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Werkstück weiß Bescheid

Forscher entwickeln serviceorientierte Software für adaptive und vernetzte Produktion
Werkstück weiß Bescheid

Werkstück weiß Bescheid
Vernetzte, adaptive Produktion: Mit Digitalisierung und serviceorientierter Architektur zum flexiblen Produktionsnetzwerk. Bild: Fraunhofer IPT
Die industrielle Fertigung folgt meist starr programmierten Prozessen, in denen einzelne Arbeitsschritte und Maschinen fest eingeplant sind. Das macht die Produktion unflexibel. Forscher des Fraunhofer IPT haben eine neue Software entwickelt, bei der jedes Bauteil selbst den Maschinen mitteilt, was zu tun ist. Durch die Trennung von der zentralen Produktionsplanung soll eine ungekannte Agilität und Flexibilität erreicht werden.

In der Fertigung wird heute ein Bauteil, zum Beispiel ein Motorblock oder der Rohling für eine Turbinenschaufel, in verketteten Bearbeitungsprozessen von mehreren Maschinen bearbeitet. Die Systeme drehen und fräsen das Bauteil und vermessen es zwischendurch immer wieder automatisch. Die Reihenfolge der Arbeitsschritte und die dafür benötigten Maschinen und Geräte sind in einer Art Fahrplan genau festgelegt. Doch ein solcher Plan arbeitet die einzelnen Schritte starr nacheinander ab. Fallen Maschinen aus oder müssen Bauteile aufgrund von Kundenwünschen priorisiert werden, muss der Unternehmer die Produktion mit hohem Aufwand umplanen oder den Maschinenpark umrüsten. Das kostet Zeit und Geld.

Bauteil wird erwachsen
Viel schneller ginge es, wenn die Produktion und die erforderlichen Maschinen nicht von einem Steuerprogramm starr vorgegeben würden, sondern wenn jedes Bauteil selbst wüsste, wie es optimal und schnell durch die Prozesskette geleitet werden soll – ähnlich, wie bei einem Navigationssystem im Auto, dass die schnellste Route mit aktuellen Realdaten berechnen kann. Unmöglich? Keineswegs, wie die Entwickler des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen zeigen wollen: Die Aachener Ingenieure entwickeln ein Produktionssystem, bei dem jedes Werkstück selbst die Information trägt, welche Produktionsschritte es durchlaufen muss. „Serviceorientierte Architektur für die adaptive und vernetzte Produktion“ nennen sie ihre Entwicklung.
Die Idee: Das Bauteil verhält sich wie ein Individuum. So wird zunächst zu jedem Bauteil die Information gespeichert, die vorgibt, welche Produktionsschritte es durchlaufen soll. Dabei ist bewusst offengelassen, welche Maschine genau einen speziellen Bearbeitungsschritt durchführen soll. Erst, wenn ein Bearbeitungsschritt ansteht, wählt das System aus den Maschinen mit passenden Fähigkeiten diejenige aus, die unmittelbar oder schnellstmöglich verfügbar ist.
Entscheidend ist, dass bei jedem Produktionsschritt gesichert wird, welche Aufgabe durchgeführt wurde und was das Bauteil dabei tatsächlich erlebt hat: „Loch ist gebohrt mit Maschinenparameter A und Werkzeug X“, „Kante ist geschliffen mit Maschinenparameter B und Werkzeug Y“, „Oberfläche gefräst mit Maschinenparameter C und Werkzeug Z“. So zeichnet die Software die Produktionshistorie zu jedem einzelnen Bauteil auf, und es entsteht ein sogenannter digitaler Zwilling. Damit das Bauteil individuell erkannt wird, trägt es einen QR-Code.
Unikate fertigen dank digitalem Zwilling und Smart Manufacturing Network
Ziel ist es, mit der Software zu jedem Bauteil einen digitalen Zwilling (Digital Twin) zu erzeugen. Über diesen ist zu jedem Zeitpunkt bekannt, was und womit er bearbeitet wurde und welcher Schritt als nächster folgt. Diese Strategie ist zum Beispiel für Unternehmen wichtig, in deren Maschinenpark Chargen unterschiedlicher Bauteile gefertigt werden. In der konventionellen Fertigung müssen immer wieder Systeme beim Wechsel auf das neue Produkt angehalten, umprogrammiert und umgerüstet werden.
Bei dem serviceorientierten Ansatz hingegen teilt das Produkt den Geräten selbst mit, was zu tun ist. „Durch die Vernetzung von Bauteilen und Maschinen können Unternehmen in Zukunft hintereinander Unikate fertigen, also sogar Chargen mit Losgröße 1“, erläutert Michael Kulik, der als Projektleiter am Fraunhofer die neue Software mitentwickelt. Alle Prozessdaten des jeweiligen Bauteils sollen dafür in Form des Digital Twin in einem intelligenten Fertigungsnetzwerk, dem „Smart Manufacturing Network“ bereitgestellt werden. Sie erlauben im Nachhinein Datensätze zu analysieren und weiterzuverwenden, wodurch sich die Prozessrobustheit sowie Produktqualität erhöhen lassen.
Serviceorientierte Software für flexible Produktion
Die serviceorientierte Software zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Reihenfolge des Produktionsprozesses einfach über ein Menü konfigurieren lässt. Dazu zieht der Nutzer aus einer Liste aller Dienste, die von der Produktionsumgebung und damit aus den Produktionsmaschinen abgeleitet werden, einzelne Arbeitsschritte per drag-and-drop in die gewünschte Prozesskette und reiht diese wie Bausteine aneinander.
Wenn eine Maschine ausfällt, kommt eine Produktion, die top-down zentral gesteuert ist, bisher im ungünstigsten Fall komplett zum Stehen. Mit der serviceorientierten Software soll das nicht mehr passieren: Da in dem Rezept des Digital Twin im Detail gespeichert ist, welcher Schritt als nächster zu erfolgen hat, kann man das Bauteil flexibel zu einer anderen Maschine umleiten, die den nächsten Arbeitsschritt anbietet.
„Viele Maschinen können in einer Fertigungslinie mehrere Aufgaben erfüllen“, verdeutlicht Kulik. „Eine technisch ausgefeilte 5-Achs-Fräsmaschine kann zum Beispiel auch den Job einer einfacheren 3-Achs-Fräsmaschine erledigen.“ Bei einer zentralen Produktionsplanung ist ein solcher Wechsel aber normalerweise nicht vorgesehen, weil die gesamte Fertigung auf bestimmte Arbeitsschritte und Maschinen festgelegt ist. „Innerhalb des Smart Manufacturing Network kann die serviceorientierte Software in Zukunft flexibel entscheiden, den Job auf der 5-Achs-Maschine zu erledigen, die gerade frei ist“, so Kulik. ■
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT)www.ipt.fraunhofer.de

Plug-and-produce

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Eine wichtige Voraussetzung für eine flexible Produktion ist auch, dass sich Maschinen verschiedener Hersteller leicht in das intelligente Produktionsnetzwerk einbinden lassen. Deshalb arbeitet das IPT im Fraunhofer-Leistungszentrum „Vernetzte, adaptive Produktion“ in Aachen gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie an der Integration der unterschiedlichen Herstellersysteme in eine gemeinsame, übergeordnete Software- und Datenplattform. „Eine Art Plug-and-play, wie man es von Alltags-Technik kennt, gibt es in der Industrie noch nicht“, sagt Dr. Thomas Bobek, Koordinator des Fraunhofer Leistungszentrums. „Unser Ziel ist es deshalb, ein Plug-and-produce möglich zu machen.“

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