Startseite » Allgemein »

Reindustrialisierung zwischen Vision und Realität

Die Marktentwicklung in den USA zeigt ein anhaltend zwiespältiges Bild
Reindustrialisierung zwischen Vision und Realität

Trotz der viel diskutierten Reindustrialisierung der USA ist das Land im Werkzeugmaschinengeschäft kein Wachstumstreiber. Es fehlt an Breite und ausgeglichener Nachfrage, und der aufwertende Dollar sowie die politische Unsicherheit bremsen die Marktentwicklung. So bleibt zu hoffen, dass die Sonderanlagenbeschaffung, der US-Automobilbau und die traditionell stimulierend wirkende Herbstmesse IMTS weitere Impulse setzen.

Die Marktentwicklung in den Vereinigten Staaten zeigt anhaltend ein zwiespältiges Bild. Einerseits schlagen immer wieder hochvolumige Projekte und das Sonderanlagengeschäft, idealtypisch mit Großanwendern aus dem US-Automobilbau, expansiv in den Auftragseingangsstatistiken durch. Hier geht es indessen um Weltmarktanteile, dreht es sich um strategischen Invest zum Beispiel für den asiatischen Top-Markt China oder um Produktionsverlagerung nach Mexiko. Auch die Motive Nachholbedarf und Industriepolitik – man denke an die aktuelle Befindlichkeit eines deutschen Global Players der Automobil-Szene – spielen eine Rolle.

Andererseits bleiben die USA die schon mehrfach angekündigte Reindustrialisierung schuldig. Es fehlt an Breite im Markt, an ausgeglichener Nachfrage über die Technologien und Kundensegmente hinweg. Das Einzelmaschinengeschäft mit mittelständischen Unternehmen oder auch aus dem Job-Shop-Bereich ist vergleichsweise flau geblieben, weil dort die Wahrnehmung konjunktureller Perspektive und das Vertrauen in einen positiven Wirtschaftsgang zählen. Der aufwertende, im Export bremsend wirkende US-Dollar, die Sorge um in Dollar hochverschuldete Schwellenmärkte vor dem Hintergrund absehbarer weiterer Zinsschritte der US-Notenbank sowie politische Unsicherheit vor der Präsidentenwahl prägen hier die Sicht. Die Orders der US-Konkurrenz sind im kompletten Geschäftsjahr 2015 tief im Minus verblieben und haben auch im 1. Halbjahr 2016 zweistellig nachgegeben.
US-Industrie zögerlich trotz stabiler Essentials
Die US-Ökonomie war 2015 kein Wachstumstreiber und wird absehbar auch im laufenden Jahr nicht in der Lage sein, wirkliche Impulse für den weltweiten Werkzeugmaschinenverbrauch beizusteuern. Insbesondere deshalb, weil die im Juli 2016 neu durchgerechnete Industrieproduktion 2015 nur mit weniger als einem halben Punkt zunahm und für 2016 sogar mit fast einem Punkt im Minus angesetzt ist.
Ähnlich das Bild für die Anlageinvestitionen der acht wichtigsten Anwenderindustrien des Landes, wo sich im Vorjahr zwar 1,3 Prozent Zuwachs einstellten, für 2016 aber ebenfalls nur rund 1 Punkt in „rot“ als realistisch erscheint. Allein das traditionell konsumdominierte Bruttoinlandsprodukt weist mit Wachstum um 2,4 Prozent (2015) bzw. 2 Prozent im Forecast 2016 darauf hin, dass die Richtung stimmen könnte.
In 2015 betrug der US-Werkzeugmaschinenverbrauch 6,64 Milliarden Euro, was nur aufgrund der Dollaraufwertung um fast 17 Prozent gegenüber dem Euro noch für 1 Prozent Zuwachs und Position 2 im globalen Ranking vor Deutschland stand. Auf Dollar-Basis glitt das Marktvolumen im vergangenen Jahr, nach noch 8 Prozent Plus in 2014, 16 Prozent ins Minus ab. Der Anteil am weltweiten Verbrauch sank um einen halben Punkt auf knapp 10 Prozent. Zum Vergleich: China kommt in dieser Disziplin auf mehr als 32 Prozent Anteil.
Die US-Werkzeugmaschinenimporte gaben in 2015 mit 4,06 Milliarden Euro Volumen selbst in Euro gerechnet um 4 Prozent nach. Die Dollar-Basis indessen ergab ein Minus von 20 Prozent. Der Anteil am weltweiten Einfuhrgeschehen notierte mit knapp 11 Prozent sieben Zehntel unter der Referenz aus 2014. Auch hier der Seitenblick auf die Nummer 1 der Welt, nämlich China mit 21 Prozent Anteil.
Die US-Produktion stand 2015 für 4,15 Milliarden Euro, 2 Prozent Plus und 6 Prozent Anteil an der weltweiten Ausbringung. In Dollar gerechnet ergibt sich hingegen ein Minus von 15 Prozent. International reichte es damit für Platz 6 unter den stärksten Standorten.
Deutsche Hersteller punkten gegenüber US-Wettbewerb
Die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie führte 2015 mit 953 Millionen Euro (einschließlich Teile und Zubehör) wertmäßig 7 Prozent mehr in die USA aus, als im vorangegangenen Jahr. Auch im 1. Halbjahr 2016 lief es mit rund 504 Millionen Euro Volumen und 15 Prozent Plus gegenüber dem Referenzzeitraum 2015 für deutsche Exporteure gut.
Der Auftragseingang aus den USA lag 2015 noch um 10 Prozent unter dem Vorjahresergebnis. Man bedenke aber die starke Basis, den extrem anziehenden „Order Intake“ im Schlussquartal 2014. In der 1. Jahreshälfte 2016 war nach vorläufigen Ergebnissen der VDW-Statistik mit erneut 11 Prozent Minus kein Auftrieb wirksam, gleichzeitig aber steht das Bestimmungsland Mexiko für eine satte Verdopplung der Orders.
Demgegenüber zeigte der Auftragseingang der US-Hersteller, gemeinsam erfasst mit dem im US-Fachhandel, 18 Prozent Minus in 2015 und weitere Einbußen in Höhe von 16 Prozent während des 1. Halbjahres 2016. Mit Zugewinn an Marktbreite war und ist es nicht allzu weit her.
Erwarteter US-Auftragseingang deutscher Hersteller
Bezogen auf den Auftragseingang deutscher Hersteller im gesamten Jahresverlauf 2016 hat die Wirtschaftsforschungsgesellschaft Oxford Economics, Prognosepartner des VDW, für Amerika ein Minus von 10 Prozent avisiert. Im ersten Amtsjahr 2017 des neuen US-Präsidenten erwartet man indessen wieder einen Zuwachs in gleicher Höhe.
Als Näherung für das sehr unterschiedliche Gewicht Nordamerika vs. Südamerika kann das Größenverhältnis in den zuletzt (erste sechs Monate 2016) erzielten Exportvolumina deutscher Werkzeugmaschinenhersteller dienen, wobei hier 69 Prozent des (Amerika-)Gesamtwerts von 807 Millionen Euro alleine auf die USA entfallen. Mexiko stützt den mittelamerikanischen Raum stark, und Brasilien wird sich nur langsam aus seiner derzeit kritischen Situation freikämpfen können.
Es wird ausschlaggebend sein, ob Sonderanlagen-Beschaffung und Projekte des US-Automobilbaus weiterhin expansiv wirksam bleiben. Gut: US-Automotive investiert derzeit massiv weltweit. Wenn auch fast durchgängig für Projektrealisierung in 2017. Wie aber werden sich die Perspektiven für die Zeit danach ausnehmen?
Auch könnte die in Nordamerika bedeutendste Fachmesse IMTS, die vom 12. bis 17. September 2016 in Chicago stattfand, Antriebskräfte freisetzen.
Nachfragetreiber IMTS
Die Bewertung möglicher Impulse erfordert Realismus und Beachtung der etwas anderen Gepflogenheiten im US-Marketing, was publizitätswirksame Verkündung erteilter Orders während einer laufenden Großmesse angeht. Abbildung 1, gültig für die Bestelltätigkeit bei US-Werkzeugmaschinenproduzenten plus der im US-Fachhandel, dokumentiert den mittelfristigen Trendverlauf der US-Werkzeugmaschinennachfrage. Offenkundig ist es bislang regelmäßig im Herbst der IMTS-Austragungsjahre zu markanten Peaks in der Bestelltätigkeit gekommen. Besonders klar wird dies am Beispiel des Jahres 2014, wo auch „automobil“ aufgestellte deutsche Hersteller stark partizipierten.
Von europäischem und insbesondere deutschem Muster abweichende Gepflogenheiten im amerikanischen Messe-Marketing sind bereits angesprochen worden. Die IMTS 2016 hat sich in dieser Hinsicht nicht als Ausnahme erwiesen. Unter „Eingemeindung“ von sechs sogenannten „Co-located Shows“ – unter anderem der Industrial Automation North America oder der Motion Drive & Automation North America – in die Kerndaten der IMTS realisierte man einen Flächenzuwachs von 6,5 Prozent auf rund 127 025 m2 netto.
Ebenfalls nach oben treiben ließ sich die Ausstellerzahl, welche mit 2407 Firmen – besser: auch über Händler, Repräsentanten oder Engineering-Unternehmen vertretenen Marken – stramme 18 Prozent über der Vorveranstaltung notierte.
Bei der Beurteilung des Besuchs scheiden sich die Geister regelmäßig. 101 478 (+ 3,4 Prozent) vermeintliche, im Zuge elektronischer „Pre-Registration“ erfasste Besucher stellen Manövriermasse dar, da niemand sagen kann, welche davon wirklich nach Chicago gekommen sind. Die „Registration on Site“ (14 134 Personen) präsentierte sich zumindest mit 11,5 Prozent Minus. Mit total 115 612 Besuchern wäre man auf weniger als 1,5 Prozent Zuwachs gekommen.
Auf jeden Fall ließ sich die „Largest IMTS ever“ befeiern. In der Tat vermittelten die ersten drei Messetage den Eindruck von hohem Besucherdurchsatz, der allerdings schon am vierten Tag deutlich abklang, um am Messe-Freitag und -Samstag auffallend stark einzubrechen. Das Informationsinteresse war groß, die Abschlussfreudigkeit in der Breite des Markts allerdings eingeschränkt.
Erwartungsgemäß Profil zeigten die nach wie vor beschaffenden, sonderanlagen- und projektorientierten Haupt-Anwenderindustrien, nämlich der Automobilbau samt seiner Tier 1-Zulieferer, der Aerospace-Bereich, die Medizintechnik sowie die Energieerzeugung bzw. der Turbinenbau. Die mittelständische Industrie gab sich nach allgemeiner Einschätzung eher zurückhaltend. In Summe wird es sicher zum klassischem Ausschlag des US-Nachfragetrends nach oben kommen. Ob allerdings von einem Startschuss für nachhaltigere Belebung gesprochen werden darf, bleibt abzuwarten. ■
Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V. (VDW)www.vdw.de

Der Autor

40284820

Gerhard Hein ist Bereichsleiter Wirtschaft und Statistik beim Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e. V. (VDW) in Frankfurt am Main.

IMTS kurbelt Nachfrage an

40284821


Mexiko sticht die USA aus

40284825

Aktuelle Ausgabe
Titelbild mav Innovation in der spanenden Fertigung 1
Ausgabe
1.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Trends

Aktuelle Entwicklungen in der spanenden Fertigung

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Alle Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de