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David gegen Goliath

Wie Schweizer Unternehmen sich im internationalen Wettbewerb erfolgreich positionieren
David gegen Goliath

Im globalen Vergleich ist die Schweiz geografisch ein sehr kleines Land. Daraus resultiert nahezu zwangsläufig, dass auch die dort ansässigen Unternehmen, gemessen an der Zahl ihrer Beschäftigten und ihren betriebswirtschaftlichen Werten, eher unbedeutend sind. Dennoch werden sie global als führend wahrgenommen. Wie machen die Eidgenossen das bloß? Autor: Konrad Mücke

In zahlreichen Branchen belegen Schweizer Unternehmen immer wieder Spitzenpositionen. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass die Schweiz nahezu jährlich im Wettbewerb um die weltweit innovativsten Regionen die Ranglisten anführt. Beharrlich und eigenständig schaffen sie dies auch in der aktuellen Entwicklung, in der sich größere Betriebe zu noch weitaus größeren Einheiten zusammenschließen. Erfolgreich behaupten sich die kleinen Schweizer Unternehmen auch gegen den ausgeprägten Druck weltweit tätiger Konzerne. Diese verschaffen sich häufig Zugang zu Innovationen und Märkten, indem sie kleinere und mittelständische Betriebe übernehmen.

Qualität und Zuverlässigkeit als klassische Werte

Worin liegt das Erfolgsrezept der Schweizer Unternehmen? Wie schaffen sie es, im Wettbewerb gegen weltweit immer größere Konzerne und Unternehmensverbünde so überdurchschnittlich erfolgreich zu agieren?

Wir haben uns bei einigen mittelständischen Maschinen- und Werkzeugherstellern in der Schweiz umgehört. Geschäftsführer und Inhaber haben uns ihre Strategien und Philosophien erläutert. Beinahe alle beziehen sich auf klassische Werte, die in der Schweiz nach wie vor hochgehalten werden. So berichtet unter anderem Richard Weber, Geschäftsführer bei der Rego-Fix AG in Tenniken: „Beständigkeit und Zuverlässigkeit in Qualität und Innovation sind Schweizer Werte, die Unternehmen wie Rego-Fix international erfolgreich machen. Die Schweiz belegt bereits zum siebten Mal in Folge den Spitzenrang im globalen Innovationsindex. Seit 1950 gewinnt auch die Marke Rego-Fix für Werkzeugspannsysteme stetig an Anerkennung und ist heute industrieweit bekannt. Unser Unternehmen steht für zuverlässige und innovative Erzeugnisse mit Schweizer Werten – und unsere Kunden vertrauen darauf seit Jahrzehnten.“

Die Rego-Fix AG gilt als Entwickler und Erfinder der klassischen Spannzangen für rotierende Werkzeuge. Weltweit bekannt und geschätzt ist heute das universelle, hydromechanische Spannsystem Powrgrip. Es arbeitet äußerst zuverlässig und prozesssicher über viele tausend Spannzyklen. Es spannt Bohr- und Fräswerkzeuge aus HSS und Vollhartmetall wiederholgenau und exakt rundlaufend ( 3 µm) bei sehr einfacher Bedienung mit der Spanneinheit PGU 9500.

Der Tennikener Hersteller hat zudem einige innovative Varianten Spannzangensysteme entwickelt. Dazu gehören die besonders schlanken Bauformen Microrun oder das System Recool, mit dem sich besonders flexibel und wirtschaftlich angetriebene Werkzeugstationen auf Drehzentren mit innerer Kühlmittelzufuhr nachrüsten lassen.

Innovativ und beständig in Nischen

Letzteres deutet eine weitere Erfolgsstrategie an, mit der sich Schweizer Unternehmen immer wieder global herausragend positionieren. Sie belegen mit ihren innovativen Produkten meist lohnende Nischen. Dr. Patrick Mikhail, CEO der Microcut Ltd. in Lengnau, beschreibt es so: „Um sich als KMU behaupten zu können, muss man eine Marktnische besetzen können, welche bei Großkonzernen nicht zuoberst auf dem Radar erscheint. Durch Innovation und stetige Weiterentwicklung der Technologie muss man für den Kunden einen Nutzen und Marktvorteile generieren können, was den Kunden wiederum von der Konkurrenz abhebt.“ Die Mircocut Ltd. konzipiert spezielle Verfahren, dem Honen sehr ähnlich, um kleine Bohrungen ab 0,1 mm Durchmesser zu finishen. Die Bearbeitung erhöht signifikant die Genauigkeit im Durchmesser, in der Zylindrizität und der Form der Bohrungen. Zudem verbessert sie die Oberflächengüte auf Rautiefen Ra 0,1 µm. Besonders vorteilhaft ist, dass die Bearbeitungsergebnisse allein von der Form und Beschaffenheit des Werkzeugs abhängen. Somit sind sie wiederholgenau und prozesssicher zu verwirklichen. Dazu erläutert Mikhail weiter: „Wir bieten unseren Kunden Maschinen, Technologien und Prozesse, damit sie prozesssicher und kostengünstiger fertigen können. Ein weiterer Aspekt ist, überhaupt Werkstücke in derart engen Toleranzen produzieren zu können. Um weltweit erfolgreich präsent zu sein, ist es wichtig, mit Vertriebspartnern in den einzelnen Ländern zusammenzuarbeiten.“

Spezielle Technologien und innovative Lösungen für individuelle, kundenspezifische Bearbeitungsaufgaben zu bieten, sieht auch Dr. Michael Op de Hipt, Geschäftsführer bei der Diametal AG in Biel, als Erfolgsmodell für sein Unternehmen. Er sagt dazu: „Unsere Strategie ist es, als Lösungsanbieter in verschiedenen Anwendungsnischen zu agieren. Dort bieten wir flexibel und unbürokratisch kundenspezifische und auf die Situation des Kunden hin optimierte Lösungen für Zerspanungsprobleme an. Mit unseren Kunden entwickeln wir in sehr kurzer Entwicklungszeit spezifische Verfahren und Werkzeuglösungen, um mittelfristig den geschäftlichen Erfolg unserer Kunden zu steigern.“

Diametal verwirklicht Bearbeitungslösungen mit Hartmetallwerkzeugen und Sonderschleifscheiben überwiegend für die Mikro- und Hartbearbeitung. Darin spiegelt sich die geografische und technologische Nähe zur Schweizer Uhrenindustrie, für die das Unternehmen nach wie vor anerkannter Partner ist. Die Spezialität des Bieler Herstellers waren und sind bis heute Verzahnungsfräser für Zahnräder und verzahnte Wellen mit wenigen zehntel bis zu einigen Millimeter Durchmesser. Zudem werden in Biel hochwertige Schleifscheiben aus speziellen Schleif- und Bindemitteln unter anderem zum Abrichten und zum Schleifen hochharter Werkstoffe entwickelt und hergestellt. Jüngst hat das Unternehmen den Sonderwerkzeughersteller BT Bienne Special Tools GmbH, zu der die Malisani GmbH gehört, aufgekauft und damit sein Produktspektrum erweitert. Da dieser Hersteller im gleichen Anwenderkreis ebenfalls mit kleinen Hartmetallwerkzeugen tätig ist, bleiben die Bieler in ihrer angestammten Nische mit einem erweiterten Spektrum an VHM-Werkzeugen. Wie Op de Hipt berichtet, kann ein Unternehmen aber mit einem Zukauf seine Flexibilität und die Präsenz in einzelnen Regionen und Branchen erhöhen. Zudem verbessert sich die personelle Ausstattung und somit die Verfügbarkeit von Fachkräften.

Nah am Kunden

Für Op de Hipt spielt hinsichtlich der klein- und mittelständischen Strukturen und Organisationen bei Schweizer Unternehmen noch ein anderer Aspekt eine wichtige Rolle. Er beschreibt das Verhältnis zwischen Herstellern und Kunden so: „Wir sind geografisch nahe beim Kunden. Wir pflegen echte Partnerschaft. So kann der Kunde sicher sein, dass er sowohl kurzfristig, wie auch auf lange Sicht, kompetente Unterstützung von der Diametal bekommt. Unsere Spezialisten sind selbstverständlich auch in den Fertigungsbetrieben unserer Auftraggeber tätig.“

Diese direkte Verbindung zu den Auftraggebern sieht auch Reto Rüttimann als Erfolgsrezept. Er ist Geschäftsführer der Sphinx Werkzeuge AG in Derendingen. Das Unternehmen produziert eine breite Palette an Bohr- und Fräswerkzeugen bis 12 mm Durchmesser aus Vollhartmetall. Man ist einerseits Partner für den Maschinenbau und die Präzisionsmechanik, andererseits für die Medizinaltechnik. Für beide Branchen konzipieren und schleifen die Derendinger auch sorgfältig abgestimmte Sonderwerkzeuge. Dafür verfügt der Hersteller über hochwertige CNC-Werkzeugschleifmaschinen, Lasergraviermaschinen und auch einen Reinraum, in dem die Medizinalwerkzeuge gereinigt und verpackt werden.

Rüttimann betont als Vorteil für sein Unternehmen die Nähe zum Kunden: „Unsere Fachberater haben nur kurze Wege in die Fertigungsstätten unserer Auftraggeber. Somit sind wir innerhalb kürzester Zeit präsent. Mit unserer Flexibilität können wir uns sehr kurzfristig mit Bearbeitungs- und Werkzeuglösungen befassen, die größere Konzerne als unwirtschaftlich und unprofitabel ansehen und dafür keine Kapazität bereitstellen.“

Klasse statt Masse

In der Schweiz und den angrenzenden Regionen hat der Derendinger Hersteller einen herausragenden Namen, wenn es um prozesssichere und verschleißbeständige Mikrowerkzeuge mit Durchmessern ab 0,03 mm geht. Wie Rüttimann weiter ausführt, will er sich mit seinem Unternehmen künftig stärker auf diese Nische ausrichten. „Wir richten unsere Innovationskraft und unsere Flexibilität gezielt darauf aus, in einer anspruchsvollen Nische erfolgreich zu sein. Unsere Strategie zielt nicht auf ein quantitatives, sondern voll und ganz auf ein qualitatives Wachstum. Wir streben an in unserem Marktsegment als die Nummer eins bei unseren Kunden anerkannt zu werden. Das bedeutet für die Zukunft unseres Unternehmens sehr viel mehr als Mengenwachstum und Expansion“, fügt Rüttimann hinzu.

Gleichermaßen äußert sich auch Michael Ingold. Er führt die Geschäfte beim Lohnfertiger Aeschlimann AG in Lüsslingen. Sein Unternehmen fertigt unter anderem in mittleren und großen Serien Ventile und Einspritzkomponenten für Pkw-, Lkw- und Schiffsmotoren. Die geforderte hohe Qualität und Genauigkeit der Bauteile lässt sich nur mit richtungsweisenden Innovationen und herausragendem Knowhow gewährleisten. Wie Ingold ausführt, benötigt ein Unternehmen dafür zum einen hochqualifiziertes Personal, zum anderen die Unterstützung durch schnell erreichbare Partner, zum Beispiel Maschinen- und Werkzeughersteller. Dafür erweisen sich nach seiner Ansicht vor allem mittelständische Strukturen als besonders günstig. Der persönliche Kontakt, das wechselseitige Vertrauen und die enge Zusammenarbeit sorgen für optimale Arbeitsergebnisse.

„In einer kleineren Organisation fühlt sich jeder für seine Tätigkeit und die Folgen verantwortlich. Alle Fachkräfte sind in den unternehmerischen Prozess eingebunden. Das schafft Flexibilität für ungewöhnliche Lösungen, die über den Erfolg des Unternehmens entscheiden können“, sagt Ingold. Als Beispiel führt er seine Beteiligung an einer regionalen Ausstellung für Konsumenten an.

„Eine Frühjahrs- oder Herbstmesse, auf der Konsumprodukte präsentiert und verkauft werden, ist eigentlich keine Bühne für einen hochspezialisierten Lohnfertiger wie Aeschlimann“, berichtet Ingold und fährt fort: „Aber wir suchen dringend Fachkräfte. Diese können wir nur in unserem regionalen Umfeld rekrutieren. Deshalb haben wir vielfach diskutiert, wie wir unser Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber und Ausbildungsbetrieb vorstellen können.“ Zusammen mit seinen Söhnen verwirklichte er kurzfristig die verwegene Idee, ein Dreh- und ein Bearbeitungszentrum zur Konsumentenmesse zu bringen und darauf einige kleinere Bauteile als Give-Away zu fertigen.

„Diese Aktion erwies sich als besonders wertvoll. Besucher wurden auf uns aufmerksam, es fanden sich innerhalb weniger Stunden einige ernsthafte Interessenten an einem Ausbildungsplatz, sogar eine Fachkraft konnten wir direkt nach der Präsentation einstellen. Diesen großartigen Erfolg führen wir allein auf unsere mittelständische Struktur und unsere Flexibilität zurück. Wir konnten eine kurzfristig angesetzte Aktion durchführen, für die es bei einem Großunternehmen oder Konzern vielleicht Investitionsanträge und langfristiger Planungen bedurft hätte. Aber wir haben am Ende profitiert, denn wir konnten die heute so intensiv gesuchten Fachkräfte für uns begeistern. Auch das ist ein wichtiges Kapitel in der Erfolgsgeschichte Schweizer Unternehmen. Größe ist nicht unbedingt von Vorteil“, fasst Ingold zusammen.

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