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Höhere Produktivität dank zielgerichteter Kühlung

Fräsen von schwer zerspanbaren Werkstückstoffen in der Luft- und Raumfahrt
Höhere Produktivität dank zielgerichteter Kühlung

Die zielgerichtete KSS-Zufuhr erhöht im Vergleich zur herkömmlichen Innenkühlung auch beim Fräsen deutlich die Produktivität. Dies lässt sich am erhöhten Zeitspanvolumen ablesen, welches sich neben der Steigerung der Schnittgeschwindigkeit dank der verbesserten Spanform und des höheren Eingriffsverhältnisses erzielen lässt. Autor: Sebastian Mayer, Industriespezialist, Iscar

Vor dem Hintergrund aktueller Forderungen nach Ressourcenschonung und Energieeffizienz in der Luftfahrt spielen moderne Werkstoffe wie Titanlegierungen, hochfeste Stähle, Nickel-Basis- und Magnesiumlegierungen sowie Verbundwerkstoffe eine entscheidende Rolle. Mit dem Ziel, das Gewicht eines Flugzeuges zu reduzieren, entstehen so immer neuere, hochmoderne Werkstoffe. Das spart Treibstoff, erhöht Nutzlast und Reichweite und macht die Luftfahrt rentabler. Wirft man einen Blick auf die neuesten Generationen von Flugzeugen, hat sich zum Beispiel der Anteil an CFK-Bauteilen in den letzten 20 Jahren verfünffacht. Über 50 Prozent aller verbauten Komponenten bestehen aus verschiedensten Verbundmatrix-Materialien.

Betrachtet man die neuesten Trends und Technologien zur Herstellung von Rumpfsektionen, dann zeigt sich, dass man in diesem Bereich aber noch lange nicht ohne Metall auskommen kann. Die CFK-Hülle ist im Durchschnitt nur sechs Millimeter dick und somit nicht selbsttragend. Erst durch das Einbringen zahlreicher Strukturbauteile wird die notwendige Festigkeit und Stabilität eines Flugzeugrumpfes erreicht. Bestanden diese bisher aus Aluminium, werden sie aufgrund des guten Korrosionsverhaltens und der hohen spezifischen Festigkeit vermehrt aus Titanlegierungen gefertigt.
Wenn es um Festigkeit geht, steht auch das Fahrwerk aktueller Flugzeugtypen im Fokus. Diese bestehen aus hochfesten Stählen und neuesten Titanlegierungen und stellen aufgrund der großen Abmessungen hohe Anforderungen an Maschinenkonzepte und Bearbeitung.
Im Triebwerksbau wird Titan in den Niedertemperaturbereichen, speziell in den ersten Stufen der Hochdruckverdichter als Blisks eingesetzt. Die begrenzte Temperaturbeständigkeit lässt den Einsatz in den Heißgasbereichen eines Triebwerks jedoch nicht zu, da die Festigkeit von Titan bereits bei Temperaturen ab ca. 500 °C beeinträchtigt wird. Hier kommen Nickel-Basislegierungen aufgrund ihrer hohen Warmfestigkeit zur Anwendung.
Was macht Titan „schwer zerspanbar“?
Titan vereinigt hohe Festigkeit mit geringer Dichte und ausgezeichneter Korrosionsbeständigkeit. Aufgrund dieser ungewöhnlichen Kombination von Eigenschaften findet Titan trotz des hohen Preises Verwendung in vielen technischen Spezialgebieten. Die mechanischen Eigenschaften von Titanlegierungen, insbesondere die hohe spezifische Festigkeit bei einer sehr geringen Bruchdehnung, verbunden mit einer geringen Wärmeleitfähigkeit, stellen hohe Anforderungen an den Zerspanungsprozess. Bei der Bearbeitung von Stahl, z. B. Vergütungsstahl CK 45, liegt das Verhältnis der Wärmeabfuhr von Span zu Werkzeug bei der Verwendung von Hartmetallwerkzeugen bei etwa 1:1. Das bedeutet, die Hälfte der entstehenden Temperatur gibt der Span an die Schneide ab, die restliche Wärme verbleibt im Span. Bei der Zerspanung von Titan beträgt dieses Verhältnis allerdings nur noch 1:4. Dabei fallen 80 % der entstehenden Temperatur an der Schneide ab. Somit kommt dem verwendeten Schneidstoff bezüglich seiner thermischen Stabilität eine große Bedeutung zu.
Titan ist wegen seines geringen E-Moduls nur bedingt plastisch verformbar, das bedeutet, der Werkstoff ist nachgiebig und federt unter Schnittdruck stark zurück (sogenannter „Stick-Slip-Effekt“). Dies führt im Bereich der Freifläche zu einer Verringerung des eigentlichen Freiwinkels und ruft in der Konsequenz Reibvorgänge und Ratterschwingungen hervor. Diese Eigenschaften haben letztendlich reduzierte Schnittparameter zur Folge, die sich auf das Zeitspanvolumen negativ auswirken.
Bei der Bearbeitung der gängigen Titanlegierung Ti-64 werden im Vergleich zu Aluminium deutlich geringere Zeitspanvolumina erreicht. Beim Fräsen von Titan-Großbauteilen wie Rahmen- und Querträgern sowie tragenden Strukturbauteilen mit Abmessungen von einem bis zu sechs Meter, werden bis zu 95 % des Rohmaterials zerspant. Daher steht die deutliche Steigerung der Produktivität bei der Titanbearbeitung in der Luftfahrt im Vordergrund. Dies erreicht man durch die Reduzierung der Nebenzeiten als auch durch die Erhöhung des Zeitspanvolumens.
Zielgerichtete KSS-Zufuhr beim Drehen und Stechen
In den letzten Jahren hat sich die von Iscar entwickelte zielgerichtete Kühlschmierstoff-Zufuhr bei der Drehbearbeitung auf dem Markt etabliert. Der Spanbruch und die Kühlung der Schnittzone erzielen beim Drehen und Stechen besonders gute Ergebnisse. Aufgrund der niedrigen Temperatur an der Schneide weist der Schneidstoff ein deutlich verbessertes Verschleißverhalten auf. Dadurch lässt sich die Schnittgeschwindigkeit erhöhen, was eine deutliche Steigerung des Zeitspanvolumens mit sich bringt. Durch den kontrollierten Spanbruch können sich keine langen Späne bilden, die sich um das Bauteil, die Spannmittel und das Werkzeug legen. Somit erhöht sich die Prozesssicherheit. Als Vorreiter auf dem Gebiet der zielgerichteten KSS-Zufuhr stellt Iscar die sogenannten „Jet HP Line-Werkzeuge“ mit intelligenter Kühlschmierstoff-Zuführung für alle seine gängigen Systeme her.
Fräsen mit zielgerichteter KSS-Zufuhr
Basierend auf diesen hervorragenden Ergebnissen aus dem Bereich des Drehens und Stechens, soll diese Strategie nun auch bei Fräsoperationen Anwendung finden und die Produktivität steigern. Eine simple Umrüstung von einer normalen Pumpe auf eine Hochdruckpumpe reicht in diesem Fall nicht aus. Fräswerkzeuge mit einer zielgerichteten KSS-Zufuhr unterscheiden sich deutlich von herkömmlichen Werkzeugen, selbst wenn sie bereits über eine innere KSS-Zufuhr verfügen. In den meisten Fällen wurde bei der Auslegung der Werkzeuge mehr darauf geachtet, dass jede Schneide etwas vom Kühlschmierstoff abbekommt und weniger darauf, dass der Kühlmittelstrahl mit der besten energetischen und kinematischen Wirkung auf den Span und die Schneide wirken kann. Bei einer optimalen Ausrichtung der Austrittsdüsen werden die Späne während der Fräsbearbeitung durch den Druck des Kühlmittelstrahls enger aufgerollt. Somit können die Spankammern kleiner konzipiert und dadurch Werkzeuge mit einer deutlich höheren Anzahl an Schneiden ausgelegt werden.
Lange Eingriffszeiten sorgen beim Fräsen für eine erhöhte Temperaturentwicklung an der Schneide. Bei einer Bearbeitung mit konventionellen Strategien, wie beispielsweise die der Überflutungskühlung, wird oft ein geringes seitliches Eingriffsverhältnis gewählt, um die Schneiden keiner übermäßigen Temperaturbelastung auszusetzen. Beim Einsatz einer zielgerichteten Kühlschmierstoff-Zufuhr, wobei der Kühlschmierstoff direkt in die Schnittzone gelenkt wird, kann die Temperatur deutlich reduziert werden. Dadurch lassen sich die Werkzeuge mit einem deutlich höheren seitlichen Eingriffsverhältnis einsetzen. Zusätzlich kann die Schnittgeschwindigkeit nochmals deutlich erhöht werden. Beides führt zu einer Steigerung des Zeitspanvolumens.
Durch die Reduzierung der Temperatur an der Schneide wird der Freiflächen- und Kolkverschleiß verringert. Die konstante Kühlung senkt das Risiko von Kammrissbildung und verhindert Mikroausbrüche; nicht zuletzt vermindert der Kühlmittelstrahl die Aufbauschneidenbildung.
„Nur so viel wie nötig“ und nicht „so viel wie möglich“
Die Parameter KSS-Zuführdruck und KSS-Volumenstrom haben bei der zielgerichteten Kühlung einen wesentlichen Einfluss auf die Spanbildung. Daher sollten Werkzeuge bei der Auslegung stets an die angestrebten Schnittbedingungen angepasst werden. Im Zerspanungsprozess ist der maximal wirksame Volumenstrom zum einen von der Schnitttiefe und zum anderen von der Breite des entstehenden Spans abhängig. Dadurch wird der weit verbreitete Ansatz „viel hilft viel“ hinfällig. Bei einem konstruktiv optimal ausgerichteten Kühlmittelstrahl reicht bereits ein geringer Volumenstrom bei erhöhtem Druck aus, um die benötigte kinetische Energie auf den Span aufzubringen.
Beim Fräsen mit Wendelschaftfräsern sind in der Regel große Volumenströme nötig, um den KSS-Bedarf an jeder Schneide zu gewährleisten. Aufgrund der zahlreichen KSS-Austrittsbohrungen, die der Anzahl an Wendeschneidplatten geschuldet ist, kann so der von der Pumpe erreichte Druck an der Schneide nicht mehr erreicht werden. Mit dem Einbringen der zielgerichteten KSS-Zufuhr bei gleichzeitiger Optimierung der Austrittsbohrungen wird der Druck an jeder Schneide erhöht. Eine deutliche Steigerung der Produktivität ist die Folge.
Zusammenfassung
Die zielgerichtete KSS-Zufuhr unter erhöhtem Druck stellt bei der Bearbeitung von schwer zerspanbaren Werkstoffen eine vielversprechende Technologie dar, um das Zeitspanvolumen bei der Bearbeitung von Titangroßbauteilen in der Luftfahrt zu erhöhen. Die Produktivität wird zum einen durch die Steigerung der Schnittgeschwindigkeit, als auch durch die konstant niedrige Temperatur an der Schneide erreicht, die eine Erhöhung des seitlichen Eingriffsverhältnisses ermöglicht. Die eingebrachte Energie rollt den Span so eng auf, dass Werkzeuge mit kleineren Spankammern und engerer Zahnteilung verwendet werden können. Alle Vorteile ergeben zusammen eine enorme Steigerung des Zeitspanvolumens und der Prozesssicherheit.
Eine 1:1-Einbindung in das Standardwerkzeugprogramm ist allerdings nicht zielführend. Die Ausrichtung des KSS-Strahls sollte immer an die jeweilige Bearbeitung angepasst werden. Jet HP-Werkzeuge können an allen Iscar-Standorten konstruiert, gefertigt und mit Hilfe von Prüfanlagen auf ihre Wirkungsweise bezüglich des Kühlmittelstrahls geprüft werden. So entstehen flexible und kundenorientiert entwickelte Werkzeuge.
Nachdem Iscar mit der erfolgreichen Jet-HP-Produktlinie zuerst den Markt des Drehens und Stechens revolutionierte, wird nun auch im Bereich des Fräsens ein weiterer Meilenstein in der intelligenten Zerspanung gelegt. Dies kann für den Kunden ein entscheidender Faktor hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens auf dem globalen Markt sein. ■
Iscar Germany GmbHwww.iscar.de

Die zielgerichtete
KSS-Zufuhr unter erhöhtem Druck stellt bei der Bearbeitung von schwer zerspanbaren Werkstoffen eine vielversprechende Technologie dar, um z. b. das Zeitspanvolumen bei der Bearbeitung von TitangroSSbauteilen in der Luftfahrt zu erhöhen.“
Sebastian Mayer, Industriespezialist, Iscar Germany GmbH


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