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„Eine ganz neue Form der Automatisierung“

Thomas Dietz, Gruppenleiter, Manuel Fechter, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fraunhofer IPA
„Eine ganz neue Form der Automatisierung“

Am Fraunhofer IPA in Stuttgart entwickeln Thomas Dietz, Gruppenleiter sowie Leiter des BMBF-Verbundprojekts „Forschungsfabrik“ bei Arena 2036, und Manuel Fechter, wissenschaftlicher Mitarbeiter, wandlungsfähige Robotersysteme. Im Interview reden sie über die Herausforderungen, den Mehrwert der neuen Technologien für Unternehmen und darüber, was die Zusammenarbeit im Projekt auszeichnet.

mav: Ein Ziel Ihrer Forschungsfabrik ist die Entwicklung und Erprobung wandlungsfähiger Produktionssysteme. Warum wird dies immer wichtiger?

Dietz: Weil die Märkte immer volatiler werden. Dies zeigt sich in verkürzten Produktzyklen oder darin, dass die Kunden personalisierte Produkte wünschen. Für die Automobilbranche ist die Umweltdebatte ein gutes Beispiel: Viele neue Antriebsformen oder neue Materialien sind aktuell in der Diskussion. Es ist schwer vorhersehbar, welche sich in den nächsten Jahren durchsetzen werden. Bisher werden Anlagen so konstruiert, dass sie ein Modell mehrere Jahre lang produzieren und eine anfangs festgelegte Flexibilität in den Varianten vorhalten. Ändert sich aber im Laufe dieser Zeit der Markt oder auch die Gesetzeslage, muss die Anlage kostspielig umgerüstet oder neu aufgebaut werden.
Fechter: Wir sprechen von einer wandlungsfähigen Produktion am optimalen Betriebspunkt. Kommt etwa ein neues Automodell auf den Markt, ist die Nachfrage meist höher als das Angebot. Ist es bereits lange auf dem Markt, sinkt die Nachfrage, und die Produktion ist nicht mehr ausgelastet. Wir möchten mit unseren Produktionslösungen, die durch Überschuss oder Mangel entstehenden, finanzielle Nachteile minimieren.
Welche Anforderungen müssen Roboter als ein Schlüsselelement wandlungsfähiger Produktionsanlagen erfüllen?
Dietz: Roboter sind per Definition flexibel und für viele Aufgaben einsetzbar. Einmal in die Produktionsanlage integriert, wird diese Flexibilität momentan aber sehr eingeschränkt. Zum Beispiel weil der Roboter einen speziellen Greifer hat, mit dem er ein spezielles Bauteil handhaben kann. Um dies aufzubrechen, gibt es mehrere Ansätze. Auf Basis der Informationstechnik ist es die Plug-and-Produce-Technologie: Stattet man den Roboter mit einem anderen Greifer aus, könnte er ihn sofort nutzen und wüsste, was damit zu tun ist. Ein anderer Ansatz ist, den Menschen stärker in den Wertschöpfungsprozess einzubinden und aus der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter neue Synergien zu gewinnen.
Fechter: Deshalb setzen wir für unsere Entwicklung vermehrt sensitive Leichtbauroboter ein. Sie ermöglichen eine neue Form der Automatisierung in enger Kooperation mit dem Menschen. Diese Mensch-Roboter-Kollaboration stellt ein zentrales Element der Wandlungsfähigkeit dar. Leichtbauroboter sind hierfür besonders gut geeignet, speziell für die automobile Endmontage, in der noch sehr viele Aufgaben manuell ausgeführt werden. Arbeitsinhalte können je nach geforderter Stückzahl und Variante sowie vorhandener Mitarbeiterkapazität dynamisch zugewiesen werden.
Roboter agieren in der Smart Factory als cyberphysische Systeme. Inwieweit wird dies ihre Entwicklung und ihren Einsatz verändern?
Dietz: Ein Ansatz bei Industrie 4.0 ist, die starren Hardware-Verbindungen zu reduzieren und sie durch Software zu ersetzen. So möchten wir die lineare Verkettung von Produktionsschritten aufbrechen. Für Robotersysteme bedeutet das, dass Software eine immer wichtigere Rolle einnimmt, etwa durch standardisierte Schnittstellen. Auch der große Anteil proprietärer Software muss in Industrie-4.0-Architekturen eingebunden werden. Ein anderes Beispiel ist das skillbasierte Programmieren, mit dem Roboter schneller einsetzbar sind: Hierbei werden bestimmte Funktionen von Robotern wie beispielsweise eine Bewegungsvorgabe oder das Öffnen des Greifers als Blöcke zusammengefasst und in einer Datenbank bereitgestellt. Diese kann zentral in einer Cloud-Architektur bereitstehen, auf die alle Roboter zugreifen können.
Die Forschungsfabrik konzentriert sich auf die Automobilproduktion. Für welche weiteren Branchen oder Anwendungen sind die Projektinhalte interessant?
Dietz: Das Spannende ist, dass viele Ideen, die wir in Arena 2036 beispielhaft für die Automobilbranche umsetzen, durch unsere Zusammenarbeit mit kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) entstanden sind. Sie produzieren oft nur in geringen Mengen bis hin zur Einzelstückfertigung. Bisher sind Robotersysteme dort selten im Einsatz, weil sie nicht schnell genug an die wechselnden Anforderungen anpassbar sind. In den großen EU-Projekten SME Robot und dem Folgeprojekt SME Robotics haben wir bereits zahlreiche Technologien entwickelt, die sich an diese Bedürfnisse von KMU richten. Automobilhersteller haben zunehmend Interesse an den Technologien gezeigt, weil auch sie schneller und wirtschaftlicher auf neue Herausforderungen und Veränderungen des Marktes reagieren müssen. Wandlungsfähige Systeme sind somit branchenübergreifend für alle Unternehmen interessant, die vermehrt auf Automatisierung setzen möchten. ■
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPAwww.ipa.fraunhofer.de

Automobilproduktion ohne Takt und Linie

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Auf dem Forschungscampus Arena 2036 der Universität Stuttgart erforschen und demonstrieren Partner aus Wissenschaft und Industrie die Automobilproduktion der Zukunft. Einen Schwerpunkt bilden die wandlungsfähigen Produktionssysteme, die weit weniger als bisher von Förderbändern und Taktzeiten abhängen. Die „Forschungsfabrik“, in der unter Leitung des Fraunhofer IPA zahlreiche wissenschaftliche Aktivitäten gebündelt werden, ist ein Kernelement des Forschungscampus (www.arena2036.de).
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