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„Bis 2020 wird E-Mobilität bei Daimler sechsstellig“

Prof. Dr. Thomas Weber, Vorstandsmitglied Daimler AG, Konzernforschung & Mercedes-Benz Cars Entwicklung
„Bis 2020 wird E-Mobilität bei Daimler sechsstellig“

Prof. Dr. Thomas Weber verantwortet seit zwölf Jahren die Konzernforschung der Daimler AG und die Entwicklung von Mercedes-Benz Cars. Damit ist er an entscheidender Stelle am größten technologischen Umbruch beteiligt, den das Automobil in seiner 130-jährigen Geschichte gerade erlebt. Im Gespräch zieht er eine Zwischenbilanz zum Thema Antriebstechnologie und gibt einen Ausblick.

mav: Benziner, Diesel, Plug-in-Hybride, Batterie oder Wasserstoff – ist diese verwirrende Vielfalt wirklich notwendig? Oder ein Zeichen der Ratlosigkeit?

Weber: Sie ist eine Notwendigkeit. Und genau deshalb setzt Daimler für die Mobilität der Zukunft bewusst nicht auf eine solitäre Antriebsform, sondern auf eine Koexistenz unterschiedlicher Technologien. Diese sind optimal auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse und Fahrzeugtypen zugeschnitten. Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben ein Fahrzeugportfolio, das seinesgleichen sucht. Vom Kleinstwagen bis zum Schwertransport decken wir weltweit alle Mobilitätsanforderungen ab. Da müssen wir ganzheitlich denken. Alle genannten Antriebsformen haben auch zukünftig ihre Berechtigung und Chancen. Die Kunden wünschen sich keinen Verzicht im Sinne von „weniger Auto“. Deshalb setzen wir auf Effizienzsteigerung durch mehr intelligente Technologie – und das durchgängig in allen Baureihen.
Lassen Sie uns die Alternativen einzeln betrachten. Hat der Diesel tatsächlich noch eine Zukunft?
Weber: Davon sind wir überzeugt! Für Vielfahrer speziell in Europa ist er die ökonomischste und effizienteste Alternative. Unsere neuen Premium-Diesel sind sparsamer und stärker, leichter und kompakter als je zuvor – und sie sind darauf ausgelegt, alle künftigen Abgasvorschriften weltweit zu erfüllen. Dieselmotoren in Lkw und Pkw sind unverzichtbar, wenn der verkehrsbedingte CO2-Ausstoß weiter sinken soll.
Und der Ottomotor?
Weber: Auch er hat in den letzten zehn Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung hinter sich, ich nenne hier nur innere Reibung, variable Steuerzeiten, Direkteinspritzung und Turboaufladung. Und er wird weitere Schritte machen – mit der serienmäßigen Einführung des Otto-Partikelfilters und insbesondere durch die Einführung der 48-Volt-Systeme. Vergessen Sie bitte nicht: Durch die intensive Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren ist es uns gelungen, den Flottenverbrauch unserer Fahrzeuge innerhalb von 20 Jahren praktisch zu halbieren. Diesen Weg gehen wir weiter, denn der Verbrennungsmotor und die Elektrifizierung konkurrieren nicht miteinander. Für viele Anwendungsfälle sind sie perfekte Partner. So wird beispielsweise die prinzipielle Schwäche des Ottomotors bei der Effizienz im Teillastbereich mit der Hybridisierung gelöst und die Tür zu einem weiteren Downsizing weit aufgestoßen.
Sind Plug-in-Hybride mehr als eine Brückentechnologie?
Weber: Auf jeden Fall ist das eine Brücke, die noch weit in die Zukunft reicht. Plug-in-Hybrid bedeutet ohne Einschränkung bei der Reichweite einen deutlichen Effizienzgewinn und die Möglichkeit, lokal emissionsfrei zu fahren. Die dabei möglichen Strecken werden bei der schnellen Entwicklung der Batterietechnologie bald noch deutlich länger. Vor allem aber ist die Plug-in-Technologie der entscheidende, auch mentale Einstieg in die Elektromobilität. Und zukünftig notwendige Verhaltensmuster wie zum Beispiel regelmäßiges Laden können fast spielerisch gelernt werden.
Damit kommen wir zu den batteriegetriebenen Elektrofahrzeugen. Sie haben eine zu geringe Reichweite, das Laden dauert zu lange und sie sind zu teuer – so die täglich zu hörende Kritik. Was entgegnen Sie?
Weber: Man kann einem Sportwagen vorwerfen, dass er nicht Platz für neun Personen bietet; einem Wohnmobil, dass es in keine städtische Tiefgarage passt; und einem Smart Electric drive, dass er nicht für die Fahrt von Hamburg nach Rom geeignet ist. Aber das führt in die Irre. Wer regelmäßig weite Strecken über Land oder auf der Autobahn fährt, ist mit einem Elektrofahrzeug sicher noch nicht richtig bedient. Aber wer macht das schon? Das Nutzungsprofil sehr vieler Automobile sieht in der Realität nämlich ganz anders aus.
Neben den alltäglichen Kurzstreckenfahrten möchten die Menschen mit ihrem Auto auch in den Urlaub oder an Ostern zur Oma fahren.
Weber: Selbstverständlich. Dies ist ein Teil der Freiheit, die wir dem Auto verdanken und die wir behalten möchten. Aber auch hier ein Blick auf die Realität: Viele Haushalte haben zwei oder mehr Fahrzeuge, und der Zweitwagen wird für diese Reisen ohnehin nicht genutzt – er könnte also auch elektrisch angetrieben sein. Außerdem sehe ich hier eine große Chance für Carsharing- oder Mietangebote: Für die große Reise oder die außergewöhnliche Fahrt werde ich zum Besitzer auf Zeit für ein geeignetes Fahrzeug. Das machen wir doch heute schon, wenn wir einen Sprinter für den Umzug der Kinder mieten oder ein Wohnmobil für einen USA-Urlaub.
Dann bleibt dennoch die Frage des hohen Anschaffungspreises …
Weber: … und die ist zumindest teilweise berechtigt. Neue Technologien sind zwar gerade in der Anfangszeit immer etwas teurer in der Anschaffung. Beim Kauf eines Elektrofahrzeugs stehen aber auch einige Posten auf der positiven Seite der Bilanz: geringe Betriebskosten, geringe Geräuschentwicklung, jede Menge Fahrspaß und natürlich die Entlastung der Umwelt. Natürlich sehen wir, dass die E-Mobilität noch nicht so in Schwung kommt, wie wir uns das wünschen würden. Deswegen begrüßen wir unter anderem auch die Initiative der Deutschen Bundesregierung – und die vieler anderer Länder –, hier mit einer Prämie einen zusätzlichen Anreiz zum Einstieg in den Technologiewandel zu setzen …
… weil Sie dadurch endlich schwarze Zahlen mit dem Verkauf von Elektrofahrzeugen erzielen?
Weber: Davon kann keine Rede sein. In der Diskussion um die Kaufprämie kommt mir vor allem ein Punkt zu kurz: Wir begrüßen die staatliche Unterstützung nicht deshalb, weil wir uns dadurch in irgendeiner Form bereichern. Niemand verdient heute mit Elektrofahrzeugen Geld – schon gar nicht der Hersteller, der uns immer als leuchtendes Vorbild genannt wird. Es geht dabei vor allem um das öffentliche, gemeinsame Bekenntnis von Industrie und Politik zur Elektromobilität. Dieser Schritt wird dazu beitragen, der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Wir bei Daimler wollen die weitere Verbreitung der Elektromobilität und arbeiten intensiv daran, sie massentauglich zu machen. Dies geht jedoch in vielen Punkten über die Weiterentwicklung unserer Fahrzeuge und Technologien hinaus. Vor allem die Standardisierung der Ladeinfrastruktur spielt eine übergeordnete Rolle.
Wie geht es denn mit der Batterietechnologie weiter? Erwarten Sie in den nächsten Jahren technologische Durchbrüche?
Weber: In den nächsten Jahren wird hier viel passieren, was uns hilft, weiter zu fahren und Elektromobilität bezahlbarer zu machen. Durch intensive Forschungsarbeit sehen wir bei gleichbleibendem Bauraum eine Verdoppelung der Energiedichte und eine Halbierung der Kosten bei den Batterien. Mit Einführung der Post-Lithium-Ionen-Technologie, von denen die Lithium-Schwefel-Systeme momentan die vielversprechendsten sind, werden wir bis Mitte der nächsten Dekade nochmals ganz andere Voraussetzungen haben.
Bis 2020 müssen Autobauer eine Flottenemission von 95 Gramm CO2 pro Kilometer erreichen. Wie viele Elektroautos müssen Sie verkaufen, damit Daimler das Ziel erreicht?
Weber: Dieses Ziel haben wir fest im Auge. Wir haben in der Entwicklung einen riesigen Schritt gemacht. Von 2014 auf 2015 haben wir den Flottendurchschnitt um 6 Gramm auf 123 Gramm pro Kilometer reduziert. Unser Ziel für die MBC-Flotte in Europa liegt bei circa 100 Gramm. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir den Elektrifizierungsanteil unserer Fahrzeuge stetig weiter erhöhen. Bis 2020 wird Elektromobilität bei Daimler sechsstellig.
Und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und solche mit Batterieantrieb werden weiter auf der gleichen Plattform aufbauen?
Weber: Nicht ausschließlich. Wir sind jetzt so weit, dass wir zusätzlich zu hybridisierten Fahrzeugmodellen und solchen mit Brennstoffzellenantrieb auch eine eigene Fahrzeugarchitektur für rein batterieelektrische Fahrzeuge entwickeln. Auch daran können Sie unser Bekenntnis zur Elektromobilität erkennen. Wir investieren massiv in die Elektromobilität. Wir sind davon überzeugt, dass der Markt jetzt so weit ist. Durch diesen Schritt gewinnen Elektrofahrzeuge noch einmal einen erheblichen Reiz und Nutzwert hinzu.
Welche Rolle bleibt dann noch der Brennstoffzelle?
Weber: Die Marktreife des Brennstoffzellenantriebs steht heute außer Frage. Das haben wir bereits 2011 mit dem Mercedes-Benz F-Cell World Drive gezeigt. Klar ist: Die Batterietechnologie verspricht zunehmend auch größere Reichweiten bei immer niedrigeren Kosten. Die Brennstoffzelle wird aber auch in Zukunft mindestens einen klaren Vorteil haben: hohe Reichweiten bei gleichzeitig kurzen Betankungszeiten von nur drei Minuten. Die Wasserstofftechnologie eignet sich zudem gerade auch für den Busbereich, hier gibt es speziell von Städten große Nachfragen. Die Vision einer auf Wasserstoff als Energieträger basierenden, völlig emissionsfreien Mobilität ist intakt. Deren größtes Handicap ist heute noch, dass eine ganz eigene Tankstelleninfrastruktur aufgebaut werden muss. Die konkreten Infrastruktur-Aufbaupläne in vielen Ländern und nicht zuletzt in Deutschland durch unser H2 Mobility Joint Venture stimmen uns jedoch durchaus zuversichtlich. Mit der Markteinführung unseres neuen Brennstoffzellenfahrzeugs auf Basis des GLC werden wir erneut ein Statement setzen. Insbesondere durch seine innovative Technologie, die wir bereits in unseren Forschungsfahrzeugen F 125! und F 015 gezeigt haben: Durch den F-Cell Plug-in-Antrieb erweitern wir die Möglichkeiten noch einmal. ■
Daimler AGwww.daimler.de

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