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Die Eidgenossen schauen nach vorn

Trotz aktueller Krisen – die Schweiz ist innovativ und wettbewerbsfähig
Die Eidgenossen schauen nach vorn

Jüngste Studien der UNO und des Weltwirtschaftsforums (WEF) geben der Schweiz beste Noten. Das Land ist weltweit führend bei der Innovationskraft, seine Unternehmen sind weitaus wettbewerbsfähiger als Marktteilnehmer in anderen Ländern. Der „Frankenschock“ war zwar für viele spürbar, hat aber offensichtlich keine nachhaltigen Auswirkungen. Woran liegt das? Wir haben nachgefragt. Autor: Konrad Mücke

Zu Beginn des Jahres 2015 hatte die Schweizer Nationalbank den Wechselkurs des Schweizer Franken zum Euro freigegeben. Das führte zu einer deutlichen Aufwertung des Schweizer Franken und annähernd zur Parität mit dem Euro. Inzwischen notiert der Schweizer Franken etwa zehn bis zwölf Prozent über dem Euro. Die Auswirkungen der Frankenstärke spüren die Industrieunternehmen in der Schweiz sehr deutlich. Umsätze und vor allem Erträge sind merklich zurückgegangen, die Auftragseingänge zeitweise auf das Niveau der Krisenjahre 2003 und 2009 geschrumpft. Wie der Verband Swissmem kürzlich mitteilte, hat sich die wirtschaftliche Situation zur Jahresmitte 2016 allerdings deutlich aufgehellt.

Die Schweizer haben sich offensichtlich nicht lange damit aufgehalten zu lamentieren. Ihre Anstrengungen führten rasch zum Erfolg. Jüngste Studien, unter anderem der UNO, der WIPO (World Intellectual Property Organisation) und des Weltwirtschaftsforums (WEF), bestätigen der Schweiz, weltweit Nummer 1 zu sein in Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Diese (wenig überraschende) Auszeichnung erhielten die Schweizer schon mehrfach zuvor. Die genannten Studien basieren auf vielfältigen, wissenschaftlich fundierten Kriterien. Eine Vielzahl an Kennzahlen wurden in allen Industrienationen der Welt anhand ausführlicher Befragungen und Interviews ermittelt, bewertet und daraus Vergleichswerte berechnet.
Wie sich die Unternehmen selbst einschätzen
Unabhängig davon wollten wir aus erster Hand hören, wie die Schweizer Unternehmen ihre Situation beurteilen. So haben wir uns bei einigen Herstellern von Werkzeugmaschinen und Werkzeugen umgehört. Begegnet sind uns durchweg sehr selbstbewusste und zuversichtliche Gesprächspartner. Die Schweizer sind sich ihrer führenden Rolle bewusst, auch wenn es ihre ureigenste Mentalität verbietet, laut darüber zu sprechen. Schweizer Unternehmen arbeiten täglich daran, ihre führende Position zu erhalten und weiter auszubauen. Anlässlich der Messe AMB in Stuttgart waren dafür zahlreiche Beispiele zu finden.
Wie unsere Gespräche zeigen, entstehen herausragende Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit aus einem breiten Spektrum an Verhaltensweisen, Strukturen und Idealen. Unternehmen, die sich dessen bewusst sind, handeln entsprechend und orientieren sich an geradezu klassischen Schweizer Werten.
Beharrlich die beste Lösung verwirklichen
Beispielsweise bei Reishauer, Hersteller hochwertiger, teilweise weltweit einzigartiger Verzahnmaschinen, sieht man Beharrlichkeit als einen Wettbewerbsvorteil. Dies bestätigt Martin Ruder, der im Vertrieb für Reishauer tätig ist. Ideen und technische Lösungen mehrfach wiederholt mit Pilotkunden und in internen Teams zu diskutieren, in kleinen Schritten zu optimieren und dann – auch nach mehreren Monaten Weiterentwicklung – konsequent in innovative Lösungen zu überführen, hält Ruder für besonders effizient. Auch das stete Streben der Schweizer Techniker und Ingenieure nach außergwöhnlicher Präzision sieht er als einen wichtigen Faktor für hohe Wettbewerbsfähigkeit. Wie er herausstellt, ist bei den Verzahnungsschleifmaschinen von Reishauer die Schleifqualität 4 unstrittiger Standard.
Je nach Anwendung und Forderungen der Kunden versuchen die Techniker in der Schweiz diese Qualität und Genauigkeit möglichst zu übertreffen. Damit dies gelingt, vertrauen sie vor allem auf ihre eigene Qualifikation und Kompetenz. Reishauer verfügt über mehr als 80 Prozent Fertigungstiefe. „So haben wir sämtliche Produktionsschritte selbst unter Kontrolle und können diese in unserem Sinne kurzfristig und flexibel optimieren“, berichtet Ruder.
Als Beleg für die Innovationskraft führt er an, dass Reishauer Pionier im Wälzschleifen sowie im Fein- und Polierschleifen von Verzahnungen in einer Aufspannung war. Um die Bedienung der Verzahnungsschleifmaschinen so einfach und komfortabel wie möglich zu gestalten, präsentierte der Hersteller aus Wallisellen jüngst seine ausgeklügelte Verzahnungssoftware, die den Programmierer und Bediener mit übersichtlichen, leicht verständlichen Grafiken und Dialogen führt. Die eingegebenen Daten werden unverzüglich auf Plausibilität geprüft. Doch nicht nur technologisch ist Reishauer innovativ, sondern auch strukturell.
Kürzlich hat der Maschinenhersteller die Felsomat GmbH in Königsbach-Stein übernommen. Damit erweitert er zum einen seine weltweiten Vertriebsstrukturen. Zum anderen bietet Reishauer nunmehr Komplettsysteme zum Fertigen hochwertiger Zahnräder an, die aus Vorfertigung, Pufferspeichern, Be- und Entladesystemen sowie den Verzahnungsschleifmaschinen selbst bestehen. Damit verschafft sich das Unternehmen wesentlich höhere Wettbewerbsfähigkeit vor allem bei großen Automobilherstellern und deren Zulieferern. Diese bevorzugen zunehmend komplette Anlagen und vollständige Fertigungsprozesse.
In Effizienz und Flexibilität investieren
Weitere Möglichkeiten, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und sogar zu verbessern, zeigt unter anderem Reto Rüttimann, Geschäftsführer der Sphinx Werkzeuge AG in Derendingen, auf. „Den Weg aus dem ersten Frankenschock haben wir unter anderem mit einer umfassenden Produktionsoptimierung, mit Automation und Investitionen in neue Produktionsmittel beschritten. Ergänzt wurde das mit der gezielten Ausbildung und Förderung von Mitarbeitern. Außerdem konnten wir durch eine flexible Arbeitszeitenregelung längere Arbeitszeiten für unsere Mitarbeiter vermeiden.“ Speziell letzteres war noch im Jahr 2015 als geeignete Maßnahme von vielen Unternehmen angestrebt und sogar von Verbänden empfohlen worden. Darüber hinaus bestätigt Rüttimann, dass die sprichwörtliche Schweizer Präzision zum anhaltenden Erfolg beiträgt: „Zur Präzision zählen wir jedoch mehr als ein genaues Werkzeug – gleichbleibend hohe Qualität, Service und Liefertreue sowie ein partnerschaftliches Verhältnis zu unseren Kunden haben für uns genauso Priorität.“ Dabei hat Sphinx trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation anhaltend investiert. Das betrifft neue Produktions- und Kontrollmittel, innovative Bearbeitungstechnologien sowie Peripheriegeräte.
„Vorinvestitionen in zukunftsorientierte, neue Technologien sind im ersten Moment schmerzhaft, bringen aber oftmals den entscheidenden Vorsprung und somit Vorteil am Markt“, hebt Rüttimann hervor. Zusätzlich hat Sphinx Werkzeuge neue Märkte erschlossen. Dazu Rüttimann: „Hier war unsere zukunftsorientierte Denkweise entscheidend. So konnten wir zum Beispiel neue Langzeitprojekte mit Partnern in den Bereichen der Flugzeug- und Automobilindustrie sowie in der Medizintechnik realisieren. Einige Projekte, die schon seit mehreren Jahren laufen, kommen jetzt erst richtig zum Tragen.“
Auch hinsichtlich seiner Produkte hat Sphinx Werkzeuge in die Zukunft investiert. Mit Hochleistungs- und Mikrowerkzeugen für den Einsatz in schwerzerspanbaren Werkstoffen konnte das Unternehmen einige neue Marktsegmente und Kunden erschließen. Hierzu hat auch die Realisierung richtungsweisender Werkzeuggeometrien in Kombination mit hochwertigen Hartmetallsorten und auch anderen Schneidstoffen, wie Cermets oder pulvermetallurgischem HSS, beigetragen.
Für spezielle Anwendungsbereiche haben die Techniker in Derendingen unter anderem Kombinationswerkzeuge verwirklicht, die optimal auf Werkstoffe und Umgebungsverhältnisse ausgelegt sind. „Damit sparen unsere Kunden sehr viel Bearbeitungszeit. Diese am Interesse und Nutzen des Kunden orientierte Denkweise gehört sicher zu einem entscheidenden Kriterium für die herausragende Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen“, erläutert Rüttimann.
Praxis und Forschung arbeiten zusammen
Die eigene Innovationskraft zu stärken, erfordert häufig Kooperationen. In ihrer Studie zur Innovationskraft der Länder misst die UNO gerade diesem Kriterium einen hohen Stellenwert bei. Der Drehmaschinenspezialist Tornos in Moutier stützt sich auf die intensive Zusammenarbeit mit Universitäten und Hochschulen, um eigene Innovationen effizient und zielorientiert voranzutreiben. „Im Berner Jura schaffen wir gemeinsam mit der Haute École Arc Ingénierie (HE-Arc) Technologiekompetenz für Industrie 4.0”, erläutert Michael Hauser, CEO bei Tornos. Aufgrund dieser Zusammenarbeit zwischen praxisorientierter Technik und wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung kann Tornos bereits heute spezifische Softwarelösungen für die vierte industrielle Revolution – Industrie 4.0 – anbieten. In enger Zusammenarbeit mit der HE-Arc betreibt Tornos ein Forschungszentrum in St.-Imier. Von den Synergien profitieren Tornos und die Hochschule. Konkret ging aus dieser gemeinsamen Entwicklung bereits das aktuelle Touchpanel Tisis i4.0 hervor. Darauf kann der Anwender alle Maschinendaten und die Daten zur Fertigungsüberwachung in Echtzeit übertragen. Nutzer von iPhone, iPad oder Android können mit Tisis ihren gesamten Maschinenpark oder auch einzelne Maschinen präzise überwachen. So lassen sich etwaige Alarm- oder Fehlermeldungen bis hin zur vollständigen Historie auf dem Tablet anzeigen.
Tisis i4.0 ist damit ein wertvolles Werkzeug für jeden Werksleiter und das erste Softwarepaket für die Drehmaschinen von Tornos, das spezifisch auf Industrie 4.0 ausgerichtet ist. Dazu berichtet Patrick Neuenschwander, Leiter Software-Entwicklung bei Tornos: „Tisis – die innovative Softwarelösung von Tornos – dient der sofortigen Verbesserung des Bedienkomforts, der Produktivität und der Effizienz.“
Auf eigene Stärken bauen
Einigen Nachholbedarf hinsichtlich einer vertrauensvollen Kooperation zwischen Anwendern und wissenschaftlicher Forschung sieht allerdings Dr. Michael Op de Hipt, Geschäftsführer des Werkzeugherstellers Diametal AG in Biel. Seiner Ansicht nach gibt es in der Schweiz zu wenige Ansprechpartner in der Forschung. Für den Maschinenbau seien nur die Hochschulen in Zürich und Luzern kompetent. Darüber hinaus mangelt es nach Meinung von Op de Hipt an übergreifendem Erfahrungsaustausch unter den Unternehmen. Er wünscht sich – ähnlich wie in einigen Verbänden in Deutschland bereits seit vielen Jahren bewährt – vertrauliche Arbeitskreise oder Expertentreffen zu fachspezifischen Themen.
„Mit einer stärkeren Zusammenarbeit in der Region und mit einem Ausbau regionaler Forschungsstätten könnten wir die Innovationskraft der gesamten Branche noch wesentlich verbessern“, ergänzt Op de Hipt. Als Beispiel für eine Innovation, die die Werkzeugspezialisten bei Diametal auf sich allein gestellt realisiert haben, nennt er eine erst kürzlich präsentierte Software zum Berechnen und Beurteilen von Verzahnungen. Sie dient dazu, am CAD konstruierte Verzahnungen mit realen, gefertigten Zahnprofilen im Toleranzbereich weniger µm zu vergleichen. Dabei wird – und das ist bisher einmalig – das Verhalten der Verzahnwerkzeuge und der Verzahnmaschinen exakt simuliert.
Einmal kalibriert, lassen sich somit die tatsächlichen Geometrien gefertigter Verzahnungen beurteilen, ohne dafür Musterteile anfertigen zu müssen. Wie Op de Hipt sagt, spart das deutlich Zeit und Kosten beim Erstbemustern von Verzahnungen. Bevorzugt eignet sich die Software für Verzahnungen in kleinen Serien, an die sehr hohe Forderungen hinsichtlich der Winkelgenauigkeit, der Spielfreiheit und der Laufruhe gestellt werden.
Den zukunftsgerichteten Charakter von Industrie 4.0 haben auch die Spezialisten für Werkzeuge und Spannsysteme bei Big Kaiser Präzisionswerkzeuge AG in Rümlang erkannt. Sie zeigten jüngst eine App, also eine Software, mit einer Funk-Schnittstelle (Bluetooth), die einen Tablet-Computer mit den hochgenau einstellbaren Ausdrehwerkzeugen EWD Evo verbindet. Sie vereinfacht deutlich das Konfigurieren und Überwachen der Ausdrehwerkzeuge. Zudem sorgt sie für extrem genaue Technologiedaten. Sie unterstützt den Bediener bei der Feinabstimmung der optimalen Schnittparameter. Einmal bewährte Einstellungen speichert die App. Diese können später erneut fehlerfrei übernommen werden. Damit liefert die App einen ersten Schritt hin zur komplexen Vernetzung aller an einer Fertigung beteiligten Maschinen und Werkzeuge. ■

Michael Hauser

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CEO bei Tornos in Moutier:
„Innovation und Technologieführerschaft sind für ein Schweizer Unternehmen wie Tornos eine Schlüsselkomponente der Strategie.“

Beat Baumgartner

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Geschäftsführer des Spannsystemherstellers Triag International, zeigt ein kundenspezifisch entwickeltes Spannsystem für Velopedale. „In Verbindung mit der geografischen Nähe zueinander bildet unsere Mentalität – kleine und mittelständische Unternehmen honorieren und respektieren wechselseitig die jeweiligen Anstrengungen und Leistungen – das solide Fundament, auf dem wir schnell weltweit anerkannte Innovationen realisieren können.“

Wie Institutionen die Schweiz bewerten

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Im aktuellen Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforum (WEF) vom September 2016 belegt die Schweiz erneut den ersten Platz. Damit führt sie diese Rangliste bereits zum achten Mal in Folge an. Die Schweiz gilt demnach als das Land mit dem höchsten Innovationspotenzial und hat Forschungsinstitutionen der höchsten Qualität. Sie kann die talentiertesten Arbeitskräfte anziehen und im Land halten. Außerdem punktet sie mit einer engen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Entsprechend gehört die Schweiz auch zu den Ländern mit den meisten Patentanmeldungen. Spitze ist die Schweiz auch im Entwicklungsgrad der Wirtschaft, der Effizienz des nationalen Arbeitsmarktes und der technologischen Ausstattung. Einen sehr guten vierten Platz belegt die Schweiz bei der Stabilität des makroökonomischen Umfelds. Der Bericht konstatiert der Schweiz zudem eine sehr hohe Transparenz und Effizienz in der öffentlichen Verwaltung. Dies stärkt unter anderem das Vertrauen für Geschäftstätigkeiten. Als qualitativ hochstehend werden zudem auch die infrastrukturellen Einrichtungen gewertet.
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