Startseite » Allgemein »

Corona: VDW-Geschäftsführer Dr. Wilfried Schäfer warnt vor neuem Protektionismus

Interview: VDW-Geschäftsführer Dr. Wilfried Schäfer warnt vor neuem Protektionismus
„Wir müssen den Freihandel wieder in Kraft setzen“

„Wir müssen den Freihandel wieder in Kraft setzen“
Dr. Wilfried Schäfer, Geschäftsführer VDW (Verein Deutscher Werkzeugnaschinenfabriken): „Die Corona-Krise hat sehr deutlich gezeigt, wie abhängig einige Branchen von Zulieferungen aus dem Ausland sind.“ Bild: VDW
Die weltweite Entwicklung im Zuge der Corona-Pandemie birgt die Gefahr, dass bereits vorhandene Abschottungstendenzen der Märkte sich verfestigen könnten. Davor warnt eindringlich Dr.Wilfried Schäfer, Geschäftsführer des VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken). Chancen sieht er für den Durchbruch der Digitalisierung. Für einen Kurswechsel in Sachen klimaneutrale Technologien gebe es indes keinen Anlass. Das Interview führte: Dr. Frank-Michael Kieß

mav: Vor der Corona-Krise wurden Protektionismus-Tendenzen und drohende Handelskriege vom VDW als ein Risikofaktor für die Konjunktur angeführt. Jetzt ist das Ganze mit Reisebeschränkungen auf einer neuen Ebene gelandet. Was erwarten Sie nach der Krise? Werden die Abschottungstendenzen sich eher verfestigen?

Schäfer: Dagegen müssen wir mit aller Macht angehen. Die Werkzeugmaschinenindustrie lebt mit 70 % Exportanteil von der Freizügigkeit im Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie von der Reisefreiheit für ihre Mitarbeiter, die Service und Ersatzteilversorgung sicherstellen. Daraus schöpfen wir als Exportnation unseren Wohlstand und sichern Arbeitsplätze. Auch wenn gegenwärtig noch völlig unklar ist, wann Reisefreiheit in Europa wiederhergestellt sein wird, müssen wir alles daransetzen, den Freihandel wieder in Kraft zu setzen.

„Erstes Ziel muss es sein, Produktion und Lieferketten so weit wie möglich zu reanimieren.“

Gibt es denn Alternativen zum Global Sourcing? Kann die deutsche Industrie ihre Wertschöpfung auch anders organisieren?

Schäfer: Die Corona-Krise hat sehr deutlich gezeigt, wie abhängig einige Branchen von Zulieferungen aus dem Ausland sind. Das betrifft Produktlieferungen ebenso wie die Verfügbarkeit ausländischer Erntehelfer in der Landwirtschaft. Die Werkzeugmaschinenindustrie kauft Komponenten im Ausland dort, wo die Kompetenz für die jeweiligen Teile besteht. Dies ist in der Elektronik nun einmal Asien. Den größten Teil ihrer Zulieferungen bezieht sie jedoch aus Deutschland und Europa, weil hohe Qualitätsstandards eingehalten werden müssen. Zwar sprechen 77 % der Hersteller in einer aktuellen Umfrage von Störungen der Lieferkette innerhalb Deutschlands und aus Italien. Mehr als die Hälfte der Unternehmen kann jedoch zumindest teilweise auf andere Lieferanten ausweichen.

Wie groß ist das Risiko für deutsche Fertiger, zu lange im Remote-Status zu verharren?

Schäfer: Das Risiko besteht! Auch nach zehn guten Jahren in der Werkzeugmaschinenindustrie ist ein längerer Produktionsstopp für die meisten Firmen nicht durchzuhalten. Die Unternehmen versuchen, ihre Kosten mit dem Abbau von Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit und Kapazitätsanpassungen im Griff zu halten. Ohne Einnahmen ist diese Strategie jedoch endlich. Für die Branche war die wirtschaftliche Situation aufgrund von Handelskonflikten, Nachfragerückgang und Strukturwandel in der Automobilindustrie bereits vor Corona schon schwierig.

Worin hat sich das geäußert?

Schäfer: Insgesamt gingen die Werkzeugmaschinenbestellungen 2019 weltweit um mehr als ein Fünftel zurück. Etliche Unternehmen haben bereits im Sommer des vergangenen Jahres Kurzarbeit anmelden müssen. Nicht zuletzt deshalb haben wir massiv die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung auf 24 Monate gefordert, damit diese Unternehmen nicht durchs Raster fallen.

„Wir sehen, dass China wieder etwas Tritt fasst, seit dort die Isolationsmaßnahmen langsam zurückgefahren werden.“

Wie muss es jetzt weitergehen?

Schäfer: In den kommenden Wochen gilt es, die richtige Balance zu finden zwischen einer schrittweisen verantwortungsvollen Lockerung der Maßnahmen, ohne die Gesundheit der Menschen zu gefährden. Erstes Ziel muss es sein, Produktion und Lieferketten so weit wie möglich zu reanimieren. Wir sehen, dass China wieder etwas Tritt fasst, seit dort die Isolationsmaßnahmen langsam zurückgefahren werden.

Wie kann sich die Industrie künftig besser vorbereiten auf derartige Szenarien?

Schäfer: Diese Krise wurde nicht durch eine Nachfrageschwäche ausgelöst, sondern ist ein exogener Schock, der nicht planbar war. Auch hat jede Krise ihre Besonderheiten, auf die sich kein Unternehmen im Detail vorbereiten kann. Deshalb sind die Firmen immer gut beraten, wenn sie solide wirtschaften und Polster aufbauen, um auch in Krisenzeiten eine Weile durchhalten und die Eigenverantwortung behalten zu können.

Wird es auch positive Dinge geben, die wir aus der Krise mitnehmen? Wird etwa die Digitalisierung jetzt den nötigen Schub bekommen?

Schäfer: Das sieht ganz so aus. Viele Unternehmen machen jetzt gezwungenermaßen positive Erfahrungen mit Webkonferenzen, Webinaren und anderen digitalen Formaten. Obwohl es die notwendigen Tools auch vorher schon gab, steigt mit dem Erfolg die Akzeptanz. Sie funktionieren, ihr Einsatz spart Zeit und Geld, indem etwa Geschäftsreisen reduziert werden können. Nun kommt es darauf an, weitere Geschäftsprozesse digital abzubilden und die guten Erfahrungen beispielsweise mit dem Homeoffice auf andere Bereiche zu übertragen.

Was erwarten Sie von der Politik, damit die Wirtschaft nach dem Lockdown schnell wieder in Schwung kommt?

Schäfer: Die Werkzeugmaschinenindustrie mit ihren vielen mittelständischen Unternehmen war und ist immer ein Verfechter von Marktwirtschaft und Wettbewerb. Deshalb erwarten wir, dass staatliche Maßnahmen diesen beiden Grundpfeilern Rechnung tragen. Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate war überdies eine wichtige Weichenstellung, um qualifiziertes Personal halten zu können. Ebenso bedeutend ist die Sicherung der Liquidität in den Unternehmen. Dazu können beitragen: die Abschaffung der Vorfälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen, die Senkung der gesetzlich vorgeschriebenen Zinshöhe für Pensionsrückstellungen, die Reform des steuerlichen Verlustrücktrags und die degressive Abschreibung. Dies alles hilft beim Wiederaufbau, geht marktkonform ohne staatlichen Dirigismus und erhält am Ende auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Werden bestimmte disruptive politische Entscheidungen bzgl. E-Mobilität, Energiewende etc. nach der Corona-Krise neu diskutiert bzw. überdacht werden?

Schäfer: Diskutiert wird sicher, aber wir brauchen die Energiewende, um die vereinbarten Klimaschutzziele zu erreichen. Sie werden nicht umkehrbar sein – nicht zuletzt, weil der Green Deal eine zentrale Säule künftiger europäischer Politik ist. In diesem Zusammenhang wird auch die E-Mobilität vorangetrieben. Die Politik spricht derzeit über Investitionsprogramme zugunsten klimafreundlicher Technologien. Sie könnten greifen, wenn die Produktion wieder hochgefahren wird. Davon würde die Werkzeugmaschinenindustrie profitieren. Als Anbieter von Hightech leistet sie auch jetzt schon ihren Beitrag für die effiziente und nachhaltige Produktion. Wichtig ist es, die Marktkräfte zu mobilisieren und Unternehmen zu motivieren, im eigenen Interesse Klimaziele kostengünstig umzusetzen.

Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V. (VDW)
Corneliusstraße 4
D-60325 Frankfurt/Main
Telefon: +49 69 756081–0
E-Mail: vdw@vdw.de
Internet: https://vdw.de 6181 103–0


Mehr zum Thema Corona-Krise
Aktuelle Ausgabe
Titelbild mav Innovation in der spanenden Fertigung 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Trends

Aktuelle Entwicklungen in der spanenden Fertigung

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Alle Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de