Startseite » Maschinen »

Nachhaltigkeit hat viele Facetten – und ein Vorbild

Scharfer Verstand, weitsichtige Planung und immer ein offenes Ohr
Nachhaltigkeit hat viele Facetten – und ein Vorbild

Früh am Morgen treffen aus drei verschiedenen Richtungen die Redakteurin, der Kölner Fotograf und seine Assistentin in Biberach an der Riß ein. Es ist frisch, ein Nebelschleier legt ein graues Band über die gut 30 000 Einwohner zählende Kreisstadt im nördlichen Oberschwaben. Neben zwei Kameras, Objektiven und Stativ bringen wir viele Fragen mit: Was bedeutet Nachhaltigkeit in einem produzierenden Unternehmen genau? Wie profitieren das Unternehmen Vollmer und seine Mitarbeiter davon? Und nicht zuletzt: Lässt sich Nachhaltigkeit überhaupt in Bildern ausdrücken?

Autor: Autorin:

In einem rundum verglasten Besprechungsraum warten wir gespannt auf Sieglinde Vollmer. Schnellen Schrittes, im grauen Kostüm und bestens gelaunt betritt sie zusammen mit Geschäftsführer Stefan Brand den Raum. Das Fräulein Vollmer, wie sie sich bevorzugt nennen lässt, feierte im vergangen Jahr ihren 90sten Geburtstag. Nach dem Tod ihres Vaters, des Unternehmensgründers Heinrich Vollmer, stieg sie 38-jährig als Exportkauffrau in die Vollmer Werke ein. 1987 übernahm sie, zusammen mit einem technischen Geschäftsführer, die gesamte Verantwortung für das Unternehmen, das sie zu einem international führenden Spezialisten für Schleif- und Erodiermaschinen ausbaute.

Mit Willenskraft erfolgreich
„Ich war eine behütete Tochter und mein Einstieg ins Unternehmen keineswegs geplant. Nach dem Tod des Vaters habe ich mich erst einmal einarbeiten und richtig viel lernen müssen“, resümiert Sieglinde Vollmer. Wie es gewesen sei, als Frau an der Spitze eines Unternehmens zu stehen, noch dazu in einer Männerdomäne, wiegelt sie galant ab. Stattdessen verweist sie auf ein Lebensmotto, das ihr bei dieser Aufgabe geholfen habe: Hast du ein Ziel, so strebe ernst und still, allmächtig ist das kleine Wort ich will. „Das hat mir mein Vater ins Poesiealbum geschrieben und daran orientiere ich mich bis heute.“
Mit respektablem Elan erzählt sie von ihren Anfangsjahren im Unternehmen und lässt sich auch von dem Fotografen nicht aus der Ruhe bringen.
Nur auf die Frage, was Nachhaltigkeit für sie bedeute, kommt sie ins Grübeln. Geschäftsführer Dr.-Ing. Stefan Brand kommt ihr zur Hilfe: „Mit der Stiftungsgründung haben Sie den größten Beitrag zur Nachhaltigkeit des Unternehmens geleistet.“
Die 90-Jährige hat Zeit ihres Lebens nicht geheiratet, getreu ihrem zweiten Lebensmotto: Verlieb dich oft, verlob dich selten, aber heirate nie. „Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Doch mir war auch klar, dass sich die Mitarbeiter aufgrund der Tatsache, dass ich keine Kinder habe, fragten, wie es mit Vollmer weitergehe, sollte ich mal nicht mehr sein. Daher habe ich mich in enger Abstimmung mit Herrn Brand für die Gründung einer Stiftung entschieden.“
Sicherheit für die Mitarbeiter – die Sieglinde-Vollmer-Stiftung
Der Sieglinde-Vollmer-Stiftung gehören 80 Prozent der Unternehmensanteile der Vollmer Werke, die restlichen 20 Prozent verbleiben im Familienbesitz. Die Stiftung verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke wie die Förderung der Ausbildung von Jugendlichen sowie Studierenden der Ingenieurwissenschaften- und Betriebswirtschaft.
„Mit Hilfe der Stiftung können wir auch in Zukunft Vollmer im Sinne meines Vaters weiterführen und unseren Mitarbeitern eine langfristige und sichere Perspektive bieten“, so die Tochter des Firmengründers, die sowohl im Kuratorium der Stiftung als auch im Aufsichtsrat der Vollmer Werke vertreten ist. Dass das Wohlergehen der Mitarbeiter ihr am Herzen liegt, ist wohl bekannt. Mindestens zweimal die Woche kommt sie vorbei, um bei „ihrer Familie nach dem Rechten zu sehen“. Meist endet der Besuch beim „Latte Macchiato-Gespräch“ mit Geschäftsführer Brand.
Neue Dimensionen für eine neue Branche – Produktinnovation
„Vollmer ist eine kleine Perle, auf die Konzerne ein Auge geworfen hatten. Regelmäßig erhielten wir vor der Stiftungsgründung Kaufanfragen“, berichtet Brand. „Nun sind die Unternehmensverhältnisse klar geregelt und wir können uns ganz auf unsere Aufgaben konzentrieren.“ Darunter versteht er vor allem, die Innovationskraft des Unternehmens nachhaltig zu stärken. Einen großen Schritt in Richtung Produktinnovation haben die Schwaben letztes Jahr bereits unternommen. Mit einer neuen Schleifmaschine für Vollhartmetallwerkzeuge betritt Vollmer erstmals den Markt des Werkzeugschleifens und dringt damit wortwörtlich in eine neue Dimension vor: Dank zweier vertikal angeordneter Spindeln gelingt der so genannten Vgrind 160 erstmals die Mehr-Ebenen-Bearbeitung.
Wie das genau funktioniert, lässt sich am besten direkt an der Maschine verdeutlichen. Wir gehen ins Technologie- und Dienstleistungszentrum, dessen Boden in den Farben des Unternehmens mit einem warmen Orange ausgelegt ist. In der Halle vereint sich der Stolz deutscher Ingenieurskunst: Maschinen zum Schärfen von Sägeblättern und zum Polieren von diamantbesetzen Werkzeugen. Konzentriert arbeitet ein Team aus Ingenieuren an der neuen Vorzeigemaschine, der Vgrind 160.
Mit der Maschine bauen die „Scharfmacher aus Oberschwaben“ ihre Kernkompetenz rund ums Schärfen aus und bieten ihren Kunden umfassende Lösungen für die Werkzeugproduktion „Zunächst haben wir uns gefragt, was für Präzisionsarbeit entscheidend ist“, erläutert der Geschäftsführer das Vorgehen. „Hartmetallwerkzeuge benötigen mehrere Schleifscheiben, oft sechs Stück. Allerdings ist es nicht machbar, mehr als 3 Schleifscheiben auf einen Schleifdorn einzurichten. So kamen wir auf den Ansatz, mit zwei Spindeln zu arbeiten und eine Mehr-Ebenen-Bearbeitung zu ermöglichen. Der Vorteil ist, dass wir den Schleifscheibensatz nicht wechseln müssen und daher die Ungenauigkeiten vermeiden, die durch Wechsel zwangsweise entstehen.“
Das Vorgehen ermöglicht Werkzeugherstellern, Fräser und Bohrer aus Vollhartmetall in großen Stückzahlen präzise zu fertigen und dabei auch noch Zeit einzusparen. Denn dank der Mehr-Ebenen-Anordnung kann die Maschine pro Zeiteinheit eine höhere Stückzahl bearbeiten. „Ferner schalten wir nicht benötigte Antriebsachsen ab, das senkt den Stromverbrauch.“
Vollmer ist Partner der Nachhaltigkeitsinitiative Blue Competence des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Ihr Anliegen ist, energieeffizientere Maschinen zu entwickeln. Das Thema Energieeffizienz nimmt in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit von Vollmer seit jeher einen hohen Stellenwert ein. Die Mitarbeiter aus der Entwicklungsabteilung gestalten das komplexe Zusammenspiel aus Energieeinsparung, Systemauslegung, Komponentenauswahl und Wartungszyklen so, dass die Werkzeugbearbeitung wirtschaftlicher und energiesparender wird.
Die Wurzeln nicht vernachlässigen
Die Vgrind erweitert das Portfolio der Biberacher mit seinen rund 60 Maschinentypen um eine Lösung für die Metall verarbeitende Industrie. „Bei allen Anstrengungen und Erfolgen im Metallbereich, wird die Holz verarbeitende Industrie nicht vernachlässigt“, betont Brand, „denn hier liegen die Wurzeln des Unternehmens.“
Alles begann im Jahr 1909. Die oftmals meterlangen Bandsägen zu schärfen, war für Schreiner ein zeitaufwändiges Unterfangen. Das weckte den Entwicklergeist des gelernten Maschinenschlossers Heinrich Vollmer. Fortan tüftelte er in seiner Freizeit an dem Problem der Mechanisierung des Sägenschärfens, bis er 1909 eine Kleinmaschine für das automatische Schränken von Sägen erfand. Kurz darauf gründete er seine eigene Firma, die später so genannten Vollmer Werke.
Heute arbeiten beim Markführer für Schärf- und Erodiermaschinen gut 720 Leute, darunter 500 am Hauptsitz in Biberach. Ohne die tatkräftige Mitarbeit der Angestellten wäre die Entwicklung von einem produktionsorientierten zu einem modernen Technologie- und Serviceunternehmen nicht möglich gewesen. Vollmer unterstützt daher mehrere Projekte, um Jugendliche frühzeitig für Technologie zu begeistern und engagiert sich bei der Schüler-Ingenieur-Akademie (SIA), einer Initiative des Arbeitgeberverbands Südwestmetall. Ganz uneigennützig ist das nicht: In Biberach herrscht Vollbeschäftigung, und das Werben um die besten Auszubildenden ist groß.
Einmal Vollmer, immer Vollmer
„Das Können der Mitarbeiter ist für uns besonders wichtig“, betont Stefan Brand. „Wir machen nicht nur klassischen Maschinenbau, sondern auch Verfahrenstechnik. Das heißt, unsere Leute müssen sowohl die Maschine kennen, als auch das, was auf ihr gemacht wird – also die Kundenanwendung. Das ist das Wissen von zwei Ingenieuren in einer Person.“
Weit über 50 Prozent der Beschäftigten sind bereits bei Vollmer in die Lehre gegangen. Und viele bleiben ihr Leben lang. Einige Mitarbeiter sind gar in der dritten Generation in der Firma tätig. Nicht von ungefähr macht im Unternehmen der Spruch die Runde, „einmal Vollmer, immer Vollmer“. Wir wollen genauer wissen, was junge Menschen an einer Ausbildung bei Vollmer reizt und verlassen das TDZ in Richtung Ausbildungszentrum.
Draußen hat sich mittlerweile die Sonne gegen den Nebel durchgesetzt. Das 34 000 Quadratmeter große Areal liegt nur zwei Steinwürfe von der Kirche St. Martin im Zentrum der Stadt entfernt. „Die Stadtpfarrkirche wird von der katholischen und evangelischen Kirchengemeinde genutzt“, erklärt uns ein Mitarbeiter. „Da sind die Biberacher ganz pragmatisch, fast so wie wir bei Vollmer.“ Wir passieren den Stadtbach, der durch das Werksgelände läuft. In den letzten Jahren wurde der Bach renaturiert. Auch das ist Nachhaltigkeit.
Im Ausbildungszentrum erfahren wir, dass das Ausbildungsspektrum breit gefächert ist. Zur Auswahl stehen die Berufe Industriekaufmann, Fachinformatiker, Elektroniker, Industriemechaniker sowie Mechatroniker. Duale Studiengänge runden das vielfältige Ausbildungsprogramm ab.
„Meine Schwester ist hier als Industriekauffrau tätig und auch mein Nachbar ist bei Vollmer. Beide haben mir von der guten Atmosphäre im Unternehmen vorgeschwärmt“, erzählt Marco Heckenberger, der bei den Biberachern eine Ausbildung zum Mechatroniker macht. Ein weiterer Pluspunkt für den 17-Jährigen ist die zunehmende Internationalisierung der Firma: „Gerade Mechatroniker kommen viel rum. Gerne würde ich für Vollmer mal nach Schweden oder Spanien gehen.“
Einen Auslandseinsatz hat Nicola Jans schon hinter sich. Zunächst machte sie bei Vollmer eine Ausbildung als Industriemechanikerin. Später absolvierte sie einen Bachelor-Abschluss in Maschinenbau. Ihre Bachelorarbeit schrieb sie in Schottland in Kooperation mit einer Universität in Edinburgh. „Mein Projektleiter bei Vollmer, der auch meine Bachelor-Arbeit betreute, hat regelmäßig mit mir geskypt, um meine Fragen zu beantworten. Das war ein unglaubliches Entgegenkommen“, erinnert sich die 26-jährige Ingenieurin.
Wachstum ja – aber nicht um jeden Preis
Die Reiselust hat auch Sieglinde Vollmer noch nicht abgelegt. Immer wieder packt sie ihren Koffer und besucht die wichtigsten Messen im Ausland. Im letzten Jahr ging es nach Italien, zum zehnjährigen Firmenjubiläum nach China und nach Russland, dem favorisierten Reiseziel der Liebhaberin russischer Kultur. Sieglinde Vollmer, die eine Dolmetscherschule besuchte, beherrscht neben Spanisch, Italienisch und Französisch auch etwas Englisch und Russisch. Auf die Frage, ob die weiten Reisen nicht zu anstrengend seien, antwortet sie verschmitzt: „Ich nehme flache Schuhe mit, dann geht das ganz gut.“
Über 75 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet Vollmer im Ausland, den Großteil davon in Europa. Doch die Wachstumsmärkte liegen in China und den USA. „Derzeit haben wir zwölf Auslandsniederlassungen, und deren Ausbau werden wir weiter forcieren“, erläutert Stefan Brand die Strategie. „Doch wollen wir organisches Wachstum, also nicht Wachstum um jeden Preis. Daher ist alles, was wir machen, sehr überlegt. Denn wenn etwas schief geht, und das kann mal vorkommen, darf es nicht das ganze Unternehmen gefährden.“
Nachhaltig handeln heißt bei Vollmer eben auch weitsichtig handeln. Und während wir noch letzte Aufnahmen machen, verabschieden sich Stefan Brand und Fräulein Vollmer. Sie hätten noch strategische Dinge zu besprechen, bei einer Latte Macchiato, versteht sich.
Nachhaltigkeit bedeutet, Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt zu übernehmen, sei es durch einen schonenden Umgang mit Ressourcen oder mit energiesparender Produktionsweise. So oder so ähnlich lässt es sich in vielen Firmenbroschüren lesen, auch bei Vollmer. Viele Gespräche und zahlreiche Blitzlichtaufnahmen später ist uns jedoch klar, dass Nachhaltigkeit bei Vollmer weit mehr ist. Nachhaltig handeln heißt bei den Oberschwaben: unternehmerisch denken, mutig aber ohne übertriebene Risikobereitschaft, Mitarbeiter fördern, ihren Ideen Raum geben, sich auf Neues einlassen etwa in neuen Ländern oder Branchen, ohne dabei die Wurzeln zu vergessen.
Vollmer Werke Maschinenfabrik GmbH www.vollmer-group.com

Ein Foto erzählt Geschichte
Mit dem Motiv von Fräulein Vollmer vor dem Hintergrund ihrer Familiengeschichte hat Vollmer beim mav Fotowettbewerb auf der AMB 2014 den Sonderpreis in der Kategorie „Die Story im Bild“ ge- wonnen, den die PR-Agentur Storymaker ausgeschrieben hatte. Weitere Informationen dazu finden Sie unter „Wir l(i)eben Maschinenbau“ (www.mav-online.de/wirliebenmaschinenbau), einer Initiative von mav, AMB Stuttgart und Storymaker, sowie unter www.facebook.com/wirliebenmaschinenbau
Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild mav Innovation in der spanenden Fertigung 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Trends

Aktuelle Entwicklungen in der spanenden Fertigung

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Alle Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de