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Lothar Horn Industrie 4.0 und Nachfolge

Lothar Horn, Geschäftsführer, Paul Horn GmbH
„Die Menschen sind immer wichtiger als Maschinen“

„Die Digitalisierung ist die größte Herausforderung der Gegenwart“, sagt Lothar Horn, der Geschäftsführer des Präzisionswerkzeugherstellers Paul Horn GmbH aus Tübingen. Dennoch möchte er bereits in ein bis zwei Jahren die Industrie-4.0-Projekte in seinem Unternehmen erfolgreich umgesetzt haben. Die mav sprach mit Lothar Horn darüber, warum dadurch sein Unternehmen noch konkurrenzfähiger sein wird. Das Interview führte: Frederick Rindle

mav: Herr Horn, einer ihrer Grundsätze lautet: Mitarbeiter motiviert man am besten mit Erfolgen. Mit welchen Erfolgen können Sie im Bereich der Digitalisierung punkten?

Horn: Es ist für mich, gerade bei den großen Projekten, immens wichtig die eigenen Mitarbeiter von Anfang mit einzubinden. Denn meistens haben diejenigen, die jeden Tag mit der Materie umgehen, schlussendlich die besten weil praktikabelsten Ideen. Die Motivation sich in einen Projekt zu engagieren hat auch viel damit zu tun, ob man die Mitarbeiter und deren Ideen ernst nimmt.
Aber gibt es bei Horn schon ein erfolgreich umgesetztes Projekt im Bereich der Digitalisierung?
Horn: Die Digitalisierung steckt momentan noch in den Kinderschuhen, und wir lernen jeden Tag dazu. Von daher gibt es noch eine ganze Menge an Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Und dennoch ist es uns gelungen, in einem unserer Kernbereiche ein Teilprojekt unserer Digitalisierungsstrategie erfolgreich umzusetzen. Es geht dabei um das automatisierte In-Prozess-Messen an den Schleifmaschinen. Hierfür haben wir im Bereich Schleifen zwanzig Maschinen mit völlig neuer Messtechnik ausgestattet. Wobei bislang noch im Vordergrund steht, Erfahrungen zu sammeln und prozesssicher Ergebnisse zu erzielen.
Inwieweit unterscheidet sich diese neue Messmethode von den schon bekannten Lösungen?
Horn: Wir reden hier von zwei ganz unterschiedlichen Welten. Bei den bisherigen Projekten ging es immer um Insellösungen. Hätten wir die alten Systeme auf unseren über 250 Schleifmaschinen ausgerollt, hätte das auch zu einer wahren Kostenexplosion geführt. Bei der neuen Lösung geht es um ein integriertes und von daher viel wirtschaftlicheres System. Das Ziel ist schließlich die komplette Vernetzung innerhalb des gesamten Unternehmens. Wir wollen, dass die Daten durch alle Abteilungen fließen. Das System muss daher den Verkauf, die Konstruktion, die Fertigung, die Beschichtung und schließlich die Logistik mit einbinden. Momentan sind wir dabei, diesen Rollout in Fragmenten vorzubereiten. Ich denke in ein bis zwei Jahren werden wir aber so weit sein.
Welche technischen Probleme müssen bis dahin noch gelöst werden?
Horn: Da die dafür benötigte Rahmentechnologie momentan erst geschaffen wird, müssen wir uns zum Teil noch mit den Grundlagen beschäftigen. Aber in dem konkreten Fall in der Schleiferei war das Hauptproblem die Software. Diese mussten wir komplett neu aufsetzen, um überhaupt prozesssicher auf den Maschinen messen zu können. Vor kurzem gab es eine solche Messsoftware schlichtweg noch nicht. Ebenso mussten unsere Mitarbeiter alle Maschinenprogramme in der Fertigung an den neuen Prozess anpassen. Das ging so weit, dass über den Postprozessor eine neue Software in die Maschinen eingespielt werden musste.
Ist die Firma Horn damit auch Software-Entwickler geworden?
Horn: Bei der Digitalisierung sind wir Mitentwickler und Impulsgeber. Wir sind gerade beim Thema Software auch völlig neue Kooperationen eingegangen, die vorher völlig undenkbar schienen. Wir entwickeln die Lösungen mit den Herstellern zusammen, aber sicher nicht alleine. Natürlich gibt es, wenn man völlig neue Wege betritt, auch Schwierigkeiten. So hat es jetzt auch knapp ein dreiviertel Jahr gedauert, bis die Mess-Lösung so funktioniert hat, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir würden auch gerne das gesamte Software-Know-how im eigenen Haus platzieren. Aber eine solche Investition wäre momentan unverhältnismäßig.
Gibt es auch bei Ihren klassischen Themen – Werkstoffe, Schneiden oder etwa Beschichtungen – schon digitale Lösungen?
Horn: Da ist die Forschung noch nicht so weit. Wir sehen alles was mit RFID-Technologie, Chips am Werkzeug oder Simulation zu tun hat als Stand der Technik an. Wirklich neue Dinge wie Schichten im Werkzeugmaterial, die etwaige Zerspanungskräfte aufnehmen und weitergeben können, werden momentan aber schon erforscht.
Wie sieht denn Ihre angestrebte Industrie 4.0-Lösung aus?
Horn: Die bereits angesprochene Datendurchgängigkeit durch das gesamte Unternehmen ist unser Ziel. Das wollen wir in ein bis zwei Jahren erreichen. Aber ich kann Ihnen in diesem Zuge noch ein weiteres erfolgreich umgesetztes Teilprojekt nennen. Damit die Richtung etwas klarer wird: In der Konstruktion wurden bislang Zeichnungen von Werkzeugen angefertigt, die nichts anderes waren als Definitionen von Punkten innerhalb einer Wolke. Wir haben begonnen diese Punkte über Parameter zu beschreiben, so dass wir 70 bis 80 Prozent aller Punkte jetzt definieren können. Diese Zahlen sind Festwerte, die wir ohne Probleme in die Schleiferei übertragen können. Das Gleiche machen wir auch mit der Trägerwerkzeugfertigung. Weil die Trennstelle zwischen der Konstruktion und der Fertigung damit aufgehoben wurde, sind auch kleinste Lose ab der Losgröße 1 wirtschaftlich abbildbar. Schlussendlich heißt das auch, dass bereits der Verkauf die Auslegung der Werkzeuge vornehmen könnte.
Wurde die Werkzeugfertigung damit auch wesentlich schneller?
Horn: Mit unserem Greenline-System können wir heute schon Sonderwerkzeuge innerhalb von fünf Tagen fertigen und ausliefern. Die bisherige Konstruktion und Auslegung der Werkzeuge hat dabei schon rund 15 Stunden in Anspruch genommen. Mit dem neuen System schaffen wir das in fünf bis zehn Minuten. Wenn wir im nächsten Schritt nun die Datendurchgängigkeit in alle Bereiche schaffen, so dass alle relevanten Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, dann sollte es im besten Fall möglich sein, ein Sonderwerkzeug innerhalb eines Tages zu produzieren.
Heißt das im Umkehrschluss, sie wollen Mitarbeiter einsparen?
Horn: Nein, unsere Mitarbeiter sind für uns der wichtigste Teil der Firma. Wir wollen demnach nicht die Mitarbeiterzahl abbauen, sondern den Umsatz weiter steigern. Für viele Mitarbeiter werden sich die Arbeitsbedingungen verändern. Aber die Belastungen sollen dadurch geringer werden. Es ist uns daher ein ganz wichtiges Anliegen unseren Mitarbeitern im täglichen Gespräch diese Befürchtungen zu nehmen. Die Menschen sind für mich immer wichtiger als Maschinen. Aber die Bremsklötze müssen aus den Köpfen raus – denn wie immer ist Stillstand keine Option.
Auf der Pressekonferenz des VDMA Fachverbands Präzisionswerkzeuge, dessen Vorsitzender Sie sind, haben Sie für die Branche ein Wachstum von einem Prozent für 2017 prognostiziert. Wie, denken Sie, wird sich das aktuelle Jahr für Horn entwickeln?
Horn: Horn hat sich bereits im vergangenen Jahr, anders als die Branche, sehr positiv entwickelt. Wir haben 2016 im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von rund 5,5 Prozent erreicht. Wir waren damit in der Lage, 2016 einen Umsatz von 275 Millionen Euro in der Gruppe zu erzielen. Von daher gehe ich davon aus, dass wir auch 2017 wieder in dieser Größenordnung zulegen werden.
Warum läuft es bei Horn soviel besser als im Großteil der Werkzeugbranche?
Horn: Wir haben unwahrscheinlich viel getan, im Besonderen im Bereich der Produktentwicklung und bei der Produktvielfalt. Damit können wir einfach bessere Produkte anbieten. Wir besetzen zudem heute, neben unserem Kernbereich der Bearbeitung zwischen den Flanken, noch weitere Themen und haben uns so breiter aufgestellt. Wir produzieren zu circa 50 Prozent Sonderwerkzeuge, und damit sind wir in einem Bereich, der tendenziell eher wächst. Während das Geschäft mit den Standardprodukten nachlässt. Unsere Kunden sind momentan auf der Suche nach Produkten, mit denen sie vor allem produktiver fertigen können und das können wir ihnen bieten.
Zur AMB 2016 haben sie eine Vertriebspartnerschaft mit dem österreichischen WerkzeugherstellerBoehlerit verkündet. Wie ist die Kooperation gestartet?
Horn: Der Start war ungewöhnlich gut. Wir durften schon einige Werkzeugversuche mit den ISO Dreh- und Fräswerkzeugen von Boehlerit bei Kunden machen. Wobei die Mehrheit der Versuche erfolgreich war. Bei einigen Versuchen waren die Boehlerit-Werkzeuge sogar um einen Faktor 3 bis 5 besser.
Horn beschränkt seine Aktivitäten seit langem nicht nur auf Europa. Die Horn-Gruppe hat weltweite Niederlassungen in den USA, in Mexiko und seit 2013 auch in China. Sie haben sich aber immer gegen eine Fertigung in China ausgesprochen. Warum?
Horn: Richtig, in meiner Zeit wird es keine Produktion in China geben. Warum auch?
…Weil der chinesische Markt am schnellsten und stärksten wächst. Weil dort die Lohnkosten viel niedrigen sind als hier…
Horn: Schön und gut, aber ich muss mich als Hersteller doch fragen: Wo kann ich am wirtschaftlichsten die qualitativ hochwertigsten Produkte erzeugen? Das gelingt nur mit den besten Mitarbeitern. Die Maschinen sind beinahe überall verfügbar. Also bleibt die Frage: Welche, wie ausgebildete Mitarbeiter habe ich wo im Einsatz. Für uns ist von daher Deutschland im Allgemeinen und Tübingen im Speziellen der beste Produktionsstandort. Wir haben mit der dualen Ausbildung ein System mit weltweit einmaligen Qualitätsmerkmalen. Zudem haben wir unsere Fertigung weitestgehend automatisiert, und mit der Industrie 4.0 sind wir auf dem besten Weg, unsere Zukunft selber zu gestalten. Am Schluss zählt die Produktivität, und da bin ich mit meinen Mitarbeitern hier in Tübingen am besten aufgestellt.
Wie sehen Sie den chinesischen Markt überhaupt?
Horn: Schwierig. Wir haben dort eine Blase, die kurz vor dem Platzen steht. Aber momentan rechnen wir für uns mit einer extrem steilen Aufwärtsentwicklung in China. Allerdings haben wir auch unsere Produkte erst 2013 auf dem chinesischen Markt eingeführt.
Stillstand ist auch für Sie und Ihre ganz persönliche Position oder besser Funktion bei Horn keine Option. Mit Ihrem Sohn Markus Horn haben sie an Ihrem sechzigsten Geburtstag bereits einen möglichen Nachfolger präsentiert. Ihr Sohn, der bislang in der IT-Welt zuhause war, hat allerdings noch keine tiefergehenden Erfahrungen in der Werkzeugindustrie gesammelt. Kann es da Schwierigkeiten geben?
Horn: Als ich zu Horn gekommen bin, war ich im gleichen Alter wie mein Sohn Markus jetzt. Auch ich hatte damals schon meine eigenen Erfahrungen machen dürfen und auch ich kam damals aus der IT-Welt. Sie sehen, dass passt hervorragend zusammen. Markus bringt auch die notwendige Dynamik mit, die man zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung braucht. Er sieht zudem ganz andere Möglichkeiten, da er ein ganz anderes Verständnis dafür hat. Neben diesen wichtigen Qualifikationen hat Markus auch gezeigt, dass er von Anfang an Verantwortung übernehmen möchte, und hat direkt die Verantwortung über den IT-Bereich bei Horn übernommen. Er wird zudem in den nächsten Jahren die Werkzeugherstellung in all seinen Facetten kennenlernen. Die Firma Horn war zudem auch schon immer ein Teil seines Lebens, und so hat er auch schon einiges daheim am Küchentisch kennengelernt.
Haben sie beide denn schon über einen möglichen Termin gesprochen, an dem sie den Stab weiterreichen würden?
Horn: Ja, ich habe bereits einen konkreten Zeitpunkt ins Auge gefasst. Denn ich habe den festen Entschluss mit 65 in den Ruhestand zugehen. Aber ich werde ihn sicherlich nicht drängen. Denn es ist auch eine gewisse Bürde, eine Firma mit 1400 Mitarbeitern, die um den halben Globus agiert, zu leiten. Von daher liegt die Entscheidung ganz bei ihm. Ich weiß aber, dass er darauf brennt, Verantwortung zu übernehmen. Markus ist der Richtige, um das Unternehmen in die nächste Generation zu führen. ■
Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbHwww.phorn.de
„Es sollte möglich sein, ein Sonderwerkzeug innerhalb eines Tages zu produzieren.“

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