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Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Welthandel

Protektionismus und die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Welthandel
Wo Risse zu Gräben werden

Weltweit hat sich die Wirtschaft in den letzten Jahren stark weiterentwickelt und Wertschöpfungsketten geschaffen, die länderübergreifend agieren und internationale Kooperationen notwendig machen. Doch die Corona-Krise und die daraus resultierenden ansteigenden protektionistischen Maßnahmen vieler Länder machen dem Freihandel zu schaffen. Autor: Yannick Schwab

Die Corona-Pandemie hat zu einem massiven Einbruch des Welthandels geführt. Länderübergreifende Lieferketten sind stark beeinträchtigt, die Nachfrage ist teilweise zum Erliegen gekommen und Regierungen schließen ihre Landesgrenzen. All das führt dazu, dass bis Mitte April deutschlandweit rund 725 000 Betriebe bei den Agenturen für Arbeit Kurzarbeit anmeldeten und in den Vereinigten Staaten innerhalb eines Monats 22 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Die Welthandelsorganisation (WTO) rechnet infolge der Corona-Krise mit einem Einbruch des Welthandels um 13 % in einem optimistischen und 32 % in einem pessimistischen Szenario. „Der unvermeidliche Rückgang bei Handel und Produktion wird schmerzhafte Konsequenzen für Haushalte und Unternehmen haben, ganz abgesehen von dem menschlichen Leid, das diese Krankheit verursacht“, erklärte WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo im April und vermutet „die tiefste wirtschaftliche Rezession zu unseren Lebzeiten.“

Ausbleibende Lieferungen in Zeiten der Krise werfen weltweit die Frage nach der Tragfähigkeit der gewachsenen internationalen Produktionsstrukturen auf. „Die Corona-Pandemie beeinträchtigt nicht nur Lieferketten von einzelnen Unternehmen, sie stellt auch immer mehr ganze Bereiche des freien Welthandels unter Vorbehalt“, erklärt Dr. Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). „Was wir in der jetzigen Situation brauchen, ist ein komplettes Aussetzen von neuen Zöllen und unbegründeten Handelsbeschränkungen.

Protektionismus als vermeintlicher Krisenhelfer

Um Unternehmen, ganze Industriebereiche und insbesondere die eigene Bevölkerung zu schützen, greifen Regierungen aktuell aber vermehrt auf protektionistische beziehungsweise handelshemmende Maßnahmen zurück. In der Pandemie sind das vor allem Exportstopps für medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte und Grundnahrungsmittel, um die Versorgung im eigenen Land sicherzustellen. Außerdem erschweren weltweit Zölle und andere Handelshemmnisse den dringend nötigen internationalen Austausch von Waren zur Bekämpfung der Pandemie. Das stellt gerade für die Länder ein großes Risiko dar, die Arzneimittel und medizinische Ausrüstung nicht selbst produzieren können und auf den Import aus dem Ausland angewiesen sind. „Die Corona-Krise darf nicht zu einer neuen Protektionsmusfalle werden“, betont Treier deshalb in Bezug auf die Lieferketten in der Medizintechnik- und Pharmaindustrie.

Protektionismus bezeichnet eine Form von Handelspolitik, mit der ein Staat oder eine Freihandelszone versucht, bestimmte Produkte, Branchen oder generell die Volkswirtschaft des eigenen Landes zu schützen. Weitere Gründe sind der Schutz junger Unternehmen, eine erhöhte Attraktivität inländischer Waren und ein stabiles Beschäftigungs- und Einkommensniveau im Land. Als Mittel stehen den Regierungen dabei tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse zur Verfügung. Zu den tarifären Maßnahmen zählen insbesondere Import- und Exportzölle. Einfuhrkontingente, die eine Obergrenze für den Import bestimmter Produkte festlegen, technische Anforderungen oder der Zwang zu Joint Ventures im inländischen Markt gehören zu den nichttarifären Handelshemmnissen.

Erhebt eine große Industrienation, auf deren Markt viele ausländische Unternehmen drängen, Importzölle, werden ausländische Waren teurer und unattraktiver. Dadurch sinkt die Nachfrage nach diesen Gütern, weshalb die Preise angepasst werden, um die Waren trotzdem absetzen zu können, oder Unternehmen verlegen Produktionsstandorte in das jeweilige Land. Das schwächt die Wirtschaft des exportierenden Landes nachhaltig.

Die Überprüfung der Handelspolitik der Länder durch die WTO, Berichte des WTO-Generaldirektors und ein Portal, das einen Überblick über handelshemmende Maßnahmen weltweit verschafft, steigern zwar die Transparenz und helfen dabei, protektionistische Maßnahmen einzelner Staaten schnell zu erkennen. Jedoch hat das Streitschlichtungsverfahren der Organisation lediglich eine diplomatische Funktion, weshalb sich die Zahl der protektionistischen Maßnahmen im Zeitraum von 2010 bis 2019 trotzdem verzehnfacht hat. Die aktuelle Situation verstärkt diesen Effekt weiter.

Restriktionen weltweit an der Tagesordnung

„Fast täglich beschließen Staaten neue Exportverbote, Kontrollen oder Beschränkungen“, so Treiter. In der EU gilt für die Ausfuhr persönlicher Schutzausrüstung (PSA), wie Schutzbrillen und Gesichtsvisiere, Mund-Nasen-Schutz sowie Handschuhe, seit dem 15. März eine Genehmigungspflicht. Auch die Schweiz hat eine Bewilligungspflicht für den Export von PSA eingeführt, Ausnahmen bestehen für die EU- und EFTA-Staaten. In Indien ist seit Anfang März der Export von vielen Medikamenten und Arzneistoffen verboten. Zwei Wochen später wurde dies auch für Beatmungsgeräte, Atemschutzmasken und Textilien zur PSA-Herstellung umgesetzt. Auch Saudi-Arabien hat den Export von Arzneimitteln und anderen Medizinprodukten untersagt.

In Frankreich wurden Händler und Kunden dazu aufgerufen, Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch von französischen Landwirten anstatt aus dem Ausland zu kaufen. Wegen der Coronavirus-Pandemie brauche es einen „Wirtschaftspatriotismus“ erklärte Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Auf der anderen Seite befreien Länder wie Katar und Marokko Nahrungsmittel vom Einfuhrzoll, um die ununterbrochene Versorgung sicherzustellen. Auch Russland setzt seine Importsubstitutionen bei Medizinprodukten aus, im Fokus stehen dabei Beatmungsgeräte.

Der US-Präsident Donald Trump hat die Behörden angewiesen, die Ausfuhr von N95-Schutzmasken und anderer medizinischer Ausrüstung zu verhindern. Außerdem hat die US-Regierung mit einer Ausnahmeregelung im Kampf gegen Covid-19 mehrere medizinische Verbrauchsgüter und Sanitärartikel aus China von zusätzlichen Strafzöllen befreit. Ende März eröffnete der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer ein Verfahren für weitere mögliche Ausnahmen für medizinische Produkte. Der Zusatzzoll wurde im Zuge des Phase-I-Abkommens beider Länder bereits gesenkt.

Weltmächte im Handelsstreit

Die USA und China hatten im Januar, fast zwei Jahre nach Beginn ihres Handelskonflikts, das Phase-1-Abkommen als ersten Teil eines umfassenden Handelsabkommens unterzeichnet. Beide Seiten sagen darin zu, keine neuen Strafzölle zu verhängen – die verbleibenden Zölle bleiben aber größtenteils bestehen. Des Weiteren verpflichtet sich China, seine Importe aus den Vereinigten Staaten innerhalb der nächsten zwei Jahre um 200 Mrd. Dollar im Vergleich zu 2017 zu steigern. Trump hatte den Handelsstreit ursprünglich entfacht, weil China einen enormen Handelsüberschuss gegenüber den USA aufweist. Chinas Exporte übersteigen die Importe um annähernd 300 Mrd. USD, obwohl der Überschuss im vergangenen Jahr um 8,5 % geschrumpft ist.

„Das Handelsabkommen zwischen den USA und China ist in mehrerlei Hinsicht bedenklich. Es profitieren einseitig die USA, während China und Drittländer verlieren. Es verstößt klar gegen die WTO-Regeln und lässt viele Fragen unbeantwortet, etwa was passiert, wenn China die Verpflichtungen nicht erfüllt“, erklärt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.

Besonders deutsche Exporteure bekommen die Auswirkungen des Deals zwischen den USA und China zu spüren. Das Exportvolumen nach China dürfte im kommenden Jahr um fast 4,5 Mrd. USD zurückgehen – vor allem in den Bereichen Automotive, Luftfahrt und Maschinen. In einer Zeit, in der die deutsche Industrie aufgrund der sinkenden Nachfrage in der Corona-Krise durchaus von Aufträgen aus China profitieren würde. Die Volksrepublik konnte ihre Produktion inzwischen wieder teilweise hochfahren, nachdem das Virus den offiziellen Zahlen zufolge weitestgehend unter Kontrolle ist.

Exportnation Deutschland strauchelt

Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist die aktuelle Situation eine besondere Belastungsprobe. Die Industrieproduktion im verarbeitenden Gewerbe sinkt im Trend bereits seit Mai 2018. Auch die Industriebeschäftigung in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten war im Oktober 2019 erstmals seit 2010 rückläufig – das alles noch vor Corona. Im März ist der Ifo-Index der Produktionserwartungen dann so stark wie noch nie gesunken: von +2,0 auf -20,8 Punkte. Im Maschinenbau sank er von -10 auf -24 Punkte.

In einem Gutachten, das der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung am 23. März vorgelegt hatte, gehen die sogenannten Wirtschaftsweisen von drei möglichen Szenarien aus. Sie unterscheiden sich darin, wie lange und in welchem Ausmaß die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie anhalten und wie schnell es danach zu einem Erfolg kommt. Im Basisszenario fällt das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2020 auf -2,8 % und wächst 2021 auf +3,7 %. In den beiden Risikoszenarien sinkt das Wachstum in diesem Jahr auf -5,4  bzw. -4,5 % und erholt sich im darauffolgenden Jahr um +4,9  bzw. +1,0 %. „Wir gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie die Weltwirtschaft stark beeinträchtigen wird“, sagt Lars P. Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrats.

Deutsche Kernindustrie leidet

Eine Umfrage des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall unter den Mitgliedsunternehmen der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie verdeutlicht das wirtschaftliche Ausmaß der Krise: 83 % aller befragten Unternehmen melden Einschränkungen der Produktion, fast ein Drittel (30,9 %) sogar sehr starke oder starke Einschränkungen. In der Folge nutzen heute bereits 42,7 % der Unternehmen Kurzarbeit, bei durchschnittlich 70,9 % der Beschäftigten. Damit waren Anfang April 2020 etwa 1,2 Mio. Beschäftigte – von insgesamt vier Millionen Beschäftigten – der Metall- und Elektro-Industrie in Kurzarbeit. In den kommenden vier Wochen planen weitere 39,7 % der Unternehmen Kurzarbeit anzumelden. Damit könnte sich die Zahl auf rund 2,2 Mio. erhöhen.

„Diese Situation lässt sich nicht unbegrenzt durchhalten. Unternehmen und ihre Mitarbeiter brauchen eine Perspektive, wann sie wieder schrittweise in die Ausweitung der Produktion einsteigen können“, erklärt Gesamtmetall-Präsident Dr. Rainer Dulger. „Dazu ist es aufgrund der europäischen und internationalen Lieferketten notwendig, so weit wie möglich auf europäischer und internationaler Ebene koordiniert vorzugehen.“


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