten – spart also die Hälfte der Elektroden.
Klötzer: Es macht wirklich Sinn, Werkzeuge mit konturnaher Kühlung einzusetzen. Die Ansprüche an Oberfläche, Optik und Haptik von Kunststoffteilen steigen immer mehr. Und wie will ich ein Teil mit einer anspruchsvollen Oberfläche fertigen, wenn ich die Wandtemperatur in meinem Werkzeug nicht richtig führen kann? Nur so lässt es sich optimal abformen und spritzen.
mav: Inwiefern muss der Kunststoffverarbeiter seinen Prozess anpassen?
Falke: Er muss natürlich bedenken, dass ein generativ erzeugter Kühlkanal stärker als ein konventionell durch Spanen hergestellter Kühlkanal auf entsprechend aufbereitetes Wasser im Kunststoffverarbeitungsbetrieb angewiesen ist. Denn ich kann ihn nicht ausbohren, und wenn er zugesetzt ist, muss ich den Einsatz wegwerfen. Es ist also wichtig, dass mit den Werkzeugen auch entsprechend umgegangen wird.
Seul: Wenn ich Porsche fahre, nehme ich keine runderneuerten Reifen. Entsprechend muss ich mir in diesem Fall auch die richtige Kühlwasseraufbereitung leisten.
Klötzer: Unserer Erfahrung nach wissen Firmen, die diese Werkzeuge beschaffen, das aber schon. Problematisch kann es nur werden, wenn eine Produktion verlagert oder nach einer gewissen Laufzeit untervergeben wird.
mav: Gibt es noch andere Möglichkeiten, die die additiven Verfahren eröffnen?
Hofmann: Die konturnahe Kühlung ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Die additiven Verfahren bieten noch viel mehr Möglichkeiten. Ich kann beispielsweise das Werkzeug nur dort massiv aufbauen, wie ich es brauche: in der Randschicht, wo meine Temperierung liegt. Dahinter habe ich irgendwelche Stützstrukturen. Ich heize und kühle also nur noch den Randbereich und nicht mehr den ganzen Block.
Seul: Das ist auch aus energetischer Sicht wertvoll.
Hofmann: Die Überlegungen zur Funktionsintegration gehen noch weiter. Wir denken beispielsweise an eine Art Goretex-Struktur, die für Luft durchlässig ist, für das Kunststoffmaterial aber nicht. Wenn ich generativ aufbaue, kann der Konstrukteur seinen Gedanken freien Lauf lassen.
mav: Werden additive Verfahren im Werkzeugbau die Zerspanung zunehmend ablösen?
Seul: Entweder oder, das ist hier der völlig falsche Ansatz. Es muss heißen: Sowohl, als auch! Das Lasersintern ist eine ernst zu nehmende Technologie, die längst ihren Kinderschuhen entwachsen ist und völlig neue Optionen im Werkzeug- und Formenbau eröffnet. Aber auch in Zukunft bleibt die Zerspanung im Werkzeug- und Formenbau genau so aktuell und wichtig, wie es vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Wir haben eine zusätzliche Technologie hinzubekommen, wie seinerzeit das Erodieren hinzukam. Die Kosten sind dabei kein wirkliches Argument, denn beim Werkzeug wird der Preis nicht am Span gemacht, sondern im nachfolgenden Produktionsprozess.
mav: Ist ein Werkzeug- und Formenbau, der sich nicht mit additiver Fertigung beschäftigt, künftig nicht mehr konkurrenzfähig?
Seul: Der Werkzeug- und Formenbau muss sich mit dieser Technologie auseinandersetzen, damit wir überhaupt noch Produktionswerkzeuge in einem Hochlohnland wie Deutschland herstellen können. Er muss das ja nicht selber im eigenen Haus machen, sondern kann sich den entsprechenden Dienstleister wie etwa Herrn Klötzer mit ins Boot holen, der das Knowhow hat, seine Anlagen tunt und so noch mehr aus ihnen herausholt.
mav: Wie sind die deutschen Hersteller von Anlagen zum Lasersintern von Metallen aufgestellt?
Seul: Man kann schon sagen, sowohl EOS als auch die Maschinen der Hofmann-Tochter Concept Laser spielen schon in der Champions League.
Hofmann: Es ist auf jeden Fall eine Technologie, bei der wir hier in Deutschland die Vorreiter sind. Im internationalen Wettbewerb gibt es, aktuell zumindest, nur wenige Hersteller, die auf einem ähnlichen Niveau sind.
Seul: Was ja interessant ist, denn beim Kunststoff-Prototyping war die Situation umgekehrt. Inzwischen ist dieser Bereich von der metallischen Fertigung quasi überholt worden, bei Letzterer ist der Reifegrad viel höher. Kunststoff-Prototypen wie in einem Spritzgussprozess herstellen zu können, davon sind wir heute weiter entfernt als von der Herstellung metallischer Bauteile im generativen Fertigungsprozess.
mav: Wohin geht der Trend bei der Anlagentechnik?
Hofmann: Gerade im Werkzeugbau ist für viele Anwender ein Thema, dass ich größer aufbauen kann und auch in kurzer Zeit einen großen Einsatz komplett fertig bearbeiten kann. Das andere große Thema, das vor allem von der Luftfahrtindustrie und der Medizintechnik gepuscht wird, ist die Prozessstabilität – die hundertprozentige Sicherheit, dass das Teil immer gleich von der Maschine kommt.
mav: Spielen die Themen Oberflächen und Genauigkeit noch dieselbe Rolle wie vor zehn Jahren, oder hat man das jetzt im Griff?
Hofmann: Im Spitzgussbereich ist das mittlerweile beherrscht. Wir bauen etwas größer und arbeiten minimal nach. Es gibt aber in anderen Werkzeugtechnologien, etwa im Bereich Partikelschäum- oder Umformwerkzeuge, teilweise eine hohe Nachfrage, den Einsatz ohne große Nacharbeit fertig aus den Maschinen zu bekommen. Dort sind Industriebetriebe oft schon ganz zufrieden mit der Oberfläche.
mav: Eine Reihe von Werkzeugmaschinenherstellen kombinieren Laserbearbeitung und Zerspanung. Sind solche Hybridmaschinen eine gute Idee?
Seul: Sie sind definitiv eine gute Idee. Nicht umsonst haben sowohl das Werkzeugbauinstitut in Lüdenscheid als auch die GFE in Schmalkalden solche Anlagen beschafft, um diese hybriden Bearbeitungsprozesse durchführen zu können. In Bezug auf Präzision und Technologie halte ich das für einen Trend, der weiterhin seine Berechtigung hat.
Hofmann: Aus Anwendersicht sehe ich es andererseits als vergeudete Maschinenkapazität, denn irgend etwas steht immer. Für bestimmte Fälle, bei denen ich Nacharbeit im Innenbereich habe, an den ich später gar nicht mehr rankomme, ist es aber eine tolle Sache. Wenn ich wirklich Kanäle brauche, die entsprechend glatt sind, oder Bereiche im Innern mit einer Oberflächenqualität, die ich generativ nicht erreichen kann, dann bringt die Hybridtechnologie einen großen Benefit. Denn es gibt kein anderes Verfahren, mit dem ich derartige Strukturen produzieren kann. Aber wenn ich wirklich einfach nur einen Formeinsatz herstellen will, dann ist das denke ich nicht der richtige Ansatz.
mav: Sind die additiven Verfahren schon ausreichend in die Prozesskette der Zerspanung integriert, etwa im Bereich CAD/CAM-Programmierung?
Hofmann: Aktuell sind sie das noch nicht, aber das wird sicherlich kommen. Ich könnte mir vorstellen, dass es nur noch eine Frage von wenigen Jahren ist, bis die größeren CAD/CAM-Softwarelieferanten entsprechende Module auf den Markt bringen, um eine durchgängige CAx-Lösung für die generative Fertigung anbieten zu können.
mav: Wie wird sich die Skalierbarkeit der Lasermaschinen entwickeln?
Hofmann: Aktuell ist der Laser mit seiner Leistungsfähigkeit irgendwann am Limit, und man wird zusätzliche Laser einbauen. Multilasersysteme sind also der Weg, wo es zunächst hingehen wird.
Falke: Aber bitte nicht denken: Vier Laser, viermal so schnell…
Klötzer: Vor zwei Jahren hat man das noch diskutiert: Ich nehme statt 200-Watt-Lasern einfach 400-Watt-Laser und bin doppelt so schnell. Das ist aber nicht der Fall, da hängt viel mehr dran.
Seul: Man bringt ja auch mit jedem Laser wieder zusätzliche Wärme ins Bauteil ein und muss aufpassen, dass man den Verzug im Griff behält.
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