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Die perfekte Werkzeugmaschine…

▶ Integration der Systemsimulation in den Entwicklungsprozess von Werkzeugmaschinen
Die perfekte Werkzeugmaschine…

…liefert in einem Arbeitsgang Werkstücke mit perfekten Oberflächen ohne geometrische Abweichungen oder gar Ausschuss – ohne Wartung. Oder anders formuliert: Ein wesentliches Ziel eines jeden Zerspanprozesses ist es, in möglichst kurzer Zeit ein Werkstück herzustellen, das den Forderungen nach minimalen geometrischen Abweichungen und Oberflächengenauigkeit entspricht. Zur Erreichung dieses Ziels ist es notwendig, präzise und schnell verschiedene Positionen anfahren zu können.

Eine reine Auslegung der Maschine mit dem Ziel „präzise“ wird jedoch zu völlig anderen Ergebnissen führen als eine ausschließliche Betrachtung des Ziels „schnell“!
Um einen geeigneten Kompromiss der vielfältigen Anforderungen an eine Werkzeugmaschine (Spanvolumen/Zeit, Oberflächengüte, Standzeiten,… und natürlich Kosten) zu finden, bedarf es einer sorgfältigen Optimierung. Das betrifft nicht nur die Einzelkomponenten – seien es mechanische (z.B. die dynamische Steifigkeit bewegter Teile), elektromagnetische (Nenndrehmoment und Drehmomentwelligkeit der Achsantriebe/Spindelantriebe) oder Logikkomponenten (Regelung und Vorsteuerung) – sondern insbesondere des Gesamtsystems, dessen Verhalten maßgeblich durch die Interaktion der Komponenten untereinander und mit der Umgebung bestimmt wird. Ein experimenteller try-and-error-Ansatz kann dieses Ziel kaum erreichen – eine Systemsimulation schon!
Wo ist die Systemsimulation zuhause?
Das V-Modell kommt ursprünglich aus der Softwareentwicklung und gliedert den Ablauf eines Entwicklungsprozesses; es findet sich in den meisten Entwicklungsprozessen mechatronischer Produkte (in Abwandlungen) wieder. Vielerorts wird in einigen Schritten des Entwicklungsprozesses bereits simuliert: Es bietet sich an, in der Phase des Konzeptentwurfs die mechanischen Konzepte bezüglich ihrer statischen und dynamischen Steifigkeit zu untersuchen. Ist, auf Basis der Ergebnisse der numerischen Konzeptstudie, eine Entscheidung für einen Ansatz gefallen, können die einzelnen, auskonstruierten Komponenten im Rahmen der Detaillierung eingehend untersucht und voroptimiert werden, um global definierte Ziele bezüglich Masse, Steifigkeit, Drehmomentwelligkeit etc. erreichen zu können.
Im Anschluss daran folgt im Entwicklungsprozess üblicherweise der Aufbau eines Prototypen bestehend aus mechanischen Komponenten und Antriebs- und Steuerungselementen, anhand dessen die Erprobung von Sub- und Gesamtsystemen stattfindet. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entwicklung bereits weit fortgeschritten – und potentielle Änderungskosten damit recht hoch.
Zur Vermeidung von Fehlentwicklungen ist eine gute Kenntnis des Systemverhaltens bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Entwicklungsprozesses hilfreich. Eine virtuelle Erprobung der Gesamtmaschine im Rahmen einer Systemsimulation liefert diese Kenntnis und darüber hinaus die Möglichkeit, relevante Änderungsparameter zu identifizieren und damit eine zielgerichtete Optimierung vorzunehmen. Viele Schritte des V-Modells können damit zunächst auf numerischer Ebene durchlaufen werden (Abb. 1), die Notwendigkeit für den Aufbau des ersten physikalischen Prototypen wird im Entwicklungsprozess zeitlich sehr weit nach hinten geschoben.
Ergebnisrecycling für die Systemsimulation
Die FEM-Modelle (Finite-Elemente-Methode), die zur Simulation statischer und dynamischer Effekte auf Komponenten- bzw. Subsystemebene herangezogen werden, liefern sehr detaillierte Ergebnisse zum Preis eines hohen numerischen Aufwands. Zur Betrachtung des Gesamtverhaltens ist es jedoch möglich, einen Schritt zurück zu gehen – nicht alle Details sind relevant für das große Bild. Aus diesem Grund wird im Rahmen von Systemsimulationen häufig mit Verhaltensmodellen gearbeitet. Diese spiegeln wie ihr Name bereits sagt, das wesentliche Verhalten einer Komponente mit geringem numerischem Lösungsaufwand wider.
Verhaltensmodelle können auf analytischer oder empirischer Basis erstellt werden, oder durch mathematische Kondensation der Ergebnisse bereits vorhandener FEM-Simulationen. ROMs (Reduced Order Models) repräsentieren das Verhalten der Komponente bei geringem Rechenaufwand sehr gut. Systemsimulationen mit ROMs weisen eine hohe Rechengeschwindigkeit auf und aufgrund der guten Komponentenbeschreibung eine hohe Realitätstreue auch auf Systemebene.
Bei der Systemsimulation findet die Kopplung zwischen verschiedenen Domänen und Komponenten – anders als bei Multiphysiksimulationen – nicht auf Feldebene statt (bspw. Austausch der Temperatur an allen Punkten des Bauteils zur Berechnung der thermisch induzierten Verformung), sondern auf Terminalebene. Diese Terminale sind definierte Punkte, an denen physikalische Größen oder Signale zwischen einzelnen Komponenten ausgetauscht werden können. Diese Art der Kopplung eröffnet die Möglichkeit, Komponenten miteinander physikalisch korrekt (konservativ) interagieren zu lassen (beispielsweise die mechanische Rückwirkung auf das elektromagnetische Verhalten eines Antriebs). Ebenso können Signale verarbeitet werden (kausal), um zum Beispiel die Steuerung / Regelung einer Werkzeugmaschine mit in die Systemsimulation einzubetten.
Für eine Antriebsachse einer einfachen Fräsmaschine in C-Bauweise wurde exemplarisch eine solche Systemsimulation erstellt (Abb. 2) Der in y-Richtung verfahrbare Turm wurde zunächst im Rahmen einer FEM-Simulation bezüglich seiner statischen und dynamischen Steifigkeit untersucht und im nächsten Schritt durch Modellordnungsreduktion zu einem Verhaltensmodell kondensiert. Da die dynamischen Eigenschaften des Kugelgewindetriebs durch lediglich zwei signifikante Steifigkeiten charakterisiert werden können, erfolgte die Modellierung mit 0D-Elementen. Diese Parameter sind für ein solch relativ einfaches Bauteil leicht zu ermitteln, für komplexere Komponenten ist es sinnvoller auf ROMs zurückzugreifen. Der Achsantriebmotor wird zur Berücksichtigung des nichtlinearen Verhaltens der Maschine durch Sättigungseffekte mittels eines ROM auf Basis einer Feldsimulation abgebildet.
Ergänzend zu diesen physikalischen Komponenten kommen regelungstechnische Blöcke zur Abbildung eines Kaskadenreglers für die Achsposition hinzu. Mit diesem Modell ist es möglich, das Schwingungsverhalten des Tool Center Points während des Verfahrens des Turms in y-Richtung in Abhängigkeit der gewählten Reglerparameter zu untersuchen. Die Auslegung der Reglerparameter anhand von Faustformeln liefert einen signifikanten Schleppfehler und zeigt deutlich eine sich aufschaukelnde Resonanz des Turms, da diese Nachgiebigkeit nicht berücksichtigt wird. Die Systemsimulation mit Verhaltensmodellen (ROMs) erlaubt es, diesen Effekt detailliert zu untersuchen: Durch eine starke Reduktion der Proportionalverstärkung des Lagereglers und Hinzufügen einer Vorsteuerung wird dieser Effekt effektiv unterdrückt und der Schleppfehler signifikant reduziert. Auch für den angepassten Regler bleibt eine Schwingung mit rund 50 Hz auf dem Signal bestehen, diese kommt aus der Nachgiebigkeit des Turmes in y-Richtung und ist mit dem gewählten Reglerkonzept nicht adäquat bedämpfbar.
Zusammenfassung und Ausblick
Ein logischer Schritt wäre nun, die Geometrie so anzupassen, dass diese Eigenfrequenz zu höheren Frequenzen hin verschoben wird und die veränderte Geometrie im Zusammenhang mit Regler und Antrieb erneut im Rahmen einer Systemsimulation zu untersuchen. Anhand dieses Beispiels wird sehr gut deutlich, dass die Systemsimulation zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Entwicklungsprozess die Möglichkeit bietet, das Verhalten des Gesamtsystems detailliert zu untersuchen und damit ein optimales Zusammenspiel der Komponenten – und folglich ein optimiertes Fräsergebnis – zu erreichen. Durch das tiefere Systemverständnis können die Entwicklungszeiten zusätzlich verringert, und damit Kosten eingespart werden.
Cadfem GmbH

Die Autorin
Dr.-Ing. Hanna Baumgartl,Business Development, Cadfem GmbH.
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