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IFW: Dämpfer-Abstütz-Modul für das BTA-Tiefbohren

BTA-Tiefbohren
Dämpfer-Abstütz-Modul für das BTA-Tiefbohren

Das BTA-Tiefbohren ist ein wichtiges Verfahren zur Fertigung von Bohrungen mit einem großen Längen-zu-Durchmesser-Verhältnis. Herausfordernd dabei ist die schlanke Werkzeuggestalt, deren hohe Nachgiebigkeit Prozessstörungen begünstigt. Zu deren Vermeidung wird am IFW in Kooperation mit der BTA-Tiefbohrsysteme GmbH ein neuartiges Dämpfer-Abstütz-Modul erforscht, welches in das Tiefbohrwerkzeug integriert ist.

Ein BTA-Tiefbohrwerkzeug besteht aus einem Bohrkopf und einem an die Bohrtiefe angepassten Bohrrohr. Die schlanke Gestalt führt zu einer hohen dynamischen Nachgiebigkeit, die mit zunehmender Bohrungstiefe ansteigt. In Kombination mit hohen Drehzahlen und Vorschüben werden Torsions- und Biegeschwingungen begünstigt. Zur Vermeidung solcher dynamischen Prozessstörungen werden die Maschinen in der Regel unterhalb der maximalen Leistungsfähigkeit betrieben.

Weiterhin steigt mit der Bohrtiefe auch die statische Nachgiebigkeit des Werkzeugs, wodurch es zu einem Durchbiegen des Bohrrohres kommt. Dies führt zu einem erhöhten Mittenverlauf, d. h. zu einer Abweichung zwischen der gebohrten und der idealen Bohrachse. Um diesen Effekt zu verringern, werden geringe Drehzahlen und Vorschübe eingestellt. Die Verringerung der Prozesseinstellgrößen zugunsten der Prozesssicherheit und einer hinreichenden Werkstückqualität führt dabei zu einem Rückgang der Produktivität.

In den vergangenen Jahren wurde das BTA-Tiefbohrverfahren weiterentwickelt, um den stetig wachsenden Produktivitäts- und Qualitätsanforderungen gerecht zu werden. Bestehende Ansätze ermöglichen allerdings weiterhin keine Schwingungsdämpfung bei gleichzeitiger Reduzierung des Mittenverlaufs, unabhängig von der Bohrtiefe.

Das Projekt „DAMPP“

Ein neuer Ansatz wird am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover in Kooperation mit der Firma BTA-Tiefbohrsysteme GmbH entwickelt (Bild 1). Die Idee des Vorhabens „Entwicklung eines Dämpfer-Abstütz-Moduls zur Erhöhung der Produktivität und Prozesssicherheit für das BTA-Tiefbohren“ (kurz: DAMPP) ist sehr einfach: Reibelemente am Bohrrohr stützen dieses während der Bearbeitung ab, wodurch ein Durchbiegen verringert und der Mittenverlauf reduziert wird.

Die Elemente werden mit einer Normalkraft FN gegen die Bohrungswand gedrückt. Infolge der Rotationsbewegung entsteht eine Relativbewegung zwischen der Bohrungswand und den Reibelementen. Dies führt zu einer reibungsbedingten Dämpfung der Schwingungsamplituden. Hierdurch wird die Einstellung von hohen Drehzahlen und Vorschüben ermöglicht und folglich auch die Steigerung der Produktivität bei gleichzeitig hoher Prozesssicherheit, unabhängig von der Bohrungstiefe.

Finite-Elemente-Methode

Um zeit- und kostenintensive Entwicklungsiteration an realen Versuchsträgern einzusparen, wird die Finite-Elemente-Methode (FEM) zur Auslegung des Dämpfer-Abstütz-Moduls (DAM; Bild 1, Mitte) angewendet. Die simulative Auslegung mithilfe der Software Ansys ermöglicht eine quantitative Gegenüberstellung verschiedener Lösungsvarianten des Moduls. So können bereits vor einer prototypischen Umsetzung die Anzahl, der Abstand, die Größe und der Werkstoff der Reibelemente sowie die Anzahl der Kontaktpunkte und die notwendige Normalkraft bestimmt werden.

Für die simulative Auslegung ist allerdings die Belastung im Prozess notwendig. Als Randbedingungen für die Simulation werden daher die statischen und dynamischen Steifigkeiten der Maschinenkomponenten (Bohrrohr, Dämpfer und Bohrölzuführapparat (BOZA)) sowie die Spannungsbelastungen im Bohrrohr infolge der Prozesskräfte herangezogen. Die Vorschubkraft Ff verursacht im Bohrrohr eine Druckspannung. Infolge der Schnitt- und Reibungskräfte wirkt ein Bohrmoment MB, wodurch das Bohrrohr mit einer Torsionsspannung beansprucht wird. Die Kenntnis der mechanischen Bohrrohrbelastung ermöglicht eine Betrachtung des Einflusses einer Querschnittsschwächung (Bauraum für das DAM) auf die Bohrrohrfestigkeit und -steifigkeit.

Durch eine Vielzahl von unbekannten Faktoren werden die mechanischen Eigenschaften und die Werkzeugbelastung zusätzlich beeinflusst. Somit ist die analytische Parameterbestimmung auf Basis empirischer Werte nicht zulässig, da sonst das FEM-Modell keine realitätsnahe Abbildung darstellt. Daher werden die genannten Randbedingungen durch experimentelle Untersuchungen an einer Tiefbohrmaschine ermittelt (Bild 1, links oben).

Weiterhin sind Kenntnisse der statischen und dynamischen Steifigkeiten der Reibelemente für die Parametrierung des FEM-Modells erforderlich. Die Kennwerte werden an einem Analogieprüfstand messtechnisch erfasst (Bild 1, oben rechts). Die Reibelemente werden hier unter variierbaren Rotations- und Translationsbewegung analysiert und sind dabei vollständig in Bohröl getaucht. Da der Einfluss der Bohröltemperatur auf die Reibelemente nur unzureichend abgeschätzt werden kann, ist es notwendig, die Temperatur während eines Tiefbohrprozesses zu überwachen. Das geschieht ebenfalls durch experimentelle Untersuchungen an der Tiefbohrmaschine.

Bohrrohrspannungen und Bohröltemperatur

Zunächst wurden die Spannungsbelastungen im Bohrrohr und die Bohröltemperatur während eines Tiefbohrprozesses experimentell bestimmt. Der Versuchsaufbau ist in Bild 2 dargestellt. Die Schnittgeschwindigkeit vc wurde konstant eingestellt und der Vorschub bis zur Belastungsgrenze der Tiefbohrmaschine erhöht. Die eingestellten Prozessgrößenwerte sind in Bild 3 zu sehen. Das Werkzeug mit einer Länge von lWz = 7.180 mm, bestehend aus Bohrrohr und Bohrkopf, stand dabei still und das Werkstück rotierte.

Die Torsions- und Druckspannungen im Bohrrohr wurden durch Messungen des Bohrmoments MB und der Vorschubkraft Ff mithilfe von Dehnungsmessstreifen (DMS) ermittelt. Diese wurden an der äußeren Bohrrohrwand zwischen dem BOZA und dem ersten Dämpfer appliziert. Die einzelnen DMS wurden zu Wheatstoneschen Messbrücken verbunden und die Messgitter für das selektierte Messen der Kennwerte MB und Ff ausgerichtet (Bild 2, oben links). Die Sensorkalibrierung wurde mithilfe eines 4-Komponenten Dynamometers vom Typ Kistler 9272 umgesetzt, welches in den Kraftfluss zwischen Bohrrohr und Werkstückspindel integriert wurde. Die Messung der Bohröltemperatur am Bohrkopf war aufgrund der Unzugänglichkeit nicht möglich. Stattdessen wurden die Zu- und Ablauftemperaturen, Tzu und Tab, ermittelt. Hierzu wurden am Zulauf im BOZA und am Ablauf an der Stirnseite des Bohrrohres PT100-Sensoren integriert.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Bild 3 dargestellt. Der gemittelte Wert der Vorschubkraft bei maximalem Vorschub von f = 0,258 mm beträgt Ff = 16,3 kN. Hieraus resultiert eine maximale Druckspannung im Bohrrohr von σD = 21,09 N/mm2. Durch den gemittelten Wert des maximalen Bohrmoments von MB = 360 Nm errechnet sich die Scherspannung im Bohrrohr zu τ = 25,5 N/mm2. Diese Werte der mechanischen Bohrrohrbeanspruchung werden für die Parametrierung des FEM-Modells verwendet. Im Vorfeld ist bereits abzusehen, dass ein ausreichender Sicherheitsfaktor für die Integration des Dämpfer-Abstütz-Moduls zur Verfügung steht. Die von-Mises Vergleichsspannung beträgt 48,94 N/mm2. Das entspricht 5 % von der Streckgrenze des Bohrrohrwerkstoffs (Re = 900 N/mm2, 42CrMo4+QT).

Bei den Messverläufen der Zu- und Ablauftemperatur ist zu Prozessbeginn eine schnelle Erhöhung beider Temperaturen erkennbar. Das Bohröl wird aus einem Öltank zum Prozess gepumpt und sorgt so für die beobachtete Temperaturerhöhung. Die nachfolgenden linearen Erhöhungen der Zu- und Ablauftemperaturen sind durch den Wärmeeintrag der Förderaggregate zu begründen. Infolge der Reibung beim Druckaufbau erwärmt sich die Pumpe. Dies führt zu der Erhöhung der Bohröltemperatur.

Weiterhin ist ein Temperaturunterschied zwischen den Messwerten sichtbar, wobei die Zulauftemperatur Tzu um etwa 2,5 K wärmer als die Ablauftemperatur Tab ist. Dies ist einerseits durch den wärmetauschenden Effekt des sieben Meter langen Bohrrohres zu begründen. Andererseits wird so deutlich, dass der Energieeintrag durch den Fertigungsprozess einen nur geringen Einfluss auf die Bohröltemperatur hat. Ein stationärer Temperaturzustand wird nicht erreicht, da die Messzeit von 14 Minuten hierzu nicht ausreicht. Für die Auslegung des DAM spielt das jedoch eine untergeordnete Rolle, da für die praxisnahen Versuche zur Analyse eines Tiefbohrwerkzeugs mit integriertem DAM keine längere Prozesszeit vorgesehen ist. Der maximale Messwert der Zulauftemperatur von 28,6 °C wird für die Einstellung der Bohröltemperatur am Analogieprüfstand herangezogen.

Zusammenfassung und Ausblick

Zur Vermeidung von Torsions- und Biegeschwingungen sowie eines unzulässig hohen Mittenverlaufs beim BTA-Tiefbohren wird der Prozess häufig unterhalb der maximalen Maschinenleistung gefahren. Die so erreichte Prozesssicherheit führt allerdings zu einer geringeren Produktivität. Ein Ansatz zur Steigerung der Produktivität bei gleichzeitig hoher Prozesssicherheit ist die Entwicklung eines Dämpfer-Abstütz-Moduls, welches in das Tiefbohrwerkzeug integriert ist. Bei der Entwicklung der abstützenden Reibdämpfer wird die FE-Methode verwendet.

In den hier gezeigten ersten Untersuchungen wurden die Spannungsbelastungen im Bohrrohr ermittelt, die als Randbedingung für das Simulationsmodell dienen. Zudem wurde die Bohröltemperatur ermittelt. Diese wird für die Einstellung der Bohröltemperatur an einem Analogieprüfstand herangezogen, an dem in den nächsten Projektschritten die Steifigkeit und die Dämpfung der Reibdämpfer untersucht werden. Zudem werden in weiteren experimentellen Untersuchungen die statischen und dynamischen Steifigkeiten der Maschinenkomponenten (Bohrrohr, Dämpfer und BOZA) ermittelt. In einem nächsten Schritt werden verschiedene Konzepte simulativ gegenübergestellt und ein optimales Konzept identifiziert. Durch praxisnahe Versuche können abschließend Aussagen über die erreichbare Produktivitätssteigung und Prozesssicherheit durch das neuentwickelte Konzept des Dämpfer-Abstütz-Moduls getroffen werden.

Danksagung

Das Forschungsprojekt „Entwicklung eines Dämpfer-Abstütz-Moduls zur Erhöhung der Produktivität und Prozesssicherheit für das BTA-Tiefbohren“ (Fördernummern ZF4181802TV9 und ZF4070524TV9) wird im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert und von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) betreut. Das IFW und der Kooperationspartner BTA-Tiefbohrsysteme GmbH bedanken sich für die finanzielle Unterstützung in diesem Projekt.

Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, Leibniz Universität Hannover
www.ifw.uni-hannover.de


Die Autoren

B. Denkena, B. Bergmann, M. Claßen: Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW), Leibniz Universität Hannover

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