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„Additiv hergestellte Werkzeuge werden Grenzen verschieben“

Dr.-Ing. Christof Bönsch, Geschäftsführer, Komet Group GmbH
„Additiv hergestellte Werkzeuge werden Grenzen verschieben“

Der Werkzeughersteller Komet hat sich als Nischenanbieter rund um das perfekte Loch einen Ruf als Lösungsanbieter erarbeitet. Seit längerem weitet der Hersteller von Präzisionswerkzeugen seine Kompetenzen in andere Bereiche wie Fräsen oder Digitalisierung aus. Die mav sprach mit Dr. Christof Bönsch, dem Geschäftsführer der Komet Group über das Engagement als Vollsortimenter. Das Interview führte: Frederick Rindle

mav: Die Wirtschaftszahlen des vergangenen Jahres haben ein ständiges Auf und Ab gezeigt. Wie war das Jahr 2015 für Sie als Werkzeughersteller?

Bönsch: Das Jahr 2015 war auch für uns eine Achterbahnfahrt. Zusammengefasst kann man sagen, dass das vergangene Jahr zunächst stark angefangen hat, dann stark nachließ und sich zuletzt wieder gefangen hat. Im Endeffekt haben wir ein Umsatzplus von fünf Prozent erzielt. In einem kaum wachsenden Markt sind wir mit diesem Ergebnis zufrieden. Regional haben wir dabei starke Schwankungen hinnehmen müssen: Sorgen machen uns die Entwicklungen in den USA und in China.
In den Vereinigten Staaten haben wir einen Rückgang im Zerspanungsmarkt von zehn Prozent erlebt, wobei die brutale Entwicklung im Öl- und Gasgeschäft besonders hart zugeschlagen hat. Durch den immensen Öl-Preisverfall stehen mittlerweile rund die Hälft aller Ölförderanlagen in den USA still, und in diesem Jahr werden vermutlich nochmals 50 Prozent geschlossen werden. Was die Situation im Öl- und Gasgeschäft noch verschlimmert, ist die Tatsache, dass die Prognosen auch keine Erholung in Aussicht stellen. Mittlerweile geraten zudem andere Branchen in den USA ebenfalls in Schwierigkeiten. So haben zum Beispiel der Mienenausrüster Caterpillar oder der Hersteller von Landmaschinentechnik John Deere starke Rückgänge verkraften müssen. Aber es ist auch nicht alles schlecht: Der Automotive-Bereich läuft zufriedenstellend, wobei hier große Verschiebungen nach Mexiko zu beobachten sind. Die USA machen uns von daher insgesamt Sorgen.
Ist die Situation in China ähnlich brisant?
Bönsch: In China bricht der gesamte Zerspanungsmarkt gerade ein. Besonders dramatisch ist, dass auch die Automotive-Branche als ehemaliger Wachstumsmotor stottert. Der Boom der vergangenen Jahre, ausgelöst durch die zahlreichen jetzt umgesetzten Produktanläufe, ist erst einmal vorbei.
In welchen Branchen sind Sie hauptsächlich tätig?
Bönsch: Wir machen in Europa unseren Löwenanteil am Umsatz im Automobilbereich und dessen direktem Umfeld. Da reden wir schon von 50 Prozent unseres Marktes. Wir sind aber auch im allgemeinen Maschinenbau sehr gut vertreten, obwohl hier die Abgrenzung zum Automobilgeschäft fließend ist. Auch am Lkw-Geschäft haben wir einen guten Anteil. Da dieser momentan etwas schwächelt, kann man nur hoffen, dass der Rückgang kein Frühindikator für eine konjunkturelle Delle ist. Neben unseren Kernmärkten sind wir aber auch in den Bereichen Energie und Aerospace vertreten. In diesen Branchen sind allerdings nicht die massenhaften, sondern vielmehr die technologisch hochwertigen Lösungen gefragt. Hier haben wir uns als anspruchsvoller Lösungsanbieter etablieren können.
Die Komet Group war stets für seine Kompetenzen im Bereich der Bohrungsbearbeitung bekannt. Jetzt haben Sie diese Nische verlassen und auch ein umfangreiches Fräser-Programm entwickelt. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem erweiterten Portfolio gemacht?
Bönsch: Das Fräser-Programm wird im Markt sehr gut angenommen. Wir haben uns mit der Entscheidung, das Portfolio zu erweitern, auch sehr konkrete wirtschaftliche Ziele gesteckt. So wollen wir schon im nächsten Jahr mit den Fräswerkzeugen zehn Prozent unseres Umsatzes erzielen. Und diesbezüglich sind wir auf einem sehr guten Weg. Komet bearbeitet das Thema Wendeschneidplatten und Hartmetall im Allgemeinen nun schon seit längerem sehr intensiv, so dass wir auch eine eigene Wendeschneidplattenfertigung und Beschichtungstechnik im Haus haben. Mit dem Einstieg in die Frästechnik haben wir uns hierfür auch die notwendigen Stückzahlen und damit die einhergehenden Skaleneffekte erschlossen. Denn natürlich ist der Plattenverbrauch beim Fräsen viel höher als beim Bohren.
Auch andere Wettbewerber haben oder wollen ihre Nische verlassen. Kann das auf Dauer gut gehen, wenn sich alle um den gleichen Markt bemühen?
Bönsch: Nein, es wird eine Konsolidierung in unserem Marktumfeld geben, da bin ich mir sicher. Es ist nur die Frage wann. Denn selbst in der Krise 2009 hat eine solche Konsolidierung nicht stattgefunden. Allerdings haben wir es jetzt, im Unterschied zu damals, mit einer langanhaltenden Stagnationsphase zu tun. Wer in dieser Phase kein Wachstum generieren kann, der wird Probleme bekommen und da wird es auch Bereinigungseffekte geben. Komet hat sich, um sich in diesem anspruchsvollen Markt behaupten zu können, über die Jahre hinweg als Lösungsanbieter einen belastbaren Ruf erarbeitet.
Welche Zukunftsthemen beschäftigen Sie dabei?
Bönsch: Wir sind mit unseren Kunden und Interessenten ständig im Austausch darüber, welche Entwicklungen auch im Rahmen einer Digitalisierung die Welt der Zerspanung beeinflussen werden. Wir haben den Anspruch, technologisch immer wieder neue Impulse zu setzen und entwickeln stetig neue Lösungen. Derzeit beschäftigen wir uns unter anderem mit dem Thema additive Fertigungsverfahren. Sie bieten bislang unerreichte Gestaltungsmöglichkeiten und erlauben eine völlig neue Dimension der Kundenorientierung hinsichtlich der Produktentstehung.
Was haben additive Verfahren mit Industrie 4.0 zu tun?
Bönsch: Um den Zusammenhang zu sehen, muss man die Digitalisierungsidee komplett zu Ende denken: Wir digitalisieren die komplette Wertschöpfungskette und die fängt beim Kunden an. Das spannende bei den additiven Fertigungsverfahren, ich meine nicht den 3D-Druck von Kunststoffmaterialien, ist nun, dass sie mit völlig neuen gestalterischen und technischen Möglichkeiten den Kundenanforderungen begegnen können. Wir haben hier auch schon unglaubliche Dinge umgesetzt, die wir auch zur diesjährigen AMB präsentieren werden.
Können wir genaueres erfahren?
Bönsch: Wir werden etwa einen im Selektiv-Laser-Melting-Verfahren hergestellten Fräskopf vorstellen. Dieser wird auf einen klassischen Stahlhalter mit einem Gewinde aufgesetzt. Richtig spannend wird es nun, wenn man sich ein solches Werkzeug, etwa mit einem Durchmesser von unter 20 Millimeter, anschaut: Hier konnten wir dank des additiven Verfahrens ein Werkzeug mit zehn Schneiden realisieren. Die Plattensitze hierfür konventionell herzustellen, wäre unmöglich. Zusätzlich haben wir sogar noch eine innere Kühlmittelzuführung bis an die Schneide ermöglicht. Die Oberfläche der Kühlkanäle ist dabei so gut, dass eine Minimalmengenschmierung problemlos möglich ist. Sie sehen, wir wollen mit den additiven Verfahren Grenzen verschieben und Produkte herstellen, die klassisch nicht darzustellen sind.
So und wenn wir uns jetzt wieder die Wertschöpfungskette anschauen, dann können die Mitarbeiter beim Kunden direkt die Anforderungen aufnehmen und digital an die Produktion übermitteln, und nach nur vier Stunden ist ein solches Werkzeug fertig. Näher und schneller kommt man an die Kundenanforderungen nicht ran. Im Gegensatz zu früher haben wir die Kosten dabei soweit reduzieren können, dass ab 20 Stück vergleichbar zu einem zerspanend hergestellten Werkzeug produziert werden kann. Wir sind von dem Produkt so überzeugt, dass wir davon ausgehen, dass wir in Zukunft 20 Prozent solcher Werkzeugtypen additiv herstellen werden. Zusammenfassend kann man sagen, dass bei überschaubaren Mehrkosten, extrem höhere Leistungsdaten, von Faktor 2, 3, 4 oder sogar 5 mit den additiv hergestellten Werkzeugen realisierbar sind.
Haben Sie sich hierfür einen eigenen Maschinenpark zugelegt?
Bönsch: Wir besitzen keine einzige additive Maschine. In diesem Segment gibt es mittlerweile zahllose kompetente Dienstleister, die die Herstellung für uns übernehmen. Unsere Kompetenz liegt voll und ganz in der Konstruktion der Werkzeuge.
Zum Thema Digitalisierung der Produktion hatte Komet auch das Assistenzsystem Toolscope vorgestellt. Wie wird dieses im Markt angenommen?
Bönsch: Wir machen mit unserem Assistenzsystem Toolscope ausgesprochen gute Erfahrungen und erweitern die Leistungen ständig. Mittlerweile gibt es rund zwölf verschiedene Apps, die neben dem Ursprungsthema Werkzeugüberwachung zum Beispiel auch ein Schichtenbuch enthalten. Generell ist der Kunde mit dem System in der Lage, Big-Data-Analysen zum Verschleißverhalten seiner Werkzeuge durchzuführen. Wir konnten mit diesen Daten Standzeiterhöhungen bei einigen Anwendungen von rund 30 Prozent realisieren. Der Einsatz eines solchen Systems ist naturgemäß in der Volumenzerspanung am sinnvollsten. Von daher waren wir zunächst mit Toolscope bei den OEMs am erfolgreichsten. Jetzt beginnen auch die Tier-1- beziehungsweise die Tier-2-Lieferanten das System einzusetzen.
Sie haben sich auch beim Thema Beschichtungen einiges an Kompetenzen zugelegt. Gibt es hierzu Neues zu berichten?
Bönsch: Wir haben 2008 mit den PVD-Beschichtungen begonnen, 2011 kam das CVD-Verfahren hinzu. Was uns jetzt in die Karten spielt, ist, dass wir nun Substrat, Beschichtung und Geometrie wirklich sauber aufeinander abstimmen können. Das Ergebnis sind Schneidplatten mit wirklich spektakulären Standzeiten. Diese werden wir ebenfalls auf der AMB vorstellen. Wir haben bislang schon sehr gute Platten hergestellt, aber ich war ehrlich gesagt überrascht, welche Reserven über die Anpassungen noch zu heben waren. Wir haben Platten, bei denen wir die Standzeit um den Faktor 3, 4 und teilweise 5 erhöhen konnten, und das bei identischen Einstellungen und Parametern. Es ist generell eine sehr interessante Zeit für uns, da wir neben diesen hochinnovativen Entwicklungen auch massiv das Fräser-Portfolio erweitert haben. Wir haben auf der vergangenen EMO in Mailand viele PKD-Platten gezeigt, und das werden wir anlässlich der AMB auf CBN-Platten ausdehnen. Bei den superharten Schneidstoffen wird es von Komet noch einiges zu sehen und zu hören geben. ■
Komet Group GmbHwww.kometgroup.com
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