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Traktoren am laufenden Band

„Intelligence in Production“ steuert Getriebe- und Traktorenproduktion
Traktoren am laufenden Band

Die Getriebeproduktion in Mannheim zählt zur Kernkompetenz des Landmaschinenbauers John Deere. Dabei setzt der Traditionshersteller auf hohe Varianten-Vielfalt: Der Kunde kann zwischen drei Getriebebauarten in insgesamt sechs verschiedenen Ausführungen wählen. Diese Vielfalt ist nur mit Hilfe modernster Bearbeitungsmaschinen wirtschaftlich realisierbar.

Autor: Hans Schürmann, Freier Journalist aus Dormagen

Die letzte Station am Montageband im Traktorenwerk von John Deere in Mannheim. Paul Müller dreht den Schlüssel herum und startet den Traktor. Der Motor springt auf Anhieb an. Langsam fährt der Monteur die Zugmaschine der 6R-Baureihe zum nebenan liegenden Teststand. Dort wird der neue Traktor auf Herz und Nieren geprüft, bevor er die Montagehalle verlässt.
Täglich werden hier im Werk Mannheim bis zu 220 Traktoren am Band montiert. Rund 40 000 Fahrzeuge sind es pro Jahr, die hier in der Metropolregion Rhein-Neckar das Band verlassen und ausgeliefert werden. Es ist die größte John Deere-Fertigungsstätte außerhalb der USA. Hier werden kompakte bis mittelgroße Traktoren der Serien 5M, 5R, 6R und 6M gebaut.
Neben der Montage dieser 4- und 6-Zylinder-Traktoren befindet sich im Mannheimer Werk auch die Getriebefertigung, in der Komponenten mechanisch bearbeitet werden. Das Gelände, auf dem die John Deere-Fabrik liegt, verbinden die Mannheimer seit jeher mit Traktoren. Bereits die Heinrich Lanz AG baute hier ihren berühmten Lanz-Bulldog. Heute exportiert John Deere aus Mannheim die Traktoren in über 80 Länder weltweit.
Bei der Planung der Fertigungs- und Montagestraßen überlässt der Landmaschinenbauer nichts dem Zufall. „Bevor wir eine Produktion aufbauen, wird sie am Computer simuliert und optimiert“, sagt Jürgen Mayer, Manager Manufacturing Engineering bei John Deere. Nur so sei ein Produktionsmix wie im Traktorenwerk in Mannheim realisierbar. Die Fertigung der Getriebe und die Montage der Traktoren erfolgen auftragsorientiert. „Die intelligente Produktionssteuerung sorgt dafür, dass in der Abfolge ein optimaler Mix der unterschiedlich großen Traktoren-Typen montiert wird“, so Mayer.
Die Getriebeproduktion in Mannheim zählt zur Kernkompetenz des Landmaschinenbauers. Im Vergleich zu den Wettbewerbern setzt John Deere bei den Traktoren auf eine hohe Varianten-Vielfalt. Der Kunde kann zwischen drei Getriebebauarten in insgesamt sechs verschiedenen Ausführungen wählen. Neben einem stufenlosen Auto-Power-Getriebe bietet John Deere zwei verschiedene Bauarten von Vierfach-Lastschaltungen an. Highlight ist das Doppelkupplungsgetriebe für die R-Baureihe, bei dem acht Gänge per Doppelkupplung geschaltet werden. „Diese Vielfalt ist nur mit Hilfe modernster Bearbeitungsmaschinen wirtschaftlich realisierbar“, meint Jonas Seitz, Leiter der Getriebefertigung in Mannheim.
Getriebeproduktion gehört zur Kernkompetenz
Neben der Produktion der meisten Getriebebauteile wie Zahnräder, Zahnkränze und Spiralkegelräder, erfolgt im Mannheimer Werk die Fertigbearbeitung der bei einem Zulieferer gegossenen Getriebegehäuse. Zwölf Horizontal-Bearbeitungszentren stehen in der Getriebefertigung bereit, um in die sechs verschiedenen Differentialgehäuse Bohrungen, Gewinde und Formen einzubringen. Je nach Gehäusetyp werden dazu bis zu 128 verschiedene Werkzeuge eingesetzt. Die flexible Fertigung wird durch eine dezentrale Steuerung an den Bearbeitungszentren unterstützt. Dabei werden die Werkzeugdaten über einen Funkchip eingelesen, der am Schaft der Werkzeuge befestigt ist.
Eine computergesteuerte 3-Koordinaten-Messmaschine überprüft im Stichprobenverfahren pro Tag 60 der gefertigten Gehäuse auf die Einhaltung der klassischen Merkmale wie Längen, Durchmesser, Tiefen und Lagetoleranzen. Dabei sind die Messungen sehr umfangreich: So sind beispielsweise alleine im Messprotokoll für Differentialgehäuse bis zu 850 Mess-Positionen aufgeführt.
Anspruchsvolle Produktionstechnik im Einsatz
Auch bei der Produktion der Zahnräder und Wellen für die Getriebe steht die Fertigungsqualität im Mittelpunkt. Im Mannheimer Werk werden pro Jahr rund 300 000 Zahnräder und 47 000 Wellen hergestellt. Dabei handelt es sich derzeit um 40 verschiedene Werkstücktypen: 29 Zahnräder, Naben und Flansche sowie elf verschiedene Wellen. John Deere setzt in diesem Produktionsbereich auf hochflexible Werkzeugmaschinen, die verschiedene Bearbeitungsvorgänge miteinander kombinieren: Planfräsen, Zentrieren und Tieflochbohren sowie das Fertigdrehen in nur einer Aufspannung.
„In der Zahnradfertigung sorgen zwölf vollautomatisierte Einzelanlagen für höchste Produktivität und Qualität“, so Seitz. Die Bearbeitung erfolgt in der Reihenfolge Drehen, Räumen, Walzfräsen, Stoßen, Waschen und Entgraten. Die Bearbeitungsprozesse sind zu 100 Prozent automatisiert. Laservermessung und Chiperkennung von Bauteilträgern garantieren zuverlässige Automatisierungsabläufe. Jedes 25. Teil wird automatisch ausgeschleust und auf Maßhaltigkeit geprüft.
Die Herstellung der Spiralkegelräder, die später für Laufruhe und Betriebssicherheit der Traktoren sorgen, erfordert ebenfalls höchste Fertigungsgenauigkeit. Sie erfolgt auf speziellen Wälzfräsmaschinen.
Damit die Getriebebauteile möglichst lange halten, werden die Zahnräder und Wellen in einem eigenen Produktionsbereich gehärtet. Durch Einsatzhärten werden den Randschichten bessere mechanische Eigenschaften verliehen, und durch Induktionshärten werden die Wellen und Trommeln außen hart und innen zäh.
Bevor die gehärteten Bauteile der Getriebemontage übergeben werden, erfolgt eine abschließende Verzahnungsprüfung. Dabei werden alle Bauteile optisch vermessen und die Zahnflanken der gehärteten Zahnräder nach einer Geräuschprüfung automatisch geglättet. Mit Hilfe einer Honmaschine werden dabei Oberflächenqualitäten erzielt, die später im Getriebe dafür sorgen, dass selbst bei einer Übertragung hoher Leistungen nur ein geringer Geräuschpegel entsteht.
Über 1350 Mitarbeiter sind in der Mannheimer Getriebefertigung beschäftigt. Sie arbeiten im Dreischichtbetrieb in selbstorganisierten Gruppen von sechs bis zu 40 Mitarbeitern. In einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess arbeiten die Gruppen aktiv an Verbesserungen und Problemlösungen mit. „Mit dieser Organisationsform haben wir gute Erfahrungen gemacht“, sagt Mayer. „Die Selbstverantwortung steigert die Motivation, Produktivität und Qualität.“
Nach ähnlichen Prinzipien ist auch die Traktoren-Montage organisiert. Die Mitarbeiter in den verschiedenen Montagebereichen sind eingespielte Teams. Die Montageabläufe sind genauestens ausgetüftelt. Hier sitzt jeder Handgriff. Die Montagevorgänge werden für jeden Traktortyp, bevor sie an das Band übertragen werden, am Computer simuliert und von Spezialisten in der virtualisierten Darstellung einer 4-Seiten-Cave – einem speziellen Projektionsraum – auf Montagefähigkeit geprüft.
„Die Präsentation in der Cave erleichtert die Kommunikation zwischen Konstrukteuren, Planern und Montagemitarbeitern enorm“, so Paul Greif, der für die Bereitstellung der virtuellen Techniken verantwortlich ist. Kollisionen und potenzielle Schwierigkeiten bei der Montage am Band fallen frühzeitig auf und können bereits in der Konstruktionsphase korrigiert werden.
Besonders knifflig wird es bei der Montage in ganz kurzen Taktzeiten oder beim Zusammenfügen von riesigen Bauteilen wie beispielsweise der „Hochzeit“ von Kabine und Chassis. Hier kommt es auf wenige Millimeter an, da muss alles auf Anhieb klappen. Die Simulation dieses Vorgangs am Computer sorgt schon im Vorfeld dafür, dass beispielsweise Schlauchverbindungen und Kabelbäume so angeordnet werden, dass sie beim Zusammenführen der Bauteile nicht beschädigt werden.
Simulation aller Produktions- und Montageprozesse angestrebt
Vor fünf Jahren hat John Deere mit der Simulation und Virtualisierung der Produkte sowie der Produktions- und Montageprozesse begonnen. Inzwischen liegen mehr als 95 Prozent der Bauteile in 3D vor. Und auch die Anlagenplaner entwerfen ihre Pläne in 3D-Formaten. „Ziel ist es, dass eines Tages alle Prozesse in allen Werken am Computer simuliert und betrachtet werden können“, sagt Greif. Dann können Mitarbeiter unabhängig von den Standorten per Internet über Verbesserungen in der Produktion und beim Produktionsablauf diskutieren – und Prozesse gemeinsam optimieren.
Um für die Produktion der Zukunft gut gerüstet zu sein, beschäftigen sich die Ingenieure in Mannheim schon heute mit Fertigungsverfahren, die derzeit noch in den Labors erprobt werden. Gemeinsam mit ihren Kollegen am Technologiezentrum in Kaiserslautern beobachten sie die Entwicklung neuer Materialien, Fügetechniken und Produktionstechniken. Interessant sei vor allem die Entwicklung beim Kleben, 3D-Druck für die Herstellung von Bauteilen, sowie der Bereich Nanotechnologie, der zu Werkstoffen mit neuen Materialeigenschaften führen könnte, sagt Mayer. „Wir schauen uns das kritisch an, prüfen die Wirtschaftlichkeit und hoffen so, interessante Innovationen für die Optimierung unserer Produkte und Produktion frühzeitig zu entdecken“, sagt Mayer.
Wichtig für John Deere sei es, keinem Modetrend hinterherzulaufen, sondern jeweils die beste Lösung für den Kunden und das eigene Unternehmen zu finden. So hat das Unternehmen beispielsweise durch eine Optimierung der Dieselmotoren bislang auf den Zusatz von Harnstoff für die Abgasreinigung verzichten können. Das hat nicht nur den Landwirten den Betrieb der Traktoren vereinfacht, sondern auch den Montageablauf am Band in Mannheim. Mit der nächsten Stufe der Abgasnorm könnte sich das aber ändern. Dann müssen Zusatzaggregate montiert und der Ablauf am Band modifiziert werden. Die Virtualisierung am Computer wird dann dazu beitragen, dass die zusätzliche Abgasreinigung für die Motoren reibungslos in den Montageprozess integriert wird.
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