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„Additiv ist für Werkzeuge ungeeignet“

Erich Timons, CTO, Mitglied der Geschäftsleitung, Iscar Germany GmbH
„Additiv ist für Werkzeuge ungeeignet“

Seit 2013 leitet Erich Timons den gesamten Technikbereich der Iscar Germany GmbH. Seither beschäftigt er sich mit den Herausforderungen der Zerspanung. Die mav sprach mit ihm über aktuelle Projekte im Bereich Forschung und Entwicklung.

Autor: Das Interview führte:

mav: Ich habe gelesen, dass Iscar eine enge Zusammenarbeit mit den Universitäten pflegt. Da ist mir gleich ein Projekt von Iscar mit der RWTH Aachen zum Thema Hochdruckkühlung eingefallen. Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen?

Timons: Wir haben aus der Forschung rund um dieses Thema sehr viele positive Ergebnisse herausziehen können. Der lohnenswerteste Ansatz ist der der zielgerichteten Kühlmittelzuführung mit einem Druck von unter 100 bar. Dabei wird genau wie bei der klassischen Hochdruckkühlung das Kühlmittel direkt unterhalb des Spans in die Schnittzone geleitet. Der Clou ist jetzt, dass man mit diesen Drücken, die von modernen Bearbeitungszentren ohne großes Nachrüsten erbracht werden können, schon erhebliche Verbesserungen erzielen kann. Selbst mit 30 bis 40 bar Druck sind diese Effekte zu erzielen.
mav: Können Sie die Verbesserungen auch beziffern?
Timons: Wir haben diese Produkte besonders im Bereich ISO-Drehen und beim Stechen im Einsatz. In diesem Bereich werden alle neuen Haltersysteme von Iscar mit einer zielgerichteten Kühlmittelzufuhr ausgestattet. Wir erreichen damit, gegenüber Systemen mit herkömmlicher Kühlung, Standzeiterhöhungen von 200 bis 400 Prozent. Das resultiert daraus, dass man eben nicht wie bei der Überflutungskühlung vorrangig den Span kühlt, sondern die Schneide selbst herunterkühlt.
mav: Spielt die Hochdruckkühlung mit über 100 bar überhaupt noch eine Rolle?
Timons: Selbstverständlich gibt es die noch, jedoch in einem anderen Anwendungsgebiet. Das Thema stammt ursprünglich aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrt. Man wollte damit die Zerspanungseigenschaften von in diesem Bereich häufig verwendeten langspanenden Werkstückstoffen verbessern, und das ist auch gelungen. Man arbeitet hierbei allerdings mit Drücken weit über 150 bar und bricht so mit dem starken Kühlmittelstrahl die Späne. Damit soll verhindert werden, dass es zu einem Spanschlag kommt. Gerade beim Schlichten ist dies immer ein Fiasko, da die Oberfläche der sehr teuren Bauteile beschädigt werden könnte.
mav: Woran wird ganz konkret momentan in diesem Bereich geforscht?
Timons: Wir sind dabei, die zielgerichtete Kühlmittelzuführung auch beim Fräsen zu realisieren. Die ersten Ergebnisse haben gezeigt, dass damit erhebliche Verbesserungen zu erwarten sind. Wir untersuchen dabei vor allem die Effekte bei unterschiedlichen Kühlkanal-Durchmessern. Ein erstes Ergebnis ist, dass diese relativ klein gehalten werden müssen. Ansonsten hat man etwa bei einem Igelfräser, mit seinen zahlreichen Schneiden, die gekühlt werden sollen, nur einen zu schwachen Kühlmittelstrahl. Dieser kommt dann eher einer Überflutungskühlung gleich.
mav: Gibt es beim Thema additive Fertigung schon konkrete Planungen?
Timons: Auch in diesem Bereich sind wir mit unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Israel aktiv. Wir haben zu diesem Thema schon zahlreiche Versuche gemacht. Schlussendlich bin ich persönlich zu der Erkenntnis gekommen, dass die additive Fertigung sich gerade beim Thema Kühlmittelbohrung definitiv nicht eignet. Und genau hier sehen die Befürworter schließlich deren Stärke, dass man eben auch Kühlmittelbohrungen in kleinsten Durchmessern problemlos in die Werkzeughalter oder -körper einbringen kann.
mav: Was ist der Grund, dass Sie das so kritisch sehen?
Timons: Das Problem sind die Oberflächen. Bei der additiven Fertigung sind diese viel zu schlecht. Überspitzt gesagt, erhält man eine Topografie wie die einer Mondlandschaft. An dieser Oberfläche entstehen nun Verwirbelungen, die dafür sorgen, dass der Kühlschmierstoff schlussendlich nicht mehr gerichtet austritt. Und das ist genau das Gegenteil davon, was man beispielsweise bei einer zielgerichteten Kühlmittelzuführung benötigt. Noch negativer fällt dies bei der Minimalmengenschmierung ins Gewicht. Durch die Verwirbelungen entmischt sich das vorher sorgfältig gemischte Aerosol und so ist eine effektive Kühlung oder Schmierung nicht zu gewährleisten. Zudem lassen sich zum Beispiel gedrallte Kühlmittelbohrungen in Bohrwerkzeugen auch anders herstellen. Iscar macht dies schon seit 15 Jahren auf herkömmliche Art.
mav: Setzen Sie die additive Fertigung dann gar nicht ein?
Timons: Doch, im Prototypenbau ist sie ein willkommenes Verfahren.
mav: Welche Themen sind sonst noch in der Forschung aktuell?
Timons: Wir machen gerade erneut Versuche zum Einfluss der Beschichtung beim Hartdrehen. Auch das Thema Leichtbau ist nach wie vor ein Dauerbrenner. Momentan beschäftigen wir uns auf diesem Gebiet mit der Bearbeitung von Verbundwerkstoffen. So sind wir dabei, ein Wechselkopfsystem zu entwickeln, das auch bei Verbundwerkstoffen eingesetzt werden kann, wie etwa bei Nietbohrungen in der Luftfahrt. Dort ist das Problem, dass der sonst so positive Effekt eines flexiblen Schafts zum Flattern des Werkzeugs führt, und dies sollten wir bald gelöst haben.
mav: Was sind die Zukunftsthemen in der Zerspanung?
Timons: In der Automobilindustrie geht der Trend hin zu hochlegierten Stählen. Die hochtemperaturbeständigen Werkstoffe werden mehr und mehr zum Einsatz kommen, und hier gibt es gerade bei den Geometrien und den Schneidstoffen noch sehr viel Potenzial. Auch beim Thema Leichtbau kommen immer wieder ganz neue zu zerspanende Werkstoffe hinzu. Denkt man hierbei nur an den Motorblock ganz aus Kunststoff, an dem die Fraunhofer Gesellschaft momentan arbeitet.
mav: Bei dieser Fülle an Themen – werden daraus immer serienreife Produkte?
Timons: Iscar hat in diesem Jahr bereits 37 neue Produkte vorgestellt. 2014 waren es insgesamt 54 Neuvorstellungen. Wir versuchen damit immer, dem Markt voraus zu sein. Die Philosophie dahinter ist die, sobald ein Produkt fertig ist, wird es im Markt vorgestellt und sobald die Kunden weitere Produkte benötigen, werden wir diese entwickeln. Der Iscar-Produktkatalog umfasst mittlerweile über 50 000 Artikel. Dahinter steckt auch das Ziel, mindestens im Schneidenbereich dem Kunden so oft es geht ein Standardprodukt anbieten zu können.
mav: Wie soll der Kunde bei der schieren Anzahl an Produkten das für ihn richtige Werkzeug finden?
Timons: Mit dieser Frage beschäftigen wir uns täglich. Zum einen ist das die Aufgabe unseres Außendienstes, der dem Kunden immer fachlich zur Seite steht, und zum anderen haben wir mit dem Iscar-Tool-Advisor (ITA) ein Onlinesystem, mit dem der Kunde recht einfach das für ihn passende Werkzeug herausfinden kann. Die Software kann man dabei entweder auf unserer Homepage finden oder sich diese als App herunterladen. Die Idee, die dahinter steckt, ist folgende: Der Kunde trägt seinen Anwendungsfall in die Maske ein und erhält daraufhin von dem Programm zunächst drei Werkzeugvorschläge. Wobei der erste Vorschlag immer das produktivste Werkzeug, also das mit dem höchsten Zeitspanvolumen ist. Zudem wird gleichzeitig mit angezeigt, welche Maschinenleistungsdaten die Bearbeitung mit diesem Werkzeug erfordert. Als zusätzliches Plus bekommt man auch die Bearbeitungszeit genannt, sollte man alle relevanten Daten eingegeben haben.
mav: Die EMO in Mailand steht vor der Tür. Was dürfen die Besucher dort vom Iscar-Messeauftritt erwarten?
Timons: Wir werden auf der EMO sehr präsent sein und dort viele neue Werkzeuge aus der IQ-Kampagne, sowohl zum Fräsen, Drehen, Bohren und zum Gewinden, vorstellen. Zum Beispiel zeigen wir eine Vielzahl von neuen Spanformern im ISO-Drehbereich. Ein Highlight ist sicherlich die Gewindeplatte Deca-IQ-Thread. Die runde Platte besitzt zehn Schneidkanten und wird tangential angeschraubt. Beim Bohren wurde der Durchmesserbereich bei dem modularen Bohrkopfsystem Sumocham nach oben erweitert. Damit ist dieser bis zu einem Durchmesser von 40 Millimeter erhältlich. Das Produkt im Durchmesserbereich zwischen 33 und 40 heißt dann auch Cham-IQ-Drill.
Iscar Germany GmbH www.iscar.de EMO Halle 6 Stand M14/N13

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